Hoyer & Knappe: Zwang Kap. 52 Flashcards

1
Q

Symptome & Verhalten

A

• Zwangsstörung beinhaltet Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, die jeweils verschiedene Themenbereiche betreffen können

• Häufig Vermeidungsverhalten von Situationen, die ZG/ZH auslösen könnten
• Rückversicherungsverhalten & Neutralisieren  keine ZH im eigentlichen Sinne, aber oft eingesetzt
o Rückversicherungsverhalten: Verantwortung wird an beteiligte Person abgegeben oder Beruhigung eingeholt
o Neutralisieren: in Gedanken oder Handlung möglich; Ziel: Befürchtung aufheben/ausgleichen, Ablenkung oder Unterdrückung

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2
Q

Symptome: Zwangsgedanken (ZG)

A

o aufdringliche, wiederkehrende und unangenehme Gedanken, Bilder, Impulse
o Abgrenzung zu realen Lebensproblemen: deutlich übertrieben
o Lösen Angst, Unruhe, Scham oder Ekel aus
o Drehen sich typischer Weise um potentielle Gefahren
o Stehen im Konflikt mit eigenen Überzeugungen und Werten
o Werden als eigene Gedanken erkannt + oft Einsicht wie übertrieben
o Betroffene versuchen Gedanken zu ignorieren oder zu unterdrücken

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3
Q

Symptome: Zwangshandlungen (ZH)

A

o Verhaltensweisen, oft als Reaktion auf Zwangsgedanken zur Gefahrenabwendung/Unruhereduktion
o Meist übertrieben für angestrebtes Ziel (z.B. Wiederholungen etc.)
o Erheblicher Zeitaufwand
o Folgen oft individueller Logik, für Außenstehende schwer nachvollziehbar
o Über Zeit automatisierte/ritualhafte Züge

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4
Q

Symptombereiche

A

Kontamination und Waschen
ZG: Befürchtung selbst/andere zu infizieren
ZH: Waschen, Reinigen

Tabuisierte und verbotene Gedanken
ZG: Aggression, Sexuell, Religiös
ZH: Kontrollrituale, Rückversicherung, gedankliches Neutralisieren

Pathologisches Zweifeln und Fehler
ZG: Befürchtung, durch Fehler gravierende neg. Konsequenzen auszulösen
ZH: Kontrollrituale (Rückversicherung)

Symmetrie und Ordnung
ZG: Dinge müssen auf bestimmte Art und Weise gemacht werden
ZH: Ordnen, Sortieren

Horten
ZG: Verlust von Dingen, die in ZUkunft relevant sein könnten
ZH: Sammeln und aufbewahren von sinnlosen Dingen

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5
Q

ICD-10

A

(in Deutschland für Diagnose verwendet) – F42 Zwangsstörung
A. Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen für mind. 2 Wochen
B. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen haben folgende Merkmale:
a. Sie werden als eigene Gedanken/Handlungen angesehen
b. Sie wiederholen sich und werden als unangenehm erlebt und es besteht Einsicht, dass Gedanken/Handlungen übertrieben und unsinnig sind
c. Betroffene leisten Widerstand (z.B. versuchen Gedanken zu ignorieren oder Handlungen zu unterlassen)
C. Beeinträchtigung der sozialen oder individuellen Leistungsfähigkeit
D. Ausschluss: Störung ist nicht Folge einer psychotischen oder affektiven Störung
o Formen der Zwangsstörung
 Zwangsstörung mit vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang (F42.0)
 Zwangsstörung mit vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale) (F42.1)
 Zwangsstörung mit Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt (F42.2)

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6
Q

DSM-5

A

• DSM-5 Kriterien für Zwangsstörung
A. Entweder Zwangsgedanken, Zwangshandlungen oder beides:
Zwangsgedanken sind durch (1) und (2) definiert:
1. Immer wiederkehrende und anhaltende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die (…) als aufdringlich und ungewollt erlebt werden, und die meist ausgeprägte Angst oder großes Unbehagen hervorrufen.
2. Die Person versucht, diese Gedanken, Impulse oder Vorstellungen zu ignorieren oder zu unterdrücken oder (…) zu neutralisieren (z.B. durch ZH)
Zwangshandlungen sind durch (1) und (2) definiert:
1. Wiederholte Verhaltensweisen (…) oder mentale Handlungen (…) zu denen sich die Person als Reaktion auf einen ZG oder (…) [bestimmten] Regeln gezwungen fühlt.
2. Die Verhaltensweisen oder die mentalen Handlungen dienen dazu, Angst oder Unbehagen zu verhindern oder zu reduzieren oder gefürchteten Ereignissen oder Situationen vorzubeugen; diese stehen jedoch ohne realistischen Bezug zu dem, was sie zu neutralisieren oder zu verhindern versuchen, oder sie sind deutlich übertrieben.
B. Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen sind zeitintensiv (sie beanspruchen z.B. mehr als 1h pro Tag) oder verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
C. Die Symptome (…) sind nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz (…) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors.
D. Das Störungsbild kann nicht besser durch das Vorliegen einer anderen psychische Störung erklärt werden (…).

