Vorlesung 2: Aufgaben des Bildungssystems Flashcards
Was sind Ziele, Aufgaben und Funktionen des Bildungssystem?
> Kulturelle Reproduktion
— Vermittlung von Sprache, Schrift und Werte
— Sinnvermittlung, Förderung von Rationalität und Wissenschaftlichkeit
— Sozialisierung des Sozialcharakters (Bewusstseinsbildung, Kompetenzen: Reflexion, eigenständige Urteilsbildung und Entscheidungsfähigkeit)
ihre Einübung und Überlieferung
— Produktion des Humankapitals und Humanvermögens
Qualifikation
— Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnissen (Humankapital), Wissen und
Selektion und Allokation
— Auswahl nach Leistung und über Prüfung, Zuordnung nach Zertifikaten
(Arbeitsmarkt), Verteilung auf Statuspositionen (Sozialstruktur)
— Chancengleichheit, Chancengerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit und Mobilität
Integration und Legitimation
— Bildungssysteme als Instrumente gesellschaftlicher Integration:
Sozial- und Systemintegration
— Reproduktion von Normen, Werten und Weltanschauungen
— Demokratisierung: Loyalität zu Kultur und politischem System
Bildungssysteme, Bildungschancen und Bildungsergebnisse
> Grundlagen
— Input: Qualität, Zeit, Curriculum
— Differenzierung in diverse Bildungswege
— Organisation der Schulen, des Unterrichts & der Examina
Differenzierung der Bildungswege vs. Integration
— Sortierung/Allokation in unterschiedliche Schulen nach Leistung — Differentielle «Lernumwelten» zwischen/innerhalb von Schultypen — Förderung oder Behinderung der Bildungsbeteiligung?
— Förderung oder Behinderung der Bildungschancen?
— Förderung oder Behinderung der Leistungsentwicklung?
Effizienz vs. Chancengleichheit?
Was sind die Folgen des Übergangs in die Sekundarstufe 1?
> Entscheidender Bildungsübergang: länderspezifische Variation nach dem Zeitpunkt
— Kurz- und langfristige Folgen der Sortierung für Leistungsentwicklung & Bildungschancen
— Frühe Festlegung des weiteren Bildungswegs (Pfadabhängigkeit des Erwerbs von Anrechten & Zertifikaten)
— Festlegung der Leistungsentwicklung bis zum Abgang (Segregation in differentielle Lernumgebungen)
— Aufbau aller weiteren Bildungsentscheidungen auf ersten Übergang
Wie sieht die Struktur des Übergangs in die Sekundarstufe 1 aus?
> Struktur des Übergangs: Differenzierung vs. Gemeinsamkeit
— Integration durch gesamtschulartige Beschulung
— Formale oder informale Aufteilung in verschiedene Bildungswege nach Leistung:
— vertikale (vorherige Leistung und unterschiedliches Curriculum) vs. horizontale Differenzierung (akademische vs. berufliche Bildung)
1. Verteilung auf Schulformen: explizites ‚tracking‘
2. (between-class) ability grouping (implizites curriculares tracking innerhalb von Schulen)
3. (within-class) ability grouping (Einteilung der Schulkinder in Schulklasse in Leistungsgruppen)
4. Streaming
Nenne weitere Folgen der Struktur des
Bildungssystems:
> Aufgaben des Bildungssystems (als wichtige Verteilungsinstanz für soziale und berufliche Positionen)
— Produktion einer ausreichenden Menge an Qualifikationen als ökonomischer Produktionsfaktor (Systemintegration)
— Vermittlung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen (einschl. ihrer Zertifizierung über Bildungsabschlüsse)
— Sozialisierung und soziale Integration der gesamten Bevölkerung
— Staatliche Bildung = persönliche Besserstellung sowie nationale, soziale und ökonomische Entwicklung
Fakten:
— Rund 18 Prozent der 25- bis 65jährigen Menschen in der Schweiz
haben keinen Bildungsabschluss! (Bildungsarmut)
— Rund ein Fünftel der 15jährigen Jugendlichen kann weder
(ausreichend) lesen noch schreiben (funktionaler Analphabetismus)
— Berufsanfänger ohne Ausbildungsabschluss haben geringe Chancen, beschäftigt zu werden.
Was sind Bildungssoziologische Fragestellungen im Hinblick auf Bildungsarmut und Ausbildungslosigkeit?
> Definitionsebene: Welche Personen sind in Abhängigkeit des historischen und institutionellen Kontextes als bildungsarm zu bezeichnen?
Entstehungsebene I – soziale Faktoren: Gibt es systematische Beeinträchtigungen hinsichtlich der sozialen Herkunft für den Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung? (Frage der Chancengleichheit und Meritokratie)
Entstehungsebene II – institutionelle Faktoren: Inwiefern ist das Bildungs- und Berufsbildungssystem für den geringen Bildungserfolg von Jugendlichen mitverantwortlich? Welche Konsequenzen hatte diesbezüglich u.a. die Bildungsexpansion?
