Interpretation, Mentalisierung + Vertiefung Flashcards

1
Q

Verbale Interventionen

A

Lateinisch intervenire – ‚dazwischentreten‘

Verbale Interventionen sind Werkzeug und Hauptmedium in den meisten Psychotherapieverfahren

Arten verbaler Interventionen in der psychodynamischen Therapie:
– Interpretative bzw. expressive Techniken
– Supportive Techniken

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2
Q

Supportive Techniken (vgl. Gumz et al., 2014)

A
  • Ermutigung zur Elaboration
  • Emotionale Anteilnahme
  • Ratschlag
  • Lob
  • Bestätigung
  • Grenzsetzungen und Verbote
  • Übernahme von Gedächtnisfunktionen
  • Selbstöffnung
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3
Q

Interpretative Techniken

A
  • Deutung
  • Übertragungsdeutung
  • Widerstandsdeutung
  • Inhaltsdeutung
  • Klarifikation/Klärung
  • Konfrontation
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4
Q

Deutung (auch: Interpretation)

A
  • Mitteilungen an P., die deren Aussage eine Bedeutung zumessen, die über das bisherige bewusste Selbstverständnis hinausgehen, sodass Zugang zu unbewusster Bedeutung von Verhaltensweisen und Worten erlangt werden kann (Mertens & Waldvogel, 2008)
  • Versuch, das Konflikthafte innerhalb des Materials zu lösen, indem zugrunde liegende unbewusste Motive und Abwehrvorgänge unterstellt werden, die das zuvor Widersprüchliche logisch erscheinen lässt (Kernberg, 1988, S. 24)

-Achtung: Der Begriff Deutung wird auch allgemeiner verwendet
– Jegliche Art der Äußerung des psychodynamischen Therapeuten (Sandler et al., 1992).

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5
Q

Klärung, Konfrontation und Interpretation

A

Klärung -> Konfrontation -> Interpretation

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6
Q

Klarifikation / Klärung (Kernberg, 1988, S. 24)

A

Arbeit am Bewusstsein bzw. an dessen Grenzen
– Das Bewusstsein „ausloten“

Ein nicht provozierendes, kognitives Mittel, um festzustellen, wo beim Patienten die Grenzen des Bewusstseins im Hinblick auf bestimmtes Material liegen

Interventionen, um die subjektive Sicht von P.
auf ein Phänomen zu erfassen, zusammenzufassen und zu ordnen (Wöller et al., 2010)

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7
Q

Konfrontation (Kernberg, 1988, S. 24)

A
  • Arbeit am Vorbewussten
  • Versuch, potentiell konflikthafte und inkongruente Aspekte des Materials bewusst zu machen
-Zum Beispiel zwischen...
–
... verbalem und non-verbalem Verhalten
–
... zwei Zeitpunkten
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8
Q

Übertragungsdeutung (= Übertragung + Deutung)

A

„Die klassische Übertragungsdeutung besteht darin, für P. einen emotional erlebbaren Bezug herzustellen zwischen einer aktuellen Konfliktsituation, einer biografisch früheren Konfliktkonstellation und Elementen der aktuellen Über- tragungssituation. Damit werden diese, sozusagen in einem ‚Dreiklang‘, in eine plausible und für P. direkt erlebbare Beziehung gesetzt.“ (Schauenburg, 2016, S. 11)

Drei inhaltsanalytisch unterschiedene Dimensionen (Munder et al., 2016)

  1. Parallelen ziehen
  2. Therapeutische versus Außenbeziehung
  3. Historischer versus aktueller Bezug
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9
Q

Beispiel (nach Boll-Klatt und Kohrs, 2018, S. 478) Illustration

A

Th: Möglicherweise fühlten Sie sich in der letzten Stunde von mir kritisiert, als ich Ihre Wut auf Ihren Vorgesetzten ansprach. Indem Sie dann die nächste Sitzung vergaßen, konnten Sie der Situation entgehen, sich darüber mit mir auseinanderzusetzen, mich auch ein wenig beunruhigen, aber ich könnte mir vorstellen, als es Ihnen bewusste wurde, landeten alle unangenehmen Gefühle wieder bei Ihnen?

