Lernen und Vermitteln mathematischer Begriffe Flashcards
Was ist ein Begriff?
Begriffe existieren auf verschiedenen Ebenen
- Begriffe als subjektive Wissenskonstruktionen
-> Begriffe können als mentale Einheiten angesehen werden, die das Gemeinsame einer Klasse von (wirklichen
und gedachten) Objekten beschreiben. - Begriffe als objektiv existierende Facetten einer Kultur
-> Begriffe existieren unabhängig vom individuellen Verständnis
als gemeinsames Verständnis von Personen aus einer bestimmten (z.B. wissenschaftlichen) Kultur. - Es kann durchaus mehrere widersprüchliche Arten geben, wie ein Begriff verwendet wird
Mathematische Begriffe werden charakterisiert durch
- Begriffsbezeichnung
-> Ein Wort, das auf den Begriff verweist - Begriffsdefinition(en)
-> Sie liefert die letztgültige Antwort darauf, welche Repräsentanten zum Begriff gehören
(also: was gemeint ist).
-> Es kann mehrere äquivalente Definitionen eines Begriffs geben - Begriffsumfang
-> Steht für die zum Begriff gehörenden Repräsentanten in allen möglichen Darstellungsformen.
-> Das ist das, was mit dem Begriff „eigentlich gemeint ist“. - Begriffsinhalt
-> Weitere Eigenschaften, die den Begriff kennzeichnen, aber nicht zur Definition ausreichen.
-> Notwendige Eigenschaften und hinreichende (=charakterisierende) Eigenschaften - Begriffsnetzwerk
-> Beziehungen zu verwandten Begriffen, Oberbegriffen, Unterbegriffen…
Begriffsdefinitionen
- Realdefinitionen:
Angabe des Oberbegriffs und spezifischer Merkmale:
Ein Viereck mit einem paar paralleler Seiten heißt Trapez. - Konventionaldefinitionen:
Angabe von Bedingungen unter denen der Begriff verwendet wird:
Wenn eine geschlossene ebene Figur aus vier Strecken besteht,
so ist sie ein Viereck.
-> beides statische Definitionen - Genetische Definitionen:
Angabe der Entstehung oder Konstruktion:
Zeichnet man alle Punkte, die von einem Punkt M
gleichweit entfernt sind, so entsteht ein Kreis.
->dynamische Definition
Was versteht man unter “abstrakten” Begriffen?
Didaktische Phänomenologie
- The didactical phenomenology of mathematical structures:
“Phenomenology of a mathematical concept, structure, or idea means describing it in its relation to the phenomena for which it was created, and to which it has been extended in the learning process of mankind.“ (Freudenthal) - Mathematische Konzepte beschreiben Phänomene
…in der Realität oder innerhalb der Mathematik.
-> Mathematische Konzepte aus Phänomenen heraus einführen,
-> …und auf neue Phänomene ausweiten
Bsp: Subtraktion
Mathematisches Konzept: Subtraktion
Phänomen: Wegnehmen
-> so kann man Begriff einführen durch Phänomen
Phänomen: Unterschied berechnen, Rest vom Ganzen berechnen
-> Begriff erweitern durch Phänomene
Was macht einen Begriff “abstrakt?”
- Primäre Konzepte
Repräsentanten sind als konkrete Objekte erfahrbar (z.B. geometrische Begriffe). - Sekundäre Konzepte
Repräsentanten sind nicht direkt erfahrbar und lassen sich i.d.R. auch nicht erschöpfend unmittelbar darstellen, wahrnehmen oder erfassen. - Begriffe werden als abstrakt empfunden,…
- …wenn sie eine ganze Bandbreite von Phänomenen in der Welt (inklusive innermathematische Phänomene) beschreiben können, und…
- …wenn sich ihre volle Bedeutung erst erschließt, wenn Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Darstellungsformen erkannt werden
Beispiel: Funktionbegriff
Der Begriff „Funktion“ kann verstanden werden als…
- …eine Zuordnung, die jeder reellen Zahl eine andere reelle Zahl zuordnet
- …eine mathematische Struktur, die beschreibt, wie sich eine Größe verändert,
wenn man eine andere Größe variiert
- …ein mathematisches Objekt, mit dem man operieren kann
-> Verschiedene Grundvorstellungen
Diese Aspekte können sichtbar werden…
- …in verschiedenen symbolischen Darstellungen einer Funktion (z.B. Funktionsterm),
- …in verschiedenen graphischen Darstellungen (z.B. Funktionsgraph) einer Funktion,
- …in Wertetabellen einer Funktion,
- …in verschiedenen Situationen, die durch einer Funktion beschrieben werden
- > verschiedene Darstellungen (Repräsentationen)
individuelle Repräsentation von Begriffen
Mentales Arbeiten mit einem Begriff…
…greift also also nicht allein auf bekannte Fakten (Definition) zurück.
