Sitzung 6&7: Störungen der (frühen) Regulation und Bindung Flashcards
Einbettung der Beziehung zwischen Eltern und Kind in den Entwicklungsverlauf
- beginnt bereits vor der Geburt und drückt sich in Erwartungshaltungen aus (Wünsche, Erwartungen und Phantasien an/zum Ungeborenen)
- mit den ersten Kindesbewegungen um die 20. SSW nimmt die Schwangere das Kind zum ersten Mal wahr (erst später, ab etwa 25. SSW, können die Bewegungen auch von Außen durch den Vater oder andere Personen wahrgenommen werden)
- > Intensivierung der Beziehung
- > Entstehen eines eigenen inneren Bildes vom Kind
Welche Entwicklungsaufgaben in der prä-/perinatalen Zeit gibt es?
Anpassungsleistung Geburt
primär:
- Sofort selbstständige Atmung
- nach einigen Stunden erste Nahrungsaufnahme
Welche Entwicklungsaufgaben gibt es im (frühen) Säuglingsalter?
- Nahrungsaufnahme
- Tagesrhythmus
- Integration versch. Sinneseindrücke
- Affektregulation (Schreien/Beruhigung)
- Balance von Bindungs- vs. Explorationsbedürfnis
- Aufmerksamkeitsregulation
- beginnende Handlungssteuerung
- selbstständiges Ein- und Durchschlafen (bzw. Wiedereinschlafen)
- FOKUS: basale Verhaltensregulation/interne Kontrolle in den ersten Lebensmonaten
- Anpassungsleistung an das Leben außerhalb der Gebärmutter
Welche Rolle spielen die Eltern dabei?
(Co-)Regulation und Unterstützung
- Versorgung durch Nahrung
- emotionale Versorgung, Beruhigung/Trost
- Spiegelung und Markierung von Affekten/Emotionen
- Steuerung der Aufmerksamkeit
Fokus: Beziehung und Abstimmung zwischen Eltern und Säugling
- Säugling muss Bedürfnisse artikulieren (Nähe/Wärme, Schlaf, Nahrung)
- Eltern müssen sie verstehen (lernen)
- Eltern müssen sie befriedigen bzw. co-regulieren, bis das KInd das selbst kann
- Erwachsene müssen sich in ihre neue Eltern-Rolle einfinden
Wer war der Gründungsvater der Bindungstheorie?
John Bowlby (1907-1990)
- 1924 Beginn seines wiss. Studiums in Cambridge mit Einblick in die Entwicklungspsychologie & Psychoanalyse
- Arbeit in Kinderheimen mit Beobachtung unterschiedlicher kindlicher Verhaltensweisen in Bezug auf Nähe & Distanz
- 1933 Abschluss des Studiums, Ausbildung zum Psychoanalytiker
- Fokus: real stattgefundene Familienereignisse/ Familienbeziehungen; Entwicklung der Bindungstheorie
Durch wen fand die erste empirische Bestätigung der Bindungstheorie statt?
Mary Ainsworth (1913-1999)
- 1929 Psychologiestudium in Toronto mit anschließender Promotion
- 1950 Stelle in der Tavistock Clinic London in der Forschungsgruppe von J. Bowlby
- Fokus: Einfluss der Trennung von Mutter und Kind auf die kindliche Entwicklung; Entwicklung des „Fremde Situation“ Tests
Erläutere den Begriff “Bindung”
Bindung bezeichnet die Neigung, emotionale Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und aufrechtzuerhalten
- stets reziprok
- Kind geht die Bindung zu den Eltern bedingungslos ein (es ist erst einmal egal, wie “gut” sich die Eltern dem Kind gegenüber verhalten)
Bindungspersonen
- zunächst: exklusive Betrachtung der Bindung zw. Mutter und Kind
- Erweiterung um
- > Eltern/primäre Bezugspersonen
- > Personen, die sich am meisten um den Säugling kümmern
- > sekundäre Bezugspersonen (Erzieher/innen)
- klare Hierarchie von Bindungspersonen (Bevorzugung der primären Bezugspersonen vor den sekündären)
Definiere den Begriff “Bindungsverhalten”
Verhaltensweisen, die darauf abzielen, (körperliche) Nähe zur Bindungsperson herzustellen/aufrechtzuerhalten
- Ziel: Aufbau von Sicherheit und Schutz
Wann wird das kindliche Bindungsverhalten aktiviert? Mit welchem konkreten Verhalten würde ein Baby darauf reagieren?
Beispiele für Auslöser von Bindungsverhalten:
- Stress
- Schmerzen/Krankheit
- Trauer
- Müdigkeit
- Hunger
- Neue, unbekannte Reize/Unsicherheit
Beispiele für Bindungsverhalten:
- Blickkontakt zur Bindungsperson suchen
- Rufen
- Anklammern
- Weinen/Schreien
- Hinkrabbeln/Hinlaufen
- Protest, wenn sich Bindungsperson entfernt
Kinder sind bemüht, in der Reichweite der Bindungspersonen zu bleiben. Wieso?
