Vl 10: Mutismus Flashcards

1
Q

Beschreibe das klinische Bild

A

> Anfänge= Kussmaul -> Aphasia voluntaria
«Schweigen»: an falscher Stelle und zu lange
«Unfähigkeit, in bestimmten Situationen zu sprechen, obwohl die Kinder die Fähigkeit zu sprechen besitzen»
Schweigen in manchen Situationen (z.B. Schule, KiTa), gelöstes Erzählen in anderen (Zuhause) oder Verständigung mittels Gestik, Mimik, schriftlich
Bis hin zum «totalen Mutismus»: sämtliche phonische Leistungen fehlen, auch bei Schmerzen, Weinen und Husten
Zusammenhang mit Angst, Hilflosigkeit, Trotz und Opposition, Macht und Kontrolle -> «Ich kann nicht, ich muss nicht, ich will nicht!»

How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
2
Q

Welches sind die typischen mutistischen Situationen?

A
  • Schule 88%
  • Fremde 88%
  • Kinder generell 42%
  • spezielle Kinder 33%
  • Familie 12%
How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
3
Q

Schweigen in Abhängigkeit von…

A
  • Personen
  • Räumlichkeiten
  • Inhalten
  • Sprechleistungsanforderungen
  • Länge der Äusserung
  • Grad der Exponiertet, sozialem Druck
How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
4
Q

Welche Formen gibt es?

A
  • Elektiver Mutismus (ICD-10; Form von Schweigen, dass man sich aussucht)
  • Selektiver Mutismus ( Angststörung (Extremform von sozialer Phobie), DSM-V; keine Bindungsstörung mehr) -> es wird nicht absichtlich gemacht, kein oppositionelles Verhalten
How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
5
Q

Beschreibe die Klassifikation nach ICD und DSM

A

> Gemeinsam:
- Andauernde Unfähigkeit, in bestimmten Situationen zu sprechen (in denen das Sprechen erwartet wird, z.B. in der Schule), wobei in anderen Situationen das Sprechen möglich ist.
- Die Störung beruht nicht auf fehlenden Kenntnissen der gesprochenen Sprache, die in der sozialen Situation benötigt wird
ICD:
- Die Störung dauert länger als einen Monat
- Sprachausdruck und Sprachverständnis, beurteilt in einem eindividuell angewandtem standardisierten Test, liegen innerhalb von 2 Standardabweichungen entsprechend dem Alter des Kindes
- Ausschlusskriterien: tiefgreifende ES
DSM
- Die Störung dauert mindestens einen Monat (und ist nicht auf den ersten Monat nach Schulbeginn beschränkt)
- Störung behindert die schulischen Leistungen oder die soziale Kommunikation
- Ausschlusskriterien: Tiefgreifende ES, Schizophrenie, Kommunikationsstörung (bsp Stottern)

How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
6
Q

Welche Subtypen gibt es?

A
> Einteilung nach Ätiologie
− Mutismus nach Psychose
− Mutismus nach Hirnschädigung
− Mutismus nach psychogener Störung
> Einteilung nach Auftrittsalter
− Frühmutismus (ab 3;4-4;1 Jahre)
− Spät-/Schulmutismus (ab 5;5 Jahre)
> Therapeutische Einteilung
− Symbiotischer Mutismus
− Sprechangstmutismus
− Reaktiver Mutismus
− Passiv-aggressiver Mutismus
How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
7
Q

Beschreibe die Diagnostik

A

> Schwierig, da die Kinder Zuhause normal sprechen, evtl. Videoaufnahmen
Psychopathologischer Befund: Ausschluss einer psychotischen Episode, Stupor,…
Medizinische Untersuchung: HNO-ärztliche Untersuchung = Ausschluss periphere oder zentralbedingte Hörstörung
Neurologische Untersuchung: Motorische Entwicklungsverzögerungen und Ausschluss einer neurodegenerativen Erkrankung
Exploration der Eltern:
- Beginn, Dauer, Ausmass, sozialer Kontext und Verlauf des mutistischen Verhaltens
- Entwicklungsverlauf, früher Verhaltens-/Kontaktprobleme, Trennungsängste
- Kommunikative Hilfsmittel des Kindes (z.B. Benutzen von Sprachrohren)
- Reaktion auf das mutistische Verhalten
- Kritische Lebensereignisse (müssen nicht zwingend die Auslöser sein)
Exploration des Kindes:
- Ggf. schriftlich, nonverbal (Kind nicht aussen vor lassen, auch wenn es in der Anamnese nicht spricht)
- Verhaltensbeobachtung: Körpergeräusche, Gesten, Hinweisverhaltensweisen
- Wann spricht es?
- Nutzen durch das mutistische Verhalten (System hat eine wichtige Funktion für die Aufrechterhaltung)
Familienanamnese:
- Eigene Ängste, Sprech-/Sprachstörungen, mutistische VerhaltensweisenFremdsprachigkeit/ Dialekt, soziale Isolation
Sprachfreie Intelligenzdiagnostik
Logopädische Diagnostik: Ausschluss einer rezeptiven oder expressiven Sprachentwicklungsstörung, Unkenntnis der Sprache (kann Komorbid vorliegen, darf aber nicht die Ursache sein)
Fremdanamnese mit Erziehern/Lehrern
Fragebogen- und Interviewdiagnostik
Erstellung einer Hierarchie von Situationen, in denen das Kind nicht spricht

