Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Flashcards
Urheber
- Samuel v. Cocceji (Großkanzler)
- Johann Heinrich von Carmer (Großkanzler)
- Carl Gottlieb Svarez (Beamter im Justizministerium)
- Ernst Ferdinand Klein (Assistenzrat und später Professor)
Entstehungsgeschichte
Preußens Versuch disparates (= nicht zueinanderpassendes, ungleichartiges) Landrecht in einem Gesetzbuch zu vereinheitlichen und zu modernisieren
- seit 18. Jh
- Grundlage: Aufklärung und Naturrecht
1746
König Friedrich II. beauftragte seinen späteren Großkanzler Samuel v. Cocceji mit Ausarbeitung eines allgemeinen Landrechts
1749-51
Legte die ersten Teilentwürfe unter dem Titel „Projekt des Corporis Juris Fridericiani“ vor
1755
- Projekt stockte wegen des Todes v. Coccejis
- Unzufriedenheit Friedrichs II. mit dem Justizwesen wuchs
- Berief Johann Heinrich Casimir Graf v. Carmer zum neuen Großkanzler, der seine Mitarbeiter Carl Gottlieb Svarez und Ernst Ferdinand Klein mitbrachte
1789-92
- Erster Entwurf des ALR wurde publiziert (1784-88)
- Tadel der Sachverständigen und der Öffentlichkeit wurden eingearbeitet (1789-91)
- 1791 Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten veröffentlicht
- Sollte 1792 in Kraft treten
- Friedrichs Nachfolger, König Friedrich Wilhelm II. setzte das Gesetz am 18.4.1792 auf unbestimmte Zeit aus
- > Konservative Kreise bezichtigten das Gesetzbuch (=klagten es an)
- > Fördere wie in Frankreich die Revolution
Recht musste wegen der durch die 2. polnischen Teilung erworbenen Gebiete reformiert werden
=> Gesetzbuch konnte mit einigen Modifikationen als “Landrecht” 1794 doch noch in Kraft treten
Gründe für Verzögerungen bei der Gesetzgebung
- Auf Spannungsverhältnis bei der Gewaltenteilung zurückzuführen
- Gesetzbuch für alle staatlichen Angelegenheiten mit Ausnahme des Prozessrechts stand dem absolutistischen Herrschaftsanspruch (der König steht über dem Gesetz) gegenüber
- Allgemeinverbindliches Regelwerk und absolutistische Machtsprüche vertragen sich nicht
- ALR verband in der Endfassung von 1794:
o Elemente des Naturrechts mit einheimischem und römischem Recht in rund 19.000 Paragraphen (!)
→ Absolutistische Gesetzesbindung der Rechtsanwender; sog. „Regelungswut“
- Traditionelle ständische Gliederung der Gesellschaft blieb im neuen Gesetzbuch bestehen
Geltungsbereich
Galt nach 1800 nicht in den neuen Rheinprovinzen -> dort Code Civil
Nach der ursprünglichen Anlage keine Kodifikation im engeren Sinne:
o Untergeordnet zu geplanten Provinzialgesetzbüchern
o Nur für West- und Ostpreußen umgesetzt
o Verweise auf Partikularrecht, z.B. auf lübisches Güterrecht der Ehegatten
Absolutistische Strenge der Gesetzesbindung in der Einleitung
§. 6. Auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bey künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden.
- Wurde später durch Auslegung entschärft
- Betreffe nur die alte Doktrin von der communis opinio doctorum (verbindliche Mehrheitsmeinung der Gelehrten) und die alte Literatur des Usus modernus
- Betreffe aber nicht die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Lehrmeinungen nach Inkrafttreten des Landrechts
- Enthaltene Präjudizienverbot wurde in den 1830ern aufgehoben.
§. 46. Bey Entscheidungen streitiger Rechtsfälle darf der Richter den Gesetzen keinen andern Sinn beylegen, als welcher aus den Worten, und dem Zusammenhange derselben, in Beziehung auf den streitigen Gegenstand, oder aus dem nächsten unzweifelhaften Grunde des Gesetzes, deutlich erhellet.
=> § 46 umfasst nach der zeitgenössischen Kommentarliteratur
(1) die grammatische Auslegung („Worten“)
(2) „logische“ Auslegung („Zusammenhange“)
(3) historisch-systematische Auslegung („streitigen Gegenstand“)
(4) „ratio legis“, d.h. teleologische Auslegung („unzweifelhaften Grunde des Gesetzes“)
§. 47. Findet der Richter den eigentlichen Sinn des Gesetzes zweifelhaft, so muß er, ohne die prozessführenden Parteyen zu benennen, seine Zweifel der Gesetzcommißion anzei- gen, und auf deren Beurtheilung antragen.
§. 48. Der anfragende Richter ist zwar schuldig, den Beschluß der Gesetzcommißion bey seinem folgenden Erkenntniß in dieser Sache zum Grunde zu legen; den Parteyen bleiben aber die gewöhnlichen Rechtsmittel dagegen unbenommen.
=> §§ 47 f. Vorlagepflicht und zur Entscheidungskompetenz der Gesetzgebungskommission bei aus rechtspolitischer Sicht reformierungsbedürftigen Normen fielen bald nach Inkrafttreten des ALR ersatzlos weg
§. 49. Findet der Richter kein Gesetz, welches zur Entscheidung des streitigen Falles dienen könnte, so muß er zwar nach den in dem Gesetzbuche angenommenen allgemeinen Grundsätzen, und nach den wegen ähnlicher Fälle vorhandnen Verordnungen, seiner bes- ten Einsicht gemäß, erkennen.
§. 50. Er muß aber zugleich diesen vermeintlichen Mangel der Gesetze dem Chef der Justitz so fort anzeigen.
Anmerkung:
=> § 50 zur Informationspflicht bei Analogiebildung blieb in der Praxis bedeutungslos
Inhalte
Zwischen Konservatismus und Modernismus
=> ALR umfasst alle Rechtsgebiete bis auf Prozessrecht
Modernisierende Elemente
Einleitung §§ 74 f.: Staatshaftung (siehe noch BVerfGE 58, 300):
ALR Einl. § 74.
=> Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kollision) eintritt, nachstehen.
ALR Einl. § 75
=> Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten
- Systematisierung des Privatrechts
- Partielle Reform des Strafrechts
Konservative Elemente
- Konservatives Gesellschafts- und Familienbild
- Ausführliche Regelung des Lehn-, Adels- und sonstigen Standesrechtes
- Keine naturrechtlichen Grundrechte
- Nur positive, vom Staat gegebene Rechte
Beispiele:
ALR I 1 §. 1. Der Mensch wird, IN SO FERN er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt.
ALR I 2 §. 2. Die bürgerliche Gesellschaft besteht aus mehrern kleinern, durch Natur oder Gesetz, oder durch beyde zugleich, VERBUNDNEN GESELLSCHAFTEN UND STÄNDEN.
ALR II 1 §. 30. Mannspersonen von Adel können mit Weibspersonen AUS DEM BAUER- ODER GERINGEREM BÜRGERSTAND KEIN EHE ZUR RECHTEN HAND SCHLIEßEN
ALR II 17 §. 1. Der Staat ist für die Sicherheit seiner Unterthanen, in Ansehung ihrer Personen, ihrer Ehre, ihrer Rechte, und ihres Vermögens, ZU SORGEN VERPFLICHTET.