Stammesrechte (Was Versteht Man Darunter/Anwendungsbeispiele?) Flashcards

1
Q

Frühmittelalterliche Stammesrechte (5.-9. JH)

Wie war die Ausgangslage?

A

Gegensätzlich zu heute:

  • keine Staaten, keine institutionalisierte Gerichtsbarkeit mit Entscheidungs- und Durchsetzungsmacht
  • Ständegesellschaft
  • keine Grundrechte
  • keine Trennung von Privatrecht und Öffentlichem Recht
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2
Q

Merkmale der frühmittelalterlichen Stammesrechte

A
  • Personalitäts-, kein Territorialprinzip
  • schriftliche, herrschaftliche Fixierung von Rechtsgewohnheiten/Gewohnheitsrecht statt Kodifikation = umfassendes und ausschließliches Gesetzbuch
  • Inhalt aus heutiger Sicht zumeist Straf-, Prozess- und Verfassungsrecht, Familien- und Erbrecht
  • lateinische Sprache
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3
Q

Probleme der frühmittelalterlichen Stammesrechte

A

Überlieferung

  • nur in Abschriften in großer zeitlicher Distanz zum Entstehungszeitpunkt erhalten
  • Anwendung historisch nicht zu belegen
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4
Q

Wichtige Stammesrechte

A
  • Codex Euricianus:
    • um 475, Westgoten
    • nur Fragment überliefert
    • starke Rezeption aus römischem Vulgarrecht (vereinfachtes römisches Recht der Spätantike)
  • Lex Burgundionum:
    • um 500, Burgunder
    • Rezeption aus römischem Codex Theo- dosianus (438)
  • Lex Salica:
      1. Jh. bzw. 507-511
    • Franken
    • weniger romanisiert
    • teilweise mit volkssprachlichen Einstreuungen, sog. Malbergische Glossen
    • im Malberg = vor Gericht
    • dazu Fruscione
  • Leges Alamannorum:
    • Pactus legis/Lex Alamannorum: 1. Hälfte 7. Jh. bzw. 8 Jh., Alemannen
  • Lex Ribuaria
      1. Hälfte 7. Jh., Rheinfranken
  • Edictum Rothari
    • 643
    • Langobarden (König Rothari)
  • Lex Visigothorum
    • um 654
    • Westgoten
  • Lex Baiuvariorum
      1. Jh./1. Hälfte 8. Jh.
    • Bayern
  • Lex Frisionum, Saxonum, Thuringorum
    • 802/03
    • Friesen, Sachsen, Thüringer
  • Nicht: Edictum Theoderici
    • Mitte 5. Jh.
    • Lex Romana Burgundionum
    • um 500: jeweils röm. Vulgarrecht
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5
Q

Stammesrechte

Beispiel Stafrecht

A

Wergeld und Kompositionensystem

Wergeld= vertragliche Sühneleistung zwischen Täter und Opfer/Opfersippe, keine staatliche Sanktion (Wer= althochdeutsch für Mann)

-> Ersetzung der privaten Rache (Selbsthilfe)

  • > Geschichtlich also: vertraglicher Schadensersatz durch Vergleich vor hoheitlicher Sanktion durch deliktischen Schadensersatz vor Gericht oder Geldstrafe
    • > Siehe heute: Systematik im BGB: Schadensersatz aus Vertrag (§ 437 BGB) vor deliktischem Schadensersatz (§ 823 BGB)

Kompositionensystem = Sühneleiste, kasuistische Liste der Wergelder für verschiedene Taten

  • Compositio = Sühne
  • > Heute: Schmerzensgeldkatalog
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6
Q

Stammesrechte - Strafrecht
Peinliche Strafen
(=Strafen an Leib und Leben)

A

Peinliche Strafe als öffentliche, mit Schmerzen verbundene Strafe
-> Statt Selbsthilfe oder Wergeld

  • > Beginn der „staatlichen“ Strafsanktionen
  • Geld und Freiheitsstrafe noch unbekannt

Beispiel: Lex Frisionum

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7
Q

Sachsenspiegel

Merkmale

A
  • Wichtigster deutscher Rechtstext des Mittelalters
  • Eike von Repgow

Mittelalterliche Lebensordnung im:

  • Privat-, Straf-, Verfahrens- und Verfassungsrecht
  • Kirchen- und Stadtrecht fehlen
  • Einteilung in Land- und Lehnrecht

Deutsche Sprache:

  • Mittelniederdeutsch
  • Dialekt im heutigen Sachsen-Anhalt
  • Unterscheidung Mittelniederdeutsch und Mitteloberdeutsch
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8
Q

Sachsenspiegel

Quellenlage

A

Mehr als 400 Handschriften (Land- und Lehnrecht)

  • Muss allgemein gültig gewesen sein
  • > Wegen hoher Produktionszahl
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9
Q