Verwertungsebene: Zu welchen Arbeitsmarktpositionen und Erwerbschancen haben diese – im Bildungssystem „gescheiterten“ – jungen Erwachsenen Zugang? Hat es hier im Verlauf der Entwicklung Veränderungen gegeben?
Nenne Thesen zur Bildungsarmut:
> Bildung(sarmut) – d.h. Unterversorgung mit Bildung – mit sozialer Exklusion und Stigmatisierung als Folge = die soziale Frage des 21. Jahrhunderts
Ausschluss von ohnehin benachteiligten Gruppen von der Teilhabe an formaler und institutionalisierter Bildung (Abschlüsse)
Benachteiligung beim Erwerb von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten (Kompetenzen)
Kosten von „Bildungsarmut“ höher als Erträge der Bildungsinvestitionen
Verwehrung von Bildung als soziales Bürgerrecht (Erwerb sozialstaatlicher Anrechte, von Status oder von sozialer Anerkennung)
Gefährdung der individuellen, sozialen und staatlichen Erträge von Bildung
Bildungsarmut als Schnittstelle zwischen Bildungs- und Sozialpolitik
Wer ist warum von Bildungsarmut betroffen?
> Intergenerationale Reproduktion von Bildungsarmut
— SoziallagedesElternhausesmitFolgenfürKompetenzentwicklungund
Entscheidung für Bildungswege
— VerschärfungderSituationdurchBildungsarmut,ökonomischeArmutund Arbeitslosigkeit der Eltern
Folgen der Bildungsarmut
— NachteileaufdemLehrstellenmarkt(Verdrängungsprozesse)
— NachteilebeimBerufseinstiegmithohemArbeitslosigkeitsrisikound geringen Bildungserträgen (Stigmatisierungsprozesse = Diskreditierung)
— NachteileinallenBereichendesLebenslaufs(z.B.Heiratsmarkt, Wohnungsmarkt, etc.) (Persistenz)
— HöhereMorbiditäts-undMortalitätsrisiken(geringereLebenserwartung)
Soziale Exklusion
— IntergenerationalaufgrundhoherVererbungderBildungsarmut
— IntragenerationalaufgrundderFolgenvonBildungsarmutfürfastalle Lebensbereiche (ökonomische Ressourcen, politische Partizipation, Familienbildung, Heiratschancen und Erziehung der Kinder)
Was ist soziale Exklusion “creaming out”?
> Bildungsaufstiege infolge Bildungsexpansion
— InvestitioninKompetenzenundBildungsentscheidungen — SelektioninvorteilhafteLernkontextedesGymnasiums
Mangel an bildungsrelevanten Ressourcen bei sozial benachteiligten Gruppen (un- und angelernte Eltern):
— schlechteSchulleistungen
— geringeChancen,inhöhereBildungzugelangen(Sortierwirkungder Schule)
Kumulation der sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen in Hauptschule als sozial homogenste Schulform:
— anregungsarmeLernkontexte(inhaltlicheReduzierungihrerLerninhalte, schlechteres Lernklima, geringere Ausstattung an sozialen Ressourcen)
— EntwertungdesHauptschulabschlusses
— DemotivationundStigmatisierung
Soziale Verarmung der Hauptschule: Individualisierung des Verbleibs in Hauptschule wg. einem individuellen Leistungsdefizit
Wie sehen Investitionen in frühkindliche Bildung aus?
> Rahmenbedingungen
— Schweiz: erheblicher Mangel an Angeboten für Kinder von 0-4
Jahren mit relativ hohen Elternbeiträgen
— Beschränkter Zugang sozial benachteiligter Kinder zu Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung
— Dominanz der Betreuung und Erziehung über (kompensatorische) Bildung
— Investition in Ganztagsbetreuung (unklare Evidenzen für die Aufrechterhaltung der Bildungseffekte frühkindlicher Bildung)
Wie wirken Investitionen in frühkindliche Bildung?
— Positive Bildungseffekte (Schulleistung und Bildungsabschlüsse)
— Dauer und Qualität der Angebote entscheidend
— Hinreichend geeignete institutionelle Maßnahme, um soziale Disparitäten bei den Startchancen und späteren Bildungserfolgen zu reduzieren
Wie sieht Chancenausgleich als Sozialpolitik aus?
> Reduktion von sozioökonomischer Ungleichheit in der Gesellschaft (vgl. Erikson 1996; Becker 1996; Becker und Hadjar 2013)
Aufhebung der Stratifikation und Segmentierung des Bildungssystems: Erhöhung des „output“ an Zertifikaten und „outcomes“ (Leistungen) in allen Bereichen (vgl. Erikson 1996)
Information über vorteilhafte Erträge weiterführender Bildung
Reduktion der relativen Bildungskosten für ökonomisch
schwache Familien (vgl. Solga 2012)
Stärkung der Integrationsfunktion des Bildungssystems durch soziale Mischung von Schulen und Schulklassen (vgl. Solga & Wagner 2004)
Chancenausgleich als sich lohnende Investitionen in die gesellschaftliche Zukunft (vgl. Becker 2013)