P1: Das kann ich Ihnen sagen! Und so ist es immer! Ich umgehe die brisante Situation, aber irgendwann muss ich nach Hause und mein Vater brüllt mich nieder!

P2: Ach, jetzt landet das wieder bei mir? Sie haben mir doch nahegelegt, meine Wut wahrzunehmen! Und das habe ich getan! Wenn Sie mir solche Sachen sagen, könenn Sie nicht davon ausgehen, dass ich automatisch wiederkomme und mir einen Nachschlag hole - da schlage ich zurück!

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10
Q

Typologie (Gumz & Hörz-Sagstetter, 2018, S. 163)

A

Beziehungsinterventionen

  • >
    1. ohne Parallele
    2. 1 Bezug auf Außenbeziehung
  • Bezug auf Gegenwart
  • Bezug auf Vergangenheit
    1. 2 Bezug auf Therapiebeziehung
  • Bezug auf Gegenwart
  • >
    1. mit Parallele
    2. 1 Bezug auf Außenbeziehung
  • Bezug auf Gegenwart
  • Bezug auf Vergangenheit
    2. 2 Bezug auf Therapiebeziehung
  • Bezug auf Gegenwart
  • Bezug auf Vergangenheit
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11
Q

Interventionsbeispiele (1/3) ->1. ohne Parallele

  1. 1 Bezug auf Außenbeziehung
    - Bezug auf Gegenwart
    - Bezug auf Vergangenheit
  2. 2 Bezug auf Therapiebeziehung
    - Bezug auf Gegenwart
A

Bezug auf aktuelle Außenbeziehung ohne Parallele (Körner, 2011, S. 110)
– „Sie haben sich ja gleich verteidigt, als das Gespräch (mit Ihrem Vorgesetzten) begann“

Bezug auf historische Außenbeziehung ohne Parallele (Gill, 1982, S. 19)
– „Sie müssen sich wegen des neuen Babys so gefühlt haben, als ob Sie Ihre
Mutter nicht mehr liebte“

Bezug auf aktuelle Therapiebeziehung ohne Parallele (Safran & Muran, 2000, S. 189)
– „Es klingt so, als ob Ihr Gefühl für die Stärke unserer Verbindung… und dafür, wie sehr ich mich engagiere und für Sie da bin, … stark schwankt.“

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12
Q

Interventionsbeispiele (2/3)

  1. mit Parallele
  2. 1 Bezug auf Außenbeziehung
    - Bezug auf Gegenwart
    - Bezug auf Vergangenheit
A

Bezug auf Parallele zwischen aktuellen Außenbeziehungen
– „»Ich höre Sie immer und immer wieder sagen, wenn Sie
sich auf Ihre Partnerin oder andere Leute beziehen, dass … Sie irgendwie, wenn Sie das Risiko auf sich nehmen und sich wirklich öffnen und sich behaupten, eins drüber kriegen und wieder niedergeknüppelt werden.“ (Crits-Christoph & Gibbons, 2002, S. 289)

Bezug auf Parallele zwischen aktueller und historischer Außenbeziehung (Wöller et al., 2010b, S. 183)
– „Sie fühlen sich gegenüber Ihrer Mitarbeiterin so, wie Sie sich früher gegenüber Ihrer Mutter gefühlt haben: unsicher, moralisch schlecht und minderwertig. Wie ein kleines Mädchen, dem die Mutter sagt: Du bist faul, du tust nichts für mich.“

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13
Q
Interventionsbeispiele (3/3)
mit Paralle
2.2 Bezug auf Therapiebeziehung 
-Bezug auf Gegenwart
-Bezug auf Vergangenheit
A

