7. Diagnostik in der psychodynamischen Therapie Flashcards

1
Q

Diagnostische Teilschritte (Reimer und Rüger, 2012)

A

• „Eine zeitgemäße psychodynamische Diagnostik integriert die bewährten psychodynamischen Ansätze und gelangt damit abschließend zu einer psychodynamischen Fallformulierung, aus der sich auch eine diagnostische Klassifikation und eine individuelle Behandlungsplanung ableiten lässt.“ (Reimer & Rüger, 2012, Kap. 3, S 41)
• Die wichtigsten diagnostischen Teilschritte:
– 1.ErfassungderEingangsszene
– 2.BeschreibungdesklinischenBildesundderaktuellenLebenssituation – 3.BiografischeAnamnese
– 4.ErfassungderPsychodynamik
– 5.FormulierungderpsychodynamischenDiagnoseundderKlassifikation – 6.TherapeutischeZielsetzungundBehandlungsplanung

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2
Q

Psychodynamische Diagnostik

A

• 1950er und 1960er Jahre: Beschreibung diagnostischer Ansätze von deutschen Analytikern (z.B. biographische Anamnese von Dührssen, 1958), amerikanischen Analytikern (z.B. dynamisches Interview von Gill, 1954) und englischen Analytikern (diagnostisches Interview von Balint & Balint, 1962)
à Konzepte von Erstinterviews und biographischer Anamnese
• Erstinterview: keine systematische Klärung der Krankheitssituation, sondern Erfassung
unbewusst inszenierter Beziehungserfahrungen
• 1970er Jahre: zunehmendes Interesse an psychotherapeutischer DiagnostikàFrage, wie therapierelevante Informationen gewonnen werden können

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3
Q

Das psychodynamische Erstgespräch Informationsquellen

A
  • … Befragung und Beobachtung müssen so gehandhabt werden, dass sie die (unbewusste) interaktiven Beziehung nicht behindern.
  • Bei der anschliessenden Formulierung dieser unbewussten Interaktion sollen dann wieder die Ergebnisse der Befragung/Beobachtung mitberücksichtigt werden.
  • Die initiale Beziehung sollte durch Therapeut:innen ohne Bewertung gestaltet werden – offene Grundhaltung. Position der Zurückhaltung. Therapeut:innen geben Patient:innen den Raum, ihnen eine bestimmte Rolle zuzuschreiben.
  • Die Beziehung wird durch Übertragung und Gegenübertragung gestaltet. Es geht um den Aufbau eines intersubjektiven Übertragungsraumes.
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4
Q

Das Erstinterview in der Psychoanalyse (Argelander)

A

-Ziel: Bild von der Persönlichkeit der Patient:innen und ihrer psychischen Störung erstellen

-Interviewinformationen aus 3 verschiedenen Quellen
– Objektive Informationen: persönliche Angaben/ biografische Fakten, die jederzeit nachprüfbar sind
– Subjektive Informationen: Bedeutungssysteme der Patient:innen, die mithilfe der Therapeut:innen aufgearbeitet werden. Kriterium für Gültigkeit der Interpretation ist die situative Evidenz
– szenische/situative Informationen: Wie wird eine Situation erlebt? Wahrnehmung non-verbaler Informationen der Szene (Gefühlsregungen und Vorstellungsabläufe)

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5
Q

Szenische Information – Szenisches Verstehen

A
  • Beziehung zwischen Therapeut:in und Patient:in wird genutzt zur Entwicklung diagnostischer Hypothesen und für Überlegungen zur Indikation.
  • Therapeut:in wird unbewusst vonPatient:in als ein Gegenüber erlebt, das früheren Objekten entspricht (Reinszenierung).
  • Am Anfang dominiert das Erlebnis der Situation mit allen darin entstehenden Gefühlsregungen und Vorstellungsinhalten und vor allem auch körperlichen Reaktionen (von Patient:in und Therapeut:in).
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6
Q

Gestaltung der Gesprächssituation

A

• Haltung des/der Therapeuten/in: offen, nicht wertend, geleitet von der einzigen Absicht, den Patienten zu verstehen. Stichwort „gleichschwebende Aufmerksamkeit“.
• Mögliche Erwartungshaltungen von Patient:innen früh thematisieren, um Enttäuschung zu vermeiden.
• Beziehung zwischen Therapeut:in und Patient:in steht im Fokus des Interesses.
• Nutzung zur Entwicklung diagnostischer Hypothesen und für Überlegungen zur Indikation
à Initiale Beziehung wird so weit wie möglich von Patient:in strukturiert!
• Patient:in greift in einer unvertrauten, verunsichernden Situation auf vertraute Beziehungsmuster – auf vertrautes Beziehungsverhalten (infantile Objektbeziehungen) zurück.

