4 Arbeitsvertrag: Gestaltungsfaktoren des Arbeitsverhältnisses Flashcards

1
Q

4.1 Der Arbeitsvertrag, ein privatautonomer Gestaltungsakt?

A
  • theoretisch besteht für ArbG und AN die Möglichkeit zur privatautonomen Gestaltung des Rechtsverhältnisses
  • in der Regel bekommt ein Bewerber aber einen vorgefertigten Arbeitsvertrag vorgelegt, auf den er keinen Einfluss mehr hat
  • Grund: betriebseinheitlich geltende Arbeitsbedingungen im Interesse des ArbG
  • frei ist aus Sicht des AN nur die Entscheidung, in das Arbeitsverhältnis einzutreten
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2
Q

4.1 Gesetzliche, richterrechtliche und kollektivvertragliche Gestaltungsgrenzen:

A
  • zum Schutz des AN ist die Möglichkeit des ArbG, den Arbeitsvertrag nach eigenem Ermessen zu gestalten, in vielen Bereichen durch zwingende gesetzliche Vorschriften eingeschränkt (teilweise beidseitig zwingend, aber meist nur einseitig zwingend, sodass zu Gunsten des AN abgewichen werden darf -> Günstigkeitsprinzip)
  • weiterhin durch Richterrecht, den Tarifvertrag und die Betriebsvereinbarung eingeschränkt, wobei auch diese einseitig zwingend sind
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3
Q

4.1 Verbleibender Gestaltungsspielraum unter AGB-Kontrolle

A
  • zusätzlich besteht ein privatautonomer Gestaltungsspielraum im Bereich des dispositiven (=nachgiebigen) Gesetzesrechts -> gesetzliche Vorschriften, die abweichende vertragliche Bestimmungen zulassen
  • außerdem in Bereichen, in denen keine oder nur lückenhafte gesetzliche Regelungen bestehen -> da der ArbG den Vertrag gestaltet, schützt die richterliche Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen den AN vor unangemessenen Vertragsbedingungen
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4
Q

4.2 Die richterliche Inhaltskontrolle des Arbeitsvertrages

A
  • Betriebseinheitlich vorformulierte Arbeitsbedingungen, die für den Bewerber unverhandelbar sind, sind AGB im Sinne des § 305 BGB -> im Fall eines Rechtsstreits erfolgt eine besondere richterliche Inhaltskontrolle auf Angemessenheit und Transparenz
  • AGB-Recht wird nur unter angemessener Berücksichtigung der im Arbeitsrecht bereits geltenden Besonderheiten angewandt (§ 310 IV 2 BGB)
  • AN sind als Verbraucher i. S. d. § 13 BGB anzusehen
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5
Q

4.2.1 Allgemeine Regeln (§§ 305 ff. BGB)

A
  • Individuelle Vertragsabreden haben Vorrang vor AGB (egal ob mündlich, konkludent oder schriftlich)
  • ArbG kann mündliche Nebenabreden nicht vertraglich für unwirksam erklären, aber das Entstehen einer betrieblichen Übung kann damit verhindert werden
  • Überraschende AGB-Bestimmungen werden nicht Vertragsbestandteil
  • Unklarheitenregel
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6
Q

4.2.1 Unklarheitenregel

A
  • Unklarheitenregel: mehrdeutige Klauseln gehen im Zweifel zu Lasten des ArbG, da er die Vorteile der AGB trägt und somit auch die Nachteile tragen muss -> zwingt den ArbG zu einer klaren Ausdrucksweise und zur Anwendung des Transparenzgebots
  • eine Formulierung ist unklar, wenn bei objektiver Betrachtung mindestens zwei Auslegungsvarianten als vertretbar erscheinen, von denen keiner Vorzug gegeben werden kann
  • -> zunächst die arbeitnehmerfeindliche Auslegungsvariante wählen und prüfen, ob sie gegen ein Klauselverbot der §§ 307 bis 309 BGB verstößt
  • -> Wenn ja, bleibt die Klausel unwirksam
  • -> Wenn nein, ist die AN-freundlichste Variante zu wählen
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7
Q