Bezug auf Parallele zwischen aktueller Außenbeziehung und Therapiebeziehung
– „Ich merke, dass ich vorsichtig bin, um bei
Ihnen nicht das Gefühl entstehen zu lassen, dass ich Sie zurückweise … Ich könnte mir vorstellen, dass auch Ihre Freunde und Arbeitskollegen aus diesem Grund Ihnen gegenüber zurückhaltend sind.“ (Mertens, 2009, S. 227)

Bezug auf Parallele zwischen historischer Außenbeziehung und Therapie- beziehung (Gill, 1982, S. 19)
– „Ihre Auffassung, dass ich immer kritisch mit Ihnen bin, ist ziemlich ähnlich der, die Sie Ihrem Vater zuschreiben

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14
Q

Widerstands- und Übertragungsdeutung

A

Widerstands- und Abwehrdeutung
– Deutungen, die sich auf diese Phänomene beziehen (vgl. mit Vorlesung #2)
– Beispiel: „Wir könnten Ihr Ausfallenlassen der letzten Sitzung auch als Ausdruck dessen verstehen, dass Sie eine Auseinandersetzung mit dem Thema Ihrer Aggressivität vermeiden wollen.“

Inhaltsdeutung:
– Damit sind all jene Deutungen gemeint, bei denen Verhalten oder Äußerungen des Patienten weder in Zusammenhang mit Übertragung noch mit dem Widerstand gebracht werden (Ermann, 2004).

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15
Q

‚Empirische‘ Überprüfung von Deutungen

A

Empirischer Positivismus:
– Freud: Derivative Reaktion, um suggestiven Einfluss des/der A. zu vermeiden
– Melanie Klein: Reichliche Entwicklung von Phantasien

Falsifizierbarkeit (sensu Popper):
– Operationalisierung der Wirkung einer Deutung im Vorhinein (z.B. Weiss, 1992)

Empirische Studien im engeren Sinne:
– Zum Beispiel Høglend et al. (2006), RCT, N=100, Wirksamkeit von psycho-
dynamischer Therapie mit und ohne Übertragungsdeutungen
– Kein Haupteffekt, aber bessere Wirkung von Übertragungsdeutungen bei P. mit geringerem Strukturniveau

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16
Q

Psychodynamischen Interventionsliste

A

Mithilfe qualitativer und quantitativer Methoden aus den Transkripten von Therapiesitzungen erarbeitet (Gumz et al., 2014)

Drei Dimensionen der Beschreibung:
– Interventionsform
– Thematischer Bezug
– Zeitlicher Bezug

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17
Q

Formale Kategorien (1/8)

A

(1) Wiederholen, Umschreiben, Zusammenfassen (19%)
– Inhalte zuvor formulierter Äußerungen des P. werden wiederholt, umschrieben, paraphrasiert, differenzierend zusammengefasst oder auf den Punkt gebracht

(2) Auf Verhalten und Denkmuster hinweisen (9%)
- T lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Phänomen, macht auf eine konkrete Wahrnehmung über Verhalten oder Denkmuster des P. aufmerksam

(3) Aufzeigen von Gegensätzen
- Aufzeigen verschiedener Seiten einer Medaille oder Aufzeigen von Gegensätzen oder Widersprüchen von Gedanken, Erlebnisinhalten oder Verhaltensweisen.

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18
Q

Formale Kategorien (2/8)

A

(4) Parallele implizit aufzeigen
– T. weist implizit auf mögliche Parallelen zwischen Erlebensweisen hin, ohne die Parallele zu spezifizieren (z. B. ‚Erinnert Sie das Ereignis an ein anderes?‘)

(5) Parallele ohne Beziehungskontext
 T. zeigt Parallelen auf zwischen verschiedenen Themen, Gedanken, Erlebnisinhalten, Verhaltensweisen, die sich nicht auf Beziehungspartner beziehen

(6) Parallele Umgang mit sich selbst
 T. zeigt Parallele auf zwischen Umgang des P. mit sich selbst und der Art und Weise, wie andere mit ihm umgegangen sind

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19
Q

Formale Kategorien (3/8)

