Lernen mit multiplen Texten u. inkonsistenten Infos Flashcards
Allgemeines
- Wissenschaftliche Texte leicht und für alle zugänglich, vor allem gesellschaftlich relevante Themen (z.B. Klimawandel) bekommen Aufmerksamkeit
- Entstehung oftmals starker Überzeugungen, die selten durch Vorwissen über empirische Befunde oder psychologische Wirkmechanismen fundiert sind
- Unterschiedliche Texte unterschiedliche Standpunkte/konfligierende Argumente
- MD-TRACE-Modell:
o Kognitive Prozesse bei Verarbeitung von Texten beeinflusst durch internale (z.B. Vorwissen, Überzeugungen) und externale (z.B. Textmaterialien) Ressourcen
o Schritte: Konstruktion eines mentalen Modells der Aufgabe, Definition des Informationsbedarfs, Beurteilung der Relevanz und Verarbeitung der Informationen
Problem 1: Fehlerhafte Bewertung wissenschaftlicher Argumente
- Aufbau wissenschaftlicher Argumente: Behauptung (claim), stützende Gründe (data), manchmal zusätzlich Schlussregel (warrant) oder einschränkende Bedingungen (rebuttal)
- Wichtig für korrekte mentale Präsentation wissenschaftlicher Argumente
o Unterscheidung von Behauptung und Gründen
o Strittige Behauptungen erkennen (inhaltliches und textstrukturelles Vorwissen nötig)
o Stichhaltigkeit normativ angemessen beurteilen - Stichhaltigkeit:
o Gründe relevant für die Gültigkeit des Arguments? Kriterium der Relevanz
o Stützen Gründe Behauptung ausreichend (auch Gegenbeweise beachtet)? Kriterium der Vollständigkeit - Problem: Rezipientinnen stützen sich oft auf die für sie wahrgenommene Plausibilität einer Behauptung (=Passung von eigenem Vorwissen und Überzeugungen mit den beurteilten Infos), v.a. wenn sie keine wissenschaftliche Ausbildung haben
o Studie: Bewertung von wissenschaftlichen Argumenten durch Erstsemester vs. wissenschaftlich arbeitende Psychologinnen Erstsemester stützen sich eher auf intuitive Plausibilitätseinschätzungen, Wissenschaftler*innen eher auf Kriterien wie Relevanz und Vollständigkeit (interne Konsistenz) - Warum?
o Beurteilung der internen Konsistenz kognitiv aufwendig
Konstruktion mentaler Modelle für mögliche alternative Erklärungen erforderlich
Mentale Modelle, stützende und entkräftende Belege müssen im AG verfügbar gehalten werden
o Bei starken bewertungsrelevanten Überzeugungen: Einschätzungen auf Basis schneller und automatischer Validierungsprozesse
Problem 2: Einseitiges Verständnis wissenschaftlicher Kontroversen
- Verständnis unterschiedlicher Positionen durch Überzeugungen von Rezipient*innen möglicherweise verzerrt
- Effekt der Text-Überzeugungskonsistenz: besseres Verständnis der Texte, die mit eigenen Überzeugungen übereinstimmen als mit Texten, die diesen Überzeugungen zuwiderliefen (v.a. wenn Informationen geblockt statt alternierend präsentiert wurde, da dann Einbindung konträrer Infos in das mentale Modell erschwert werden)
- Erklärungen
o Inhaltliche Passung von Überzeugungen und Textinhalten erleichtert Interpretation und Enkodierung
o Spontane Plausibilitätseinschätzungen als Art Heuristik, die über Intensität der Verarbeitung entscheidet - Beispiel-Studie:
o Lesen eines Sachtextes zu den Ursachen des Rauchens
o UV: Plausibilität hoch vs. niedrig
o AV: explizit erinnerte Informationen
o Ergebnisse: plausible Informationen im Vergleich zu unplausiblen Informationen zu einem deutlich höheren Anteil als Basis für vorwissensgestützte Inferenzen genutzt - Enger positiver Zusammenhang zwischen wahrgenommener Plausibilität wissenschaftlicher Informationen und ihrer Integration in ein mentales Modell der dargestellten Sachverhalte sogar kausaler Effekt
- Verzerrung des mentalen Modells durch eigene Überzeugungen = Form des Bestätigungsfehlers (confirmation bias), der bereits auf Ebene des Textverstehens ansetzt und auf einer tieferen Verarbeitung von überzeugungskonsistenten Informationen beruht
Problem 3: Schwierigkeiten bei der Korrektur von Fehlvorstellungen
- Oftmals existieren durch Falschinformationen Fehlvorstellungen, die sich auch nach Korrektur noch halten (z.B. Impfen führt zu Autismus)
- Warum sind sie so schwer zu korrigieren?
