Aktuelle Theorien sozialer Ungleichheit Flashcards
Schichtung und soziale Lage: Geißler
Ziel: Bisherige Schichtmodelle um horizontale Dimensionen
(Geschlecht, Ethnie, etc.) erweitern, ohne die vertikale Über- und
Unterordnung von Schichten aus dem Auge zu verlieren
- Vertikale Dimension bleibt dominant
- Bildung und Beruf als entscheidende Determinanten
- Mit Schichten sind typische (aber nicht notwendige)
Ressourcen, Haltungen und Lebenschancen verknüpft
- Tiefenstruktur einer Gesellschaft; weniger alltagsweltlich
spürbar
- Im Unterschied zu Klassen: Weniger auf Stellung der Menschen
im Wirtschaftsprozess fokussiert
- Modernisierung des Haus-Modells von Dahrend
Schichtung und Soziale Lage (Hradil)
Soziale Lagen sind
- „gesellschaftlich hervorgebrachte und relativ dauerhafte
Handlungsbedingungen […], die bestimmte
Gesellschaftsmitglieder die Befriedigung allgemein
akzeptierter Lebensziele besser als anderen erlauben.“ - „typische Kontexte von Handlungsbedingungen, die
vergleichsweise gute oder schlechte Chancen zur
Befriedigung allgemein anerkannter Bedürfnisse
gewähren.“
Allgemein anerkannte Ziele/Bedürfnissen
a. Ökonomische Ziele (ökonomische Sicherheit)
b. Wohlfahrtsstaatliche Ziele (bspw. soziale Absicherung;
Arbeit- und Freizeitbedingungen)
c. Soziale Ziele (bspw. soziale Beziehungen; Abwesenheit von
Diskriminierung)
—> Diese Zielen/Bedürfnissen entsprechen (primäre) Dimension
sozialer Ungleichheit
—> Deren Ausprägung variiert je nach Handlungsbedingungen
Soziale Lagen:
• Die 13 Lagen sind nicht zwingend hierarchisch angeordnet
• Die Dimensionen sind mehrdimensional
• Handlungsbedingungen werden konzeptualisiert durch
primäre und sekundäre Dimensionen sozialer Ungleichheit.
Die Dimensionen sind nicht additiv sondern sinnhaft verwoben.
• Abbildung objektiver Lebensbedingungen
Klasse vs. Schicht
Schichtmodelle (incl. Soziale Lage) :
– Struktur der Ungleichheit wird in (meist einer) vertikalen Dimension
deskriptiv abgebildet (bspw. Beruf).
– Annahme ähnlicher Mentalitäten, Lebensstile, Einstellungen
– Fremd- und Selbstzuschreibungen
Klassenmodelle (Marx und Weber):
– Verknüpfung mit theoretischen Annahmen über Grundstruktur der
Wirtschaft
– Kontrolle über Ressourcen, Ausbeutung
– Interessen und Lebenschancen
– Macht, Antagonismen und Konflikt
Neuere Klassenmodelle (Whright)
Grundsätzlich:
- Kritik: Andere Modelle können vertikale Ungleichheiten und
Herrschaftsverhältnisse nicht ausreichend erfassen
- Klassentheorie nicht vorschnell aufgeben
- Marxistisch orientiert
Erster Entwurf Ende 1970er Jahre
- Anerkennung der Existenz von Mittelklassen (Innovation
gegenüber dem ursprünglichen Zwei-Klassen-Modell)
- Kleinbürgertum + widersprüchliche Zwischenklassen (Manager
und semi-autonome Arbeitnehmer)
Marxistisch orientierte Klassentheorie (Wright)
Revision des Klassenmodells Mitte der 1980er Jahre
- Stärkere Berücksichtigung der Ausbeutung
- 3 Dimensionen sozialer Ungleichheit:
1. Besitz an Produktionsmitteln
2. Organisationsmacht/Kontrolle über Arbeit im
Produktionsprozess
3. Qualifikation
- Bildung der Klassen
- Bourgeoisie (Ausbeutende) verfügen über Mittel in allen drei
Dimensionen/ Proletariat (Ausgebeutete) verfügen über keine Mittel
- alte Mittelklasse: Geringe Mittel an Ressourcen in den drei
Dimensionen
- neue Mittelklasse: Besitz von Ressourcen in einer der drei
Dimensionen; aber keine Ressourcen in den anderen Dimensionen
Ergebnisse:
- Betonung der Ausbeutung
- Klasseninterne Differenzierungen der Mittelklasse
- Auch die Mittelklasse hat Anteil an der Ausbeutung
Kritik:
- Askriptive Merkmale (bspw. Geschlecht) nicht abbildbar
- Fortdauer von Ausbeutung; aber: Ausbeutung zwischen den
Arbeitnehmenden?
