Neurobiologischer Ansatz nach Kuhl Flashcards
Komplikationen/Probleme entstehen wenn
- in Leistungssituationen spontan jede Gelegenheit zur anderweitigen Bedürfnisbefriedigung wahrgenommen wird
- wenn man in einer intimen partnerschaftlichen Situation gleich funktioniert wie in einer Leistungsaufgabe
- > fehlende Flexibilität
Idee “wechselnder Architekturen”
- Unterschiedliche Systeme im Gehirn bzw. Gedächtnissysteme haben sich evolutionär so entwickelt, dass sie für bestimmte Aufgaben/Anforderungen in der Umwelt besonders geeignet sind
- Im normalen Funktionieren findet situationsangepasst ein dauernder Wechsel in der Aktivierung bestimmter Koalitionen von Hirnsystemen statt = “wechselnde Architekturen” = Flexibilität situationsangepasst zu reagieren
- > alle Systeme sind in gewissen Situationen adaptiv!
Individuelle Unterschiede (im Gegensatz zu psychischen Störungsmustern)
Im Erleben und Verhalten werden aus individuellen Unterschieden der verstärkten oder verminderten Aktivität von Hirn- bzw. Gedächtnissystemen erklärt -> Einzelne Systeme, die gemäss spezifischer Prinzipien funktionieren, werden bei Person A leichter, schneller oder stärker aktiviert als bei Person B und bestimmen deshalb das Verhalten und Erleben stärker als bei Person B
Psychische Störungsmuster (im Vergleich zu individuellen Unterschieden)
Entstehen als Folge ausgeprägter Über- oder Unterfunktionen von bestimmten Hirn-/ Gedächtnissystemen
Der kontinuierliche Wechsel zwischen verschiedenen Architekturen ist eingeschränkt -> in Extremform: Fixierung auf bestimmte Systeme -> flexible situationsangepasste Reaktionsmöglichkeit ist nicht mehr gegeben
4 Makrosysteme
- Intentionsgedächtnis
- Intuitive Verhaltenssteuerung
- Extensionsgedächtnis
- Objekterkennung
Intentionsgedächtnis
- Zuständig für die Repräsentation und Aufrechterhaltung von Absichten
- Informationsverarbeitung: rational-analytisch, planend, präzise, sequentiell, emotionslos, bewust (expliziter Funktionsmodus)
- > rational-analytisches Denken
Intentionsgedächtnis: Besonders dann wichtig wenn
- Aufgaben längerfristig sind
- Bedürfnisse aufgeschoben werden müssen
- eine Aufgabe nicht unmittelbar in Verhalten umgesetzt bzw. gelöst werden kann
- das Ziel/die Absicht nicht aus den Augen verloren werden darf
- Schwierigkeiten in der Handlungsausführung auftreten, neue geplant werden, rational-analytisch neue Wege gefunden werden müssen
- > Besonders adaptiv für Anforderungnen in Leistungssituationen
Intentionsgedächtnis in Leistungssituationen
- Längerfristige Ziele verfolgen können
- dabei unmittelbare Bedürfnisse aufschieben können
- Situationen rational analysieren können
Intuitive Verhaltenssteuerung (IVS)
- Zuständig für die Repräsentation und Ausführung von Verhaltensroutinen (einfache Aufgaben, Automatismen, Gewohnheiten und Rituale)
- Intuitiv, nicht nur “starre” Automatismen, sondern Verhaltensmuster die relativ flexibel an die Situation angepasst werden können
- Informationsverarbeitung: intuitv, bottom-up-Aktivation, nicht bewusst (impliziter Funktionsmodus), oft mit Affekten verbunden
- > intuitives Handeln
IVS ist besonders wichtig, wenn
- auf Situationen spontan, intuitiv schnell reagiert werden muss (neben Situationen die Routinehandlungen erfordern)
- sich in der Umwelt Gelegenheiten bieten eine Absicht zu realisieren oder ein Bedürfnis zu befriedigen (wird durch die Situation getriggert)