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7
Q

Unterschiede zwischen ICD-10 & DSM-5

A

o Definition von ZG und ZH und wie diese sich aufeinander beziehen
o DSM-5
 stärkere Orientierung am ätiologischen Modell der VT: betrachtet TG als Auslöser von Angst/Unbehagen, die durch ZH verhindert/reduziert werden soll
 mentale Handlungen (z.B. Zählen, Beten) explizit als Beispiele von ZH genannt
 hoher Zeitaufwand mit >1h/Tag bzw. klinisch bedeutsame Beeinträchtigung erforderlich für Diagnose
o ICD-10
 ZG und ZH mit gleichen Merkmalen beschrieben
 Mindestdauer von 2 Wochen + hoher täglicher Zeitaufwand für Diagnose erforderlich

o Veränderungen zw. DSM-IV und DSM-5:
 Klassifikation: neue Kategorie der Zwangsstörungen
 Inkl. neue Diagnose: pathologisches Horten
 Neue Zusatzcodierung für Störungseinsicht
 Neue Zusatzcodierung für komorbide Tic-Störungen

• Unterscheidung ZG/ZH nicht nur für Diagnostik, sondern auch therapeutisches Herangehen wichtig
• Bei ZG werden häufig von nicht sichtbarer ZH begleitet – z.B. Vermeidungs- oder Neutralisierungsverhaltensweisen  „mentale Zwangshandlungen“ – wichtig diese von sichtbaren ZH zu unterscheiden:
o ZG: willkürlich auftretenden und nicht steuerbar
o ZH: willkürlich ausgeführt
o In 91% der Fälle treten in Praxis ZG und ZH gemeinsam auf
o 8.5% vorwiegend ZG
o 0.5% vorwiegend ZH

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8
Q

Differentialdiagnostik (7)

A

o Pathologisches Horten (neue Kategorie)
 soll vergeben werden, wenn keine für Zwangsstörung typische ZG (z.B. Angst Gegenstände zu verlieren) Horten motivieren
o GAS
 ZG von depressivem Grübeln (bei Depression: depressive Inhalte wie selbstabwertende Gedanken) und ängstlicher Besorgnis unterscheiden
 Bei GAS haben Sorgen generell stärkeren Realitätsbezug
o Hypochondrie
 Krankheitsängste überlappen mit Kontaminations- und Reinigungszwängen
 Bei Hypochondrie ist Einsicht meist geringer ausgeprägt und keine typischen ZH (Waschen oder Reinigen)
o Körperdysmorphe Störung & Essstörung
 Auf Körper bezogene Kontrollverhaltensweisen
o Dermatillomanie & Trichotillomanie
 Verhaltensweisen folgen subjektivem Drang, aber werden nicht als unangenehm erlebt
o Tic-Störung & Tourette-Syndrom
 Repetitive Verhaltensweisen ohne Intention oder Kontrolle
o Psychotische Störungen
 Kein Maß an Einsicht gegeben
 Gedanken nicht als Produkt des eigenen Geistes angesehen
 Keine ZH ausgeführt
 Halluzinationen und andere für Schizophrenie typischen Symptome (z.B. Gedankeneingebung) gegeben
 Abgrenzung besonders bei berichteten aggressiven Gedanken notwendig

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9
Q

Diagnostische Einstiegsfragen

A

o Leiden Sie unter unangenehmen Gedanken, die Sie nicht loswerden?
o Gibt es bestimmte Handlungen, die Sie immer wieder ausführen oder nicht beenden können?
o Können Sie die Gedanken/Handlungen genauer beschreiben?
o Gibt es etwas, das Sie gegen die Gedanken/Handlungen unternehmen?
o Kommen Ihnen die Gedanken/Handlungen übertrieben oder unsinnig vor?