Sachsenspiegel
Autor
Eike von Repgow

A
  • um 1180 bis nach 1233
  • im adligen Dienst (z.B. Fürst Heinrich von Anhalt, Frag Hoyer von Falkenstein)
  • „edelfrei“ -> uradlige Herkuft -> hoher adliger Beamter
  • Repgow alias Reppichau -> bei Dessau im heutige Sachsen-Anhalt

Bildung

  • gebildet
  • möglicherweise Besuch in Domschule
  • keine systematische Ausbildung im römischen und kanonischen Recht
  • Lateinisch mächtig -> ursprünglich lateinische Fassung von Sachsenspiegel
    => nicht gelehrt im Sinne von Juristenausbildung abe gebildet
  • Hat in seinem Kreis bekanntes Gewohnheitsrecht geschrieben
  • Schöffe, d.h. Laienrichter
  • > hatte Schöffenamt inne (Schöffenhaber) -> ähnlich wie Jury in Amerika
  • > Richter war nur Verfahrensleiter
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10
Q

Sachsenspiegel

Entstehung

A
  • Im/in der Nähe von Kloster Altzelle nach Vorbild kanonistischer Schriften englisch-normannischer Provenienz entstanden
  • ca. 1220-1235 (mit Inhalt was er auslässt und anspricht)

Entstehungsphasen

  • vermutlich lateinische Urfassung -> Heute verloren
  • Bitte des Grafen Hoyer von Falkenstein -> Übertragung ins Deutsche
  • Nach Inhalt der deutschen Fassung -> ca. Zwischen 1220- 1235 entstanden
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11
Q

Sachsenspiegel

Wirkung

A

Bilderhandschriften

  • > Bilderkommentare für Lesekundige (heute 4 erhalten)
  • Dresden, Heidelberg, Oldenburg, Wolfenbüttel
  • > alle im Internet

Glossen

  • > Kommentierungen
  • Johann v. Buch berühmt aus früherem 14. Jh.

Vorbild weiterer Rechtsbücher

. Sogar RG und BGH, z.B. 1932 in RGZ 137, 343 zum Familienfideikommiss (Familienvermögen des niederen Adels)

  • Hat gesetzesgleichen Rang erreicht
  • Muss praktisch eingesetzt werden von Publikum
  • > konnten nicht lesen
  • > haben sich an Bildern orientiert
  • wurde kommentiert ab 14. Jh
  • > muss als Recht eingesetzt worden sein
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12
Q

Sachsenspiegel

Verbreitung im Mittelalter

A
  • Ost-, Mittel- und Norddeutschland, z.B. Leipziger Schöffenstuhl, ferner Mittel-, Ost- und Südosteuropa
  • Neuzeit: u.a. Holstein, Lauenburg, Anhalt, thüringische Staaten, Kursachsen bzw. Königreich Sachsen (bis 1865)
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13
Q

Sachsenspiegel

Klassifikation

A

Private Aufzeichnung von Rechtsgewohnheiten bzw. Gewohnheitsrecht
(mit Schilter und Thomasius seit der Zeit um 1700 anerkannt)

  • > Kein kaiserliches Reichsgesetzbuch (so frühe Germanisten)
  • > kein kaiserliches Privileg (so spätmittelalterliche sächsische Literatur) oder kaiserliche Bestätigung (confirmatio, so Conring, sächsische Literatur der frühen Neuzeit)

Anhaltspunkte für Kaiserrecht nur in einigen Handschriften des Sachsenspiegels:

Nennung der Kaiser:

  • > Konstantin und Karl der Große
  • > später Friedrich II., Otto I. und Otto II. hinzugedichtet
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14
Q

Sachsenspiegel
Bsp.: Peinliches Strafrecht
Dresdner Bilderhandschrift

A

Sachsenspiegel, Landrecht II 13 § 4

Alle Mörder und die den Pflug berauben oder eine Mühle oder eine Kirche oder einen Kirchhof, und Verräter und Mordbrenner, oder die ihre Vollmacht zu ihrem Nutzen mißbrauchen, die soll man alle radbrechen.

  • Von Brutalität bestimmt
  • > Strafe des Radbrechens
  • > Drastische Form der Todesstrafe

=> Bilderhandschrift mit Großbuchstaben erwirkt Übersicht

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15
Q

Sachsenspiegel

Überhang im Privatrecht

A

Wenn sich der Hopfen um den Zaun rankt, dann greife derjenige, in dessen Hof sich die Wurzel befindet, so nahe an den Zaun, wie er kann,
und ziehe den Hopfen hinüber; das, was ihm folgt, gehört ihm; das, was auf der anderen Seite bleibt, gehört seinem Nachbarn. Die Zweige seiner Bäume sollen auch nicht zum Schaden seines Nachbarn über den Zaun hängen.

=> Alles was von Nachbar über Zaun wächst, darf Nachbar auf anderer Seite behalten

  • > ähnlich § 910 BGB
  • > siehe heute noch
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