4.2.2 Gegenstand der richterlichen Inhaltskontrolle

A
  1. besondere Angemessenheitskontrolle: Vereinbarkeit der vertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen mit den ausdrücklichen Klauselverboten des § 309 und dann des § 308 BGB
  2. allgemeine Angemessenheitskontrolle: Auffangtatbestand auf der Grundlage des § 307 I 1 BGB, falls §§ 308 und 309 BGB nicht greifen -> Leitbildfunktion des dispositiven Gesetzesrechts und die Bedeutung der Kardinalpflichten als Maßstab
  3. Kontrolle des Transparenzgebots § 307 I 2 BGB; Vertragsklauseln so unklar/unübersichtlich verfasst, dass für durchschnittlichen AN Gefahr besteht, Tragweite nicht zu erkennen
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8
Q

4.2.3 Schranken der Inhaltskontrolle

A
  • bei der Inhaltskontrolle werden nicht nur Gesetze und Rechtsverordnungen beachtet, sondern auch die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze -> z. B. weicht ein Freiwilligkeitsvorbehalt des ArbG nicht von einer Gesetzesvorschrift ab, aber von dem Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten)
  • deklaratorische Klauseln (solche, die geltende Rechtsvorschriften wiederholen) sind kontrollfrei, aber eine unrichtige oder unvollständige Wiederholung von Rechtsvorschriften verstößt gegen das Transparenzgebot
  • Leistungsbeschreibende Bestimmungen (beschreiben lediglich die gegenseitigen Hauptleistungen) sind kontrollfrei, sofern sie kein Nebenabreden enthalten und hinreichend transparent sind
  • Vorschriften des AGB-Recht finden auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen keine Anwendung (§ 310 IV 1 BGB), da ein Verhandlungsgleichgewicht zwischen ArbG und Gewerkschaft besteht und so davon ausgegangen wird, dass die Interessen der AN angemessen berücksichtigt sind (auch wenn der Tarifvertrag nur auf schuldrechtlicher Grundlage gilt)
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9
Q

4.2.4 Die Rechtsfolgen eines Verstoßes

A
  • die strittige Klausel wird unwirksam; der Arbeitsvertrag bleibt im Übrigen bestehen
  • an die Stelle der unwirksamen Klausel treten die gesetzlichen Vorschriften, wenn es welche gibt. Ansonsten fällt die Klausel einfach weg
  • wenn das Wegfallen zu einem unzumutbaren Ergebnis für den ArbG führen würde, kann sie im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ausgefüllt werden
  • eine gerichtliche Korrektur der unwirksamen Klausel durch Rückführung auf ihren gerade noch zulässigen Inhalt (geltungserhaltende Reduktion) ist unzulässig, weil der ArbG sonst keinen Anreiz hätte, sich von vornherein um angemessene Arbeitsbedingungen zu bemühen
  • Unwirksame Klausel sinnvoll ist teilbar -> der unbedenkliche Teil bleibt wirksam
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10
Q

4.3.1 Entstehung der betrieblichen Übung

A
  • ArbG lässt seiner Belegschaft eine Leistung oder Vergünstigung regelmäßig und gleichförmig zukommen, ohne dazu verpflichtet zu sein (ohne Gesetz oder Vertrag)
  • Unter bestimmten Umständen hat die Belegschaft dann einen Anspruch auf die fortgesetzte Gewährung -> Betriebliche Übung
  • Eine Betriebliche Übung entsteht durch ein konkludentes Angebot des ArbG auf Abschluss einer Vereinbarung über eine auf Dauer gerichtete Zuwendung und die konkludente Annahme durch den AN
  • beruht auf der Erkenntnis, dass in einem Verhalten eine Willenserklärung liegen kann, wenn der AN das Verhalten bei objektiver Betrachtung als eine Willens-erklärung verstehen darf und der ArbG dies hätte erkennen und vermeiden können
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11
Q