• Therapeut:in wird unbewusst von Patient:in als ein Gegenüber erlebt, das früheren Objekten entspricht.
• Die Therapeut:in gibt Patient:in den Raum, eine bestimmte Rolle zuzuschreiben.
• Zugleich ist er handelndes Subjekt in der intersubjektiven Beziehung.
Ablauf
1. Befragung
2. Verhaltensbeobachtung
3. Psychodynamische Wahrnehmung: Erfassung von Übertragungsphänomenen, die auf infantile Wünsche und ihre Abwehr gründen. Therapeut:innenmerkmale sind situative Stimuli, welche die Übertragung anregen.

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7
Q

Die fünf Achsen der OPD-2

A
  • Achse 1: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen
  • Achse 2: Beziehung (maladaptive Beziehungsmuster)
  • Achse 3: Konflikt (zeitlich überdauernde neurotische Konflikte bzw. Konfliktschemata)
  • Achse 4: Struktur (psychisch-strukturelle Fähigkeiten)
  • Achse 5: Psychische und psychosomatische Störungen (Symptomatologie gemäß ICD-10 bzw. DSM-IV)
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8
Q

Nutzung der OPD-2

A

Manualisierung der Achsen
• Generell werden zu jeder Achse Überlegungen zur theoretischen Einordnung beschrieben
• Zusätzlich gibt es zu jedem Item auf jeder Achse genauere Beschreibungen sowie Ankerbeispiele zu den Merkmalsabstufungen
Das OPD-Interview
• Die erforderlichen Informationen, um die Achsen zu beurteilen, werden durch ein Interview gewonnen
• Dazu liegt ein Leitfaden vor, es wird oszilliert zwischen offener Gesprächsführung und strukturiertem Vorgehen
• Voraussetzung: psychodynamisches Grundverständnis des Interviewers, klinische Erfahrung, Training in Bezug auf die OPD, Erfahrung mit der Klassifikation nach ICD-10 bzw. DSM

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9
Q

Achse 1: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen

Zentrale frage

A

Zentrale Frage: Welche Störungen/Probleme und Ressourcen liegen vor?

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10
Q

GAF und EQ-5D

A

• GAF (Global Assessment of Functioning)
– Entspricht der Achse V des DSM-IV: allgemeines Funktionsniveau in psychischen sozialen und
beruflichen Funktionsbereichen
– Beurteilt auf einer Skala von 1-100 für die letzte Woche
• EQ-5D
– Soll die Lebensqualität erfassen
– Fremdrating auf fünf Dimensionen zum aktuellen Gesundheitszustand von 1 (-> keine Einschränkungen) bis 3 (->starke Einschränkungen):
• 1. Beweglichkeit/Mobilität
• 2. Für sich selbst sorgen
• 3. Allgemeine Tätigkeiten (Arbeit, Studium, Hausarbeit, Familien- oder Freizeitaktivitäten)
• 4. Schmerzen/körperliche Beschwerden
• 5.Angst/Niedergeschlagenheit

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11
Q

Achse 1: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen

Krankheitserleben,-darstellung und -konzepte des Patienten

A
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12
Q

Achse 1: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen

A

Veränderungsressourcen / Veränderungsgeheimnisse

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13
Q

Achse 1: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen

Erläuterungen zu Veränderungsressourcen/Veränderungshemmnissen

A

• Veränderungsressourcen
– Persönliche Ressourcen: z.B. gute Krankheitsbewältigung, positives Lebensgefühl, gesundheitsförderliche Lebensgewohnheiten, soziale Kompetenzen
– Psychosoziale Unterstützung: Ist soziale Unterstützung da und (darauf kommt es an) kann der Patient das auch wahrnehmen und nutzen?
• Veränderungshemmnisse
– Äußere Veränderungshemmnisse: z.B. ob Psychotherapie verfügbar ist, die berufliche Situation
Psychotherapie erlaubt oder wie das soziale Umfeld gegenüber Psychotherapie eingestellt ist
– Innere Veränderungshemmnisse: z.B. Widerstand gegen Veränderung, eingeschränkte Belastbarkeit oder Reflexionsfähigkeit, sekundärer Krankheitsgewinn

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14
Q

Achse 2: Beziehung (maladaptive Beziehungsmuster)

Zentrale Frage:

A

Zentrale Frage: Wie interagiert der Patient mit anderen?
• Zwei Informationsquellen
– 1. Berichtete Beziehungsepisoden im Interview: Wie laufen Interaktionen normalerweise ab? Wie nimmt der Patient sich und andere wahr?
– 2. Informationen aus der Interaktion zwischen Patient und Diagnostiker: Was sind die eigenen Reaktionen des Diagnostikers (Gegenübertragung)?

