Übungsfälle Teil 1 Flashcards
Architektin A plant für Bauherrin B ein Fabrikgebäude und beabsichtigt, Rohbauleistungen zu vergeben. Sie schreibt die beiden Hochbaufirmen H und T an, überreicht dabei jeweils den Entwurf von Vertragsbedingungen und ein Leistungsverzeichnis mit dem Hinweis, dass für die Arbeiten ein Budget von 4,8 Mio. € zur Verfügung stehe. Die Firma H bedankt sich für das Angebot und schreibt der überraschten A, dass das Angebot angenommen werde. A möchte dagegen den Auftrag an T vergeben, die ein Angebot über 4,6 Mio. € eingereicht haben.
Muss der Vertrag mit H durchgeführt werden?
- Ein Vertrag setzt zwei korrespondierende Willenserklärungen voraus, Angebot und Annahme (§§ 145 ff. BGB)
- Das Angebot muss den Vertragsschluss so antragen, dass der andere Teil nur noch „ja“ sagen muss, also alle wesentlichen Vertragsinhalte aufweisen
- Hier fehlt es dem Schreiben der A jedoch am objektiven Rechtsbindungswillen. Es ist für den Empfänger ersichtlich, dass A lediglich zur Abgabe eines eigenen Angebots durch die Bauunternehmen auffordern möchte (sog. invitatio ad offerendum)
- Es liegen somit zwei Angebote der Bauunternehmen H und T vor. A kann (mit B) frei entscheiden, welches Angebot sie annimmt
Die Stadt Gotham schreibt als öffentliche Bauherrin Straßenbauarbeiten nach der VOB/A aus. In den Vergabeunterlagen ist eine Ausführung der Arbeiten von April bis Juli 2018 vorgesehen. Das Tiefbauunternehmen T unterbreitet das wirtschaftlichste Angebot. Die Stadt sendet T daraufhin ein Zuschlagsschreiben, in dem sie ergänzend ausführt:
„Bitte bestätigen Sie den angepassten Ausführungszeitraum von Mai bis August 2018.“
Eine Bestätigung durch T erfolgt nicht. In der ersten Bauvorbesprechung verlangt T stattdessen Mehrkosten wegen des verschobenen Leistungszeitraums. Die Stadt wendet ein, es sei gar kein Vertrag zu Stande gekommen, da T die geänderten Fristen nicht akzeptiert habe.
Mit Recht?
- Der Zuschlag ist die Annahme eines Angebots. Die Annahme setzt voraus, dass das Angebot so wie unterbreitet bestätigt wird.
- Eine Annahme mit Änderungen ist in Wahrheit die Ablehnung des unterbreiteten Angebots mit Unterbreitung eines geänderten Gegenangebots (§ 150 Abs. 2 BGB).
- Das Gegenangebot hat T seinerseits nicht angenommen, da Mehrkosten angemeldet wurden. Es ist kein Vertrag zu Stande gekommen.
- Das Verbot von Nachverhandlungen aus § 15 VOB/A ist zivilrechtlich irrelevant
Bauherrin B beabsichtigt eine Erweiterung ihres Unternehmenssitzes. Als Architektin A davon erfährt, nimmt sie Kontakt zu B auf und legt ihr erste Vorentwurfszeichnungen vor. B und A diskutieren mehrere Varianten und A setzt verschiedene Möglichkeiten zeichnerisch um, die sie nach Rückmeldung von B nochmals anpasst. Im Zuge der Corona-Pandemie wird B wegen der wirtschaftlichen Perspektive unsicher und verzichtet vorerst lieber auf den Erweiterungsbau. A sendet B daraufhin eine Rechnung über bislang erbrachte Planungsleistungen auf Grundlage der Honorarparameter der HOAI.
Muss B zahlen?
- Ein Vertrag kann auch durch schlüssiges Handeln geschlossen werden. Es bedarf weder der Schriftform noch ausdrücklicher Erklärungen.
- Allein das Tätigwerden als Architektin begründet noch keinen Vertrag und auch keine Vermutung für einen Vertragsschluss. Aus § 632 Abs. 1 BGB folgt keine gesetzliche Vermutung für den Vertragsschluss, nur für die Vergütung. Die §§ 650p, 650r BGB verlagern den Vertragsschluss nicht nach vorne.
- Es muss nach objektiver Betrachtung ein Rechtsbindungswille beider Parteien vorgelegen haben. Maßgeblich sind der erwartbare Umfang von kostenlosen Akquiseleistungen sowie das konkrete Verhalten der Parteien im Einzelfall.
