Beobachtung+nicht-reaktive Erhebungsverfahren Flashcards
Beobachtung als Form der Datenerhebung
direkte Beobachtung menschlicher Handlungen, sprachlicher
Äußerungen, nonverbaler Reaktionen (z.B. Körpersprache,
Bewegungen) oder sozialer Merkmale (z.B. Kleidung, Wohnformen,
Gebräuche)
Abgrenzungskriterien wissenschaftlicher Beobachtung:
• Bezug auf Forschungshypothesen (explorativ oder hypothesenprüfend)
• stärkere Kontrolle und Systematik der Beobachtung
-Stichprobenplan: Auswahl der Beobachtungsorte und –objekte
-Beobachtungsprotokoll: systematische Aufzeichnung bestimmter
beobachteter Merkmale, Verhaltensweisen etc.
Formen der Beobachtung
- teilnehmende versus nicht-teilnehmende Beobachtung
- offene versus verdeckte Beobachtung
- Feldbeobachtung versus Laborbeobachtung
- strukturierte versus unstrukturierte Beobachtung
- Fremdbeobachtung versus Selbstbeobachtung
- teilnehmende versus nicht-teilnehmende Beobachtung
teilnehmende Beobachtung:
• Beobachter ist Teil der sozialen Situation
- aktiv: Beobachter übernimmt definierte Rolle im sozialen Feld
-passiv: Beobachter als Gast in fremder Kultur (häufig z.B. in Ethnologie)
• Probleme:
- Reaktivität (Interaktionserwartungen an den Beobachter)
- Beeinflussung des sozialen Geschehens durch Beobachter
- Gefahr des „going native“ (einseitige Übernahme der Feldperspektive
durch zu starkes Engagement)
-Protokollierung der Beobachtungen schwierig
nicht-teilnehmende Beobachtung:
• Beobachter ist nicht Teil der sozialen Situation
• Vorteile:
-erleichtert die Protokollierung
-bei verdeckt nicht-teilnehmender Beobachtung: Garantie, dass soziales
Geschehen von Beobachtungsvorgang unbeeinflusst
- offene versus verdeckte Beobachtung
offene Beobachtung
• Untersuchungspersonen ist deren Beobachtung bekannt
• Problem: mögliche Reaktivität
verdeckte Beobachtung
• Untersuchungspersonen ist deren Beobachtung nicht bekannt
• Vorteil: keine Reaktivität
• Problem: tendenziell forschungsethische Bedenken und schwierige
Umsetzbarkeit
- Feldbeobachtung versus Laborbeobachtung
Feldbeobachtung
• Beobachtung der Untersuchungsgegenstände in ihrem natürlichen
Umfeld
• realistische Randbedingungen von Verhalten im Rahmen komplexen
sozialen Geschehens
• geringere Reaktivität
• potentiell hohe externe Validität
• Untersuchung längerfristiger Auswirkungen von Veränderungen
möglich
Laborbeobachtung
• Beobachtung der Untersuchungsgegenstände in künstlichem
Umfeld
• weitgehende Kontrolle von Störfaktoren
• gezielte Vorgaben eines Stimulus
• Bildung von Kontrollgruppen und Vergleich mit Experimentalgruppe
ermöglicht Abschätzung der kausalen Wirkung des Stimulus
• potentiell hohe interne Validität
- strukturierte versus unstrukturierte Beobachtung
strukturierte Beobachtung
• Beobachtung erfolgt mit Hilfe eines ausführlichen Beobachtungsschemas
• stark strukturierte Beobachtung: Vercodung des beobachteten
Verhaltens in vorgegebenes Kategorienschema
• teilweise strukturierte Beobachtung: Leitfaden für die Protokollierung
von Verhalten
• Vorteil: Verringerung der Gefahr einer selektiven Wahrnehmung der
Beobachtung
unstrukturierte Beobachtung
• Beobachtung erfolgt weitgehend ohne Vorgaben
• somit Möglichkeit, unvorhergesehene Ereignisse zu registrieren und
zu protokollieren
• aber: Gefahr der selektiven Wahrnehmung
- Fremdbeobachtung versus Selbstbeobachtung
Fremdbeobachtung
• Beobachtung fremder Verhaltensweisen
Selbstbeobachtung (Introspektion)
• Beobachtung des eigenen Verhaltens, der eigenen Gefühle und
Verhaltensmotive
• nicht intersubjektiv nachprüfbar, daher keine Grundlage für
Hypothesenüberprüfung
• aber: Möglichkeit der Hypothesengenerierung
Dokumentation der Beobachtung
- Video
2. handschriftliches Protokoll
Dokumentation der Beobachtung
1. Video
- ideal, da mehrfache Kodierung möglich
* Umsetzung nicht immer einfach
Dokumentation der Beobachtung
2. handschriftliches Protokoll
• möglichst während der Beobachtung erstellen (z.B. ein Beobachter
protokolliert, ein weiterer Beobachter fokussiert Situation)