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15
Q

Achse 2: Beziehung (maladaptive Beziehungsmuster)

• Einschätzung nach dem Zirkumplexmodell interaktionellen Verhaltens (s. nächste 2 Folien), bzw. einer zugehörigen Itemliste

A
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16
Q

Achse 2: Beziehung (maladaptive Beziehungsmuster)

Interpersonelles Verhalten zentriert auf ein Gegenüber

A
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17
Q

Achse 2: Beziehung (maladaptive Beziehungsmuster)

Interpersonelles Verhalten zentriert auf die eigene Person

A
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18
Q

Achse 2: Beziehung (maladaptive Beziehungsmuster)

• Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 200 f.)

A

„Ein 32-jähriger Patient wird nach einem depressiv-suizidalen Einbruch zur stationären Therapie aufgenommen. Seine Freundin hatte ihn – aus seiner Perspektive ganz unterwartet – nach einer etwa 6 Jahre dauernden Partnerschaft verlassen, als er wegen einer Erkrankung für einige Wochen in eine Klinik musste. Die Problematik seiner Beziehungsgestaltung wird in seinen Arbeitsverhältnissen deutlich: Er übernimmt wichtige und anspruchsvolle Aufgaben und meistert diese nach seinen Angaben gut, gerät aber dennoch immer wieder in Konflikte mit seinen Vorgesetzten. Diese korrigieren von ihm getroffene Entscheidungen ohne Rücksprache und ignorieren Verabredungen, die seinem Erleben nach verbindlich waren. Dies geschieht offenbar ganz willkürlich und kraft ihrer mächtigeren Position, was den Patienten empört und dazu bringt, sich stur zu stellen und die eigene Position um jeden Preis zu behaupten. Er fühlt sich dabei vollkommen im Recht. Die Situation eskaliert schließlich bis zu einem Punkt, an dem die Kündigung ausgesprochen wird bzw. der Patient seine Sachen einfach hinschmeißt…“

„…Im direkten Kontakt wirkt er unbeweglich und unangreifbar wie ein Monolith, lässt sich durch Fragen und Zweifel praktisch nicht bewegen. Provokant wirkt auch eine geradezu generöse Gelassenheit, durch die man sich ihm gegenüber rasch ohnmächtig und unterlegen fühlt. In der Gegenübertragung verspürt man Impulse, einen Kampf um Macht und Kontrolle mit ihm aufnehmen zu wollen, resigniert aber angesichts seiner Unberührbarkeit rasch; am Ende dominiert der Wunsch, sich aus dem Kontakt zurückziehen zu wollen.“

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19
Q

Achse 2: Beziehung (maladaptive Beziehungsmuster)

• Das Ergebnis kann dann beziehungsdynamisch formuliert werden

A
20
Q

Achse 3: Konflikt

• Zentrale Frage :

A

• Zentrale Frage : Welche Konflikte bewegen den Patienten?

21
Q

Achse 3: Konflikt

Was sind psychodynamische Konflikte?

A

Was sind psychodynamische Konflikte?
• = Innere unbewusste Konflikte zwischen Vorstellungen/Motiven, die mit anderen Normen, Werten, Gedanken oder Motiven nicht vereinbar sindàinnere Spannung
• Nicht gemeint:
– äußere Konflikte z.B. Streit mit Freunden oder Familie
– bewusste Konflikte (Einerseits möchte ich dies, aber andererseits…)
• Psychodynamischen Annahmen:
– menschliches Verhalten wird fortlaufend durch unbewusste Gedanken, Wünsche und Vorstellungen beeinflusst
– Innere unbewusste Konflikte spielen bei der Entstehung von psychischen und psychosomatischen Störungen eine entscheidende Rolle

