Paradigmen (VL 3+4) Flashcards
Wissenschaftsparadigma - Definition
- Ein zusammenhängendes,
- Von verschiedenen Wissenschaftlern geteiltes Bündel,
- Bestehend aus theoretischen Leitsätzen, Fragestellungen und Methoden
- Das längere historische Perioden in der Entwicklung der Wissenschaft überdauert
Kriterien für Paradigmen
Allgemeine Kriterien:
- Explizitheit: Begriffe und Aussagen müssen explizit dargelegt sein
- Widerspruchsfreiheit: Aussagen sollen sich nicht widersprechen
- Vollständigkeit: Aussagen sollen alle bekannten Phänomene des Gegenstandsbereichs des Paradigmas erklären
- Sparsamkeit: Soll mit möglichst wenigen Grundbegriffen auskommen
- Produktivität: Soll neue Fragestellungen erzeugen & dadurch die Forschung voranbringen
- Anwendbarkeit: Soll sich praktisch anwenden lassen
Zusatzkriterien für empirische Wissenschaften:
- Empirische Verankerung: Begriffe des Paradigmas sollen sich direkt oder indirekt auf die Beobachtungsdaten beziehen
- Empirische Prüfbarkeit: Aussagen sollen sich anhand von Beobachtungsdaten überprüfen lassen
7 Paradigmen der Persönlichkeitsforschung
- Psychoanalytisches Paradigma
- Behavioristisches Paradigma
- Eigenschaftsparadigma
- Informationsverarbeitungsparadigma
- Neurowissenschaftliches Paradigma
- Dynamisch-interaktionistisches Paradigma
- Evolutionspsychologisches Paradigma
Das Psychoanalytische Paradigma – Zentraler Vertreter
Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse
Das Psychoanalytische Paradigma – Modelle
- Dynamisches Modell: Triebe (Woher kommt die Energie für unser Erleben und Verhalten?)
- Strukturmodell: 3 Instanzen (Wer steuert unsere psychischen Prozesse?)
- Topografisches Modell: 3 Ebenen des Bewusstseins (Was kriegen wir davon mit?)
Das Dynamische Modell
Triebe: Eros (Sexual-/Selbsterhaltungstrieb) und Thanatos (Aggressions-/Todestrieb)
Psychische Energie: Libido (sexuelle Triebenergie) und Destrudo (aggressive Triebenergie)
- Triebimpulse: Anstieg von Energie –> unangenehme Triebspannung –> Energieentladung durch Triebbefriedigung an Triebobjekten
- Das Lustprinzip steht in ständigem Konflikt mit dem Realitätsprinzip
- Jedem Verhalten liegt die Tendenz zur Spannungsreduktion und das Streben nach Lustgewinn zugrunde
Das Strukturmodell
Es | Ich | Über-Ich
Das Strukturmodell - ES
Lustprinzip (Forderungen)
- Psychische Repräsentation der Triebe (ursprünglich unbewusstes –> schon immer unbewusst)
- Vom Ich ins Unterbewusste verdrängte, früher bewusste Wünsche, Vorstellungen, … (verdrängt unbewusstes)
- Existiert von Geburt an (Einfluss veringert sich jedoch mit der Zeit, da Teile an das Ich abgegeben werden)
- Funktioniert nach dem Lustprinzip, verlangt nach unmittelbarer Triebbefriedigung
- Hat keinen direkten Kontakt zur Außenwelt (da es Triebenergie nicht direkt in Verhalten umsetzen kann –> braucht das Ich)
Das Strukturmodell - ICH
Realitätsprinzip (Kontrolle)
- Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis, Willkürmotorik
- Entwickelt sich nach dem Es
- Vermittelt im Konflikt zwischen Es, Realität und Über-Ich
- Strategien: Blockierung, Verteilung, Verzögerung der Triebbefriedigung
- Ziel: Triebbefriedigung ohne Konflikte mit Realität oder Normen
Das Strukturmodell - ÜBER ICH
Moralitätsprinzip (Forderungen)
- Gebote, Verbote, Vorbilder, Vorstellungen von Gut und Böse, Werte und Normvorstellungen
- Entwickelt sich zuletzt (vermittelt durch Eltern oder andere Sozialisationsinstanzen)
- Kontrolliert das Ich bei seiner Auseinandersetzung mit dem Es und der Realität
- Will verhindern: unmoralisches, verbotenes Verhalten (Bestraft durch Schuld oder Minderwertigkeitsgefühle)
- Will erreichen: moralisches, dem Ich-Ideal entsprechendes perfektionistisches Verhalten (Belohnt durch Stolz und Selbstliebe)