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10
Q

Einschätzung des Schweregrads – diagnostische Instrumente

A

o Yale-Brown Obsessive-Compulsive Scale (Y-BOCS)
 International gängigstes Instrument
 Fremdbeurteilung mit 2 Teilen
• Exploration mit Checkliste (61 Symptome), welche ZG/ZH vorliegen
• Interview um Schweregrad zu beurteilen (über detaillierten Leitfaden): Zeitaufwand, Beeinträchtigung, Leidensdruck, Widerstand, wahrgenommene Kontrolle, …), 30-60 min
o Obsessive-compulsive Inventory Revised (OCI-R)
 Selbsteinschätzung, inkl. Schweregrad
 18 Fragen zu 6 Symptomdimensionen (Waschen, Kontrollieren, Ordnen, ZG, Horten, mentales Neutralisieren)
 5-10min
o Hamburger Zwangsinventar – Kurzform (HZI-K)
 Selbsteinschätzung
 72 Items in 6 Skalen (Kontrollhandlungen, Reinigung, Ordnung, Zählen/Berühren/Sprechen, gedankliche Rituale, sich oder anderen Leid zufügen)

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11
Q

Epidemiologie und Verlauf: Prävalenz & Geschlecht

A
  • Lebenszeitprävalenz US 2.3%
  • 12-Monatsprävalenz US 1.2% (Ruscio et al., 2010)
  • 12- Monatsprävalenz EU 0.7% (0.1-3.8) (Jacobi et al., 2014)
  • Keine Hinweise auf regionale oder kulturelle Unterschiede in Entwicklung
  • Trotz geringer Prävalenz: Symptome der Zwangsstörung recht verbreitet: ca. 28% in US Umfrage hatten irgendwann im Leben bereits einmal ZG oder ZH

o Keine signifikanten Unterschiede, generell Frauen etwas mehr betroffen

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12
Q

Epidemiologie und Verlauf: ZH&ZG Häufigkeit der Symptome

A
•	66% der Personen mit Lebenszeitdiagnose: Symptome aus 3+ Themenbereichen
o	Häufigkeit ZH Symptome - Prävalenz
	Kontrollieren				79.3%
	Ordnen				57.0%
	Horten 				62.3%
o	Häufigkeit ZG Inhalte
	Moralische 				43.0%
	Sexuelle oder religiöse 		30.2%
	Kontamination 			25.7%
	Verletzungen 				24.2%
	Krankheiten 				14.3%
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13
Q

Störungsbeginn

A

o 19.5 J. und typischerweise vor dem 35. LJ
 Bei 75% Erkrankungsbeginn vor 21. LJ, aber bimodale Verteilung:
• Altersdurchschnitt bei frühem Beginn 11 J. (häufiger männlich + höhere Symptomschwere, komorbide Tic-Störung, hohe Prävalenz Zwangsstörungen bei Verwandten)
• Altersdurchschnitt bei spätem Beginn 23 J.
• Selten: plötzlicher Beginn in Kindheit ausgelöst durch Streptokokken und geprägt von weiteren psychischen und neurologischen Symptomen; Symptome lassen bei Behandlung der Infektion nach; wichtiges Erkennungsmerkmal: Symptome choreatische Bewegungen (Klavierspielen in Luft)
o Beginn schleichend und anschließend chronisch
o Durchschnittliche Erkrankungsdauer 9-10 J.

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14
Q

Komorbidität

A

o Über 90% haben mind. 1 weitere komorbide Störung
 Angststörungen 76%
 Affektive Störungen 63%
 Impulskontrollstörungen 56%
 Alkohol- und Drogenkonsumstör. 39%
 bei 80% beginnt Zwangsstörung später als komorbide Störung

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15
Q

Ätiologie

A

• Multifaktorielle Ursachen und Entstehungsbedingungen
• Genetische Faktoren
o Treten familiär gehäuft auf
o Lebenszeitprävalenz bei Verwandten 1. Grades 10-12%
 5-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko
 Bei Beginn im Kindesalter noch höher 22.7%
o Eineiige Zwillinge mit höheren Konkordanzraten: 0.52 vs. 0.21 zweieiige
o Erblichkeit der Zwangsstörung wird auf 48% geschätzt
o Bisher keine Adoptionsstudien
o Eindeutige einzelne Risikomarker eher unwahrscheinlich, da Störung komplex
o Gen-Assoziationsstudien: Kandidatengene für serotonerge, glutamaterge und dopaminerge Neurotransmission