A

(7) Parallele Rollenumkehr
– Parallele zwischen Verhalten des P. gegenüber anderen und dem, wie andere mit P. umgegangen sind

(8) Parallele Andere wie Eltern
 Zusammenhang zwischen dem Verhalten eines oder mehrerer Aktualobjekte (z.B. Partner, T.) und dem Erleben einer primären Bezugsperson (z. B. Mutter) aufzeigen

(9) Beziehungsparallelen ohne Verknüpfung der Vergangenheit und Gegenwart
 T. weist auf Parallelen hin zwischen typischen aktuellen oder früheren Beziehungen, ohne Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden

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20
Q

Formale Kategorien (4/8)

A

(10) Ins Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung holen
– T. macht die therapeutische Beziehung aktiv zum gegenwärtigen Thema

(11) Explorieren (16%)
 Einholen neuer Informationen mit oder ohne direkte Frage

(12) Bedeutung hinzufügen (18%)
 T. gibt den von P. beschriebenen Inhalten eine neue Bedeutung, stellt sie in einen bisher nicht formulierten Zusammenhang oder fügt sie in einen neuen Kontext ein

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21
Q

Formale Kategorien (5/8)

A

(13) Kausalität herstellen
– T. stellt kausale Zusammenhänge zwischen Gedanken, Gefühlen oder Verhalten her, Augenmerk liegt auf der Betonung der Ursächlichkeit (z. B. ‚weil …‘).

(14) Metaphorisches Interpretieren
 Sinnbild, Narrativ, Sprichwort oder Aphorismus wird vom T. zur Veranschau- lichung des Erlebens eingeführt, muss eine Bedeutung schaffen, die ohne die Metapher nicht entstanden wäre. Geht über das Wiederholen und Zusammenfassen in bildhafter Sprache hinaus

(15) Fördern einer Sichtweise oder eines Impulses
– T. unterstützt eine nicht gewagte Denk-, Sicht- oder Handlungs- weise, die von P. zuvor angedeutet wurde

22
Q

Formale Kategorien (6/8)

A

(16) Bestätigung
– T. gibt Zuspruch, bekräftigt P. bei Sichtweise, Wahrnehmung, Handlung, Impuls

(17) Vorschlag (3%)
 T. gibt Empfehlungen, Ratschläge oder bringt Lösungen und Erfahrungen ein oder fordert P. auf, etwas zu tun oder zu unterlassen

(18) Selbstöffnung
– T. lässt P. an seinem inneren Erleben teilhaben, T. vermittelt, welche Auswirkungen Äußerungen und Verhalten von P. auf ihn/sie selbst haben, z. B. welche Gefühle und Reaktionen sie bei ihm/ihr auslösen, oder beschreibt Reaktionen auf Äußerungen und Verhaltensweisen

23
Q

Formale Kategorien (7/8)

A

(19) Assoziation
– T. erinnert sich an Inhalte, die in früheren Sitzungen durch den P. bereits erwähnt wurden, oder stellt eigene Bilder, Erinnerungen, Geschichten zur Verfügung, die ihm/ihr einfallen

(20) Emotionale Anteilnahme
 Verbal formulierte Reaktion auf Äußerungen des P. (Mitgefühl, Trost, emotionale Anteilnahme am Erleben des P.)

(21) Theoretisches Wissen vermitteln
– T. vermittelt theoretisches Fachwissen, erläutert einen Sachverhalt, bleibt abstrakt, allgemein, theoretisch, neutral

24
Q

Formale Kategorien (8/8)

A

[nur der Vollständigkeit halber…]

(22) Sonstiges
– Alles, was die Kriterien anderer Kategorien nicht vollständig erfüllt, auch Organisatorisches

(23) Satzfragmente
 Eine Äußerung, die nicht vollendet wird und für sich allein keine vollständige Aussage ergibt

(24) Einzelne Füllworte
– Beispielsweise „hm“, „ach ja“, „aha“, „ach so“

25
Q

Thematischer Bezug

A
  • TherapeutIn
  • Aktualobjekt: gegenwärtige Bezugspersonen, z. B. Partner, Kinder, Freunde, Kollegen

