Systemische Interventionen - Forschung Flashcards
Welche Argumente vertritt Timimis gegen Psychiatrische Diagnosen?
(1) Psychiatrische Diagnosen sind nicht valide.
- Grundlagenforschung konnte keine eineindeutigen bio-psycho-sozialen Marker für eindeutige kategoriale Diagnosen belegen (Bsp. PTSD, Depression etc.)
(2) Die Anwendung von Diagnosen verstärkt (Selbst-/Fremd-) Stigmatisierung.
- Insbesondere (aber nicht nur) in den hoch variablen Kinder-, Jugend- und jungen Erwachsenenphasen haben Diagnosen selten hilfreiche Auswirkungen („REIFIKATION“ = „ich BIN krank“ bzw. „habe DIE KRANKHEIT in mir“)
(3) Diagnosen helfen nicht bei der Wahl der Behandlungsmethode
- Therapeut*innen behandeln im Grunde alle Diagnosen entsprechend ihrer Ausbildung (VT, PDe, ST etc.)—und nutzen dabei unspezifische Wirkfaktoren!
(4) Die Langzeitprognosen psychischer Störungen haben sich
verschlechtert.
- WHO: In einem entwickelten Land zu leben, ist ein starker Prädiktor dafür, als Psychose-Erkrankter keine vollständige Remission zu erfahren.
(5) Anderen Kulturen werden westliche Modelle psychischer Gesundheit und Krankheit aufgezwungen.
- Durch ICD und DSM exportieren wir westliche Vorstellungen von gesund/ krank, abergläubisch/ rational, selbständig/ abhängig uvam.
(6) Alternative evidenzbasierte Modelle zur effektiven Neuausrichtung der psychosozialen Versorgen stehen zur Verfügung.
- Gemeinde- und klientennähere Aktivierungen von psychosozialen Beziehung und Unterstützungsressourcen erweisen sich bspw. als langfristig wirksamer!
Welche Sichtweisen gibt es auf klinische Diagnosen und Symptomlehre in der Systemik?
In den 1990er und 2000er Jahren regelrechter Streit um Diagnosen in der Systemischen Therapie (z.B. „Band-2-Debatte“, s. später):
- Extrempol 1: Wenn schon „konstruktivistisch“ denken, dann auch richtig: Wir sollten uns in der ST nicht an derselben (falschen) Konstruktion von Krankheit beteiligen, Diagnosen sind abzulehnen! (vgl. zuletzt Sami Timimi, 2013)
- Extrempol 2: Wenn die ST überleben bzw. sich weiter etablieren will bzw. nun ja „Richtlinienverfahren“ ist, muss sie sich an das medizinische Krankheitsbild des psychologischen Mainstreams 1:1 anschließen, d.h. psych. Störungen manualisiert diagnostizieren und therapieren!
- Heute: beides trifft zu
Braucht die Systemik Symptomlehre und Klinische Diagnosen?
Einerseits ist es als THERAPEUTISCHE TECHNIK in der ST enorm hilfreich, wenn nicht gar ein zentraler Wirkfaktor, sich von den bisherigen „Konstruktionen über Konstruktionen über Konstruktionen“ aller Beteiligter (incl. der Diagnostikmanuale und überweisenden Ärzte!) freizumachen, denn diese bringen den Klienten nicht weiter und tragen mglw. gar ungewollt zu Chronifizierungen bei („unreflektierte Übernahme des med. Modells“, Timimi)
Andererseits ist es WENIG SINNVOLL, so zu tun, als wäre die Ablehnung des Kommunikationsmediums „Diagnose“ im System der Krankenbehandlung EINE SONDERLICH KLUGE IDEE. ST ausschließlich als postmoderne „Endlos- Dekonstruktion“ darzustellen, tut ihr selbst – und damit den Klienten – keinen Gefallen, weil es als überheblich wahrgenommen wird.
Wie ist der Forschungsstand in der Systemik?
Hoher Nachholbedarf in der dt.sprachigen systemischen Forschung! Sowohl für Wirksamkeits- als auch für Wirkungsstudien.