How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
8
Q

Beschreibe die Differentialdiagnostik

A

− Schüchternheit und Sprechangst (Zeitkriterium: Schüchternheit vergeht, wenn die Situation gewohnter wird)
− Autismus (Situationsabhängigkeit)
− Sozialer Phobie (Alter, Angst sich zu blamieren, betrifft v.a. fremde Personen)

How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
9
Q

Beschreibe die Epidemiologie und die frühen Anzeichen

A

> Prävalenz: 0,1-0,7% der Kinder
Mädchen häufiger betroffen als Jungen (1,6-2,6:1)
Beginn meist zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr, oft Manifestation im Schulalter
Durchschnittliche Störungsdauer
− bei Mädchen: 5;6 Jahre
− bei Jungen: 4;0 Jahre (evtl. wegen früherer Behandlung)
Frühe Anzeichen:
− Kontaktscheue, Rückzugs-und Vermeidungsverhalten
− Sprechverweigerung
− Instabilität des verbalen Ausdrucks (wechselnd reden, schweigen, flüstern)
− häufig: Sprachentwicklungsstörung in der Vorgeschichte

How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
10
Q

Beschreibe den Verlauf

A

> Im weiteren Verlauf in Belastungssituationen:
− immer kürzere Äusserungen
− immer öfter gar keine Antwort
− Redeflussstockungen
− mimische Verarmung («Erstarren»)
− monotone Sprechweise
− Flüsterphase
Soziale Isolation =Hilflosigkeit, Unverständnis, Ablehnung, Wut beim Gegenüber
Verzögerungen in der kognitiven und sozialen Entwicklung
Selbstunsicherheit

How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
11
Q

Beschreibe die Komorbiditäten und Prognosen

A

> Komorbiditäten
− soziale Ängstlichkeit/soziale Phobien (bis zu 70%)
− Sprech-und Sprachstörungen (bis zu 40%)
− Störung des Sozialverhaltens, oppositionelles Verhalten
− depressive Symptomatik
− Regulationsstörungen
− rückzügliches Verhalten
− Zwangsstörungen
− bei 50% pathologisches EEG und neurologische Auffälligkeiten
Prognose:
− vollständige Remission bei ca. 39-50%
− Aber: später noch Kommunikationsprobleme, weniger gute Schul-/Arbeitsleistungen, mehr psychische Probleme

How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
12
Q

Beschreibe die Erklärungsansätze nach Theorien (3)

A

> Psychoanalytischer Ansatz:
− Schweigen als Ausdruck intrapsychischer Konflikte, Trauma, Famlienzusammenhalt
Systemischer Ansatz:
− Schweigen als Ausdruck einer dysfunktionalen Mutter-Kind-Beziehung, Abhängigkeit, enge Bindung zur Mutter, Misstrauen gg. Umwelt, Angst vor Fremden, eheliche Disharmonie, Elternteil =extreme Scheu, mutistisch
BehavioralerAnsatz
− Operante Konditionierung: zu Beginn wird auf Schweigen mit Zuwendung und reduzierten Anforderungen reagiert

How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
13
Q

Beschreibe die Biologische Prädisposition: Gene und Temperament

A
> Bei 2/3: Elternteil mutistische Züge oder mutistisch
> Temperament:
− «Behavioral inhibition» =
Tendenz, ängstlich und
vermeidend auf neue und
unbekannte Personen,
Situationen und Objekte zu
reagieren
− Oppositionelles Verhalten
How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
14
Q