-> ( sog. deklaratives Wissen, wenig vernetzes Wissen über Einzelfakten)
- …sondern erfordert mit dem Begriff flexibel arbeiten zu können, z.B.
- …durch verschiedene prototypische Repräsentanten mental darstellen…
- …dazu (unterschiedliche) Situationen abrufen…
- …seine Repräsentanten in verschiedenen Darstellungen sehen…
- …verschiedene Beziehungen zu anderen Begriffen nutzen.
-> (sog. konzeptuelles Wissen, bestenfalls tief, vernetzt, multimodal, allgemein) - …und den Begriff zielgerichtet nutzen zu können, z.B.
- Handlungsabläufe, die bestimmte Probleme verlässlich lösen (Algorithmen)
- Flexibel einsetzbare Strategien, die auf spezifische Fälle zugeschnitten sind.
(sog. prozedurales Wissen, so weit nötig automatisiert und allgemein)
Concept Image und Concept Definition
Concept Image:
->Individuell mit dem Begriff verbundenes Wissen
* Beispiele/Prototypen
* Grundvorstellungen/Phänomene
* Darstellungsformen
Concept Definition:
Definition des Begriffs
* Objektiv: Korrekte fachliche Definitionen
* Individuell: Selbst konstruierte Definitionen
Individuelle Repräsentanten von Begriffen
Prototypen
Begriffe werden mental häufig durch ein Angebot an „spezifischen typischen Instanzen“ dargestellt, sogenannten Prototypen oder prototypische Repräsentanten.
Prototypenvorstellungen
- Mathematisches Denken ist häufig an Standardbeispiele (Prototypen) gebunden.
- Die gewählten Prototypen können das Problemlösen einschränken,
von relevanten Eigenschaften ablenken
oder irrelevante oder falsche Eigenschaften herausheben.
- Gefahr eingeschränkter Prototypenvorstellungen
- Eingeschränktes Verständnis des Begriffsumfangs.
- Fehler bei der Arbeit mit dem Begriff.
- Mögliche Ursachen
- Primär prototypische Darstellung in Schulbüchern.
- Eingeschränkte Beispiele im Unterricht
Individuelle Repräsentanten von Begriffen
Grundvorstellungen
- Grundvorstellungen sind (als Wissenselement) assoziative mentale Verknüpfungen zwischen mathematischen Konzepten und deren Bedeutungen in verschiedenen Anwendungssituationen.
- Anders gesagt:
Grundvorstellungen sind Wissensfacetten, die es erlauben,… - …Mathematische Strukturen in (realen) Situationen zu erkennen (modellieren).
- …mathematische Ideen auch in anderen Darstellungen (z.B. an Arbeitsmitteln) zu erkennen.
- …sich zu „symbolischer Mathematik“ mögliche Situationen vorzustellen,…
- …und zwar im besten Falle mit verschiedenen Vorstellungen.
…kurz: Verbindungen verschiedenen Situationen und mathematischer Konzepte herzustellen.