- > besonders adaptiv für Anforderungen in Lust-/Spass-Situationen
IVS in Lust-/Spass Situationen
- Insbesondere “oberflächliche” interpersonale Situationen wie Partys (small talks)
- Verhalten in diesen Situationen läuft viel zu schnell ab, als dass man hier mit Planen oder bewussten Absichten viel erreichen könnte
Adaptives Funktionieren
- Kontinuierlicher Wechsel zwischen IVS und Intentionsgedächtnis Gedächtnis
- Situationsangepasste Aktivation geeignetre Gedächtnissysteme
- Modulation
Adaptives Funktionieren: Kontinuierlicher Wechsel
- > Systeme arbeiten häufig zusammen
1. Bildung einer Absicht -> Aktivation und Aufrechterhaltung neuronaler Muster im Intentionsgedächtnis
2. Sobald sich die Gelegenheit zur Realisierung der Absicht ergibt -> Aktivation von Mustern im IVS, Deaktivation der Absichten im IG
3. Neue Absicht
Adaptives Funktionieren: Modulation
- Die Gedächtnissystem können habituell leichter, schneller und öfter aktiviert werden
- Verstärkte oder verminderte Modulation der Systeme (neurobiologischer Bezug zu Neuromodulatoren)
- Bedeutet: Systeme sind mehr oder weniger sensibilisiert oder reaktiver -> Neuronale Muster in verstärkt modulierten Systemen sind leichter, schneller, öfter und länger aktiviert (“Hyperaktivierung”), Neuronale Muster in vermindert modulierten Systemen sind seltener, langsamer, weniger lang aktiviert (“Hypoaktivierung”)
Modulationsbedingte Persönlichkeitsdimensionen
- Prospktive Lageorientierung
- Prospektive Handlungsorientierung
- Misserfolgsorientierte Lageorientierung
- Misserfolgsorientierte Handlungsorientierung
Prospektive Lageorientierung
- Tendenz einenr starken Modulation des Intentionsgedächtnisses -> Absichten werden leicht aktiviert und aufrechterhalten
- Schwache Modulation der intuitiven Verhaltenssteuerung .> Schwierigkeiten, Absichten auch umzusetzen
- > Personen nehmen sich sehr viel vor, kommen aber nicht ins Umsetzen, das Intentionsgedächtnis braucht die ganze Energie
Eine Person, die prospektiv Lageorientierung ist,
- fasst leicht Absichten, plant viel
- aber selbsbt, wenn sich die Gelegeneheit ergibt, hat sie Mühe, die Absicht auch zu realisieren
Prospektive Handlungsorientierung
- Tendenz zu einer starken Modulation der intuitiven Verhaltenssteuerung -> Verhaltensroutinen sind leichter aktiveierbar, Personen fällt es leicht, absichten umzusetzen oder intuitiv spontan zu reagieren
- Schwache Modulation des Intentionsgedächtnisses -> Schwierigkeiten Absichten aufrecht zu erhalten, sich auf längerfristige Aufgaben zu konzentrieren, entsprechende Personen handeln, bevor sie denken
Risiko für Menschen mit einer ausgeprägeten Lageorientierung
“Manifeste Alienation”: Personen wissen was sie wollen, können es aber nicht umsetzen
Konstellation in Form der Depression
- “degenereierte Intentione”
- das Intentionsgedächtnis bleibt verstärkt moduliert = die Intentionen bleiben aktiviert, aber die Person kann die Absicht nicht realisieren = der Austausch mit dem Verhaltenssteuerungssystem funktioniert nicht mehr
- Verstärkte Modulation des Intentionsgedächtnisses bei Depressiven kann experimentell gezeigt werden
- Zeigarnik Effekt
Zeigarnik Effekt
unerledigte Absichten werden besser erinnert als erledigte Absichten (gibt es in dieser Form nur bei Depressiven)
Diskrepanzsensitives Objekterkennungssystem