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16
Q

Neurobiologische Faktoren: frontostriatale Hyperaktivität

A

o Frontostriatale Hyperaktivität
 durch Veränderung in Signalübertragung kortiko-striato-thalamo-kortikaler (CSTC) Schaltkreise
• exzitatorische, meist glutamaterge Projektion aus frontalem (vor allem OFC und anteriorem cingulären ACC Kortex) zu Striatum
• von hier, direkter und indirekter Pfad durch Basalganglien zu Thalamus
• Schließung des Kreises von Thalamus zu frontalem Kortex
 Direkter Pfad: interner Globus pallidus (GPi) und Substantia nigra (SNr) überwiegend durch GABAerge Neurone gehemmt; und verringern so deren hemmende Wirkung auf Thalamus
 Indirekter Pfad: externer Globus pallidus wird gehemmt, was dessen hemmende Wirkung auf Nucleus subthalamicus verringert, als Folge exzitatorische Signale an GPi und SNr, was deren Hemmung auf Thalamus steigert
 Gesund: Balance zwischen direktem und indirektem Pfad, wodurch Thalamus und sein exzitatorischer Einfluss auf den frontalen Kortex reguliert werden
 Bei Zwangsstörung: hemmende Wirkung des direkten Pfades überwiegt, als Folge Thalamus enthemmt und Überaktivität frontaler und striatalier Areale: fronto-striatale Hyperaktivität bei Symptomprovokation, Ausübung exekutiver Kontrolle und im Ruhezustand; Reduktion des Musters bei PT oder pharmakologischer Behandlung

17
Q

Neurobiologische Faktoren: strukturelle Befunde

A

o Strukturelle Befunde
 Reduzierte Volumina des OFC und ACC
 Erhöhte Volumina im Striatum und Thalamus
o Weiterhin unklar
 Wie passen Veränderungen auf heterogen ausgeprägte Symptome der Zwangsstörung  mögliche Rolle OFC, Basalganlien (v.a. Striatum)
 Beschriebene neuronale Veränderungen kausal oder Korrelate der Symptomatik?
 Fokus auf OFC und Striatum Übervereinfachung, auch Hyperaktivität im dorsolateralen Präfrontalkortex und parietalem Kortex
o Milad & Rauch (2012): ACC wichtig für Handlungsüberwachung und Fehlerverarbeitung
 Exzessive Fehlersignale und dysfunktionale Handlungsüberwachung in Zwangsstörung  evtl. Generierung und Aufrechterhaltung von ZG bei repetitivem Überprüfen
o Zwangsstörung nicht mehr unter Angststörungen (siehe DSM-IV) eingegliedert ABER Hinweise auf Überaktivierung der Amygdala bei Verarbeitung von zwangsrelevanten Reizen.  ähnliche Hypervigilanz bei Angststörungen

18
Q

Umwelteinflüsse

A

o Zwillingsstudie: evtl. bis zu 52% Umwelteinflüsse
o Untersuchte Risikofaktoren (oft allg. und nicht spezifisch für Zwangsstörung)
 Komplikationen bei Geburt
 Erhöhtes Alter der Eltern
 Kritische Lebensereignisse
 Schwangerschaft und post-natale Phase mit besonderem Risiko Zwangsstörung zu entwickeln, auch für Väter
 Bestimmte Infektionen (s.o.)
 nur wenige gesicherte Befunde zu Umwelteinflüssen

19
Q

Veränderung der Informationsverarbeitung

A

o typische kognitive Verzerrungen
 Perfektionismus
 Gefahrenüberschätzung
 Überbewertung von Gedanken: übermäßige Bedeutungszuschreibung, Notwendigkeit der Gedankenkontrolle, Verschmelzung von Gedanken und Handlungen (thought-action-fusion)
 Überhöhte Verantwortlichkeit
 Unsicherheitsintoleranz
 Unvollständigkeitsgefühle und nicht-ganz-richtig-Erfahrungen

