VL10: Abruf und Vergessen Flashcards
Zwei konkurrierende Sichtweisen auf “Vergessen”
1)Zerfall: Gedächtnisspur verblasst mit der Zeit
2) Retroaktive Interferenz: In der Zwischenzeit neu angelegte Gedächtnisinhalte stören den Abruf der älteren
- zentraler Faktor ist die Ähnlichkeit der neu angelegten Inhalte
- neue Inhalte verringern Zugänglichkeit der gesuchten Inhalte
- >je mehr Abrufcues (Abrufhilfen), desto zugänglicher
Jenkins und Dallenbach (1924): Experiment zum Retentionsintervall (RI) und was man darin macht
- RI-Dauer variiert
- während RI: wach vs. Schlaf
- > allg. Abfall der Gedächtnisleistung nach RI, aber nach Schlaf bessere Leistung
Baddeley und Hitch (1977): Experiment zur Retroaktiven Interferenz bei Rugby-Spielern
- Rugby-Spieler sollen vergangene Gegner reproduzieren
- Zeit (Dauer des RI) führt im Mittel zu geringerer Reproduktion
- aber: entscheidender, wie oft im RI selber gespielt wurde
- > Retroaktive Interferenz somit wichtiger als bloßer Zerfall
- ->v.a. ähnliche Ereignisse (Rugbyspiele) stören sich im Gedächtnis (Ähnlichkeit ist zentral!)
McGeoch und McDonald (1931): Experiment zur Ähnlichkeit bei Retroaktiver Interferenz
- Adjektivliste, dann 10 Minuten RI, danach Reproduktion
- verschiedene Aufgaben (EG1-5) im RI im Vergleich zu keiner Aufgabe (KG)
- > je ähnlicher, desto schlechter die Gedächtniseistung
Was genau passiert bei Retroaktiver Interferenz ?
-lange gedacht: Überschreiben/Löschen
Neuere Befunde:
Gedächtnisspur nicht gelöscht, bloß unauffindbar durch mangelnde Zugänglichkeit
Tulving und Psotka (1971): Experiment zum Mechanismus hinter Retroaktiver Interferenz
- 6 Wortlisten mit je 4 Wörtern
- > Reproduktion nach jeder einzelnen Liste
- finale Reproduktion: frühe Liste laum reproduziert (Retroaktive Interferenz)
- aber: bei “cued recall” fast perfekte Reproduktion
- > Gedächtnisspur also nicht gelöscht, bloß unauffindbar (mangelnde Zugänglichkeit =/= Unverfügbarkeit)
- > Rekognition stellt Abrufhilfe (sog. Abrufcue)
Externale Abrufcues
Hintergrund- und Randaspekte einer Episode, die zufällig auch präsent sind
-Wichtigkeit von Kontexteffekten (s. Smith, 1979): Kontexteffekte am größten, wenn wenig zusammenhängendes Material und wenn Unterschiede im Kontext sehr groß sind (Taucherexperiment, Baddeley und Godden, 1975)
Internale Abrufcues
Innere Cues wie Stimmungen und Zustände
-“state-dependent memory”
Goodwin et al. (1969): state-dependent memory (betrunken vs nüchtern)
- nüchtern lernen/abrufen vs. betrunken lernen/abrufen
- > betrunken lernen führt generell zu geringerer Gedächtnisleistung
- > bei Passung (nüchtern/nüchtern bzw betrunken/betrunken) bessere Gedächtnisleistung als bei Unpassung
Eich und Metcalfe (1989): state-dependent memory, Lernen bei glücklich vs traurig
- Abruf/Lernen, wenn glücklich vs. traurig
- >bei Passung höherer Effekt auf Gedächtnisleistung
Cues passen i.d.R. zu sehr vielen Gedächtnisspuren. Wie wählt das Gedächtnis aus diesen ?
Anderson et al. (1994): “retrieval-induced forgetting”
Retrieval-induced forgetting (Anderson et al., 1994)
Abruf-induziertes Vergessen, d.h. Inhibition konkurrierender Information
- alle mit Cue assoziierte Gedächtnisspurem werden aktiviert und die Aktivierung einer Spur hemmt die andere (Wettlaufmodell)
- > Spur mit größter Aktivation (stärkste Assoziation mit Cue) setzt sich durch (und übrige werden inhibiert)
Bsp. Experimente:
- Anderson et al. (1994): Lernen von Kategorie-Exemplar-Paaren (8 Exemplare je Kategorie), dann Üben von bestimmten Paarungen aus manchen Kategorien durch Fragmentergänzung, dann cued recall (Kategorie gegeben, alle Wörter nennen)
- Befund:
- > nicht geübte Wörter: 50% Leistung
- > Kategorien, in denen geübt wurde:
- ->geübte Wörter 73% Leistung
- ->ungeübte Wörter 38% Leistung
- > d.h. durch das Üben von bestimmten Exemplaren einer Kategorie wurden die restlichen Exemplare gehemmt
Detailreicher Abruf, aber beim Enkodieren wird selektiv die Bedeutung extrahiert
->Essenz gemerkt, Details vergessen
Experiment von Anderson (1974) dazu
Geschichte inkl. Satz “Der Missionar erschoss den Maler)
-Testitems: inhaltlich gleiche Aussagen (dabei wird zwischen grammatikalischer Übereinstimmung mit dem Original und grammatikalischen Unterschieden unterschieden) vs. inhaltlich falsche Aussagen (Unterscheidung zwischen grammatikalisch gleich und grammatikalisch anders)
Befund:
- inhaltlich gleiche Aussagen stets von Probanden als richtig erkannt, können aber nicht sagen, welche grammatikalische Form die ursprüngliche war
- > Essenz wurde sich gemerkt, die Details vergessen
- > Gedächtnisspur ist somit unvollständig und bedarf Rekonstruktion beim Abruf
Abruf als Rekonstruktion
- Gedächtnisspur unvollständig (Essenz gemerkt, Details vergessen), deshalb bedarf es einer Rekonstruktion beim Abruf
- > vorhandenes Wissen wird benutzt, um Abruf anzureichern (Rekonstruktion durch andere Gedächtnisinhalte)
nicht immer korrekte Spur rekonstruiert!
