Psychodynamische Therapie: Verfahren, Settings und Lebensspanne Flashcards
Versorgung in Deutschland: Richtlinien-Psychotherapien
- Psychoanalytisch begründete Verfahren
– AP: Analytische Psychotherapie ( Psychoanalyse) Vbw
– TP: Tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie - VT: Verhaltenstherapie
- ST: Systemische Therapie
Psychoanalytisch begründet…?
- Psychoanalyse nicht nur als Behandlungsmethode, …
- … sondern auch Persönlichkeits- bzw. Entwicklungstheorie und Krankheitslehre
Spektrum sortiert nach Dauer der Behandlung:
– Kurz: Varianten analytischer Kurztherapien (Notfall- Behandlung, Krisenintervention, Fokaltherapie)
– Mittel: Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP; bis 100 Stunden)
– Lang: Analytische Psychotherapie als Langzeitverfahren (bis zu 300 Stunden)
-> Begründet auf ätiologischen Krankheitstheorien der Psychoanalyse
Abgrenzung psychoanalytisch begründeter Verfahren
nach Mertens, 1990
1. Klassische PA: Dauer und Umfang**: unbegrenzt Frequenz (Woche): 3 bis 5 Sitzungen Setting: Liegend Ziele: Umstrukturierung der Persönlichkeit
2. Analytische PT: Dauer und Umfang**: Bis 300 Stunden Frequenz (Woche): 1 bis 3 Sitzungen Setting: Gegenübersitzend oder liegend Ziele: Symptom- besserungen und strukturelle Veränderungen
3. TP*: Dauer und Umfang**: Bis 100 Stunden Frequenz (Woche): 1 bis 2 Sitzungen Setting: Gegenübersitzend Ziele: Reifere Verarbeitungen und Manifestationen unbew. Konfl. in aktuellen (interpers.) Lebenssituationen
Varianten psychodynamische Therapien: Indikation
-Generell: Überwiegen von Auffassungen und praktischen Gründen gegenüber Empfehlungen auf Grundlage empirischer Daten
-Beispiel Kurztherapie:
– Gründe auf Seiten der P.: umschriebene Anliegen, kein Wunsch nach Langzeittherapie, für eine Psychoanalyse „zu schwer gestört“, große Ich-Stärke und guten Ressourcen, sodass keine Psychoanalyse notwendig
– Pragmatische Gründe: begrenzte Zeit, begrenztes inhaltliches Ziel, begrenztes Sich-Einlassen
– Th.: begrenztes Setting (Klinik, Institution), Zeitmangel, begrenzte Abrechnungsmöglichkeit, therapeutische Überzeugung, Kontra- indikation für eine regressionsfördernde Behandlung
Ansätze
-Zeitbegrenzte dynamische Psychotherapie
(Time-Limited Dynamic Psychotherapy; TLDP; Strupp & Binder, 1991)
-Psychoanalytisch-interaktionelle Therapie (Heigl und Heigl-Evers, 1970er)
-Transference-focused Psychotherapy (TFP; Kernberg)
-Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT; Fonagy, Target, Bateman)
-Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf)
-Fazit: „Modifikationen begleiten die Psychoanalyse und die analytische Psychotherapie seit ihrer Entstehung: die Entwicklung, Differenzierung und Verbindung von Konzepten und Theorien, aber auch von Behandlungstechniken und Interventionen.“ (Wiegand-Grefe, 2018, S. 681)
Kurz-Vertiefung Weiterentwicklungen: Psychoanalytisch-interaktionelle Therapie (PIT)
AP:
Ausrichtung auf psych. Funktionsniveau: Regressionsorientiert
Schwerpunkt der th. Aufmerksamkeit: Unbewusste Konflikte
Interaktion: Im Hintergrund reguliert
Übertragungen: Therapeutisches Verhalten auf Intensivierung angelegt
Interventionsmodus: Deutungen
Haltung des Therapeuten Zurückgenommen, unerkennbar
»Hören mit dem dritten Ohr« Technische Neutralität
PIT:
Ausrichtung auf psych. Funktionsniveau: Progressionsorientiert
