Literatur in der BDR in den 1960er und 1970er Flashcards
Kontext zur Literatur in der BRD in den 1960er und 1970er Jahren
Das Wirtschaftswunder wurde durch Restauration und ‘konformistische Denkstrukturen’ erkauft
Rezession 1966/67: Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, Bildungsmisere
Schattenseite der bedingungslosen Anbindung an den Westen: Ausbeutung der Entwicklungsländer durch Industrieländer, (Neo-)Kolonialismus, Haltung zum Vietnamkrieg –> imperialistischer Machtmissbrauch der kapitalistischen USA
Studentenbewegung fordert Wertewandel: Emanzipation, Partizipation, Lebensqualität, Bildung Auseinandersetzungen durch Außerparlamentarische Opposition (APO): sozialistisch-neomarxistische Argumentation, Tod des Germanistikstudenten Benno Ohnesorg, Widerstand unter Führung des Soziologiestudenten Rudi Dutschke (Attentat 1968)
SPD unter Willy Brandt führende politische Kraft, 1969 Koalition SPD/FDP:
Ostverträge, Sozialreformen (Arbeitsrechte, Sozialleistungen, Bildungswesen, Bürgerfreiheit etc.)
173/1974 Ölpreisschock, Kanzlerwechsel (Helmut Schmidt), Linksterror (RAF)
Was geschah in der Politisierung (1960er) und Entpolitisierung (1970er) der Literatur
Literatur wurde als Bewusstseinsschulung gesehen –> im Gegensatz zu Unentschlossenheit der Intelligenz im 3. Reich
Enttabuisierung der NS-Vergangenheit, Ablehnung lebensweltlicher Restriktionserfahrungen, Freiheitsanspruch, Aufarbeitung der Verflechtung des Establishments (vgl. Springer-Kampange)
‘1968’ Chiffre für Veränderungen des politischen, kulturellen Klimas (studentische) Protestbewegung Teil einer internationalen Bewegung:
antiautoritäre Revolte, sexuelle Befreiung, Anti-Kriegsbewegung, Subversion, Selbstentgrenzung, Rockmusik, Subkulturen
Verbindungen von Leben und Kunst –> Romantik, Avantgarde
Solidarisierung von Autoren mit der Studentenbewgung
politisches Engagement für SDP –> Grass, Böll, Siegfried, Lenz, Peter Härtling
“Tod der Literatur” (Hans Magnus Enzensberger, “Kursbuch” 15): „Risiko, daß solche Arbeiten von
vornherein, unabhängig von ihrem Scheitern und Gelingen, nutz- und aussichtslos sind“
Trendwende nach Ernüchterung Anfang der 1970er –> Rückzug ins Private:
Entpolitisierung der Literatur ‘neue Subjektivität’, ‘neue Innerlichkeit
Wer schrieb “landessprache”, zu welcher Strömung
Hans Magnus Enzensberger
Politische Lyrik
Fakten zu “landessprache” von Hans Magnus Enzensberger
‘Gebrauchswert’ (Brecht) von Lyrik: “Die Politik muß gleichsam durch die Ritzen zwischen den Worten
eindringen, hinter dem Rücken des Autors, von selbst.“
Ist ein Gedichtsband
Die Gedichte sind Stellungnahmen zu aktuellen Themen: zugänglich, nachvollziehbar, tendenziös
provokanter Ton, sarkastisch-ironisch Abrechnungen mit politischen Zuständen (Obrigkeitshörigkeit, Wohlstandsdenken, Saturiertheit, Nabelschau etc.)
sprachlich-stilistischer Pluralismus, ästhetisches Desinteresse
Fokus aus systematische Schwächen –> Gegenwärtigkeit
Was sind Eigenschaften der Alltagslyrik der ‘Neuen Innerlichkeit’
Ist eine Gegenbewegung zur Politisierung
Rückbindung des Gedichts an die konkrete Alltäglichkeit in den 1970ern
gegen hochkulturelle Stilistik (‘Anti-Stil’ oft ohne Figuren, Tropen, Metaphorik, Chiffren usw.)
melancholischer Erzählton im ‘Prosa-Parlando’
keine existenzielle Sujets, Interesse an kleinen Wirklichkeitssegmenten
Ist ein Ausdruck von Perspektivenlosigkeit, aber auch Momenthaftigkeit der Lebensfreude etc.