Bauherrin B hat im Bauvertrag mit dem Bauunternehmen H die VOB/B zu Grunde gelegt und abweichend von § 12 VOB/B die förmliche Abnahme vereinbart. Nachdem diese erfolgt ist, rechnet H mit der Schlussrechnung 100.000 € ab. B zahlt nach ihrer Prüfung lediglich 60.000 € an H und weist dabei darauf hin, dass nach § 16 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 5 VOB/B Nachforderungen ausgeschlossen seien.
Erst 6 Monate später macht H die fehlenden 40.000 € gerichtlich geltend. B beruft sich darauf, dass weitere Forderungen ausgeschlossen seien, da H die Schlusszahlung vorbehaltlos angenommen und nicht innerhalb von 28 Tagen einen Vorbehalt erklärt habe (§ 16 Abs. 3 Nr. 5 VOB/B).
Zu Recht?
- Die Vorschriften der VOB/B sind Allgemeine Geschäftsbedingungen.
- Wird die VOB/B nicht unverändert und im Ganzen vereinbart, unterfällt sie der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Es kommt nicht darauf an, ob die Abweichung mit dem konkreten Fall zusammenhängt. Die abweichende Regelung zur Abnahme führt zur Kontrolle der gesamten VOB/B.
- Der Ausschluss von Nachforderungen nach (nur) 28 Tagen benachteiligt den Auftragnehmer unbillig und weicht zudem vom gesetzlichen Leitbild (Verjährung nach 3 Jahren) unzulässig ab. Die Regelung aus § 16 Abs. 3 VOB/B ist daher unwirksam. Der Vergütungsanspruch besteht fort.
Studentin S erbt das baufällige Haus ihrer Tante mit großem Grundstück in einem attraktiven Vorort von München. Um dort selbst den Neubau eines Hauses finanzieren zu können, teilt S das Grundstück und verkauft eine Hälfte für 500.000 € an die Anwältin A. Damit die beiden Häuser anschließend nach dem von S präferierten Bauhausstil aufeinander abgestimmt sind, vereinbart S mit A im Kaufvertrag, dass A die auch bereits von S selbst beauftragte Bauhaus-Architektin B mit der Realisierung des Hauses beauftragen muss.
Nach einem ersten Gespräch zwischen A und B sagen A deren Ideen nicht zu. A beauftragt daher stattdessen das für seine Häuser im Landhausstil berühmte Architekturkollektiv Sven aus Schweden.
Kann S Schadensersatzansprüche gegen A geltend machen?
- Nach § 2 des Ingenieur- und Architektenleistungsgesetzes (IngALG) ist eine Vereinbarung, durch die der Erwerber eines Grundstücks sich im Zusammenhang mit dem Erwerb verpflichtet, bei der Planung oder Ausführung eines Bauwerks auf dem Grundstück die Leistungen eines bestimmten Ingenieurs oder Architekten in Anspruch zu nehmen, unwirksam.
- Die Wirksamkeit des auf den Erwerb des Grundstücks gerichteten Vertrages bleibt hierdurch unberührt.
- A kann daher den Architekten frei wählen. S stehen keine Ansprüche gegen A wegen Vertragsverletzung zu.
Das Sanitärunternehmen S bietet Bauträgerin B für deren neues Mehrfamilienhaus die Ausführung der Gewerke Heizung, Lüftung und Sanitär für 130.000 € brutto an. B hat jedoch nur noch ein Budget von 110.000 € brutto zur Verfügung. S und B einigen sich darauf, dass S eine Rechnung über 70.000 € brutto schreiben soll und B zusätzlich 40.000 € in bar zahlt. Ein Jahr nach Ausführung und Abrechnung verursacht ein von S fehlerhaft verbautes Ventil eines Heizkreisverteilers einen großen Wasserschaden. B macht Mängelansprüche gegenüber S geltend.
Mit Erfolg?
- § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG enthält das Verbot zum Abschluss eines Werkvertrages, wenn dieser Regelungen enthält, die dazu dienen, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt.
- Das Verbot führt jedenfalls dann zur Nichtigkeit des Vertrages gemäß § 134 BGB, wenn der Unternehmer vorsätzlich hiergegen verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt.