20
Q

Handlungsüberwachung und ERN

A

o Zentrale Funktion der Handlungsüberwachung: rasches Erkennen von Fehlern und entsprechende Verhaltensanpassung
o Beobachtbar im EEG: ereigniskorreliertes Potential (ERP), das sehr wahrscheinlich frühen Teil dieser Prozesse abbildet
o Error-related negativity (ERN) ist eine negative Auslenkung des ERP und zeigt sich ca. 50-100ms nach Fehler an frontozentralen Elektroden, wahrscheinlich im ACC generiert
o Zwangsstörung: größere Amplitude der ERP als bei gesunden Probanden  ERP als biologischer Marker für exzessive Fehlerverarbeitung bei Zwangsstörung
o Auch nicht-erkrankte Verwandte ersten Grades zeigen größere ERP Amplituden  Endophänotyp?
o ABER ERP Amplitude korreliert NICHT mit Schweregrad der Zwangssymptome
o ERP Amplitude reduziert sich auch nicht nach erfolgreicher Therapie
o Größere ERP Amplitud auch bei Depression und Angststörungen evtl. vorhanden  evtl. symptomunabhängiges Maß und nicht spezifisch für Zwangsstörung, aber mehr Studien nötig

21
Q

Psychodynamische Theorien

A

o V.a. entwickelt zur Erklärung von Zwängen mit aggressiven/sexuellen Inhalten
o Im Zentrum: doppelter Konflikt des Ichs
 Unmoralische Impulse des Es müssen abgewehrt werden
 Besonders strenges Über-Ich bestraft mit Intrusionen
o Dysfunktionale Abwehrmechanismen
 Reaktionsbildung soll Inhalten mit Perfektionismus, Gewissenhaftigkeit etc. entgegenwirken, definierte Rituale Gedanken oder Impulse aufheben
 Stetige Wiederkehr = unzureichende Abwehr
o Interpersonelle Ambivalenz: höhere Verantwortlichkeit und Sorge um Mitmenschen, aber auch stärkere latente Aggression und Misstrauen

22
Q

Ursprung der Inhalte von Zwangsgedanken

A

o Relativ deutlich umgrenzte Themenbereiche in der Zwangsstörung
 Tod, Krankheit, Aggression, Unfälle, Sexualität, Religiosität
 Themen kulturübergreifend konsistent
 Gemeinsamkeit der Themen: Überleben und Reproduktion
 Tendenz zu solchen Gedanken auch in Allgemeinbevölkerung vorhanden  evolutionäre Prägung und Überlebensstrategie in extremer Ausprägung?

23
Q

Kognitiv-behaviorale Theorien (3)

A

o Mowrers Zwei-Prozess-Theorie mit Anpassung von Dollard & Miller (1950)
 Neutraler Stimulus kann Angst auslösen, wenn mehrfach mit unangenehmem Ereignis gepaart
 Nach Konditionierung wird Verhalten angepasst um Angstreaktion zu minimieren bzw. Vermeidungs-/Fluchtverhalten entwickelt
 Zwangsstörung
• CS: Umgebungsreize, bestimmte Gedanken
• Gegenmaßnahme: CS Vermeidung und ritualisiertes Verhalten (ZH)
• Aufrechterhaltung: negative Verstärkung (neg. Emotionen wie Angst oder Unruhe bleiben aus)
 ABER
• Wenig Evidenz für Angsterwerb über assoziative Lernprozesse; viele Pat. können keine spezifische Situation für Störungsbeginn nennen
• Modell erklärt aber Aufrechterhaltung gut
• Modell als Grundlage von VT Interventionen für Zwangsstörung
o Salkovskis & Rachman: erweiterten ursprüngliches Modell um kognitive Bewertungskomponente; heute einflussreichstes Modell
 Intrusionen und aufdringliche Gedanken = normal
 Pat. zeigen Abweichung in Bewertung und Umgang mit Gedanken
 dysfunktionale automatische Überzeugungen werden ausgelöst (z.B. übertriebene Verantwortlichkeit, Selbstanschuldigungen)
 ZG bekommen so katastrophisierende Bedeutung
 neg. Emotionen  werden durch ZH neutralisiert
 kurzfristige Erleichterung aber bestätigt langfristig fehlerhafte Interpretation der Intrusionen
o Foa & Kozak: Evidenzumkehr (ähnelt den dysfunkt. Annahmen) als zentrales Problem der Zwangsstörung
 Denkfehler: alle Situationen gefährlich und unsicher
 Folgen: Vorsichtsmaßnahmen und beständiges Rückversicherungsverhalten