- Zuständig für explizites, bewusstes Registrieren einzelner Sinneseindrücke
- Rückt isolierte Aspeke der Innen- oder Aussenwelt in den Vordergrund (Einzelheiten, die aus dem Zusammenhang herausgelöst sind = Dekontextualisierung)
- Wird v.a. durch gefährliche, unerwartete und neue Objekte/Situationen aktiviert
Verstärkte Modulation des OES
- Fokus v.a. auf gefährliche, unerwartete neue Objekte
- Negative Stimmung gehen mit der verstärkten Modulation einher
- Auch wenn Situationen nicht gefährlich, neu oder unerwartet sind bleibt das System moduliert
- Person bleibt sensibilisiert für gefährliche Reize und reagiert rasch auf neue, unerwartete oder potentiell gefährliche Reize
OES und psychische Störungsmuster
- Auf interpersonaler Ebene ängstliche, vermeidende, zwanghafte Persönlichkeiten
- Achse-I: Angststörungen, aber auch Depressionen, die mit starkem Grübeln (rumination) einhergehen
Extensionsgedächtnis
- grosses neuronales Netzwerk, welches viele persönliche Erfahrungen integriert
- Normalerweise kontextualisiert das EG die Wahrnehmungen, die im OES aktiviert sind, was auchh zu einer Reduktion negativer Affekte führt
- Integriert peresönliche Erfahrungen, aber auch Repräsentationen von persönlichen Werten, Präferenzen, Bedürfnissen
Informationsverarbeitung im EG
inuitiv, holistisch, schnell, “fühlen”
Modulation des EG
eignet sich besonders in komplexen Situationen (im Gegensatz zur IVS nicht für intuitive, rasche, oberflächliche Reaktion, sonder für ein ganzheitliches, “echtes” Verständnis der anderen: Empathie)
Misserfolgsorientierte Lageorientierung
- Verstärkte Modulation des Objekterkennungsystems und vermindnerte Modulationn des Extensionsgedächtnisses -> Personen konzentrieren sich auch neue, gefährliche Wahrnehmungen und haben Mühe negative Emotionen zu reduzieren
Misserfolgsorientierte Handlungsorientierung
- Der Person fällt es leicht, nach der Wahrnehmung negatier, neuer, gefährlicher Reize das Extensionsgedächtnis zu aktivieren und negativen Affekt zu reduzieren -> die Person hat Zugriff zu ihren Werten und Bedürfnissen un kann das Verhalten entsprechend regulieren (kann bedürfniskongruentes Verhalten aktivieren)
Latente Alienation
Bei einer Fixierung auf das diskrepanzsensitive Objekterkennungssystem hat die Person keinen Zugang mehr zu Repräsentationen im EG
- kein Zugang zu eigenen Präferenzen und Bedürfnissen
- Person ist von eigenen Präferenzen und Bedürfnissen entfremdet
- Im Gegensatzu zur manifesten Alienaton ( Person weiss was sie will, kann es aber nicht realisieren) bedeutet die latente Alienation, dass die Person nicht weiss, was sie will
- Hinweise, dass diese Form der Selbstentfremdung eng mit psychischen Störungen zusammenhängt
Implikationen
- Bestimmte Persönlichkeitsdispositionen stellen eine Vulnerabilität für psychische Störugen dar (Dimensionaler Ansatz: Systeme sind mehr oder weniger moduliert)
- Therapeuten sollten nicht nur darauf achten, was ein Patient inhaltlich sagt oder denkt, sondern auch wie er typischerweise Informationen verarbeitet (-> z.B PSSI Persönlichkeitsinventar nach Kuhl)
- Weiss ein Therapeut über funktionale Charakteristiken von Makrosystemen und kann er eine verstärkte/verminderte Modulatoin im Einzelfall einschätzen, kann er auf dieser Basis gezielt Interventionstechniken auswählen, die z.B. die Informationsverarbeitung in spezifischcen Systemen stärken sollen