- Mängelansprüche des Bestellers bestehen in diesem Fall grundsätzlich nicht
Bauherrin B hat die Generalunternehmerin G mit dem Umbau eines Bestandsgebäudes beauftragt. Vereinbart ist ein Pauschalpreis von 3,7 Mio. €. In der Leistungsbeschreibung war gefordert:
„Die Kälteversorgung ist durchgehend sicherzustellen. Auf den Einsatz mobiler Kälteanlagen ist dabei aus Kostengründen zu verzichten.“
Während der Bauphase fällt die Kälteversorgung immer wieder aus. B verlangt daher von G die Nachbesserung durch den Einsatz einer mobilen Kälteanlage. G merkt an, dass eine solche nicht geschuldet sei, bietet die Leistung aber für eine zusätzliche Vergütung von 20.000 € an. B stimmt dem zu und zahlt den Betrag mit der nächsten Abschlagsrechnung an G aus. Im Rahmen der Schlussrechnungsprüfung kommt B zur Auffassung, dass die Kälteversorgung bereits Teil des Bausolls war und verlangt die 20.000 € zurück.
Zu Recht?
- Zur Auslegung des Vertrags ist der wirkliche Wille der Beteiligten zu erforschen, § 133 BGB.
- G sollte hier die durchgehende Kälteversorgung als Werkerfolg schulden. Wird der Erfolg nicht erreicht, ist G auf eigene Kosten zur Nachbesserung verpflichtet, § 635 BGB. Die Nachbesserung kann auch auf andere Art als die ursprünglich vertraglich vereinbarte Leistung erfolgen. G schuldete die Leistung also bereits nach dem ursprünglichen Vertrag.
- B kann die Vergütung zurückverlangen. Die Bestätigung des Nachtrags durch B ändert hieran nichts. Etwas anderes gilt, hätten sich die Parteien im Streit um die Vergütung ausdrücklich über die Zusatzvergütung verständigt.
Bauherrin B beauftragt das Bauunternehmen U nach öffentlicher Ausschreibung mit der Sanierung einer Autobahntalbrücke. In der Leistungsbeschreibung ist eine waagerechte Schalung unterhalb der Brücke vorgesehen, nicht jedoch das dafür erforderliche Konsoltraggerüst. Nach der VOB/C handelt es sich bei dem Gerüst um eine besondere Leistung, die in einem Leistungsverzeichnis gesondert aufzuführen ist. B hatte das Konsoltraggerüst bei einem anderen Auftrag ausdrücklich beschrieben.
U macht für die Herstellung des Konsoltraggerüsts einen Nachtrag über 250.000 € geltend. B sieht die Leistung als vertraglich geschuldet und mit der vereinbarten Vergütung abgegolten an.
Wer hat Recht?
- Eine nach VOB/A ausgeschriebene Leistung ist so auszulegen, wie sie der Empfängerkreis verstehen muss. Grundlage der Auslegung ist der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter. Neben dem Wortlaut der Ausschreibung sind die Umstände des Einzelfalls, unter anderem die konkreten Verhältnisse des Bauwerks zu berücksichtigen.
- Die vorliegende Ausschreibung ist so auszulegen, dass U das Konsoltraggerüst mit ausführen sollte. Aus der Ausschreibung ist erkennbar, dass die geforderte Schalung nicht freischwebend über dem Tal errichtet werden kann. U schuldet daher alle Leistungen, die notwendig sind, um die Schalung ordnungsgemäß zu befestigen, auch wenn diese nicht ausdrücklich benannt wurden.
Die Kaufhauskette P errichtet ein neues Kaufhaus mit repräsentativer Architektur. Nachdem die Planungen so gut wie abgeschlossen sind, soll in Abstimmung mit der Stadt ein Architekturwettbewerb über die Gestaltung der Fassade entscheiden. Bauunternehmen U übernimmt die schlüsselfertige Errichtung des Kaufhauses. Die Pläne für die Fassade sollen nach Abschluss des Wettbewerbs nachgereicht werden. Für die Fassadenarbeiten vereinbaren P und U daher eine Cost+Fee-Abrechnung mit einem Maximalbudget von 8 Mio. €. Das schwedische Architekturkollektiv Sven gewinnt den Wettbewerb. U kalkuliert daraufhin den Aufwand für die Umsetzung des Siegerentwurfs mit 14 Mio. € und verlangt demnach einen Nachtrag von 6 Mio. €. P meint, wegen der Übernahme der schlüsselfertigen Errichtung könne U keine zusätzliche Vergütung über 8 Mio. € hinaus für die Fassade verlangen. Wer hat Recht?
- Übernimmt der Auftragnehmer die Ausführung einer Leistung, die erst nachträglich durch den Auftraggeber bestimmt werden soll, so wird das bei Vertragsschluss noch unbestimmte Bausoll nachträglich, einseitig festgelegt.