Prinzip des intermodalen Transfers
Ein Konzept - viele Repräsentationen
- (eher) grafische/konkrete/ikonische Darstellungen
-> Strukturen und Inhalt können direkt visuell oder haptisch entnommen werden
Bsp: Graphen - (eher) verbale Darstellungen
-> Mathematische Eigenschaften und Strukturen werden anahnad von Wörtern beschrieben
Bsp: Eine Exponentialfunktion mit Basis 1,014 und Wert 7,72 an der Steiie 2020. - (eher) symbolische Darstellungen
->Strukturen können nur indirekt entnommen werden, indem Symbole und deren Anordnung entschlüsselt werden
Bsp: Funktionsterm, Wertetabelle als Mischung zwischen grafisch und symbolischer Darstellung - (eher) episodische/situative Darstellungen
->Mathematische Strukturen treten in konkreten (realen) Situationen auf und können diese strukturieren und beschreiben
Bsp: Die Weltbevölkerung wächst näherungsweise
um ca. 1,4% pro Jahr. Im Jahr 2020 war
umfasste sie ca. 7,72 Milliarden Menschen.
(exemplarische Situation)
Repräsentationswechsel
- „Abstrakte“ Konzepte sind in einer einzigen Repräsentation eingeschränkt zugänglich
- Z.B. Zahlen als Anzahlen vs. „Nähe“ von zwei Zahlen
- Z.B. Funktionen als symbolische Zuordnungsvorschriften – Stetigkeit, Monotonie
- Verständnis mathematischer Konzepte und Operationen besteht im Wesentlichen darin, flexibel in wechselnden Repräsentationen (mental und external) verarbeiten zu können.
-> Fähigkeit zum intermodalen Transfer als wesentlicher Teil von Begriffsverständnis (s. Kapitel 5).
Fachliche Perspektive
- Mathematische Begriffe sind häufig hierarchisch organisiert.
z.B. „Jedes Quadrat ist ein Rechteck…“ -> Haus der Vierecke - Hierarchien sind nur anhand charakterisierender
Eigenschaften nachvollziehbar.
„…weil Vierecke mit vier rechten Winkeln immer Rechtecke sind.“ - Viele Lernende strukturieren Begriffe zunächst exklusiv.
„Rechteck ist ein Viereck mit vier rechten Winkeln, bei dem nicht
alle Seiten gleich lang sind.“ –> stimmt nicht
Eine exklusive Klassifikation von Repräsentanten ist an vielen
Stellen fachlich nicht geschickt.
Begriffsnetzwerke
Fachdidaktische Perspektive
- Zusätzlich zur fachlichen Begriffshierarchie sind Begriffe vielfältig untereinander verknüpft.
- Diese Verknüpfungen sind ein wesentlicher Teil flexibel vernetzten Wissens.
z.B. „Jede rechtwinklige Raute ist ein Quadrat.“ - Beispiel
Ein Rechteck ist… - …ein Viereck mit vier rechten Winkeln.
- …ein Viereck mit (mindestens) drei rechten Winkeln.
- …ein Parallelogramm mit (mindestens) einem rechten Winkel.
- …ein Viereck mit (mindestens) zwei Symmetrieachsen,
die nicht durch die Ecken verlaufen
Begriffserwerb nach Vollrath
- Vollrath beschreibt Begriffserwerb als Kombination von zwei Prozessen.
Lernen in Stufen
-> Zunehmende Systematisierung und Vernetzung von Phänomenen zu einem „mathematischen Begriff“.
Lernen durch Erweiterung
-> Fortwährende Ausdifferenzierung eines Begriffs in spezifische Teilbegriffe.
- Funktionsbegriff allgemein – Proportionalitäten – lineare Funktionen - …
- Zunehmende Erweiterung der Zahlbereiche und des Zahlbegriffs.
s.a. Folien “Begriffsnetzwerke ausdifferenzieren“ unten.
Lernen in Stufen
Intuitives Begriffsverständnis
- der Begriff als Phänomen
- Z.B. Beispiele kennen und identifizieren
Inhaltliches Begriffsverständnis
- der Begriff als Träger von Eigenschaften
- Z.B. Eigenschaften kennen und beschreiben.
Integriertes Begriffsverständnis
- der Begriff als Teil eines Begriffsnetzes
- Z.B. Beziehungen von Eigenschaften untereinander
- Z.B. Beziehungen zu anderen Begriffen kennen.
Formales Begriffsverständnis
- Z.B. Einbettung des Begriffs in einen axiomatischen Aufbau der Mathematik