Das topografische Modell
3 Bewusstseinsebenen: Bewusst, Vorbewusst, Unbewusst
Bewusst:
- Wahrnehmungen, Gedanken, Erinnerungen, Empfindungen, …
- Willentlicher Zugriff möglich
Vorbewusst:
- Theoretisch bewusstseinsfähig
- Willentlicher Zugriff vorübergehend nicht möglich
- Beispiel: Ein Name, den man kennt, der einem aber gerade nicht einfällt
Unbewusst:
- Nicht nur einfach nicht bewusst, eigene Qualität
- Der rationalen Analyse entzogen, aber trotzdem verhaltenswirksam
Das Konzept der Angst
- Das Ich kann Anforderungen von Es, Über-Ich und Realität nicht gerecht werden –> Überforderung Konflikt –> Angst
- Furcht: objektspezifisch (im Gegenteil zur Angst, die objektunspezifisch ist)
Wessen Anforderungen das Ich nicht gerecht wird und die daraus resultierende Angst
Realität (Umwelt) –> Realangst: Reize aus der realen Umwelt zeigen subjektiv und objektiv Gefahren an
Über-Ich –> Moralische Angst/ Über-Ich Angst: Das ich verstößt gegen Ansprüche des Über-Ich Gewissensbisse
Es –> Neurotische Angst: Reize aus dem Es können durch das Ich nicht ausreichend abgewehrt werden
Abwehrmechanismen für Angst
- Verschiebung (Innere Reize): Verschiebung der Triebenergie vom ursprünglichen Triebobjekt auf ein anderes Objekt
- Sublimierung (Innere Reize): Verbotene Formen der Triebbefriedigung werden durch zulässige oder sogar erwünschte Ersatzhandlungen ersetzt
- Reaktionsbildung (Innere Reize): Das verbotene Verhalten wird ins Gegenteil verkehrt
- Projektion (Innere Reize): Der eigene Triebwunsch wird einer anderen Person unterstellt
- Regression (Trauma): Rückzug auf frühere Stufe der Triebregulation
- Rationalisierung (Eigenes Verhalten): Verbotene Triebbefriedigung wird in akzeptables Verhalten umgedeutet
- Verleugnung (Äußere Reize): Nicht wahrhaben wollen / Die Bedrohung wird bestritten
- Verdrängung (Innere und äußere Reize): Unerlaubte Bewusstseinsinhalte werden ins Unbewusste abgedrängt
Das Psychoanalytische Paradigma - Relevante Konzepte für die Charakterbildung
Relevante Konzepte für die Charakterbildung:
- Triebstärke (Bsp. Stärke des Aggressionstriebs Thanatos)
- Ich-Stärke und Abwehrmechanismen (Bsp. Rationalisierer, Leugner, Verdränger)
- Fixierung und Regression auf psychosexuelle Entwicklungsstufen
o Fixierung: Kind bleibt auf einer Entwicklungsstufe stehen –> zu geringe oder intensive Triebbefriedigung
o Regression: Kind fällt auf eine frühere Entwicklungsstufe zurück, weil Triebbefriedigung einer später entwickelten Form erschwert oder gestört ist
o Fixierung und Regression sind zeitlich und situativ begrenzt; Unterschiede = Unterschiede im Charakter
Kritische Bewertung des Psychoanalytischen Paradigmas
- Empirische Überprüfung ist schwierig
- Viele Konzepte und Annahmen spielen keine Rolle mehr in der Persönlichkeitsforschung, einige wurden widerlegt
+ Fruchtbare Konzepte
Das Behavioristische Paradigma – Zentraler Vertreter
John B. Watson, Begründer des Behaviorismus
Das Behavioristische Paradigma – Allgemeines Menschenbild - Untersuchungsgegenstand
Untersuchungsgegenstand: beobachtbares Verhalten
- Ablehnung von subjektiven Methoden –> Beobachtungen müssen vom Untersuchungsleiter unabhängig sein
- Beschränkung auf die Analyse objektiver Beobachtungsdaten –> Mensch ist Black Box, was in seinem inneren vorgeht, ist nicht relevant, es zählt nur die Reaktion
Das Behavioristische Paradigma – Allgemeines Menschenbild - Ziel
Ziel: Aufdeckung Reiz-Reaktions-Verbindungen
- Wodurch wird das beobachtete Verhalten (Reaktion) ausgelöst (Reiz)?
Das Behavioristische Paradigma – Allgemeines Menschenbild - Lerngesetze
Lerngesetze: Wie kommt die Verbindung von Reiz und Reaktion zusammen?
