9. Verfahrensgrundrechte Flashcards
In welchem Verhältnis stehen Verfassungs- und Gesetzesrecht?
- Die verfassungsrechtlichen Ansprüche liegen den Verfahrensgesetzen als Mindesgarantien zu Grunde.
- Die Verfahrensgrundrechte von Gesetz und Verfassung beeinflussen sich gegenseitig, d.h. die konkrete Bedeutung der Verfahrensrechte wird oft erst aus dem Gesetz klar.
Welche zwei Funktionen erfüllen die Verfahrensgrundrechte?
Individualrechtliche Funktion: Mindeststandards faierer und gerechter Behandlung in Justizverfahren.
Gesellschaftsbezogen-rechtstaatliche Funktion: Wahrheitsfindung im Prozess und Legitimation der Justiz.
Wer wird vom persönlichen Schutzbereich der Verfahrensgrundrechte erfasst?
Verfahrensbeteiligte natürliche oder juristische Personen mit Parteistellung und daher mit eigenem schutzwürdigen Interesse am Verfahrensausgang (unter bestimmten Voraussetzungen: auch öffentlich-rechtliche Körperschaften als Verfahrensbeteiligte)
Was sind die geschützten Ansprüche der Verfahrensgarantien?
- Allgmeine Verfahrensgarantien (29 BV)
- Rechtsweggarantie (29a BV)
- Garantie des verfassungsmässigen Richters (30 BV)
- Verfahrensgarantien bei Freiheitsentzug (31 BV)
- Garantien im Strafverfahren (32 BV)
Sind die Verfahrensgarantien einschränkbar?
- Verfahrensgarantien als Minimalgarantien können grundsätzlich nicht eingeschränkt werden.
- Ausnahmen: Rechtliches Gehör / Akteneinsicht / Öffentlichkeit des Verfahrens
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Folgen bei Verletzung
- Regel: Anfechtbarkeit und Aufhebund des Entscheids/URteils ungeachtet des Einflusses auf Ergebnis (formelle Natur der Ansprüche)
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Ausnahmen
- Nichtigkeit bei gravierenden Mängeln
- Feststellung und Kompensation (z.B. Kostenreduktion bei Rechtsverzögerung; Schadenersatz und Genugtuung)
- u.U. sogenannte Heilung bei Verletzung des rechtlichen Gehörs
Welche vier Ansprüche vermittelt Art. 29 Abs. 1 BV?
- Verbot der formellen Rechtsverweigerung (Recht auf einen Entscheid)
- Anspruch auf richtige Zusammensetzung und Unparteilichkeit der entscheidenden Behörde.
- Anspruch auf Achtung des Grundsatzes der Waffengleichheit
- Treu und Glauben im Prozess und Aufklärungspflichten gegenüber nicht anwaltlich vertretenen Parteien.
Welchen grundrechtlichen Anspruch vermittelt das Verbot der formellen Rechtsverweigerung?
Schutz davor, dass
- «eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obschon sie darüver entscheiden müsste.»
Prüfprogramm
- Muss die Sache gemäss dem anwendbaren Verfahrensrecht behandelt werden?
Rechtsfolge
- Pflicht der Behörde, die Sache zu behandeln.
Was sind grundrechtlicher Anspruch, Prüfprogramm und Rechtsfolge bei Verletzung des Verbots der Rechtsverzögerung?
Grundrechtlicher Anspruch
- Schutz vor Verschleppung eines Verfahrens = Anspruch auf Abschluss des Verfahrens in der vorgeschriebenen bzw. in anemessener Frist.
Prüfprogramm
- Äussert sich der Verfahrenserlass zur Frist?
- Erscheint die bisherige Verfahrensdauer angesichts der Bedeutung der Sache / Komplexität des Falles / Verhalten der Partei als gerechtfertigt oder nicht?
Rechtsfolgen bei Verletzung
- Feststellung, Schadenersatz, evtl. Berücksichtigung bei Kostenverlegung, ausnahmsweise bei Strafzumessung.
In welchen Artikeln ist die Anfechtung der Verletzung von Rechtsverweiger oder -verzögerung geregelt?
Art. 46a VwVG und Art. 94 BGG
Welchen grundrechtlichen Anspruch vermittelt das Verbot des überspitzten Formalismus?
Verbot der formellen Rechtsverweigerung aufgrund überspitzt foramlistischer Vorschriften = prozessuales Willkürverbot
Wie ist das Prüfprogramm beim Verbot des überspitzten Formalismus?
- Erlass von rigorosen Formvorschriften ohne sachlichen Grund?
- Handhabung von formellen Vorschriften mit übertreibender Schärfe?
- Überspannte Anforderungen an Rechtsschriften etc.?
Rechtsfolgen
Aufheben des angefochtenen Entscheids.
Allenfalls: Pflicht zur Ansetzung einer kurzen Nachfrist zur Verbesserung.
Welche geschützte Sphäre und welche geschützten Ansprüche entfliessen der Rechtsweggarantie (Art. 29a BV)
Geschützt sind alle Rechtsstreitigkeiten
Geschützte Ansprüche
- Rechtsschutz durch mindestens eine richterliche Behörde, die eine umfassende Prüfung der Rechts- und Sachverhaltsfragen vornimmt.
- Kein Anspruch auf ein Rechtsmittel
- Kein Anspruch auf abstrakte Normenkontrolle
Wie ist die richterliche Behörde gemäss Art. 29a BV zu qualifizieren?
Funktionales Kriterium
Rechtsprechende Tägigkeit = durch Gesetz übertragene Kompetenz, Rechtsstreitigkeit in einem rechtlichen Verfahren verbindlich und weisungsfrei zu entscheiden.
Organisatorisches Kriterium
Gewaltenteilungsprinzip = Institutionelle Unabhängigkeit
Welche Akte sind von der Rechtsweggarantie auszuklammern?
- Wenn in einem formellen Gesetz vorgesehen.
- Akte mit vorwiegend politischem Charakter (aber: Art. 190 BV)
- Akte der Bundesversammlung und des Bundesrates nach Art. 189 Abs. 4 BV
Ausnahmslose Gewärleistung:
Spezielle Rechtsweggarantien: Art. 31 und 32 BV, Art. 5 Ziff. 4 und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 9 und 14 UNO-Pakt II