- Kein Modell der sozialen Ungleichheit durch Ausbeutung,
sondern ein Modell sozialer Ungleichheit hinsichtlich
mehrdimensionaler Handlungsressourcen
Neuere Klassenmodelle (Goldthorpe)
Nicht-marxistsiche Klassentheorie in Tradition Webers
Grundlagen
- Arbeitssituation und Marktlage als entscheidende Merkmale
(Einkommensquelle, Arbeitsplatzsicherheit, Beförderungschancen)
- Unterscheidung in: Arbeitgeber, Selbständig, abhängig Beschäftigt
- Bessere Differenzierung der abhängig Beschäftigten/
Arbeitnehmer*innen (Fokussierung auf Mittelklassen)
- Eigenschaften der Arbeitsbeziehungen, in denen die
Arbeitnehmer stehen (Spezifität des Humankapitals und
Überwachung der Arbeit)
Modell:
- mehrstufiges Klassenschema (im Vollmodell)
- Verschiedene Möglichkeiten, das mehrstufige Modell
zusammenzufassen (üblich: Aggregation in 7 Klassen):
1. (Obere und untere) Dienstklasse
2. Nicht-manuelle Berufe mit Routinetätigkeiten (damit gehören
nicht alle Dienstleistenden zur „Dienstklasse“)
3. Kleinbürgertum
4. Landwirte
5. Facharbeiter
6. An-/Ungelernte
7. Landarbeiter
Kritik: Kritik
- Grenzziehungen durch Konzentration auf Berufsgruppen kann
willkürlich wirken
- Vernachlässigung anderer Ungleichheitsbereiche durch
Konzentration auf Wirtschaft
- Unklar, ob es sich um ein hierarchisches Modell handelt
Neuere Klassenmodelle (Oesch)
Klassenmodell der transformierten Industriegesellschaft
Ausgangspunkt
- EPG-Schema; jedoch: Transformation der
Industriegesellschaft
o Anwachsen des Dienstleistungssektor
o Technisierung
o Mehr Frauenerwerbsarbeit
o Deindustrialisierung
- Anpassung des Klassenmodells notwendig (Mittelklassen)
- Ergänzung hierarchischer Merkmale (Marktlage/ Nachfrage)
mit horizontalen Merkmalen (Angebotsseite/ Workskills)
o Technische Arbeitslogik
o Administrative Arbeitslogik
o Interpersonelle Arbeitslogik
Kritik an Klassen und Schichtmodellen
- Betrachten nur sozioökonomisch verursachte soziale Ungleichheit. Horizontale
Ungleichheiten werden oft nicht erfasst. - Betrachten nur erwerbstätige Bevölkerung
- Klassische Schichtmodelle funktionierten nur für Gesellschaften mit relativ hoher
Statuskonsistenz - Einkommensungleichheiten nähmen ab
- Schichtspezifisches Wahlverhalten nimmt ab
(Dalton et al. 1984, 1996) - Sozialstruktur ist zum Komplex für einfaches Modell
- Veränderte subjektive Klassenzuordnung
- Soziale Ungleichheiten existieren weiterhin, ihre Strukturierung in Klassen und Schichten ist aber nicht mehr relevant für die Akteure
Entdifferenzierung: Beck
„Objektiver“ struktureller Wandel:
1. Wirtschaftliche Prosperität/ Wohlstands-
/Freizeitsteigerung/Fahrstuhleffekt
2. Bildungsexpansion/ Veränderung von Bildungsprozessen
3. Ausbau Wohlfahrtstaates
(Versicherungen/Schutz/Mitbestimmung)
4. Soziale & geographische Mobilität
5. Veränderungen des Arbeitsmarktes
Beck: Individualisierungsthese
„Subjektive Reaktion“: Individualisierung (nicht nur Pluralisierung!)
1. Freisetzung aus traditionellen Bindungen (Familie, Beruf, Geschlecht)
2. Entzauberung / Keine Feste Handlungsorientierung mehr -⟶
Unsicherheit
3. Reintegration
Beck: Kritik an der Kritik
- Verhalten ist Entkoppelt
- Trifft nur für bestimmte Dimensionen zu (Wahlen ja; rauchen nein) - Ahistorische Kritik
- Nur wenn man die Relevanz der Klassenzugehörigkeit in der
Vergangenheit übertreibt kann für die Gegenwart eine Abnahme
dieser Relevanz festgestellt werden. - Arbeit bleibt auch heute die zentrale Einkommensquelle