- Bindungsperson wird als sichere Basis benutzt, von wo aus die Umgebung exploriert werden kann
- bei Bedarf (z.B. Unsicherheit, Gefahr) kehrt das Kind zur Bindungsperson zurück
- Entwicklung von internalen Arbeitsmodellen (Erwartungen darüber, wie sich eine Bindungsperson zukünftig verhalten wird)
Erläutere die Bindungs-Explorations-Balance
s. Folie 14
Annahme eines antagonistischen Verhältnis von Bindungs- und Explorationsverhalten:
Bei Belastung: viel Bindungsverhalten & wenig Explorationsverhalten
Bei Sicherheit: wenig Bindungsverhalten & viel Explorationsverhalten
Kinder zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen in Bezug auf Bindungs- und Explorationsverhalten. Erläutere.
Wie misst man die Bindungsqualität?
- Unterschiede in der Bindungssicherheit zur Bezugsperson
- Zeigen sich in verschiedenen (typischen) Bindungsmustern
“Fremde Situationen” Test (FST)
- Laborbeobachtungsmethode zur Erfassung der Bindungsmuster von 11-20 monatigen Kindern
- Basis: Bindungs-Explorations-Balance
- 8 Episoden mit Variation des Ausmaßes an kindlichem Stress
Beschreibe die 8 Phasen der FST
- Mutter und Kind werden in den Beobachtungsraum geführt
- Mutter beteiligt sich nicht, während Kind exploriert
- Fremde Person betritt den Raum, setzt sich, spricht die Mutter an, nähert sich dem Kind.
Mutter verlässt den Raum - Trennung: Fremde Person interagiert mit dem Kind
- Wiedervereinigung: Mutter kommt in den Raum, begrüßt/beruhigt das Kind.
Fremde Person verlässt den Raum.
Mutter motiviert Kind zum Explorieren/Spielen.
Mutter verabschiedet sich von Kind und verlässt den Raum
- Wiedervereinigung: Mutter kommt in den Raum, begrüßt/beruhigt das Kind.
- Trennung: Kind ist alleine im Raum
- Fortsetzung der 2. Trennung: Fremde Person betritt den Raum und interagiert mit dem Kind
- Wiedervereinigung:
Mutter betritt den Raum und beruhigt das Kind
Fremde Person verlässt den Raum
- Wiedervereinigung:
Die Ergebnisse der FST haben drei (später vier) Bindungsmuster ergeben.
Welche sind das?
Wie wurden diese klassifiziert?
Welche Prävalenz zeigen sie grundsätzlich und speziell in der BRD?
- Sichere Bindung (B-Typus)
-> Spiel: Exploration
-> Trennung: Bindungsverhalten
-> Wiedervereinigung: Kontakt, Beruhigung
Prävalenz= 65%; BRD: 44,9% - Unsicher-vermeidende Bindung (A-Typus)
-> Spiel: wenig Exploration
-> Trennung: Ruhig, wenig Kummer
-> Wiedervereinigung: keine Begrüßung, evtl. Abwenden
Prävalenz= 21%: BRD: 27,7% - Unsicher-ambivalente Bindung (C-Typus)
-> Spiel: wenig Exploration
-> Trennung: Bindungsverhalten
-> Wiedervereinigung: Widerstand, keine Beruhigung
Prävalenz= 14%; BRD: 6,9% - Desorganisierung/desorientierte Bindung (D-Typus)
-> Wiedervereinigung: nicht klassifizierbar, bizarres Verhalten, Annäherung vs. Angst
Prävalenz= BRD: 19,9%
Was sind Einflussfaktoren auf die Bindungsqualität?
- Erfahrungen in konkreten Situationen
- > Herausbilden von internalen Arbeitsmodellen
- Verhalten der Bindungsperson
- > z.B. Feinfühligkeit= Signale des Kindes erkennen, richtig interpretieren und prompt und angemessen darauf reagieren; Eltern machen das häufig intuitiv
- Merkmale des Kindes
- > z.B. Temperament= Säuglinge mit einem “schwierigen” Temperament (z.B. emotional reaktives Verhalten, häufiger Unruhe,..) entwickeln überdurchschnittlich häufig unsichere Bindungen
Was sind Regulationsstörungen?