-Primärobjekte
– Objekte, die die Kindheit / Jugend geprägt haben (die Kategorie wird kodiert, wenn es um diese Objekte in der Vergangenheit oder in der Gegenwart geht)
– Mutter, Vater, anderes, unklar

-keine konkrete Bezugsperson – allgemeines, abstraktes
Beziehungsverhalten

-Symptomatik
– Symptome i. e. S. (bspw. Panikattacken, ‚Depressionen‘, Zwänge, Essstörungen, Schmerzen)

-andere Inhalte ohne Beziehungs- und Symptomkontext

26
Q

Zeitlicher Bezug

A

Realität
– Gegenwart und jüngere Vergangenheit
von P. (außer Kindheit und Jugend)

Kindheit/Jugend

Symbol
– Ein Traum, ein Märchen, eine Metapher
oder ähnliches ist Thema

Andere zeitliche Bezüge unpassend

27
Q

Empfehlungen für die Praxis (nach Gumz & Hörz-Sagstetter, 2018)

A

-Verbale Deutungen nicht weit vom Erleben und Verhalten von P. entfernt ansetzen
-Verständnis der eigenen Intervention vor dem Hintergrund des momentanen Kontexts (aktive Beziehungswünsche)
-Haltung: gemeinsames Verstehens mit verschiedenen Informationsquellen, u.a.:
– mit Themen verknüpfte Beziehungswünsche
– Wechsel im Gefühl während des Gesprächs
– Inkonsistenzen und Auslassungen
-Spezifische, konkrete Sprache
-Ressourcenaktivierung
-Pausen aushalten

28
Q

Hintergrund des Mentalisierungskonzepts

A

-Entwickelt von Gruppe um Peter Fonagy und Mary Target
– Beginnend in den 1990er Jahren

-Empirisch begründete Weiterentwicklung der Psychoanalyse

-Psychodynamischer Ansatz mit Bezügen zu… – Entwicklungspsychologie
– Bindungstheorie
– Neurobiologie
– Philosophie

29
Q

Definition Mentalisierung

A

„Mentalisierung kann definiert werden als die Fähigkeit, dem eigenen Verhalten und dem Verhalten anderer dadurch einen Sinn zuzuschreiben, dass mentale Zustände unterstellt werden, die dem Verhalten zugrunde liegen, wie Emotionen, Wünsche, Überzeugungen und Gedanken“
(Taubner, 2018, S. 110, basierend auf Fonagy et al., 2002)

Entwicklungserrungenschaft, die allgemein oder in spezifischen Kontexten eingeschränkt sein kann
30
– Misslingende frühe Interaktionen und/oder traumatische Erfahrungen 

Dynamische Fähigkeit, welche von momentaner Emotionalität,
Situation und Interaktionspartner(n) bedingt wird (-> Prozess) (Fonagy et al., 2011)

30
Q

(Psychoanalytische) Ideengeschichte

A

Marty (1991)
– Psychosomatische PatientInnen
– Mentalisierung als Transformation von körpernahen in mentale Zustände
– Abwesende Mentalisierung: pensée operatoire

Bion (siehe VL #5)
– Unerträgliche Zustände (Beta-Elemente), die durch Containtment zu
erträglichen, denkbaren Inhalten werden (Alpha-Elemente)

Winnicott (1965)
– ‚Good enough mother‘
– Spiegelfunktion der Bezugsperson ( falsches Selbst)

31
Q

Begriffliche Überlappungen und Abgrenzungen

A

„Mentalisierung umfasst sowohl die Erkenntnis des Selbst (Achtsamkeit, Introspektion) als auch des anderen (Empathie), integriert Kognition und Affekt (Affektbewusstsein) und beinhaltet darüber hinaus eine Dimension expliziter und impliziter Interpretation“ (Taubner, 2018, S. 111; Choi-Kain & Gunderson, 2008)

Abgrenzung zu Theory of Mind (Premack & Woodruff, 1978), bei Mentalisierung:
– Fokus auf affektiven und interpersonellen Kontext
– Qualitative und quantitative Differenzierung zwischen Individuen
– Berücksichtigung von Störbarkeit der Entwicklung (Taubner, 2015)

Abgrenzung zu Sympathie: Empfinden für andere (prosoziales Mitgefühl)

Abgrenzung zu Empathie: Empfinden wie andere (motivationsfrei)

32
Q

Wie entwickelt sich die Fähigkeit zur Mentalisierung?