Wer schrieb “Einen jener klassischen”
Rolf Dieter Brinkmann
Fakten zu “Einen jener klassischen”
Ist ein Gedicht aus dem Gedichtband “Westwärts 1&2”
Lyrik als Reflexion des Faktischen: “Gedicht ist die geeignete Form, spontan erfaßte Vorgänge, eine nur
in einem Augenblick sich deutlich zeigende Empfindlichkeit als snap-shot festzuhalten“
intensiv erlebter flüchtiger Augenblick und Stimmung sprachlich vermittelt
Versrhythmus (‘Hakenstil’ durch Enjambements) spielt mit Spannung des Tango-Sounds
Wer schrieb “Der Stellvertreter”, welche Strömung
Rolf Hochhuth
Geschichtsdrama
Fakten zu “Der Stellvertreter”
Theaterskandal um die Frage der Mitschuld des Papsts bzw. der katholischen Kirche an der Shoah
formal konventionelles Entscheidungsdrama auf teildokumentarischer Basis
Modell des Schiller’schen Geschichtsdramas angesichts der Undurchschaubarkeit moderner sozialpolitischer Verhältnisse:
“Sie sterben hier, wenn Sie’s nicht lassen können, wie eine Schnecke unterm Autoreifen – sterben, wie halt der Held von
heute stirbt, namenlos und ausgelöscht von Mächten, die er nicht einmal kennt, geschweige denn bekämpfen könnte.”
Inhalt:
Der (fiktive) Jesuit Riccardo Fontana, der durch SS-Mann Kurt Gerstein von der massenhaften
Vernichtung von Juden weiß, versucht Pius XII. zu überreden, seinen Einfluss geltend zu machen; der
Vatikan ist besorgt um das Christentum und will trotz individueller Hilfestellungen nur vermitteln; als
Stellvertreter des Papsts geht Riccardo für den Juden Jakobson nach Auschwitz, wo er ermordet wird.
Was ist das politisch-dokumentarische Drama
breites Spektrum an Darbietungsformen und Aufgabenbereiche (Orientierung an Brecht)
Verarbeitung authentischen Materials zur Berichterstattung –> Mensch als Produkt der Umstände
(zumeist) sozialistisch-marxistische Kritik am Kapitalismus als Verhinderung eines Neuanfangs
Heinar Kippharts “In der Sache J. Oppenheimers” (1964, Protest des Protagonisten)
Wer schrieb “Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen”, welche Strömung
Peter Weis
politisch-dokumentarisches Drama
Fakten zu “Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen”
collageartige Präsentation authentischen Materials des Ausschwitzprozesses
Keine Berücksichtigung der Gutachten, Plädoyers, Urteile –> “Konzentrat der Materialien und Aussagen”
Inhalt:
Das dokumentarische Theater enthält sich jeder Erfindung, es übernimmt authentisches Material und gibt dies, im Inhalt
unverändert, von der Bühne aus wieder. Im Gegensatz zum ungeordneten Charakter des Nachrichtenmaterials […] wird
auf der Bühne eine Auswahl gezeigt, die sich auf ein bestimmtes, zumeist soziales oder politisches Thema konzentriert.
Orientierung an Dantes Divina Commedia –> Inferno: 11 Stationen von Rampe bis Hochöfen, Frage-Antwort-Spiel mit Richter, Ankläger, Verteidiger, 9 Zeugen, 18 Angeklagte
Fakten zum Kritischen Volksstück
‘Volkstheater’: hatte Legitimationsbedarf nach NS-Vereinnahmung des Volk-Begriffs, Funktionalisierung des Volkstümlichen im völkischen Drama
Dekonstruktion konventioneller Volkstheatermuster –> Wiederentdeckung Horváths und Fleißer
junge Dramatiker mit politischer Agenda (v.a. in Bayern): Theater soll soziale Missstände abbilden (vgl. Martin Sperr: Jagdszenen aus Niederbayern, Rainer Werner Fassbinder: Katzelmacher
Wer schrieb “Oberösterreich”, Strömung
Franz Xaver Kroetz
Kritisches Volksstück
Fakten zu “Oberösterreich”
‘Chronist der Leidenden’ –> das soziale Elend wird als Folge der Sprachunfähigkeit der kleinen Leute dargestellt
(stilisierter) Dialekt, Hochsprachliches signalisiert Unbehaustheit des Denkens
Kommunikationsproblem steht für die Entfremdung und Beziehungslosigkeit im Arbeitsprozess
utopischer Ausblick: eigene Entscheidungen werden als Basis für das bescheidene Familienglück gesehen