o Umstrukturierung von Überzeugungen (conceptual change): sobald falsche Überzeugung in ein mentales Modell kausaler Zusammenhänge eingebunden ist, ist sie schwer veränderbar
o Continued influence of misinformation effect: Fehlinformationen haben auch nach expliziter Korrektur einen robusten Einfluss auf die Sicht der Individuen, wenn allerdings eine Alternative angeboten wird (z.B. bei Bericht über Brand, dass Ursache kein Gasaustritt, sondern Brandstiftung war) gelingt es eher - Psychologische Konsequenzen der Einbettung in mentales Modell:
o Asymmetrie der Zugänglichkeit im LZG: kausale Verknüpfungen effiziente Abrufstrukturen im LZG automatische Aktivierung fehlerhafter Infos, wenn Thema genannt ist, auch nach Korrektur (korrigierte Information nicht automatisch aktiviert)
o Mentales Modell macht schwer verständliche Sachverhalte einfacher zu verstehen, Infos gewinnen an Plausibilität höhere Verarbeitungsflüssigkeit
Grundlegende kognitive Prozesse tragen zu Problemen bei der Rezeption wissenschaftlicher Informationen bei
Kognitive Prozesse:
- Passive Gedächtnisprozesse (memory-based processing)
o wichtig für Textverständnis, stellen Informationen aus dem LZG (z.B. Vorwissen) ressourcenschonend und schnell zur Verfügung, die für die Bewertung der eingehenden Textinfos benötigt werden
o =selektiv, zugängliche Gedächtnisinhalte werden mit größerer Wahrscheinlichkeit aktiviert verzerrender Einfluss auf das Verstehen und die Bewertung wissenschaftlicher Argumente
- Validierung von Infos beim Textverstehen
o Validierung = routinisierte, unwillkürliche Überprüfung der Konsistenz von Textinformationen mit dem eigenen Vorwissen/den Überzeugungen
o Textinformation, die nicht konsistent mit aktuell im AG verfügbaren Informationen/Vorwissen ist, wird zurückgewiesen selektiv, bevorzugte Verarbeitung überzeugungskonsistenter Informationen
- Anmerkung: beschriebene kognitive Prozesse grundsätzlich funktional und ressourcenschonend, können eben allerdings auch Verständnisprobleme verursachen
Wie kann das Verständnis öffentlich diskutierter wissenschaftlicher Themen bei Laien verbessert werden?
- Stärkung der wissenschaftlichen Grundbildung
o Identifikation der strukturellen Komponenten von Argumenten trainieren
o Fokus bei Bewertung von Argumenten auf interne Konsistenz richten
o Metakognitive Strategien üben, um eigene Verzerrungen zu erkennen und zu überwachen - Verbesserte Kommunikation konfligierender wissenschaftlicher Informationen
o Klare Trennung von Behauptungen und unterstützenden Gründen
o Kennzeichnung strittiger Behauptungen (z.B. vielleicht, möglicherweise, es könnte sein,…)
o Alternierende Präsentation von kontroversen Argumenten erleichtert es, Argumente miteinander in Beziehung zu setzen
o Explizite Widerlegungen (refutation texts) effektiv: Fehlvorstellung benennen, als fehlerhaft kennzeichnen und durch Beschreibung einer Alternative berichtigt
Passive Gedächtnisprozesse steuern, um fehlerhafte Überzeugung und Alternative gleichzeitig zu aktivieren
Alternatives kausales mentales Modell erleichtert Korrektur der Überzeugung
o Überzeugungsänderung durch Geschichten: Geschichten haben persuasiven Charakter, klare Struktur, helfen bei Einbindung in ein kausales mentales Modell Möglichkeit zur Korrektur populärer Fehlvorstellungen, weniger zur Vermittlung der Konflikthaftigkeit wissenschaftlichen Wissens
Mögliche Limitationen
- Argumentation des Papers nur auf empirische Wissenschaften beschränkt, in denen die Gültigkeit theoretischer Annahmen überprüft werden kann
- Bei sehr komplexen Themen sollten Nicht-Expertinnen sich eher auf Wissenschaftlerinnen verlassen, welche die Forschung auch wirklich nachvollziehen können
Kurzzusammenfassung aus dem Text:
Mit der zunehmenden Verfügbarkeit wissenschaftlicher Informationen für eine breite Öffentlichkeit steht die Wissenschaftskommunikation vor neuen Herausforderungen. Die psychologische Forschung legt nahe, dass die fehlerhafte Bewertung wissenschaftlicher Argumente, die einseitige Repräsentation kontroverser wissenschaftlicher Standpunkte und das Festhalten an fehlerhaften bzw. wissenschaftlich nur unzureichend belegten Vorstellungen Probleme der Wissenschaftskommunikation sind, die ihre Wurzeln in prinzipiell funktionalen passiven Gedächtnisprozessen und routinisierten Validierungsprozessen haben.
Da eine Veränderung routinisierter Prozesse, die in anderen Kontexten durchaus verstehensförderlich bzw. sogar verstehensnotwendig sind, weder sinnvoll noch praktikabel wäre, sollten psychologische Interventionen darauf abzielen, die negativen Auswirkungen dieser Prozesse auf die Verarbeitung konfligierender wissenschaftlicher Informationen abzumildern. Ansatzpunkte für entsprechende Interventionen, deren breite Wirksamkeit allerdings insgesamt noch durch weitere Forschung belegt werden muss, finden sich bei den Rezipient*innen selbst (z. B. durch eine Stärkung der wissenschaftlichen Grundbildung und die Vermittlung geeigneter metakognitiver Strategien) und in der Art und Weise, wie kontroverse wissenschaftliche Informationen präsentiert werden.