- Der Auftragnehmer trägt dann das Kalkulationsrisiko, auch wenn die später übergebene Planung von seiner ursprünglichen Kalkulation abweicht.
- Das bauvertragliche Kooperationsgebot verpflichtet den Auftraggeber nicht, eine unzureichende Kalkulation des Auftragnehmers auszugleichen.
Krankenhaus K will einen Neubau errichten. K beauftragt daher das Abrissunternehmen A mit dem Rückbau eines Gebäudeteils. In der funktionalen Leistungsbeschreibung findet sich der Hinweis: „Estrichstärke: 3 cm (geschätzt)“ Vereinbart wird für den Abriss ein Pauschalpreis von 600.000 €. Tatsächlich stellt A bei Ausführung der Arbeiten fest, dass eine Estrichstärke von 7 cm vorliegt. A macht daher eine zusätzliche Vergütung in Höhe von 125.000 € geltend. K ist der Auffassung, mit dem Pauschalpreis seien alle notwendigen Leistungen für den vollständigen Abriss abgegolten. Wer hat Recht?
- Durch die angegebene Estrichstärke wird der mit der Pauschalsumme abgegoltene Leistungsumfang nicht beschränkt. Nach Auslegung des Vertrags sollte der umfassende Abriss geschuldet sein.
- Eine Änderung der Geschäftsgrundlage liegt nicht bei einer Abweichung von der geschuldeten Leistung vor, sondern von der vorgesehenen Leistung.
- Der Hinweis „geschätzt“ ändert nichts an der Wirkung als Geschäftsgrundlage.
- Die Änderung muss insgesamt zu einer erheblichen Störung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung führen.
Bauherrin B beauftragt das Rohbauunternehmen R mit den Rohbauarbeiten einschließlich Erdbauarbeiten für ihr neues Bürohaus. Die Abrechnung soll nach Einheitspreisen erfolgen. Im detaillierten Leistungsverzeichnis ist zur Gewährleistung der Standfestigkeit ein Bodenaustausch im Umfang von 400 m³ vorgesehen.
Bei der Ausführung stellt R fest, dass der vorhandene Boden ausreichend geeignet ist und überhaupt kein Austausch notwendig wird.
R rechnet daraufhin zumindest die in der Position Bodenaustausch enthaltenen Deckungsbeiträge ab. B setzt Menge und Abrechnung mit 0 an.
Wer hat Recht?
- § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B ist seinem Wortlaut nach nicht anwendbar, da es an einer tatsächlich ausgeführten Menge fehlt.
- Für eine Teilkündigung (§ 8 VOB/B) fehlt es an einer entsprechenden Erklärung der Auftraggeberin.
- Nach Auslegung des Vertrags ist die Regelung aus § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B entsprechend anzuwenden.
- R kann daher die Deckungsbeiträge abrechnen. Diese Unterfallen ggf. einer Ausgleichsberechnung, wenn zugleich Mehrmengen anfallen.
Bauherrin B beauftragt die Firma E mit der Sanierung eines Krankenhauses und dabei insbesondere mit Trockenbauarbeiten auf der Grundlage der VOB/B. E hatte für die im Leistungsverzeichnis ausgewiesenen Wanddurchführungen von 50 Stück einen Einheitspreis von 67,99 € angegeben. Nachträglich stellt sich heraus, dass 4.725 Stück Wanddurchführungen vorgenommen werden müssen. Der Auftragnehmer rechnet auf der Basis des Einheitspreises ab, insgesamt 321.252,75 €, rund 40 % der Gesamtauftragssumme. Ein Sachverständiger ermittelt, dass der Preis für die Durchbrüche das 8-fache des üblichen Preises ausmache.
Muss B die Abrechnung gleichwohl bezahlen
- Die angenommene Menge beim EP-Vertrag stellt keine Geschäftsgrundlage dar, sodass keine Anwendung von § 313 BGB - Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommt.
- Steht die zusätzliche Vergütung in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Leistung, kann die der Preisbildung zu Grunde liegende Vereinbarung sittenwidrig und damit nichtig sein. Voraussetzung ist ein Missverhältnis sowohl hinsichtlich der einzelnen Leistung als auch hinsichtlich der gesamten Abrechnungssumme.
- Es wird vermutet, dass der AN treuwidrig auf Preissteigerungen spekuliert hat. An die Stelle der nichtigen Vereinbarung über die Vergütung tritt die Vereinbarung, die Leistungen nach dem üblichen Preis zu vergüten.