4.3.3 Doppelte Schriftformklausel

A
  • Entstehung einer Betrieblichen Übung ist möglich, weil ein Arbeitsvertrag nicht der Schriftform bedarf
  • Einfache Schriftformklausel (Änderungen und Ergänzungen des Arbeitsvertrags bedürfen der Schriftform) kann die Entstehung einer Betrieblichen Übung nicht ausschließen, da diese Klausel jederzeit formlos aufgehoben werden kann (auch stillschweigend und durch schlüssiges Handeln)
  • Doppelte Schriftformklausel (auch die Aufhebung der Schriftformklausel bedarf der Schriftform) kann nicht formlos aufgehoben werden und ist ein geeignetes Mittel, das Entstehen einer Betrieblichen Übung zu verhindern
  • Klausel sollte jedoch wegen des Transparenzgebots eingegrenzt werden: „Hiervon unberührt bleibt der Vorrang individueller Vereinbarungen i. S. v. § 305b BGB“.
  • ArbG sollte zusätzlich auf die Doppelte Schriftformklausel jährlich hinweisen
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12
Q

4.3.4 Beseitigung einer Betrieblichen Übung

A
  • Die Beseitigung einer betrieblichen Übung ist eine Änderung des Arbeitsvertrags und wird nicht durch Schweigen des AN angenommen
  • Betriebliche Übung kann durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden, wenn die neue Regelung bei kollektiver Betrachtung nicht ungünstiger ist als sie bisherige (kollektiver Günstigkeitsvergleich)
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13
Q

4.4 Was ist eine Gesamtzusage?

A
  • Definition: Eine Gesamtzusage ist eine inhaltliche Ergänzung des Arbeitsvertrags, bei der der ArbG der Belegschaft gegenüber in einem kollektiven Akt ausdrücklich erklärt, eine zusätzliche Leistung oder Vergünstigung erbringen zu wollen
  • Erklärung kann mündlich auf einer Betriebsversammlung, schriftlich am „Schwarzen Brett“ oder im Intranet erfolgen
  • Die Gesamtzusage ist ein Angebot des ArbG an alle AN, die es durch konkludentes Verhalten annehmen; dabei muss nicht jeder einzelne AN das Angebot zur Kenntnis nehmen, sondern er muss in der Lage sein, es zur Kenntnis zu nehmen
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14
Q

4.4 Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Betrieblichen Übung?

A

• Unterschied zur Betrieblichen Übung: Es entsteht sofort eine vertragliche Verpflichtung des ArbG im Umfang des Zugesagten (einmalig, befristet o. unbefristet)

Gemeinsamkeiten mit der Betrieblichen Übung:
• Gegenstand der Gesamtzusage: alle Sozial- oder Geldleistungen, die auch aufgrund eines Arbeitsvertrages zugesagt werden können
• Gleichbehandlungsgrundsatz: Wenn eine Gesamtzusage nur einer Gruppe von AN gewährt wird, bedarf es eines sachlichen Grundes
• Eine Beseitigung von vorbehaltlos zugesagten Zuwendungen kann nur durch eine Änderung des Arbeitsvertrags oder eine Änderungskündigung erfolgen

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15
Q

4.3.1. Was ist eine betriebliche Übung? (Bsp.)

A
  • Beispiele: Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, Prämien, Boni, Leistungszulage, Anwendung des Tarifvertrags auf nichtorganisierte AN, Essenszuschuss, Fahrtkostenzuschuss, Reinigung von Dienstkleidung, Personalrabatte…
  • auch dann, wenn die jährliche Sonderzahlung abhängig vom Betriebsergebnis ist
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16
Q

4.3.1. Wo bzw. Wie kann keine Betriebliche Übung entstehen?

A
  • Eine dem AN nachteilige Betriebliche Übung kann nicht entstehen
  • Gestaltung und Leitung eines Betriebes sowie seine innere Ordnung und die Ausübung des Weisungsrechts durch den ArbG kann wegen der Freiheit des Unternehmers nicht durch eine Betriebliche Übung eingeschränkt werden
  • In Behörden gibt es keine Betrieblichen Übungen, da Leistungen oder Vergünstigungen immer einer Rechtsgrundlage bedürfen
17
Q

