Ätiopathogenese: Konflikt-, Struktur-, Trauma- und reaktive Pathologie Flashcards
Ätiopathogenese
Definition: „Ätiopathogenese bezeichnet den gesamten Verursachungsprozess psychischer Störungen, der sowohl die ursächlichen Faktoren wie auch die zeitliche Abfolge der Entstehung und Entwicklung umfasst. […] der Versuch, die Ätiopathogenese einer Störung in der Psychotherapie zu rekonstruieren, [hat] eine sehr große Bedeutung für das Verstehen einer psychischen Störung, für das Selbstverständnis der Pat. sowie für die Behandlungsplanung.“
(https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/aetiopathogenese, abgerufen Januar 2021)
- > Entstehung, Bildung (von etwas)
- > Leiden
- > Ursache
Ätiopathogenese
Reaktiv, Trauma, Struktur, Konflikt
Konfliktpathologie (Boll-Klatt & Kohrs, 2018, S. 281 bis 306)
Konfliktmodell als erstes psychoanalytisches Konzept psychischer Störungen
– Konflikt unlösbarKonflikt verdrängtKonflikt unerledigt
– Symptome bei Labilisierung von Abwehr durch Versuchungen und Versagungen
– Psychische Störung: Neurose (heute: psychogene Störungen bei relativ hohem Strukturniveau)
Drei-Instanzen-Modell (Strukturmodell)VL #2
Genese von Konfliktpathologie (klassische Sicht)
Annahme: Neurosen gehen kausal auf unbewusste, entwicklungsbedingte
Konflikte zurück
– „Das Konzept psychodynamischer Konflikte basiert auf der Grundannahme einer dynamischen, unbewussten seelischen Aktivität, also der Annahme, dass menschliches Verhalten fortlaufend durch unbewusste Gedanken, Wünsche und Vorstellungen beeinflusst wird.“ (Arbeitskreis OPD, 2006, S. 96)
-Unbewusster Konflikt immer an infantile Triebregung gebunden
-Ungelöste spezifische Entwicklungskonflikte werden verdrängt
und bleiben im Unbewussten aktiv bzw. latent
-Später im Leben können diese unbewussten Konflikte durch Verführung/Versagung aktiviert werden
Konfliktpathologie: heutige Sicht
-Neben Triebwünschen werden weitere innerseelische Motivationsquellen als für die Entstehung von Neurosen relevant angesehen
-Beispiel: Lichtenberg (1989) mit Bedürfnis nach … – … Regulation psychischer und physiologischer
Bedingungen
–> … Bindung und Verbundenheit
– … + (wechselseitige Beeinflussung in der Entwicklung )
-> Selbstbehauptung und Exploration
– … aversiver Reaktion durch Antagonismus oder Rückzug
– … sinnlichem Vergnügen und sexueller Erregung
Unterschiede zwischen Trieb- und Beziehungskonflikten
Ziel:
Triebkonflikt: Trieb und Impuls zielen auf körperliche Lust (Objekte und Abfuhrwege verloren)
Beziehungskonflikt: Wunsch und Bedürfnis zielen auf Beziehungen des Subjekts zu wichtigen Objekten
Zentral:
Triebkonflikt: Streben nach befriedigender Reduktion immer wieder wachsender Bedürfnisspannungen
Beziehungskonflikt: Bedürfniszentrierte Erfahrungen mit wichtigen Anderen
Konflikt:
Triebkon.: Intrapsychisch (intrasystemisch)
Beziehungskon.: Subjektive Sicht auf Objektwelt
Symptom:
Trieb: Kompromiss zwischen Wunsch und Verbot sowie (labialisierte) Abwehr
Beziehung: Ausdruck misslingender Bewältingsversuche von zentralem Beziehungskonflikt
Neurotische Konflikte (Boll-Klatt & Kohrs, 2018, S. 285)
-Nur unbewusste Konflikte stehen im Zentrum psychodynamischer Therapie
– „Von unbewussten Konflikten wird gesprochen, wenn eine Person von motivationalen Einstellungen bewegt wird, die ihr selbst nicht bewusst sind und in denen innere Einstellungen zusammenstoßen“ (Rudolf, 2014, S. 28)
– ->Bewusste Konflikte sind keine neurotischen Konflikte
-Nur ein rigides neurotischer Reaktionsmuster steht zur Verfügung, um
spezifische Lebensschwierigkeiten zu bewältigen, sodass die Situation …
– … nicht bewusst reflektiert und verstanden werden kann
– … nicht mit verschiedenen Lösungsmustern durchdacht werden kann
– … nicht durch das Suchen eines Kompromisses entschärft werden kann
- -> Neurotische Fixierung
Aktual- versus Grundkonflikt
Grundkonflikt: Dysfunktionales Muster von ... (nach Rudolf, 2014, S. 28) – ... Selbsterleben – ... erlebten Beziehungen – ... eigenen Beziehungserwartungen und – ... eigener Beziehungsgestaltung
