10. Chiliastische (tausendjährigen) Bewegungen und Rebellionen in der späten Kaiserzeit (18.-19. Jh.) Flashcards

1
Q
  1. Grundbegriffe: Sekte, Geheimgesellschaft, Bewegung
A
  • Sekte: „Abspaltung“ (lat. secta) von einer Hauptströmung. Kein wertneutraler Begriff, impliziert lt. Max Weber die Illegitimität einer voluntaristischen Gemeinschaft im Verhältnis zur offiziellen Anstalt (bspw. Kirche).
  • Geheimgesellschaft: Bund mit konspirativem Hintergrund aber auch Sammelbecken von unterschiedlichen Personengruppen mit gemeinsamen Interessen. Charakteristisch ist die gemeinsame Bemühung, ihre Existenz, Aktivität und innere Organisation geheim zu halten.
  • Bewegung: Ein eher politisch orientiertes, gemeinsames Bestreben lose organisierter Individuen oder Gruppen.

Emische chinesische Begriffe:
Entsprechende (emische) chinesische Begriffe scheinen in diesem Kontext weniger spezifisch und werden oft austauschbar verwendet:
- she 社 „Gesellschaft“
- hui 会 „Gemeinschaft“
- jiao 教 „Lehre“
Gemeint sind hier in der Regel (auch illegale) politisch und religiös motivierte Zusammenschlüsse, die von der Regierung ggf. als (potentiell) subversive Organisationen betrachtet werden. U.a. aufgrund entsprechender historischer Erfahrungen werden solche Zusammen-schlüsse als Bedrohung des gesell-schaftlichen Friedens wahrgenommen.

Außerdem kann damit auch der Wunsch nach einer neuen chiliastischen („tausendjährigen“) Herrschaftsordnung verbunden sein, welche die bestehende Herrschaftsordnung ablösen soll.

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2
Q
  1. „Weiße-Lotos-Gesellschaft“
A
  • im frühen 12. Jahrhundert im Südosten Chinas gegründet
  • überregional verbreitet vor allem unter den ärmeren Bevölkerungsschichten
  • Verehrung des künftigen Buddha Maitreya in Erwartung des Untergangs der
    bestehenden Ordnung
  • Lebensführung bestimmt durch
    (1) strenge Diätregeln (bspw. vegetarische Ernährung) (2) sexuelle Enthaltsamkeit
    (3) gemeinsame Sutrenrezitation u.ä. Aktivitäten.
    Die Anhänger der Weiße-Lotus-Gesellschaft galten als potentiell subversiv, da sie sich bisweilen u.a. weigerten, Steuern zu zahlen oder sonstigen Pflichten nachzukommen, sich auch den Weisungen der Lokalverwaltungen (teils gewaltsam) widersetzten.
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3
Q
  1. „Himmel-und-Erde-Gesellschaft“
A
  • in den frühen 1760er Jahren in Südchina gegründet
  • urspr. illegaler Zusammenschluss von Ming-Loyalisten
  • leistet Widerstand gegen die Qing-Dynastie (1644-1911)
  • bildet überregionale Solidar-gemeinschaften mit gegenseitiger Verpflichtung zur Fürsorge (u.a. abgesichert durch Gelübde, Blutsbruderschaft und -schwüre)
  • vertritt religiöse Vorstellungen von der endzeitlichen Verfassung der Welt,
    Dämonenglaube (u.a. Dämonisierung der Qing bzw. der mandschurischen
    Herrschaftselite)
  • finanziert sich u.a. durch kriminelle Bandenaktivität (gangsterism)

Bei der „Weiße-Lotus-Gesellschaft“ und der „Himmel-und-Erde-Gesellschaft“ handelt es sich also
- nicht um Geheimgesellschaften im strengen Wortsinn,
- nicht um religiöse Sekten
- nicht um politisch motivierte Bewegungen.

sie stehen oft konspirativ in Opposition zur Herrschaftselite und Verwaltung, sie können sich zu militanten und umfangreichen Bewegungen entwickeln, die zeitweise eigene Herrschaftsmacht und staatsähnliche Organisationsformen entwickeln.