Schwerpunkt der th. Aufmerksamkeit: Basale psychische Strukturen und Funktionen und interaktives Geschehen
Interaktion: Im Vordergrund reguliert
Übertragungen: Therapeutisches Verhalten auf Realitätsprüfung angelegt
Interventionsmodus: Antworten
Gezielte Übernahme von Hilfs-Ich-Funktionen Wahrnehmung und Differenzierung von Affekten
Haltung des Therapeut: Präsent, selektiv erkennbar Reales beteiligtes Gegenüber Auf Ressourcen und Anpassung hin ausgerichtet
Kurz-Vertiefung Weiterentwicklungen: Psychoanalytisch-interaktionelle Therapie (PIT)
Beispiel zu antwortenden Interventionen: „In einer Einzeltherapie spricht ein Patient, bei dem eine narzisstische Persönlichkeitsstörung auf mäßigem Integrationsniveau diagnostiziert wurde, über längere Zeit hinweg ohne Pause, gleichförmig, monoton, nicht übermäßig schnell, aber dennoch »ohne Punkt und Komma«. Dabei kommt er von einem Thema zum anderen, ohne dass er sich dafür zu interessieren scheint, ob und wie der Therapeut seine Äußerungen aufnimmt. Er scheint sich mehr entäußern zu müssen, als sich dem Therapeuten mitteilen zu wollen.
Der Therapeut sieht keine Gelegenheit, zu den Mitteilungen des Patienten etwas zu sagen, hat aber auch den Eindruck, dass dem Patienten das nicht wichtig ist. Anders als bei Patienten, die ihn nicht zu Wort kommen lassen und unbewusst einen Machtkampf inszenieren, ärgert er sich nicht und glaubt auch erkennen zu können, dass sein Ermüden beim Zuhören keine Reaktionsbildung gegenüber untergründigem Ärger ist. Er scheint für den Patienten wichtig zu sein, gleichwohl aber als Person keine Rolle zu spielen.
Schließlich bietet sich für den Therapeuten eine Gelegenheit zu sagen: »Ich höre Ihnen zu, merke aber auch, dass ich mich anstrengen muss, aufmerksam zu bleiben. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich unsicher bin, ob Sie eigentlich mich meinen und ich es bin, dem Sie etwas mitteilen möchten, wenn Sie sich äußern.« Der Therapeut teilt dem Patienten hier – angesichts der hohen Kränkbarkeit des Patienten vorsichtig – sein Erleben von Ermüdung mit und versucht in Verbindung damit den Umstand aufzunehmen, dass der Patient ihn, wie zu vermuten ist, nicht als eigenständige andere Person erlebt, sondern als Selbstobjekt gebraucht.“ (Streeck, 2006, S. 114)
Vertiefung: Tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie
Basis: Jaeggi (2018, S. 686 bis 697)
-„Erfindung“ des Verfahrens (1967) und dessen Ausbildungsgangs (1999) per Richtlinien und Gesetz
-Anfangszeit: „Schmalspur“-Version der großen Schwester Psychoanalyse? – Negativ-Definition: geringere Regressionstiefe, Betonnung von Klärung,
begrenzte Handhabung mit Übertragung, … – Fragen der Identität
-Aktuell: Emanzipation
– Vortragstitel von Annegret Boll-Klatt: „Die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie 2018 oder: die erstaunliche Entwicklung eines ungeliebten Kindes“
Besonderheiten der TP
-„Die wichtigsten Kernstücke psychodynamischen Denkens, wie »Übertragung und Gegenübertragung«, »Abwehr« oder »Unbewusstes« werden in einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie zwar übernommen, …
-… aber doch oft anders gehandhabt als in einer Psychoanalyse und dadurch auch in ihrer Bedeutung verschoben. Dies geschieht einerseits in einer anderen Art der Gesprächsführung, die sehr viel aktiver ist und dadurch zu anderen Zielvorstellungen führen kann, aber ebenfalls dadurch, dass oft auch andere Technik-Elemente in das therapeutische Geschehen Eingang finden.“