Vergleich: der Umbruch von PD- & HPth- hin zu VT-Professuren in den 80er und 90er Jahren in D (mit 49/50 Lehrstühle für Klinische Psychologie für die VT in den 2010er Jahren!) erfolgte über die Fachgruppe der DGPs und empirische Forschung der Nachwuchs-Kliniker:innen! -> Anerkennung der VT 1998. )
Anerkennung der ST 2008/2018 erfolgte ausschließlich über internationale RCTs -> es fehlt in Deutschland noch ganz stark an ausgewiesenen systemischen Forscher:innen!!
Welche Strukturelllen Skulpturverfahren gibt es?
Welche interaktionellen Skulpturverfahren gibt es?
Welche projektiven Skulpturverfahren gibt es?
Wie funktioniert das interaktionelle Skulturverfahren: Familienzeichnung ?
Familie soll gemeinsam ein Bild malen: ihr Selbstbild
Jeder darf sowohl sich selbst als auch Verwandte zeichnen
Ausgewertet wird weniger das Bild selbst, sondern
- Organisation oder Koordination der Aufgabe durch wen? (Auswertung: Rollenverteilung?)
- Reihenfolge der Zeichnenden? (Auswertung: Hierarchie?)
- Wer zeichnet wen? (Auswertung: Kohäsion?)
- Themen, die während der Aufgabe besprochen werden (Auswertung: Konflikte?)
Wie ist das Projektive Skulpturverfahren Szenotest aufgebaut?
Was ist der Hintergrund zu Familieninterviews?
Hintergrund: jeder, der therapeutisch-pädagogisch mit Familien arbeitet, führt „Interviews“ durch (z.B. Anamnesegespräche etc.)
Problem 1: jede:r fragt andere Schwerpunkte dabei ab – und hat eigene blinde Flecken
Problem 2: obwohl diagnostisch hoch relevante Informationen erhoben werden, werden sie wissenschaftlich oft nicht verwertet
Idee: wenn man stärker standardisiert, was eine Familie gefragt wird, ließen sich beide Probleme angehen
Hier haben sich einige „Interview-Protokolle“ (Leitfäden) entwickelt, die mal mehr therapeutischen, mal mehr diagnostischen Schwerpunkt besitzen
Beschreibe das SFI - Structured Family Interview nach Watzlawick
fünf standardisierten Familienaufgaben
Ziel: Vergleichbare Einzelfalldiagnostik von Interaktionsmustern und Copingmechanismen in der Familie.
- „Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptprobleme in Ihrer Familie? (jedes Familienmitglied einzeln)
- „Planen Sie jetzt bitte etwas, was Sie als Familie gemeinsam tun können!“ (enactment)
- (nur an Eltern allein) „Wie kommt es, dass unter den Millionen von Menschen gerade Sie beide sich trafen?“
- (erst nur Eltern, dann mit Kindern) „Diskutieren Sie bitte das Sprichwort: ‚ein rollender Stein setzt kein Moos an‘ miteinander.
- Auf einen Zettel soll der „Hauptfehler“ der Person, die links neben einem sitzt, notiert werden. Danach soll jeder einzeln die Zuordnung der Zettel zu Personen erraten.
(den letzten Punkt würde man heute genauso mit den „Hauptstärken“ durchführen. Therapeutische Effekte sind aber kaum validiert …)
Beschreibe das Familienbeobachtungsverfahren
Eine Möglichkeit: Familien im natürlichen Kontext, d.h. im Alltag beobachten
- Beispiel: Aufsuchende Familientherapie; Einzelfallhilfe einzelner Familienmitglieder
- Übersicht über die Vielzahl (internationaler, auch älterer) Beobachtungsskalen (Fremdbeurteilungsbögen) in Kötter & Nordmann (2003).
Neuere Verfahren: FASEM (Perrez et al., 1999): Familie erhält z.B. über eine Woche Taschencomputer oder Smartphones, die sich nach vereinbartem Rhythmus melden und Stimmungs-, zirkuläre Stimmungs- sowie Verhaltensskalen abfragen
Ähnlich: Tagebuchverfahren, z.B. jeden Abend über Familienstimmung und -interaktion am Tag berichten.
