Forschung, Evidenz und Leitlinien Flashcards
Verstehen und Erklären (z.B. Asendorpf, 2000)
-Idiographischer Ansatz
– idios: ‚eigen‘, graphein: ‚(be-)schreiben‘
-Phänomene verstehen
-Eher induktives Vorgehen
-Qualitative Zugänge
-Auch: (psychoanalytisch-) klinische Hermeneutik
-Nomothetischer Ansatz – nomos: ‚Gesetz‘, thetiké: ‚aufstellen‘ -Phänomene erklären -Eher deduktives, Hypothesen-geleitetes Vorgehen -Quantitative Zugänge -Operationalisierung
Früher Diskurs: Windelband, Dilthey, Droysen , … Moderner Diskurs: z.B. Molenaar (2004)
Methoden der „Psychotherapiewissenschaft“
-Quantitative Methoden
– Beobachtungsstudien, Fragebogenstudien, Experimente, …
– Data Mining, Machine Learning (z.B. Aafjes-van Doorn et al., 2021)
- Qualitative Methoden – Grounded theory, …
- Hermeneutisch-kasuistische Methoden – Psychoanalyse (z.B. Blatt et al., 2006)
- Formale Modellierung und Simulation – Generatives Erklären
Welche Formen von für (psychodynamische) Psychotherapie relevanter Forschung gibt es?
-Grundlagenforschung
– Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Problemen (oft als „Spezialfall“ von unproblematischem Erleben und Ver- halten und dessen Entwicklung über die Lebensspanne)
-Psychotherapieforschung
– Outcome (Ergebnisforschung)
– Prozess (inkl. z.B. Dismantling, Kasuistik, Task Analysis)
-Disseminationsforschung
– „Erkenntnisse für das Interventionshandeln im naturalistischen Setting verwertbar zu machen“ (Dorsch, 28.6.2021)
Grundlagenforschung
-Fragen: Wie entstehen psychische Störungen? Wie werden sie aufrechterhalten? Wo sind Ansatzpunkte für Veränderung?
-Unter anderem:
– Experimentelle Psychopathologie
– Kasuistisch-hermeneutische Forschung (Freud, Klein, Kohut, …)
– Beobachtungsforschung (z.B. Kleinkindbeobachtung, Stern)
– Fragebogenforschung
– Computational clinical psychology
-Spannung: unabhängige, messende Beobachtung versus TherapeutIn als „Messmittel“
Psychotherapieforschung
-Fragen: Wirkt Psychotherapie? Wie wirkt Psychotherapie? -Wirkung/Outcome:
– Wichtige Begriffe: Randomisiert-kontrollierte Studie (randomized controlled trial; RCT), Effektstärke, interne und externe Validität, ‘allegiance’, efficacy, effectiveness, efficiency
– Meta-Analysen
-Prozess
– Komponenten und Wirkmechanismen – Prozess-Outcome-Forschung
Outcome-Forschung: Primärstudien
-“Dodo Bird verdict”: Everybody has won and all must have prizes – Saul Rosenzweig
-Beispiel: Die LAC-Studie (Leuzinger-Bohleber, Hautzinger, et al., 2019)
– Langzeitbehandlungen bei chronisch depressiven Patienten
– ‚RCT‘: KVT versus psychoanalytische Therapie (Achtung: randomisiert und präferiert), N=252
– 73 Psychoanalytiker und 44 Verhaltenstherapeuten mit min. 3 J. Berufserfahrung
– Primäre Outcomes: BDI-II und Kurzform Inventory of Depressive
Symptomatology (QIDS-C) (->verblindete Rater)
– Ergebnisse BDI-II: d = 1.17 (nach 1 Jahr), d = 1.83 (nach 3 Jahren)
– Keine Verfahrensunterschiede
Prozessforschung
-Verfahrens- übergreifende Prozess-Forschung
– Beispiel: Common factors
-Verfahrens- spezifische
Prozess-Forschung
– CCRT: core conflictual
relationship theme
(Luborsky et al., 1986; Tallberg et al., 2020)
Disseminationsforschung
-Frage: Wie können Interventionen in der Versorgung implementiert werden?
-Internet-basierte Interventionen
– Zwerenz et al. (2017): Transdiagnostische, Affekt-fokussierte, psychodynamische, Web- basierte Selbsthilfeintervention für Menschen mit psychischen Störungen
– N=82, Randomisierung auf Interventions- versus Wartegruppe, 10 Wochen
– Primäres Outcome Zufriedenheit, sekundäre Outcomes Emotionale Kompetenz, Depression, Angst und Lebensqualität
– Ergebnis: Hohe Zufriedenheit, mittelgroße Effektstärken
– Was vergessen? Stichprobenbeschreibung!