Sie beruhen oft auch auf einer Verknüpfung von solidargemeinschaftlichen (sozialen) Interessen mit krimineller Bandenaktivität (gangsterism, „Triaden“), die ihre ökonomischen Grundlagen (Schutzgelderpressung, Spenden, Handel, usw.) absichert.
Dies wird durch Blutschwüre, politische Loyalitätsverpflichtung zu früheren Dynastien und religiösen Endzeit-vorstellungen ideologisch gefestigt; ihre Aktivitäten werden entsprechend legitimiert.
Ihre religiösen Praktiken können charakterisiert werden als:
- demonic messianic – Fokus auf Ritualmagie
- sectarian messianic – Fokus auf rechte Lebensführung

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4
Q
  1. Die Taiping-Rebellion (1851–1864)
A

Die Taiping-Rebellion wurde initiiert und angeführt von Hong Xiuquan 洪秀全 (1814–1864). Hong gründete ein sog. „Himmlisches Reich des Großen Friedens“, inspiriert u.a. durch einen christlichen Missionar. Dessen Schrift verknüpft u.a. zentrale christliche Doxa (bspw. Allmacht Gottes) mit dem konfuzianischen Gesellschaftsideal der „Großen Einheit“

Historische Entwicklung des „Himmlischen Reichs des Großen Friedens (Taiping Tianguo 太 平天国):
1851 erfolgt die Gründung des „Himmlischen Reiches des großen Friedens“, zunächst eine Enklave im Süden (Provinz Guangxi). Hierbei handelt es sich formal um eine Rebellenorganisation, die eigene staatliche Strukturen ausgebildet und ein eigenes Herrschaftsterritorium erobert hat. Das von den Taiping kontrollierte Gebiet wächst kontinuierlich durch fortwährende Rebellion und Zulauf u.a. von Seiten
- der verarmten Land- und Stadtbevölkerung
- der Angehörigen ethnischer Minoritäten (Hakka, Miao, Yao)
- von Banden, Deserteuren, Piraten, Anti-Qing-Partisanen, usw.
- von religiös fanatisierten Laien (v.a. christlich, daoistisch, buddhistisch geprägt)
In Folge der Expansion hinsichtlich der Zahl der Anhänger und der eroberten Gebiete wird eine eigene Miliz gegründet.
Damit wächst auch deren Schlagkraft obwohl vor allem primitive Waffen zum Einsatz kommen:
- kaum Artillerie
- vielmehr Handfeuer- sowie primitive Hieb- und Stichwaffen.
Abb.: Kontrolliertes Gebiet (rot) im Jahr 1854 und Ursprungsregion (gestreift) der Taiping.
In der Folge entsteht eine Organisation von Verbänden mit der Fähigkeit einer schlagkräftigen und religiös fanatisierten Invasionsarmee. Sie umfasst auch kämpfende Frauenverbände. Die Taiping sind wegen ihres grausamen Vorgehens gefürchtet, zumal sich ihnen gegenüber die Armee- und Polizeieinheiten der Regierung oft als unterlegen oder wirkungslos erweisen.

Niedergang der Taiping:
1853 zieht sich Hong aus den Regierungsgeschäften zurück, widmet sich der Meditation, der Körperpflege, und seinem Harem. Zu dieser Zeit setzt der Niedergang der Taiping bereits ein.
Nach 1856 kommt es zu Gebietsverlusten.
- Juni 1864: Hong stirbt
- Juli 1864: Eroberung der Taiping-Hauptstadt durch die Armee der Regierung.
- Geflohene Taiping-Rebellen bilden neue Bündnisse, weshalb einzelne Aufstände lokal bis in die 1870er Jahre anhalten.
Insgesamt kostet die Taiping-Rebellion und ihre Niederschlagung über 20 Mio. Menschenleben.
Im gleichen Zeitraum fanden im direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Taiping weitere Rebellionen und Erhebungen statt, deren Ursachen und gesellschaftliche Voraussetzungen komplex sind: Naturkatastrophen, Niedergang der dynastischen Herrschaftsgewalt nach den beiden Opiumkriegen (1839–42, 1856–60), zunehmendes Banditentum, wachsendes Konfliktpotenzial u.a. gespeist aus der politischen und ökonomischen Situation ethnischer und religiöser Minderheiten, politisch-ökonomische und religiöse Maßnahmen der europäischen Kolonialmächte, usw.

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