-Entstehung: Familiäre Beziehungserfahrungen, die Kind in unlösbare Konflikt- und kaum erträgliche Gefühlslage versetzten
-Auslösender bzw. Aktualkonflikt
– Zumeist bewusstseinsnah
– Grundkonflikt liegt darunter
Konfliktpathologie: einige wichtige Begriffe
Signalangst
– Entsteht meist nicht bewusst erlebbar im Ich
– Folge von Reaktualisierung von infantilen Konflikten
– Mobilisiert unbewusste Abwehr ( siehe VL #2)
Primärer Krankheitsgewinn
– Subjektiver Entlastung durch suboptimale Konflikt-
lösung in Form von Symptombildung
Virulente Konflikte (Deneke, 2013, S. 325f) – Bei ähnlich intensiven Strebungen – Regulation durch ‚einseitige‘ Abwehr
Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik: Achse III – Konflikt
Operationalisierung von intrapsychischen Konflikten
– Aber: keine Abbildung genuin unbewusster Grundkonflikte
Unterscheidung zweier Modi der Konfliktbewältigung:
– Passiver Modus: passiver Rückzug auf das Selbst
– Aktiver Modus: aktive Suche des Objekts (bis hin zu Objektabhängigkeit)
Datengrundlage
– Biografisches Material
– Leitaffekt
– Gegenübertragung und Interaktion
Auswahl einiger OPD-Konflikte (nach Boll-Klatt & Kohrs, 2018, S. 299)
Konflikt: Individuation vs. Abhängigkeit
Thema: Subjektiv erlebte existenzielle Bedrohung in den Bereichen von Nähe und Distanz
Leitaffekte der beiden Modi: Existenzielle Angst bei Verlust, Trennung, Einsamkeit vs. existenzielle Angst vor Nähe, Vereinnahmung und Verschmelzung
Konflikt: Unterwerfung vs.
Kontrolle
Thema: Selbst- und Fremdkontrolle sind erlebens- und verhaltensbestimmend
Leitaffekte der beiden Modi: Ohnmächtige Wut, Unterwerfungslust, Furch, Scham vs. trotzige Aggressivität, Machtlust, Wut, Ärger
Konflikt: Versorgung vs. Autarkie
Thema: Etwas zu bekommen oder zu verlieren; einer Zuwendung sicher zu sein vs. keiner Versorgung zu bedürfen
Leitaffekte der beiden Modi: Trauer, Depression mit Angst, den anderen zu verlieren, Neidgefühle vs. Sorgen um den anderen, untergründige
Depressivität, Neidgefühle
Konflikt: Selbst(- vs. Objekt)wert
Thema: Regulierung des Selbstwerts hat Vorrang vor anderen Konflikten
Leitaffekte der beiden Modi: Deutlich wahrnehmbare Scham vs. narzisstische Wut
Strukturpathologie
-Siehe VL #7 (Strukturniveau) und VL #11 (Mentalisieren)
„Struktur bezieht sich auf das Selbst und seine Beziehung zu den Objekten, genauer gesagt, auf die Verfügbarkeit über psychische Funktionen in der Regulierung des Selbst und seiner Beziehung zu den inneren und äußeren Objekten. Der Grad der Verfügbar-
keit oder der Einschränkung wird anhand des strukturellen Integrationsniveaus der jeweiligen Funktion beschrieben.“ (Arbeitskreis OPD, 2006, S. 255)
Genese von Strukturpathologie (nach Rudolf, 2014, S. 44)
Belastete frühkindliche Beziehungssituation
fördert die strukturelle Entwicklung unzureichend
->
Hilfloses Ausgeliefertsein an die eigene Verzweiflung und an eine schwer erträgliche Welt
->
Psychische Entwicklung unter der Bedingung fehlender Verfügbarkeit über strukturelle Funktionen
->
Effektive Bewältigungsmuster oder frühe Symptombildung
->
Scheitern an Entwicklungsaufgaben und situativen Anforderungen im jugendlichen
Hilfloses Ausgeliefertsein an die eigene Verzweiflung
oder Erwachsenenalter
->
Zusammenbruch der Bewältigung
Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf, 2012)
Gestaltung einer triadischen anstatt einer dyadischen Behandlungssituation – Vorlesung #6 Triangulation
Therapeutische Position
– Sich hinter den P. stellen (z.B. Identifizierung)
– Sich neben den P. stellen (geteilte Aufmerksamkeit)
– Sich dem P. gegenüberstellen (z.B. Spiegelung)
– Dem P. vorangehen (z.B. anstehende Entwicklungen antizipieren und mitteilen)
Trauma-Pathologie
-Trauma: „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“ (Fischer & Riedesser, 1999, S. 79)
-Einteilung
– Typ I: plötzlich, unvorhergesehen, einmalig
– Typ II: chronisch, kumulativ
-Ätiopathogenese
– Psychoökonomische Perspektive
– Bindungsbezogene Perspektive