Definition, Symptome, Ursachen, Prävalenz, Besonderheiten
Definition:
Eine für das Alter bzw. den Entwicklungsstand des Säuglings außergewöhnliche Schwierigkeit, sein Verhalten in einem oder mehreren Kontexten - Selbstberuhigung, Schreien, Schlafen, Füttern, Aufmerksamkeit - angemessen zu regulieren
Kernsymptomatik:
- Schreiprobleme
- Fütterprobleme
- Schlafprobleme
- sind als normale Krisen der Entwicklung i.d.R. harmlos, selbstlimitierend (“wachsen sich aus”) und finden daher als Bagatellprobleme vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit
- stehen mit Anpassungs- und Reorganisationsphasen der Entwicklung in Zusammenhang, die die Regulations- und Anpassungsfähigkeiten des Säuglings verstärkt beanspruchen ebenso wie die intuitiven regulatorischen Kompetenzen der Eltern
Ursache:
lassen sich ätiologisch meist nicht eindeutig auf eine Ursache zurückführen (diskutiert werden: pränatale, organische Faktoren; abnorme Ausprägung pränatalen Stress/emotionaler Belastung; aktuelle Belastung der Eltern; eingeschränkte Ressourcen der Eltern)
Prävalenz manifester Regulationsstörung:
ca. 2-4% bei Säuglingen (= gemeinsames Auftreten der 3 Kernbereiche)
Besonderheit:
keine direkte Klassifikation im ICD & DSM möglich
-> Regulationsstörungen sind nämlich Interaktionsstörungen (allerdings: Fütterstörung als F98.2 klassifizierbar)
Beschreibe das Symptom-Trias der Regulationsschwierigkeiten
s. Folie 24
Kind:
Verhaltensauffälligkeiten in frühkindlichen Anpassungs- und Entwicklungsaufgaben
Interaktion:
- Dysfunktionale Interaktionsmuster
- Aufrechterhaltung & Eskalation
- Belastung der Beziehung
Eltern:
- Überforderung
- Anpassungsproblematik an Elternrolle und Bild vom “schwierigen” Kind
= Regulationsstörungen gehen einher mit Auffälligkeiten beim Kind, bei den Bezugspersonen und in der Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson
Die Gewichtung der drei Bereiche kann “objektiv” sehr unterschiedlich sein und vom subjektiven Empfinden der Eltern abweichen, d.h. es gibt Kinder, die tatsächlich sehr große Regulationsschwierigkeiten haben und es gibt Eltern, die ihr Kind als “sehr schwierig” erleben
Beschreibe die “normale” Entwicklung des Schreiens bei Säuglingen
charakteristischer Verlauf der Schreidauer:
- bei Geburt: ca. 1,75h/Tag
- nach 6 Wochen: ca. 2,5h/Tag
- im 4. Monat: ca. 1h/Tag
- 40% aller Säuglinge schreien in den ersten Monaten vor allem nachmittags/abends
- nach 6 Monaten stabilisiert sich die kumulierte Schreidauer auf < 1h/Tag
Definiere Exzessives Schreien/”Kolikenschreien”
Anwendung der Dreier-Regel:
- länger als 3h/Tag Schreien und Nörgeln
- an mehr als 3 Tagen/Woche
- während der letzten 3 Wochen
Ausschluss:
- organische Ursachen (Infektion der Atemwege, Entzündungen, Krankheiten im Magen-Darm-Trakt etc.)
- unerkannte Knochenbrüche
- genetische Syndrome oder neurologische Schäden
z.T. begleitend:
Beine anziehen/Blähungen/Erbrechen
Prävalenz: 10-20% der Kinder in den ersten Lebensmonaten (Elternberichte); exzessives Schreien tritt eher früh auf (in den ersten 3 Lebensmonaten)
Beschreibe das Symptom-Trias vom exzessiven Schreien
s. Folie 28
Kind:
- unstillbares Schreien
- Dreier-Regel
- kaum Selbstberuhigung
- kaum Tröstbarkeit
- erhöhte Reizbarkeit
- Schlafdefizit, unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
- ggf. Blähungen/Erbrechen
Interaktion:
- stundenlanges Herumtragen
- vergebliche Beruhigungs-/Ablenkungsversuche
- Nutzen “untypischer” Beruhigungsmethoden (z.B. Waschmaschine; Cocktailshaker-Tragen)
- Körperkontakt führt nicht zu Beruhigung, sondern zu Erregung
- selten: Anschreien, körperliche Misshandlung/Schütteln
Eltern:
- Überlastung/chronische Erschöpfung
- Schlafdefizit
- Übererregbarkeit
- hohe Frustation
- Beeinträchtigung intuitiver Kompetenzen
- Selbstzweifel/Insuffizienzgefühle
- Wut auf Baby/Partner
- Depressive Stimmung
Beschreibe eine normale Entwicklung beim Füttern
typischer Verlauf des Fütterns:
- bis 3. Monat: Muttermilch oder Ersatzprodukt
- 3.-6. Monat: Einführung fester Nahrung (Brei) als Beikost)
- 9.-15. Monat: Kind möchte sich aktiv füttern (erst mit den Händen, dann mit Löffel/Besteck)
kindliche Voraussetzung für erfolgreiches Füttern:
- anatomische Reifung
- Entwicklung angemessener oral-motorischer Fähigkeiten (Lippenschluss, Kauen)
weitere Gelingensbedingungen:
- angemessene Positionierung
- Ablenkungsarme Umgebung
- Eltern-Kind-Interaktion