Oder aber: Familie soll bestimmte Familiensituation aufnehmen (z.B. Camcorder, Handy), diese wird dann mit Berater nach vorgegebenem Standard besprochen (Aarts, 2002; sog. „Marte meo“-Ansatz)
Weitere Möglichkeit: in standardisierten Situationen. Beispiel: Man gibt standardisierte Problemlöseaufgaben, Entscheidungs- aufgaben, Konfliktlösungsaufgaben oder multiple Aufgaben- stellungen vor und bewertet (diagnostiziert) dann das Verhalten entlang vordefinierter Kriterien (z.B. EPL wurde so evaluiert).
Was sind Vor und Nachteile von Familienbeobachtungsverfahren?
Häufig hoher Aufwand -> Praktiker schrecken davor zurück
Wenn durchgeführt -> wertvolle Informationen!
Mehr Forschung zu diesen Verfahren und ihrer Integration mit anderen Verfahren! (z.B. Videografie von Familienskulptur- verfahren!)
Was ist das Circumplex-Familienmodell nach David Olson?
Family Adaptability and Cohesion Evaluation Scales (FACES IV, siehe hierzu ST20-Olson_2011_FACES-IV-Studie)
Idee:
- 2 dimensionale und „balancierte“ („funktionale“) Prozesse in jeder
Familie: Kohäsion + Flexibilität
- 4 unipolare und „unbalancierte“ („dysfunktionale“) Prozesse an den
Rändern von Kohäsion/ Flexibilität:
- Losgelöst-belanglose Familien (disengaged)
- Verschmolzene Familien (enmeshed)
- (Er)Starr(t)e Familien (rigid)
- Chaotische Familien (chaotic)
Kohäsion + Flexibilität
-> je 7 items
Disengagement, Enmeshment, Rigidity, Chaos
-> je 7 items
———————-
42 Items
Modell psychometrisch und faktorenanalytisch validiert
Was sind 5 methodologische Richtlinien für Kurzskalen?
(1) Wenn wir heute komplexe psychologische Phänomene (z.B. Lebenslauf, Familie, Partnerschaft, etc.) mit großen Datensätzen und mehrfaktoriellem Geschehen untersuchen wollen, sind Kurzskalen nicht nur Abklatsch großer Inventare, sondern nahezu unverzichtbar!
(2) Kurz- und Langskalen dienen meist ganz unterschiedlichen Zwecken: wir können sie nicht einfach so untereinander austauschen!
(3) Viele Besonderheiten von Kurzskalen werden aktuell diskutiert – aber sie scheinen häufig vergleichbare Resultate in inferenzstatistischen Modellen hervorzubringen.
(4) Cronbachs Alpha kann nicht gleich hoch sein wie bei Langformen! -> Manchmal sind andere Reliabilitätsmaße viel aussagekräftiger, z.B. Test-Retest-Reliabilität oder McDonalds Omega… hier ist vieles noch unbekannt!
(5) Von allem Gesagten lässt sich folgern: es ist aufwändig, Kurz- skalen zu validieren! (d.h. viele Daten und viel Mathematik!!)
Zu welchem Fazit der Wirksamkeit systemischer Therapie kamen Sydow er al?
• Besonders wirksam bei schweren Störungen: Drogenabhängigkeit, Essstörungen, Sozialverhalten (Delinquenz), psychotische Störungen.
• Leid und Problemverhalten bei Angehörigen wird signifikant gemildert.
• Geringere Therapieabbruchraten, v.a. bei Kindern und Jugendlichen.
• Geringere Stundenzahl notwendig, d.h. hohe Kosteneffizienz.
• Hohe Erreichbarkeit von Randgruppen, die sonst keine Pth. erhalten.
• Hohe Integrationskraft wider dem üblichen „schoolism“ in der Pth.
WBP empfiehlt bereits 2008 die Systemische Therapie/ Familientherapie … … als evidenzbasiertes Verfahren in der KuJ-Pth an den GB-A & als vermutlich evidenzbasiertes Verfahren mit der Auflage, weitere Wirksamkeitsstudien beizubringen, in der Erw.-Pth.
GB-A spricht 2018 die sozialrechtliche Anerkennung der ST für Erwachsene aus (-> KJ-Pth nur noch „eine Frage der Zeit“)
Was ist der aktuelle Stand der systemischen Forschung bezüglich ihrer Wirksamkeit?