- Klassische Konditionierung (neutraler Reiz + unkonditionierter Reiz = unkonditionierte Reaktion)
- Operante Konditionierung (Belohnung, Bestrafung)
- Beobachtungs- und Imitationslernen
Das Behavioristische Paradigma – Allgemeines Menschenbild - Menschliches Verhalten
Menschliches Verhalten ist umweltgesteuert
- Kinder kommen als unbeschriebenes Blatt zur Welt
- Verhaltensrepertoire entwickelt sich durch Lernprozesse und ist zu 100% durch die Umwelt bedingt (Umweltdeterminismus)
Das Behavioristische Paradigma – Konzeption der Persönlichkeit
- Die Persönlichkeit ist das Resultat der individuellen Lerngeschichte
- Persönlichkeit ist erklärbar, vorhersagbar, veränderbar durch Lerngesetze und Lerngeschichte (Umwelt)
- Verhaltensgewohnheiten (habits) sind Bausteine der Persönlichkeit
Kritische Bewertung des behavioristischen Paradigma
- Konzepte sind leicht zu operationalisieren Annahme, dass Persönlichkeit vollständig auf die individuelle Lerngeschichte zurückzuführen ist, ist allerdings nicht prüfbar
- Im Behaviorismus: Der Lernende ist Opfer seiner Umwelt –> Tatsächlich besteht aber eine Wechselwirkung
- Die Persönlichkeitsentwicklung ist weniger einseitig beeinflussbar als vom Behaviorismus angenommen
- Persönlichkeit beeinflusst das Lernen, nicht nur lernen die Persönlichkeit
Das Eigenschaftsparadigma – Zentrale Vertreter
- Louis William Stern, Erfinder des IQ
- Gordon Willard Allport
Das Eigenschaftsparadigma - Ursprung und Bedeutung
- Ausgangspunkt: Naive Persönlichkeitstheorie der Alltagspsychologie
- Ist im Gegensatz zu den vorherigen Paradigmen noch heute relevant und genügt den Kriterien der wissenschaftlichen Theorie
Das Eigenschaftsparadigma – Allgemeines Menschenbild
- Situation –> Eigenschaft –> Verhalten
- Mensch ist jetzt keine Blackbox mehr
- Situation: Person reagiert auf komplexe Reizkonstellationen (nicht nur auf einfachen Reiz)
- Verhalten: schließt auch nicht beobachtbares Verhalten mit ein (nicht nur Reaktion)
Das Eigenschaftsparadigma – Konzeption der Persönlichkeit
Eigenschaften:
- Relativ breite, zeitlich mittelfristig stabile Verhaltensdispositionen
- In verschiedenen Situationen konsistent verhaltenswirksam
- Erzeugen stabile Beziehungen zwischen Situationen und dem Verhalten einer Person
- Werden zur Verhaltensvorhersage und aus ökonomischen Gründen angenommen
Persönlichkeit: Organisierte Gesamtheit der Eigenschaften
Modelle durch Eigenschaftstheorien
- Personismus (Personistisches Modell der absoluten Konsistenz)
- Situationismus
- Personistisches Modell der relativen Konsistenz
- Interaktionismus
- Dispositionismus
Personismus/ Personistisches Modell der absoluten Konsistenz
Personismus:V_ij=f(P_i)
- Verhalten einer Person ist nicht absolut konsistent über Situationen, sondern eher situationsspezifisch
- Verhaltensattribution: Actor-Observer-Bias
Situationismus
Situationismus: V_ij=f(S_j)
- Verhalten von verschiedenen Personen in einer Situation ist nicht gleich
Personistisches Modell der relativen Konsistenz
Personistisches Modell der relativen Konsistenz: V_ij=f(P_i,S_j)
- Nimmt Personen und Situation als Einflussfaktoren; die Relation von Personen ist jedoch konsistent (parallele Profile)
- Jedoch reagieren nicht alle Personen im gleichen relativen Maß auf Situationen (Modell kann keine Überkreuzungen von Profilen erklären)
Interaktionismus
Interaktionismus: V_ij=f(P_i,S_j,P_i xS_j)
- Annahme der Wechselwirkung von Person und Situation –> Situation wird von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen und ist deshalb auch verschieden
- Berücksichtigt die wichtigsten Determinanten von Verhalten, kann jedoch keine konkrete Person-Situation-Konstellation vorhersagen
Dispositionismus
Dispositionsimus: V_ij=f([S_J→V_J]i,S_j) oder V_ij=f(P_ij,S_j)
- Annahme der Situation-Verhaltensverknüpfung, lediglich Berücksichtigung der Gruppe J von S-V Verknüpfungen, zu der S_j funktional äquivalent (gleichwertig) ist
- S-V Verknüpfungen werden durch Merkmale der Person erklärt (Dispositionen)
- Dispositionen werden angenommen, um Abhängigkeiten zwischen Situationen und Verhalten zu erklären
- Disposition = Gruppe von Wenn-Dann Sätzen, Bereitschaft in bestimmten Situationen ein bestimmtes Verhalten zu zeigen
Dispositionistisches Persönlichkeitsmodell nach Mischel
Unterscheidung von 2 Konsistenzmaßnahmen:
Transsituationale Konsistenz = mittlere transsituationale Verhaltendtendenz über viele Situationen –> Inter-individuelle Perspektive
Kohärenz (situationsspezifische Konsistenz) = stabiles individuelles Profil von Situation-Verhaltensverknüpfungen –> Intra-individuelle Perspektive
Kohärenz - Definition
Situationsspezifische Konsistenz –> stabiles individuelles Profil von Situation-Verhaltensverknüpfungen (zeige gleiches Verhalten in gleichen Situationen zu unterschiedl. Messzeitpunkten)
Konzept der Situationsstärke von Mischel
Starke Situationen
- Klare Normen und Regeln
- Menschen zeigen ähnliches Verhalten
- Kleiner Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen
- Beispiel: Beerdigung
Schwache Situationen
- Keine klaren Normen und Regeln
- Menschen zeigen unterschiedliches Verhalten
- Großer Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen
- Beispiel: Tanzen im Club