Prozesse gesellschaftlicher Modernisierung Flashcards
Der Begriff der Modernisierung
Reinhard Bendix (1916-1991): „Unter Modernisierung verstehe ich einen Typus des sozialen Wandels, der seinen Ursprung in der englischen Industriellen Revolution, von 1760 bis 1830, und in der politischen Französischen Revo- lution, von 1789 bis 1794, hat.“
Vier Teilprozesse der Modernisierung:
► Soziale Differenzierung
► Individualisierung
► Zivilisierung
► Rationalisierung
Soziale Differenzierung
Die zwei Gesellschaftstypen Emile Durkheims:
1) Segmentär differenzierte Gesellschaft auf der
Grundlage „mechanischer Solidarität“:
► große Ähnlichkeit der gesellschaftlichen Teilsegmente (z.B. Horden,
Klans, Verwandtschaftsgruppen)
► gemeinsames Kollektivbewußtsein ist sehr stark ausgeprägt,
Fehlen persönlicher Individualität
► Repressivrecht vorherrschend:
- Verbrechen verletzt Kollektivgefühle
- im Mittelpunkt steht der Sühneaspekt der Strafe, die der Stärkung der kollektiven moralischen Solidarität dient
2) Arbeitsteilig differenzierte Gesellschaft auf der Grundlage „organischer Solidarität“:
► große Unähnlichkeit der Berufe & beruflichen Tätigkeitsbereiche, die sich in ihrer Heterogenität aber gegenseitig ergänzen
► gemeinsames Kollektivbewußtsein nur schwach ausgeprägt, dafür starke Ausformung persönlicher Individualität
► Restitutivrecht vorherrschend:
- Verbrechen gilt als Vertragsverletzung
- Wiedergutmachung und Ausgleichsregelungen zwischen Konfliktparteien stehen im Vordergrund
- Vertragssolidarität auf der Basis einer universalistischen Rechtsordnung („Gleichheit vor dem Gesetz“)
Individualisierung
► Vereinzelung als Herauslösung aus umfassenden
sozialen Einbindungen
► Das Individuum als Schnittpunkt vieler sozialer Verkehrskreise und Rollenbezüge
Georg Simmel:
„Die Individualisierung lockert das Band mit dem Nächsten, um dafür ein neues – reales und ideales – zu den Entfernteren zu spinnen.“
Zivilisierung
► Soziogenese und Psychogenese: Die mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung einher gehende „Verlängerung von Handlungs- ketten“ bedingt die Herausbildung mannigfacher psychischer „Selbstzwänge“: „Der Einzelne (ist) … gezwungen, sein Ver- halten immer differenzierter, immer gleichmäßiger und stabiler zu regulieren“ (Norbert Elias, 1897-1990).
► Die zunehmend „automatisch“ wirkenden Selbstzwänge korres- pondieren mit einem „Vorrücken“ der Scham- und Peinlichkeits- schwellen und einer Stärkung des „Über-Ich“ (im Sinne von S. Freud)
► Einige Bereiche, in denen Norbert Elias das Entstehen strikterer und stabilerer Trieb- und Affektkontrollen aufzeigt: Aggressions- und Sexualverhalten, Ess- und Trinkma- nieren, körperliche Ausdrucks- und Benimmstandards
► Schlüsselrolle der „Figuration“ des absolutistischen Staates bei der Herausbildung der psychischen „Selbstzwangsap- paratur“
Rationalisierung
Max Weber (1864-1920):
„Zweckrational handelt … wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie (..) auch die verschiedenen Zwecke gegeneinander rational abwägt“.
Max Weber über Rationalisierung als „Entzauberung“ der Welt
Rationalisierung meint nach Weber
„nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedin- gungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: dass man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnung beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt.“
Die Protestantismus-Kapitalismus-These Max Webers
Die für die kapitalistische Kultur kennzeichnende, von der Berufsidee getragene rationale Lebensführung hat ihre religiösen Wurzeln in der protestantischen Berufs- ethik
► Protestantische Berufsethik als „innerweltliche Askese“
Kalvinistische Berufsethik:
► Berufsarbeit als rational geplante und durchgeführte Arbeit zur „Ehre Gottes“
► Berufsarbeit als „calling“, um „in“ der Welt erfolgreich zu sein
Robert K. Mertons (1910-2003) These:
Der Protestantismus als Wegbereiter wissenschaftlicher Rationalität
Johannes Calvins (1509-1584) These der „Prädestination“ (lat. Vorherbestimmung, Vorsehung):
“Unter Vorsehung verstehen wir Gottes ewige Anordnung, vermöge deren er bei sich beschloss, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte! Denn (…) den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet.” (J. Calvin)