Bartlett (1932): War of the Ghosts (Experiment zum Abruf als Rekonstruktion)
- Legende amerikanischer Inuit lesen
- Abruf nach Minuten vs. Tagen vs. Wochen (RI)
- > nach kurzem RI rel. gute/detailgetreue Wiedergabe
- > mit der Zeit: Wiedergabe ändert sich systematisch (Anpassung der Details an kulturelle Erwartungen)
- > Probanden interpretieren Geschichte beim Abruf anhand ihrer kulturellen Erwartungen (Rekonstruktion)
Dooling und Christiansen (1977): Remembering Hitler (Experiment zum Abruf als Rekonstruktion)
- Geschichte über skrupellosen Diktator “Gerald Martin”
- Rekognitionstest nach 2 vs. 7 Tagen
- EG: kriegt gesagt, dass es sich beim Diktator eigentlich um Hitler handelt
- KG: keine weiteren Infos
- innerhalb des Rekognitiontests neuer Satz, der eigentlich nicht Teil der Geschichte ist und besonderen Judenhass durch den Diktator ausdrückt
Befunde:
- nach 2 Tagen machen EG und KG rel. selten den Fehler, den Satz als Teil der Geschichte zu sehen
- nach 7 Tagen: KG selten Fehler, EG rel. oft Fehler
Rückschaufehler (hindsight bias)
Fischhoff (1975):
- Almanachfragen ->Antwort der VP
- dann RI
- dann korrekte Antworten sagen
- dann sollen Probanden ürsprüngliche Antwort/Schätzung erinnern
Befund:
-Antworten näher an korrekter Antwort als ursprünglich (sehr robuster Effekt!)
Erklärung:
- Rekonstruktion (da nicht genau erinnern) mit zwischenzeitlich erworbenem Wissen, was man nicht ausblenden kann
- Quellenkonfusion
Quellenkonfusion
- dom. Erklärung für fehlerhafte Rekonstruktion
- Info gespeichert, Kontext vergessen (durch Retroaktive Interferenz)
- > Information (Essenz) noch abrufbar, Kontext bzw Quelle aber nicht mehr
- ->Rekonstruktion der Quelle
- –>Verwechslung von Quellen
Bsp. für Quellenkonfusion (Donald Thomson)
- Donald Thomson verdächtigt, Frau vergewaltigt zu haben (anhand eindeutiger Täterbeschreibung)
- Thomson zum fraglichen Zeitpunkt in live-Fernsehshow
- > Opfer hatte kurz bevor sie vergewaltigt wurde TV-Show mit Thomson gesehen
- ->Thomsons Gesicht korrekt erinnert, aber Quelle (TV-Show vs Vergewaltigung) verwechselt
Das DRM-Paradigma (Desse-Roediger-McDermott-Prozedur) (1959, 1995)
- assoziierte Wörter, die immer ein Überthema haben, welches aber nicht genannt wird (=kritisches Wort)
- typ. Befund: Falscherinnerung an das kritische Wort als Teil der Liste mit oft hoher subjektiver Sicherheit
Erklärung des Befunds:
-durch Aktivierungsausbreitung im semantischen Netzwerkmodell (bei Enkodierung) und Quellenkonfusion (beim Abruf)
Misinformation Effect (Loftus et al.)
Gedächtniseffekt von fehlleitenden (entweder falsche oder einfach leicht andere Formulierung von )Informationen
Loftus et al. (1978): Misinformation Effect mit falschen Infos
-Stimulus: Auto hält an Stoppschild, fährt um Kurve und verursacht dann Unfall
-danach Befragung zum Vorfall,
KG: “Was passiert am Stoppschild ?”
EG: “Was passiert am Vorfahrtschild ?”
-20 Minuten RI, dann sollen Probanden entscheiden, welches von zwei Bildern des Szenarios (original/echtes vs Bild mit Vorfahrtschild) das richtige ist
Befund:
-in EG 60% falsch
Grund: Quellenkonfusion
Loftus und Palmer (1974): Misinformation Effect mit leicht unterschiedlicher Formulierung
Probanden sehen Kurzfilme von Verkehrsunfällen
-Fragen: unterschiedlich scharf formuliert (EG vs KG)
Befund 1: Bein Schätzung der Geschwindigkeit höhere Geschwindigkeit bei schärferer Formulierung (EG)
-eine Woche später Frage: “War zerbrochenes Glas zu sehen ?” (Tatsächlich: nein)
Befund 2: EG fast doppelt so oft “ja”