A

Frühe Affektregulation in der Dyade von Fürsorgeperson und Kind
– Soziales Biofeedback (Gergely & Watson, 1996)

Entwicklung der Subjektivität
– Entwicklung der psychischen Realität und des agentischen Selbst als Urheber
– Wichtig: Moderation des Spiels

33
Q

Markiertes Spiegeln (Säugling)

A

Resonante Fürsorge- person wird von negativen Affekten nicht überwältigt sondern
verarbeitet diese
->
Markierte und kongruente Spieglung des negativen Affekts
->
Säugling baut Repräsentation
auf und wird beruhigt

Säugling erlebt körpernahe Affekte
ohne sich derer bewusst zu sein
->
Säugling signalisiert erlebte körpernahe Affekte mimisch und durch Lautäußerungen
->
Resonante Fürsorge- person wird von negativen Affekten nicht überwältigt sondern
verarbeitet diese

34
Q

Markiertes Spiegeln

A

Spiegeln:
– „Was erblickt das Kind, das der Mutter ins Gesicht schaut? …
– … Es sieht sich selbst, denn die Art, wie die Mutter schaut, hängt davon ab, was sie selbst erblickt.“ (Happach)

Markierung:
– Fürsorgeperson überzeichnet Affekt und macht deutlich, dass sie jetzt nicht selbst ihre eigenen Gefühle zum Ausdruck bringt, sondern dass es hier jetzt um etwas, das das Gegenüber betrifft, geht
– Referentielle Entkopplung: erlaubt es dem Kind den Ausdruck vom Träger zu entkoppeln
– Referentielle Verankerung: Ausdruck im spiegelnden Gesicht mit eigenen Zuständen in Verbindung bringen

35
Q

Markiertes Spiegeln: Probleme

A

Bei inkongruenter Spiegelung: Repräsentation innerer Zustände, die nicht der äußeren Realität entsprechen
– „Falsche Verknüpfung“
– -> Fremdes Selbst

Bei nicht-markierter Spiegelung:
– Zuschreibung vom Affekt zur Bezugsperson, die den Affekt
des Kindes verstärkt
– Langfristig Defizite in Affektkontrolle und Selbstwahrnehmung

36
Q

Entwicklung der Subjektivität (Fonagy et al., 2002)

A

Selbst als UrheberIn
– Sich selbst als MacherIn von Dingen und DenkerIn von Gedanken zu erleben ist nicht angeboren, sondern muss erworben werden
– Erwerb hängt von der Bezugsperson ab: Mutter denkt mich als denkend, also bin ich
– Die Bindungsperson „entdeckt“ die Psyche, also die Subjektivität, des Säuglings

Die urheberschaftliche, mentalisierende, psychologische Vorstellung von sich selbst wurzelt in der Zuschreibung von mentalen Zuständen
– Vorstellung entsteht durch kontigente Spiegelung

37
Q

Vorstufen reifer Mentalisierung

A

Prämentalisierende Denkmodi als Entwicklungsstufen
– Teleologischer Modus
– Psychischer Äquivalenzmodus
– Modus des Als-Ob

-Jeder Modus bedingt systematische Verzerrungen des Verstehensprozesses
-Stufen werden nicht als sich ablösend verstanden,
sondern als sich überlagernd
-Modi können mit bestimmten Psychopathologien bei Erwachsenen in Verbindung gebracht werden