-Video-basierte Psychotherapie
-Kompetenzorientierung in der Aus- und Weiterbildung (z.B. Nikendei et al., 2021)
Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie (WBP)
„Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie stellt zusammenfassend fest, dass die Psychodynamische Psychotherapie bei Erwachsenen für Behandlungen in folgenden Anwendungsbereichen als wissenschaftlich anerkannt gelten kann: Affektive Störungen, Angststörungen, Belastungsstörungen, Dissoziative, Konversions- und somatoforme Störungen, Essstörungen, Psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten, Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen, Abhängigkeit und Missbrauch sowie Schizophrenie und wahnhafte Störungen.“
(Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie nach § 11 PsychThG zur Psychodynamischen Psychotherapie bei Erwachsenen, 2008)
Depressive Störungen (Beutel et al., 2020, S. 121)
-„Die genannten RCTs belegen die Wirksamkeit von psychodynamischer Kurztherapie bei depressiven Störungen (Thompson et al., 1987; Gallagher- Thompson et al., 1990; Gallagher-Thompson & Steffen, 1994; Shapiro et al., 1994, 1995; Barkham et al., 1996; Maina et al., 2005).
-In einer Metaanalyse erwies sich psychodynamische Kurztherapie als ebenso wirksam wie kognitive Verhaltenstherapie (Leichsenring, 2001). Diese Ergebnisse wurden in aktuellen Metaanalysen bestätigt
(Driessen et al, 2015; Cuijpers et al., 2014). […]“ (S. 121)
Angststörungen (Beutel et al., 2020, S. 122 bis 124)
-Panikstörung und Agoraphobie
– Milrod et al. (1997, Milrod et al., 2016), Beutel et al. (2013), Wiborg et al. (1996)
-Soziale Phobie
– „Zur Behandlung der Sozialen Phobie liegen bisher drei RCTs vor, die die Wirksamkeit psychodynamischer Kurz- therapie bei diesem Störungsbild belegen“ (S. 123)
– Knijnik et al. (2004), Bögels et al. (2003), Leichsenring et al. (2014)
-Generalisierte Angststörung
– Pilotstudie und unkontrollierte Prä-Post-Studie
Überblick (orientiert an Beutel et al., 2020)
-(Zumindest einige) Studien zu: – Komplizierter Trauer – Belastungsstörung – Somatoforme Störung – Essstörungen – Persönlichkeitsstörungen – Substanzabhängigkeit und -missbrauch -Was fehlt? – Z.B. Zwangsstörung
Leitlinien und Evidenz-basierte Behandlungen
-„Entscheidungen über die Versorgung eines individuellen Patienten sollen sich auf explizite, leitlinienorientierte Anwendungen der gegenwärtig besten Evidenz stützen.
-Damit soll sichergestellt werden, dass
– Ressourcen am effektivsten genutzt werden,
– das Wissen des Klinikers und die Kommunikation mit dem Patienten gestärkt werden und
– die am besten überprüfte medizinische Behandlungsstrategie eingeschlagen werden kann.“ (Beutel et al., 2020, S. 64)
-„Systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen“ (Quelle: https://www.awmf.org/leitlinien.html, abgerufen am 31.1.2021)
Chambless & Hollon (1998; Chambless & Ollendick, 2001)
-Beurteilung von Behandlungsverfahren als empirisch gut bewährt, wenn:
– Mindestens zwei, von unabhängigen Gruppen durchgeführte RCTs in denen die Behandlung einer medikamentösen oder psychologischen Placebo- Behandlung überlegen oder gleich oder besser als eine (bewährte) Alternativtherapie war
-Oder:VieleEinzelfallstudienmitexperimentellenDesign (-> Vergleich mit Alternativbehandlung)
– Operationalisierung der Behandlung (Therapiemanual o.ä.)
– Spezifikation von Stichprobenmerkmalen
Evidenzgradbeurteilung
Ia Metaanalyse(n) über mehrere randomisierte, kontrollierte Studien
Ib Mindestens zwei randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) aus unabhängigen Gruppen
IIa Eine randomisierte, kontrollierte Studie (RCT)
IIb Serie von gut angelegten quasiexperimentellen Studien („Effectiveness“-Studie, prospektive Kohortenstudien, Fallkontrollstudien, experimentelle Einzelfallstudien)
III Nichtexperimentelle oder deskriptive Studien (Ein-Gruppen-Prä-post-Vergleiche, Korrelationsstudien)
IV Unsystematische Einzelfallstudien, Kasuistiken, Experten, Konsensuskonferenzen, klinische Erfahrung