24
Q

Behandlung: KVT

A

o Kombination aus kognitiven Interventionen und Exposition mit Reaktionsverhinderung
o Komponenten der Therapie
 Psychoedukation
• Grundlage für erfolgreiche Behandlung: Pat. möglichst umfassend aufklären über Störung
• Störungsmodell, Zusammenhang ZG & ZH und Prinzip der Aufrechterhaltung vermitteln, inkl. mentale Neutralisierungshandlungen
• Evtl. Protokolle zu Auftreten einsetzen
• Veränderung der initialen Problemsicht erreichen
• Expositionsrational an Prinzip der neg. Verstärkung ableiten
• Evtl. einsetzbare Techniken: Experimente zur Gedankenunterdrückung, Versuch Gedanken real werden zu lassen etc.
 Exposition mit Reaktionsverhinderung
• Kernstück der Behandlung
• Problematische Situationen sammeln, Schwierigkeit jeweils einschätzen lassen, Hierarchie erstellen
• Evtl. für verschiedene Symptombereiche
• Wahl der Situation für Expo: sollte gut herstellbar und kontrollierbar sein
• Ausreichend Zeit einplanen (2-3h)
• Expo
o Pat. wird mit ZG Auslöser konfrontiert
o Keine üblichen Gegenmaßnahmen werden ergriffen (ZH, Neutralisieren, Vermeidung) = Reaktionsverhinderung
o Evtl. ZG zusätzlich bewusst provozieren
o Ziel: gewisse Einsicht, dass Befürchtungen übertrieben
 Bearbeitung dysfunktionaler Bewertungen
• Dysfunktionale bzw. irrationale Bewertungen bearbeiten
• Umgang und Kontrolle eigener Gedanken
• Mit Disputationstechniken und Verhaltensexperimenten hinterfragen
• Verhaltensexperimente als Grenzbereich zw. kognitiver Therapie und Exposition
• Schwierigkeitsgrad variieren (z.B. Therapeut Erkältung vs. Tod wünschen)
• Fähigkeit zur Gedankenkontrolle überprüfen (z.B. nicht an rosa Elefanten denken)
• In Vorbereitung immer Ausmaß der Überzeugung dokumentieren und im Anschluss überprüfen
 Selbstmanagement und Umgang mit Symptomen

25
Q

Behandlung: Medikamentöse Therapie

A

o SSRIs werden eingesetzt und sind Placebos überlegen
o i.d.R. ist eine höhere Dosis als bei Depression/Angst nötig
o evtl. mit Antipsychotika augmentieren, wenn SSRIs keinen oder unzureichenden Effekt (vor allem bei komorbider Tic-Störung der Fall)

26
Q

Wirksamkeit der Therapie

A

o S3-Leitlinie: Wirksamkeit von psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Techniken bei Zwangsstörung nicht gesichert + großer Forschungsbedarf
o Wirksamkeit von Expo mit Reaktionsverhinderung mehrfach belegt
o VT Behandlung gegenüber Placebo oder WLC mit Effektstärken von 1.0-1.5 überlegen
o Follow-up Studien: hohe Stabilität der erreichten Symptomverbesserung (bis zu 5 Jahre untersucht)
o Keine signifikanten Unterschiede zwischen Expo mit Reaktionsverhinderung, kognitiver Therapie und deren Kombination (ABER kT häufig inkl. Verhaltensexperimente)
o Expo mit Reaktionsverhinderung als Therapie erster Wahl
o Zusätzliche kT für Symptomverbesserung, Erleichterung der Expo und reduziertes Therapieabbruchsrisiko
o ABER nicht alle Pat. profitieren
 25-30% brechen Therapie vorzeitig ab
 Therapie-Beender – 80% von ihnen erreichen Symptomreduktion von 40-60%
 Nötig: Methoden zur Motivationsförderung
• Erarbeiten von Veränderungszielen hinsichtlich der Symptomatik
• Entwickeln von Zielen in allgemeinen Lebensbereichen (Beruf, Partnerschaft, Freizeit)
• Antizipation von Besserung (wie würde Leben ohne aussehen?)
• Pro-/Contra-Listen
o Manche Pat. mit stark ausgeprägter Symptomatik sprechen weder auf PT noch Pharmaka an
o Bei Therapieresistenz, Symptomatik > 5 Jahre, Y-BOCS Score >25  bei Studie zu Tiefenhirnstimulation (Einpflanzung bilateraler Elektroden) mitmachen
 Stimuliert Striatum und Nucleus subthalamicus
 Ca. 60% sprechen auf Behandlung an
 Mittlere Symptomreduktion 45%