38
Q

Teleologischer Modus

A

-Auch: zielgerichteter Modus
-Individuen attribuieren keine Intentionen, können aber Verhaltensweisen als Mittel für das Erreichen eines Ziels erkennen
-Handlungen sind rein auf Veränderungen der äußeren Realität bezogen, diese wird entsprechend überbetont
-Pathologische Entwicklung bei Erwachsenen
– Nur Vorgänge mit körperlicher Wirkung scheinen geeignet,
innere Zustände bei sich und anderen verändern zu können
– Handlungen werden als Beweis (z.B. für Zuneigung) abverlangt

39
Q

Modus der psychischen Äquivalenz

A

Realitätsorientiert, aber Überbetonung der inneren Realität
– „So wie ich mir das vorstelle, so ist die Welt auch“
– Gleichsetzung der inneren Welt mit der äußeren Welt ( Äquivalenz)
-Kind erlebt Gedanken als wären sie Realität (und Effekt haben wie Ereignisse)
-Eltern reagieren, indem sie Erleben des Kindes akzeptieren und gleichzeitig
klarstellen, dass sie nicht dasselbe erleben
– Kind lernt, seine/ihre Gedanken als nur eine Einstellung zur Realität zu erkennen

Pathologische Entwicklung
– Z.B. von ängstigenden Gedanken überwältigt werden, sie als
ganz real erleben ( eigenes Erleben wird furchterregend)
– Altern. Sichtweisen undenkbar („Ich weiß es genau so: es ist so“)

40
Q

Modus des Als-Ob (‚pretend mode‘)

A

Mentale Befindlichkeiten sind repräsentational, d.h. nicht identisch mit der Welt, aber im Spiel nicht realitätsbezogen
– Modus des Spiels und der Imagination
– Gefühl der Kontrolle über die Situation: aktive Modifikation
– Elterliche Resonanz auf symbolisches Spiel im Als-Ob-Modus ersetzt die frühe Affektspiegelung
– Erleben wird nicht als mentaler Zustand begriffen: Mädchen spielt Polizistin nicht nur, es ist Polizistin (Nachfragen verdirbt Spiel!)

Pathologische Entwicklung
– Zustände von Leere, Bedeutungslosigkeit.
– Widersprüchliche Ansichten werden simultan vertreten Innere Welt von der äußeren entkoppelt

41
Q

Reflexiver Modus

A

-Integration des Modus des Als-ob und des Modus der psychischen Äquivalenz
-Repräsentation intentionaler mentaler Zustände sowie mentaler Verursachung
-Kind kann nunmehr seine eigenen und fremden Überzeugungen als repräsentational verstehen
– Es weiß darum, dass Überzeugungen falsch sein können – Falsche-Überzeugung-Test

42
Q

Entwicklungsschritte der Mentalisierungsfähigkeit

Brockmann & Kirsch, 2010, S. 280

A

(Tabelle)

Teleologischer Modus -> Modus der psychischen Äquivalenz -> Reflexiver Modus

Teleologischer Modus -> Als-Ob- Modus -> Reflexiver Modus

43
Q

Epistemisches Vertrauen

A

-„Epistemisches Vertrauen bezeichnet die unbewusste Bereitschaft des Individuums, in diesem Fall des Kindes, von einer anderen Person gesendete Signale und Informationen als
– vertrauenswürdig,
– generalisierbar und
– relevant für sich selbst
einzustufen“ (Taubner, 2018, S. 113; Wilson & Sperber, 2012)

-Epistemisches Vertrauen als ein Bindeglied von sicherer Bindung und der Entwicklung von Mentalisierung
– Epistemischem Misstrauen erschwert Lernen aus soz. Beziehungen

44
Q

Dimensionen des Mentalisierungsprozesses

A
  • Mentalisieren als Prozess, der auf mehreren Dimensionen verortet werden kann
  • Vier zentrale Dimensionen mit jeweils zwei Polen
    1. Automatisch-implizite Verhaltensinterpretation versus kontrolliert-explizites Mentalisieren
    2. Berücksichtigung externer Hinweisreize (Gesten, Mimik) versus interner Hinweisreize (z.B. Gefühle)
    3. Fokussierung auf das Verständnis vom Selbst versus vom Gegenüber
    4. Einnahme eines eher kognitiven versus eher affektiven Fokus
45
Q