• nach der Beobachtung erstellte Gedächtnisprotokolle problematisch
• grundsätzlich: hohe Strukturierung der zu protokollierenden
Ereignisse hilfreich, da zeitsparend
Auswertung von Beobachtungen
Stark strukturierte Beobachtung:
Auswertungen mittels quantitativer Analysen möglich
Auswertung von Beobachtungen
teil/schwach strukturierte Beobachtung:
aufwendige Auswertung
Notwendigkeit der (weiteren) Verschriftlichung (Transkription) und
Kategorisierung der Beobachtungsprotokolle, Auswertung mit
qualitativen oder quantitativen Methoden
Vorteile der Beobachtung (im Gegensatz zu Befragungen)
- Beobachtung von tatsächlichem Verhalten
höhere Validität als Informationen zu berichtetem Verhalten - Analyse von Interaktionssequenzen und sozialen Prozessen möglich
in Befragung oft schwer retrospektiv zu erfragen - Information von Personen mit eingeschränktem Verbalisierungsvermögen
(z.B. Kinder) - Offenlegen von unbewusstem Verhalten (z.B. Mutter lobt Kind,
drückt aber durch Körperhaltung Ablehnung aus; double bind)
Probleme der Beobachtung
- Stichprobenziehung (Zugang zum sozialen Feld)
- Verzerrung durch selektive Wahrnehmung
- Fehlinterpretation der beobachteten sozialen Sachverhalte
- verdeckte Beobachtung unter Umständen ethisch fragwürdig
Probleme der Beobachtung
1. Stichprobenziehung (Zugang zum sozialen Feld)
• häufig kleine Stichproben (hohe Unsicherheit bei Verallgemeinerung)
• häufig selektive Stichproben (Stichprobenziehung oft nicht zufällig,
systematische Verzerrung bzgl. Erkenntnisinteresse)
Probleme der Beobachtung
2. Verzerrung durch selektive Wahrnehmung
- Vorwissen wird auf Beobachtung angepasst, Vorurteile beim Forscher
- unbewusster Wunsch, Komplexes zu vereinfachen
Probleme der Beobachtung
3. Fehlinterpretation der beobachteten sozialen Sachverhalte
• Güte der Interpretation von Kenntnis der Situation abhängig
• Ethnografie als Extrembeispiel: Beobachter müssen sich Wissen
über Rollen oftmals vorab aneignen (Jugendbanden, Häftlinge, …)
• bei strukturierter Beobachtung: Zuordnung von Verhalten zu
Kategorie erfordert Verstehen des Verhaltens
• bei unstrukturierter Beobachtung: in Auswertungsphase verschoben,
d.h. weniger Zeitdruck, aber dafür Erinnerung erforderlich
Kombinationsmöglichkeiten Beobachtung
- Kombination von unstrukturierter und strukturierter Beobachtung
- Kombination von Beobachtung und Standardbefragung: Beobachtungen als Teil von Standardbefragungen
Kombination von unstrukturierter und strukturierter Beobachtung
Unstrukturierte Beobachtung zur Bildung geschlossener
Beobachtungsvorgaben
→ Quantifizierung auf Basis strukturierter Beobachtungen
Kombination von Beobachtung und Standardbefragung:
Beobachtungen als Teil von Standardbefragungen
Pretest
• Behavior Coding (schwach strukturiert)
• beobachtet werden Reaktionen bei der Fragebeantwortung
(Nachfrage, Pause, Lachen, …)
Zusatzinformationen durch Interviewer
• z.B. Wohnumfeld in Haupterhebung (stark strukturiert)
• Interviewer trägt Merkmale der Wohnung/des Wohnumfeldes in
vorgegebenes Kategorienschema ein (Villa, Hochhaus)
Reaktivität als Problem
Problem: Messvorgang selbst beeinflusst die Reaktionen der
Untersuchungsobjekte und damit das Messergebnis
Reaktion der Versuchspersonen auf
• Messinstrument (z.B. Halo-Effekt)
• messende Person (z.B. Interviewereffekte)
• Untersuchungssituation
Folge: geringe Validität der Daten (messen nicht das, was sie messen
sollen)
Reaktivität als Problem
Fazit
Existenz der Methodenforschung bzw. Erkenntnis derselben:
reaktive Methoden nicht aufgeben, sondern Reaktivität erkennen,
reduzieren bzw. daraus entstehende Artefakte kompensieren
mögliche Alternative: nicht-reaktive Erhebungsmethoden verwenden
Kennzeichen nicht-reaktiver Erhebungsmethoden
wichtigstes Kennzeichen: Datenerhebung erfolgt ohne Interaktion
zwischen Untersuchungspersonen und Forscher
dadurch: Vermeidung von Erhebungseffekten, z.B. Antwortverzerrung
durch soziale Erwünschtheit, Versuchsleitereffekte