Gefährlichkeitsprognose Flashcards

1
Q

Gefährlichkeitsprognose
Definition

A

Wissenschaftlich fundierte individuelle Wahrscheinlichkeitsaussage über zukünftige erhebliche Rechtsbruche bei bereits strafrechtlich mit eheblichen Taten in Erscheinung getretenen Personen

-> individuelle Besonderheiten, die das statistisch durchschnittliche Rückfallrisiko modifizieren

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2
Q

Welche Rollen spielen Rückfall- und Gefährlichkeitsprognosen im Strafrecht ?

A
  • Entscheidung über Unterbringungen in Untersuchungshaft oder psychiatrischen Krankenhaus
  • Auswahl, Bemessung und Vollstreckung von Strafen (z.B. Aussetzen von Strafen auf Bewährung §§ 56 ff.)
  • Offener oder geschlossener Vollzug, Vollzugslockerungen
  • (vorzeitige) Haftentlassungen / Entlassungen aus dem Maßregelvollzug

→ Entscheidung des oder Richters*in, der bei Fragen, die erhebliche Rechtsgüter betreffen, einen Sachverständigen hinzuzieht z.B. vorzeitige Entlassungen aus lebenslangen
Freiheitsstrafen

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3
Q

Wie ist der Ablauf einer Gefährlichkeitsprognose?

A
  • Einzelfallbetrachtung
    inhaltliche Erklärung + Ergänzung durch standardisierte Methoden
    Singuläre Situation kaum wiederholen
    Extrinsisch vs. intrinsisch
  • Spezifische Theorien für vorliegendes Indexdelikt (+ ggf. relevante Vorstrafen), die Tat und Hintergründe erklärt

→ Berücksichtigung der Basisrate und Selektionsrate

→ Berücksichtigung von Tat-, Täter-, und Situationsmerkmale, die im Zusammenhang stehen zur Rückfälligkeit (z.B. Prognoseverfahren mit statischen und dynamischen Risikofaktoren)

→ Berücksichtigung von Behandlungseffekten

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4
Q

Was ist die Selektionsrate?

A

der populationsspezifische Anteil, der als gefährlich eingeschätzt wird und auf Grund dieser Prognose im Vollzug bleibt

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5
Q

Was ist die Basisrate?
Und wie ist diese entscheidend für die Gefährlichkeitsprognose?

A

die populationsspezifische erwartbare Rückfallrate
- grob aufgrund Rückfallstatistiken und Rückfallstudien schätzbar

–> systematische Unterschätzung

Entscheidend für Gefpr: Abweichung der gemessenen Rückfallwahrscheinlichkeit von der populationsspezifischen Basisrate

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6
Q

Warum gibt es bei der Basisrate eine systematische Unterschätzung?

A
  • zeitliche Begrenzung des Beobachtungszeitraums
  • Straftaten im Dunkelfeld
  • Überrepräsentation von Personen mit niedrigem Risiko
  • unbekannte Todesfälle
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7
Q

Beispiel Rückfalldelikt bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung

A

72% kein Rückfall
28% Rückfall

Sexuelle Nötigung: 1%
Sexueller Missbrauch: 0,5%
sonstige Sexualdelikte: 0,5%
Gewaltdelikte: 7%
Andere Delikte: 17,8%

Hellfelddaten

–> Rückfälle (zumindest in offiziellen Statistiken) selten

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8
Q

Gefährlichkeitsprognose
Prognosemethoden

Wissenschaftlich fundierte Methoden

A

Hin von Einzelfallorientierung zu Standisierung und Empirie:
- Aktuarische Prognoseinstrumente der zweiten Generation (= statistische, nomothetische oder mechanische Prognose)
- Aktuarische Prognoseinstrumente der dritten Generation
- Strukturierte klinische Prognoseinstrumente
- Komplexe klinisch-ideographische Prognosemodelle