Regression auf prämentalisierende Denkmodi

A

-Die Mentalisierungsfähigkeit kann z.B. durch starken Affekt einbrechen – Dyade: dann geht jeder nur noch von seiner eigenen Welt aus
-Konkreter und psychisch aquivalenter Denkmodus
– Unverständnis dafür, dass und welche Emotionen ein Verhalten bedingt haben
– Überbetonung der äußeren physischen Umstände

-Pseudomentalisierender Denkmodus
– Entwicklung psychologischer Theorien (über Selbst und andere) mit
starker Verallgemeinerung und ungerechtfertigt hoher Überzeugung

-(Achtung: Pseudo- oder Hypermentalisieren kann auch überaktives inakkurates Mentalisieren bedeuten)

46
Q

Mentalisierungsbasierte Therapie: Haltung

A

-Wiederherstellung der Mentalisierungsfähigkeit hat höhere Priorität als Einsicht
-Haltung des Nicht-Wissens mit forschender Neugier
– Sich für die innere Welt des Patienten interessieren
– „Ich möchte da mehr darüber erfahren“
– Idee: P. erlebt in uns als Th., dass wir uns mentalisierend auf ihn oder sie einstellen, und kann das immer leichter auf sich selbst anwenden
-Sichere Umgebung schaffen, die die Affektregulation unterstützt
-Einstellen auf die momentanen Fähigkeiten des Patienten
– „Oh, gerade habe ich das Gefühl, wir haben uns missverstanden…“

47
Q

Mentalisierungsbasierte Therapie: Vorgehen

A

-Psychoedukation und Aufklärung sowie gemeinsame Fokusformulierung
-Aktives Fragen mit Haltung des Nicht-Wissens
– Unterbrechungen möglich („Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, aber das habe ich noch nicht verstanden…“)
– Ziel: P. und sich selbst zurückbringen in ein gemeinsames Erkunden (Worum geht es hier gerade zwischen uns vielleicht auch?)
-Asymmetrie der klassischen analytischen Haltung nicht einnehmen
-Vermeiden nicht-mentalisierender Techniken

48
Q

Mentalisierungsbasierte Therapie: Veränderung

A

-Ziel: Fähigkeit stärken, sichere Beziehungen einzugehen und dort neue Erfahrungen zu machen
-Nicht der Inhalt der Therapie, sondern der Prozess der Behandlung ist entscheidend
-Mentalisierung im Bereich des Fokus etablieren, und damit einen „Puffer“ zwischen Affekt und Verhalten ermöglichen
– Z.B. weniger Impulsivität

49
Q

Kritik am Mentalisierungskonzept

A

Inhalt und Prozess
– Fokus zu wenig auf den inhaltlichen Aspekte von Themen und
Affekten

Struktur
– Unterschätzung der Symbolisierungsfähigkeit (bei Borderline-PS)

Empirische Forschung
– Kritik an Operationalisierung (RF-Skala)
– Interpretation von korrelativen Befunden im Sinne kausaler Zusammenhänge (bei Bindungstheorie; Gergely & Unoka, 2008)

50
Q

Evidenzlage (Volkert, Hauschild & Taubner, 2019)

A

Review auf Basis von 14 Trials aus den Jahren 2015 bis 2018 mit MBT für
Menschen mit Persönlichkeitsstörung
– Vor allem effectiveness trials
– Vor allem erwachsene Populationen (n=11)

Ergebnisse: Hinweise darauf, dass MBT effektiv unter kontrollierten und Praxis- Bedingungen und TAU überlegen, insbesondere bei Borderline-PS (auch mit komorbiden Diagnosen)

Methodische Kritik (u.a.)
– Kleine Stichproben
– Sehr heterogene oder keine Vergleichsgruppen