Beschreibe die Umweltfaktoren

A
> Ängstliche, kontrollierende und
überprotektive Eltern,
Trennungsproblematik
> Sprachliches Überforderungsverhalten:
kognitiv, kommunikativ
und sozial anspruchsvoll, aber Kind hat unzureichende Ressourcen, Mangel an innerer Repräsentation von Dialogregeln
>  Studienergebnisse: Verzögerung in der Sprachentwicklung, schlechtere
Peer-Beziehungen, sozial
inkompetenter, v.a. in der Schule
>  Migration und Bilingualität:
Stressbedingung – 2 Leben =
erhöhtes Angstlevel, «Schutzraum»
> Negative innerfamiliäre
Lernerfahrungen: fehlende
Anregung und Modellwirkung,
Schweigeverhalten als
Durchsetzungsstrategie bzw.
Konfliktlösung, soziale Isolation
> Negative ausserfamiliäre
Lernerfahrungen: einschüchternde
Kommunikation Lehrer, keine
angemessenen
Sprachlernbedingungen,
Machtinstrument
How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
15
Q

Beschreibe die Entwicklungsverzögerungen und
Defizite in der neuronalen
Entwicklung

A
> Sprach- und Sprechprobleme,
Diagnosekriterien häufiger erfüllt (=
umschriebene Entwicklungsstörungen)
> Allg. Entwicklungsverzögerungen,
z.B. Motorik, prä-/perinatale
Probleme
> Neurologische Auffälligkeiten:
Abnorme Wahrnehmung der eigenen Stimme und reduzierte Hörreflexe
How well did you know this?
1
Not at all
2
3
4
5
Perfectly
16
Q

Beschreibe die Interventionsansätze

A

> Hauptziel: Weg aus dem Schweigen, zusätzlich: Selbstvertrauen, Sprachstörung, Familienkommunikation, Komorbide Probleme
Behandlungsbeginn möglichst früh!
Therapiebeziehung: «als ob immer gesprochen»
- Keine Angst vor dem Schweigen, Veränderungen erfahrbar machen
- Vertrauensvolle Therapiebeziehung, jedoch auch fordernd
- Zunächst auch nichtsprachliche Kommunikation zulassen, nonverbale mimisch-gestische Kompensationsstrategien jedoch im Verlauf abbauen
- Dosiert loben (emotional nicht überrollen)
Eltern und Familientherapie:
- Schuldgefühle, Versagensängste, Enttäuschung
- Mögliche Konditionierung aufdecken und beheben (kein «Sprachrohr»)

17
Q

Beschreibe die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Elemente

A
  • Psychoedukation
  • Kontingenzmanagement
  • Stimulus-Fading
  • Shaping
  • Modelllernen
  • Systematische Desensibilisierung
  • Graduierte Exposition
18
Q

Welche Wege aus dem Schweigen gibt es?

A

− Selbsterzeugte interessante Geräusche (z.B. Musikinstrumente)
− Musikalischen-rhythmischen Dialog
− Einbezug von vertrauten Freunden
− Ablenkung von der Hauptentscheidung
− Schattensprechen =Stimme
des Kindes durch andere Geräusche kaschieren
− Zugzwang =Sätze vervollständigen lassen

19
Q

Beschreibe den kognitiv-behavioralen Ansatz von Brack

A

− Shaping/sukzessive Approximation: Verstärkung für kooperatives Verhalten (z.B. Blickkontakt)
− Imitationstraining: erst grob-und feinmotorische Bewegungen imitieren, dann Mundmotorik, später Lautbildung, Nachahmen von Phonemen, Silben, Wörtern und Sätzen
− Fading (Reizüberblendung): In Situationen, in denen Kind gut spricht, Elemente von Situationen eingeblendet, in denen Kind nicht spricht (z.B. Türe offen)
− Erziehungsverhalten der Eltern
− Audiofeedforward: Szenen auf CD/Audio vorspielen, die suggerieren, das Kind bereits in Situationen spricht, in denen eigentlich mutistisch
− Eingangsgespräch: Angst vor Sprechen respektieren, Abmachung bzgl. kleinen Schritten, Trennung von Sprechvermittlerperson, «safeplace»
− Aufbau eines kommunikativen Verhaltens: erst nonverbal, «Turn-taking»-Regeln, z.B. mittels Puppen
− Aufbau der verbalen Kommunikation: selbsterzeugte Geräusche/Lärm, Hierarchie bearbeiten, Externalisierung, Schattensprechen undschrittweisegemeinsames Vorlesen