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9
Q

Gefährlichkeitsprognose
Prognosemethoden

Intuitive Prognose

A
  • Basiert auf subjektiver Vorerfahrung des Beurteilers
  • Unbefriedigende Prognosegüte
  • keine wissenschaftlich fundierte Expertise
  • Keine Transparenz, nicht nachvollziehbar
  • kein Bezug auf theoretische oder empirische Konzeote
  • genügt rechtlichen Anforderungen nicht

(Quote: 1 von 3 korrekt; gerade bei Sexualdelikten)

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10
Q

Gefährlichkeitsprognose
Prognosemethoden

Aktuarische Prognoseinstrumente der zweiten Generation

A

Rettenberger, 2019

  • Konstruktion konkreter Vorhersageverfahren in Form von Prognoseinstrumenten auf Basis aktuarischer Modelle
  • Systematischer Einbezug empirisch ermittelter Rückfallprädiktoren und Zusammenfassung zu standardisierten Prognoseinstrumenten
  • Deutliche Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit
  • Entstehung als Reaktion auf fehlende Vorhersagegenauigkeit intuitiv-klinischer Prognosen
  • sukzessive Etablierung und Ausbreitung in der Praxis

Beispiel: Static

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11
Q

Was sind aktuarische Modelle

A

Auf wahrscheinlichkeitstheoretischen und statistischen Modellen der Versicherungs- und Finanzmathematik

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12
Q

Gefährlichkeitsprognose
Prognosemethoden

Beispiel Aktuarische Prognoseinstrumente der zweiten Generation
Was ist es?

A

Static - 99 (Harris et al 2003)
- Einschäzung des Rückfallrisikos für eine neuerlich Sexualstraftat für Personen, die eine Sexualstraftat begangen haben, bei der es identifizierbare Geschädigte gibt (i.d.R nicht geeignet bei ausschließlichem Konsum von Missbrauchsabbildungen)
- Zusammensetzung aus 10 Items, vorrangig statische Variablen (nur Alter und Beziehungsstatus dynamisch)

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13
Q

Static Vorgehen

A
  • Einschätzung der 10 Variablen anhand der detaillierte Instruktionen des Manuals
  • Bildung eines Summenscores aus den Werten der Einzelitems
  • deutsche Normwerte z.B. Eher et al. (2019)
    • Absoluter Risikowert = empirisch ermittelter Rückfallwahrscheinlichkeitswert pro Summerwert / Risikokategorie
    • Relativer Risikowert: z.B. Prozentränge
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14
Q

Static Variablen

A
  1. Alter (jung höheres Risiko)
  2. Zusammenleben mit Lover (wenn nicht 1)
  3. Index Delikt (über das Beurteilung gemacht wird) Nicht sexuelle Gewalt
  4. Frühere nicht sexuelle Gewalt Verurteilungen
  5. Frühere sexuelle Gewalt
  6. Vorstrafen (1-2 ergeben 1, 3-5 2, 6+ 3)
  7. Verurteilungen bei nicht Kontakt Sexualdelikten
  8. Opfer nicht verwand
  9. Opfer nicht bekannt
  10. Männliche Opfer

–> Je mehr Punkte, desto höheres Risiko
0-1 niedrig; 2-3 moderat-niedrig; 4-5 moderat-hoch; 6 hoch

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15
Q

Gefährlichkeitsprognose
Prognosemethoden

Aktuarische Prognoseinstrumente der dritten Generation

A

Rettenberger 2019

Prognoseinstrumente mit dynamischen Risikofaktoren
- stabil dynamische Risikofaktoren
- akut dynamische Risikofaktoren

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16
Q

Gefährlichkeitsprognose
Prognosemethoden

Aktuarische Prognoseinstrumente der dritten Generation
Womit stabil dynamische Riskofaktoren messen?

A

Stable 2007 (Brankley et al. 2017)
- Bedeutende soziale Einflüsse
- Intimitätsdefizite (Bindungs- und Beziehungsfähigkeit, emotionale Identifikation mit Kindern, Feindseligkeit ggü. Frauen, soziale Zurückweisung und Einsamkeit, Empathiedefizite)
- Allgemeine Selbstregulierung (Impulsivität, Problemlösedefizite, Negative Emotionalität)
- Sexuelle Selbstregulierung (Compliance & Kooperation)

17
Q

Gefährlichkeitsprognose
Prognosemethoden

Aktuarische Prognoseinstrumente der dritten Generation
Womit akut dynamische Risikofaktoren messen?