(Jaeggi, 2018, S. 687)
-Theoretische Grundlage: am ehesten die Control-Master-Theory ( VL zu Beziehungstests) und die relationale Analyse
Besonderheiten der TP: Übertragung
-Klassische Psychoanalyse:
– P. wiederholen in der Beziehung zum Analytiker kindheitsbedingte primäre Beziehungsmuster, durch lange Phase der Abstinenz steigert sich die Übertragung zur Übertragungsneurose, Erleben und Einsicht (durch Deutung) löst Dynamik langfristig auf
-Tiefenpsychologisch fundierte Therapie:
– Übertragungsneurose durch deren zeitliche Dimension unpraktikabel
– Betrachtung der Übertragungsanteile (im Verhältnis zur „Realbeziehung“)
– Negative Übertragung wird zeitnah thematisiert und bearbeitet
– Übertragung als Mitteilung, deren gemeinsame Entschlüsselung Orientierung und Kontrolle ermöglicht (-> „veralteter“ Schutz vor aversiven Erfahrungen)
Besonderheiten der TP: Zielorientierung
-Keine „Afokalität“
-Kontinuierliche Verständigung von P. und Th. über Ziele und deren Erreichung
– Wichtig: explizites Ziel wird auf Seiten von Th. mit unbewusster Basis der bewussten Zielformulierung in Einklang gebracht („innere Zielformulierung“)
-Beispiel: P. berichtet über Erschöpfung
– Bewusstes Ziel: Erschöpfung „loswerden“
– Unbewusstes Ziel (aus Sicht des Th.): Akzeptanz …
-…von„egoistischen“Wünschenund
-…vonWutaufMenschen,diezuvielvonP.verlangen
Settings?
- Art der Umstände einer Psychotherapie
- Einzeltherapie
- Gruppentherapie
- Paartherapie
- Familientherapie
- …
Gruppen-Setting: Begriffliches
-Psychodynamische Gruppenpsychotherapie
– Abgrenzung zum Begriff Gruppenanalyse (unspezifischere Verwendung)
- Verschiedene Modelle
1. Psychoanalyse in der Gruppe
2. Psychoanalyse der Gruppe (z.B. Bion, Argelander, …)
3. Gruppenanalyse (Fokus auf das Individuum im Kontext der Gruppeninteraktion bzw. -konstellation; z.B. Heigl-Evers & Heigl)
-Konkrete Gruppentherapie-“Manuale“, z.B. zu MBT (MBT-I)
Wirkfaktoren in der Gruppentherapie
Formale Veränderungstheorien
-Allgemeine Wirkfaktoren: z.B. Selbstoffenbarung, Lernprozesse
-Unterschiedliche Annahmen zu spezifischen Wirkfaktoren:
– Finger-Trescher (1991): (1) Bewusstwerden von Verdrängung und Widerstand, (2) Erfahrung der Wiederholung pathogener Konfliktmuster, (3) die Einsicht in die Übertragungs- und Gegenübertragungsdynamik mit zunehmender Realitätsprüfung, (4) Internalisierung korrektiver Beziehungserfahrungen durch die Realbeziehungen in der Gruppe und damit einhergehend das Unwirksamwerden projektiver Identifikationen
– Lorentzen (2014): (1) Sozialisation durch die Gruppe, (2) Spiegelphänomen, (3) Kondensation,
(4) Kettenreaktion/Amplifikation, (5) Resonanz
Interventionen in der Gruppentherapie
-Haltung des gruppentherapeutischen Arbeitens:
– Zuhören und Beobachten (bifokale Orientierung: „Hier & Jetzt“, „Dort & Damals“)
-Supportive Techniken
– Unter anderem: Fokussieren, Reframing, Klarifikation; Konfrontation,
Herausfordern; Stärken betonen; Autonomie fördern
– Haltung: Transparenz, zielgerichtete, fokussierte Konversation, etc.
– Übertragung: nur negative Ü. thematisiert wenn nötig
-Interpretative Interventionen
– U.a.: Fokussieren, Klarifikation, Konfrontation, Herausfordern, Deuten
– Haltung: Zurückhaltung, Ungerichtetheit, Abwehrdeutung
– Übertragung: aktive Exploration