4.3.1 Neu in den Betrieb eintretende AN und Betriebliche Übung

A

o haben wegen des Gleichbehandlungsgrundsatz Anrecht auf die Betriebliche Übung,
o außer alle Neulinge werden nach ihren Arbeitsverträgen von der Sonderleistung ausgenommen, denn dann hat das Prinzip der Vertragsfreiheit Vorrang
o damit kann aber eine Veränderung des Vergütungssystems einhergehen, sodass der Betriebsrat ein Mitspracherecht hat

18
Q

4.3.1 Verhinderung einer Betrieblichen Übung:

A
  • Verpflichtung zur Leistung, aber von vornherein mit Widerrufsvorbehalt -> es kann keine Betriebliche Übung entstehen, weil schon eine Leistungsverpflichtung besteht
  • Die Leistung von Anfang an unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt stellen
  • Doppelte Schriftformklausel
19
Q

4.3.1 Eigenschaften der Betrieblichen Übung

A
  • Betriebliche Übung ist gesetzlich nicht geregelt, sondern durch die Rechtsprechung entstanden, um das Vertrauen des AN in die Beständigkeit zu schützen
  • Die Betriebliche Übung kann jede Leistung oder Vergünstigung des ArbG erfassen, die auch arbeitsvertraglich geregelt werden könnte (vorwiegend Geldzahlungen)
  • Je größer das finanzielle Gewicht einer wiederholten Zuwendung, desto eher wird sie zu einer Betrieblichen Übung (bezahlte Arbeitsbefreiung zu einem besonderen Sportereignis wird kaum zu einer Betrieblichen Übung)
  • Kein definierter Zeitraum der Wiederholung, sondern hängt vom Einzelfall ab, insbesondere von der Art der Zuwendung und ihrer Häufigkeit; bei Weihnachtsgeld bspw. nach drei Jahren
  • Der ArbG kann die Betriebliche Übung nicht wegen Inhaltsirrtums anfechten
  • Gleichbehandlungsgrundsatz: Wenn eine Betriebliche Übung nur einer Gruppe von AN gewährt wird, bedarf es eines sachlichen Grundes
  • Wenn ein nicht tarifgebundener ArbG die Löhne mehrmals an den jeweils neuen Tarifvertrag angepasst hat, muss er trotzdem in der Zukunft keine Anpassung mehr vornehmen; er ist lediglich zu Fortzahlung der letzten freiwilligen Erhöhung verpflichtet
20
Q

4.3.2 Warum wird ein Freiwilligkeitsvorbehalt zunehmend kritisch gesehen?

A

• Freiwilligkeitsvorbehalt wird zunehmend kritisch gesehen, seit für den Arbeitsvertrag das AGB-Recht gilt -> Verstoß gegen das Transparenzgebot oder die Gebote von Treu und Glauben, insbesondere ein im Arbeitsvertrag vorsorglich enthaltener pauschaler Freiwilligkeitsvorbehalt stößt auf Bedenken

21
Q

4.3.2 Was muss für die Gültigkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts gelten?

A

o muss der ArbG den Freiwilligkeitsvorbehalt unmissverständlich formulieren: „Diese Leistung erfolgt freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Ein Anspruch für die Zukunft wird hierdurch nicht begründet.“
o sollte der ArbG wegen des Transparenzgebots den Freiwilligkeitsvorbehalt immer wieder mit der konkreten Zuwendung zu verbinden

22
Q

4.3.2 Was kann nicht unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden?

A

Ein laufendes Arbeitsentgelt (z. B. eine monatliche Leistungszulage), da eine monatliche Festlegung der Vergütung durch den ArbG von § 611 BGB abweicht, wenn sie eine unmittelbare Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung ist

23
Q

4.3.2 Was kann unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden?

A

o Wenn die Zuwendung nicht als unmittelbare Gegenleistung, sondern als zusätzlich zum Arbeitsentgelt erbrachte Leistung oder Vergünstigung gilt, z.B. alle Zuwendungen des ArbG für den Ersatz von Aufwendungen des AN wie Fahrtkosten- oder Essenszuschüsse, Reinigung von Dienstkleidung
o jährliche Sondervergütungen, die der ArbG ohne besondere leistungsbezogene Absprache zahlt