A

Acute 2007 (Brankley et al 2019)
- Zugang zu Opfern
- Emotionaler Zusammenbruch
- Zusammenbruch sozialer Unterstützung
- Substanzmissbrauch
- Feindseligkeit
- Sexuelle Selbstregulierungsdefizite
- Anlehnung von Kontrollmaßnahmen

18
Q

Gefährlichkeitsprognose
Prognosemethoden

Wofür gut?
Rettenberger 2019

A

Belege für inkrementelle prädiktive Validität der zweiten Generation
- Veränderbarkeit der dynamischen Risikofaktoren und Zusammenhang der Veränderung mit Rückfälligkeit
- Ermöglicht Erfassung von relevanten Veränderungsbereichen und Aufstellen von damit verbundenen Therapiezielen sowie Verlaufsdiagostik

Nachteil: kein individuelles Erklärungsmodell und keine Anpassung

19
Q

Gefährlichkeitsprognose
Strukturierte klinische Prognoseinstrumente

A

= Structured Professional Judgement
- Vorgegebene Risikofaktoren, deren Relevanz im Einzelfall zu prüfen ist und die ergänzt werden über für den Einzelfall besondere Risikofaktoren
- Ermöglichen Erstellung eines individuellen klinischen Erklärungsmodells
-> Auf Basis Interventionen ableiten

20
Q

Gefährlichkeitsprognose
Strukturierte klinische Prognoseinstrumente
Beispiel

A

Sara V3 (Kropp & Hart 2015)
Spousal Assault Risk Assesment
1. Fallinformationen
2. Rating des Vorhandenseins der Risikofaktoren im Einzelfall
3. Rating der individuellen Relevanz der Risikofaktoren
4. Erstellen von zukünftigen Risikoszenarien
5. Präventionsmaßnahmen
6. Finale Risikoeinschätzung

21
Q

Gefährlichkeitsprognose
Strukturierte klinische Prognoseinstrumente
Klinisch-ideographische Modelle

A

Ermöglichen individuelle kriminalprognostische Bewertung
- individuelle Erklärung warum eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt mit genau dieser Tat straffällig wurde
→rechtliche Anforderung an Prognosegutachten: individualisierte, auf Einzelfall bezogene Einschätzung; nicht nur eine auf gruppenstatistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognose (Boetticher et al., 2019)

22
Q

Gefährlichkeitsprognose
Strukturierte klinische Prognoseinstrumente
Klinisch - ideographische Modelle
Welche Hauptbereiche müssen berücksichtigt werden?

A

Boetticher et al 2019
* Anlasstat und frühere Delinquenz
* Persönlichkeit zum Zeitpunkt der Tat
* Entwicklung der Persönlichkeit nach der Tat
* Verhalten im Vollzug, bei ggf. Vorhandenen Lockerungen
* Entlassumfeld
→ABER: das bloße Eingehen auf diese Bereiche ≠ wissenschaftliche Expertise
→Stattdessen Vorgehen nach Prozessmodellen der klinisch-ideographischen
Urteilsbildung bei dem die diagnostischen Teilschritte spezifiziert sind (z.B. Dahle,
2005)

23
Q

Nachteil Klinisch - ideographische Modelle

A

wenig empirische Belege zu Reliabilität und Validität, sehr anspruchsvoll
→vielfältige Kenntnisse (z.B. Klinische Psychologie, Kriminologie, Sexualmedizin…)
und ausreichende psychodiagnostische Kompetenzen nötig

24
Q

Gefährlichkeitsprognose
Kombinierte Ansätze

A
  • Integration der verschiedenen Ansätze, um Vorteile zu nutzen und Nachteile zu
    kompensierenden
  • Beinhaltete Bereiche
  • Theoretische Erklärungen
  • Klinisches Verstehen
  • Einsatz von strukturierten Diagnose- und Prognoseverfahren