22
Q

Achse 3: Konflikt

1. Individuations-Abhängigkeits-Konflikt

A
  1. Individuations-Abhängigkeits-Konflikt
    • Spannung zwischen der Suche nach enger Beziehung und intensiver, symbiotischer Nähe (Abhängigkeit) und dem Streben nach betonter Selbstständigkeit und ausgeprägter Distanz (Individuation)
    • Passiver Modus:
    – Enge, dauerhafte Beziehungen um jeden Preis, Vermeiden von Verantwortung und Eigenständigkeit, Unterordnung unter Wünsche und Interessen der Beziehungsperson, Selbstwahrnehmung von Hilflosigkeit und Schwäche
    • Aktiver Modus:
    – Übersteigerte emotionale und existenzielle Unabhängigkeit, Kampf in allen Lebensbereichen um Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, Unterdrückung eigener Bedürfnisse nach Nähe, Selbstwahrnehmung von Stärke und Nicht-Angewiesensein
23
Q

Achse 3: Konflikt

2. Kontrolle-Unterwerfungs-Konflikt

A
  1. Kontrolle-Unterwerfungs-Konflikt
    • Zentrales Motiv ist, den anderen zu dominieren oder sich dem anderen unterzuordnen, aggressive Affekte spielen eine zentrale Rolle
    • Passiver Modus:
    – Passiv aggressive Unterwerfung, unterschwellig aggressives Verhalten,
    • Aktiver Modus:
    – Aggressives Dominanzstreben, sucht andauernde Kontrolle über andere oder Situationen zu erlangen, Machtkampf mit allen Mitteln, Angst, bestimmt zu werden
24
Q

Achse 3: Konflikt

3. Autarkie-Versorgungs-Konflikt

A
  1. Autarkie-Versorgungs-Konflikt
    • Es geht um „etwas bekommen“ oder im Gegensatz dazu keiner Versorgung zu bedürfen (Abhängigkeit in einer Beziehung, nicht von einer Beziehung)
    • Passiver Modus:
    – Anklammernd, fordernd, Wunsch nach Versorgung durch andere
    • Aktiver Modus:
    – Selbstversorgende, anspruchslose, bescheidene Grundhaltung („ich brauche nichts von anderen“) mit erheblichem altruistischem, aufopferndem Einsatz für andere („ich bin aber immer für andere da“)
25
Q

Achse 3: Konflikt

4. Selbstwertkonflikt

A
  1. Selbstwertkonflikt
    • Die Bemühungen um Selbstwert sind entweder übermäßig stark oder aktuell unzureichend und gescheitert
    • Passiver Modus:
    – Scham, kritischer Einbruch des Selbstwertes, „ich bin nichts mehr“
    • Aktiver Modus:
    – Forcierte Selbstsicherheit gegenüber anderen, „Pseudoselbstsicherheit“, starke Wut, wenn das Selbstbild infrage gestellt wird, andere werden abgewertet
26
Q

Achse 3: Konflikt

5. Schuldkonflikt

A
  1. Schuldkonflikt
    • Schuld wird über ein angemessenes Maß der Verantwortung hinaus entweder sich selbst oder anderen aufgebürdet
    • Passiver Modus:
    – Neigung zu Selbstvorwürfen, sich bei Schwierigkeiten sofort verantwortlich fühlen und zu entschuldigen, Verzicht und Schuldübernahme für andere, Schuld wird durch selbst auferlegte Strafen ausgeglichen
    • Aktiver Modus:
    – Anklagend, Schuld wird immer anderen zugeschrieben, Schuldgefühle werden auf andere abgewälzt, keine Bereitschaft, anteilig Schuld zu übernehmen
27
Q

Achse 3: Konflikt

6. ödipaler Konflikt

A
  1. ödipaler Konflikt
    • Zentrales Motiv: Aufmerksamkeit und Anerkennung als Frau oder Mann gewinnen (nicht Selbstwert), sich anderen zeigen wollen, bei anderen etwas gelten wollen, Kontakt zu anderen erotisch gestalten und genießen wollen
    • Passiver Modus:
    – Graue Maus, sich harmlos und unattraktiv im Hintergrund halten, sich wenig anerkannt und sexuell attraktiv fühlen, sich unterlegen fühlen, nachgeben, Sexualität aus der Wahrnehmung verdrängen, Schüchternheit
    • Aktiver Modus:
    – Durch unangemessenes erotisierendes oder provokatives Verhalten im Mittelpunkt stehen, sich in Szene setzen, glänzen und verführen wollen, Rivalisieren, stark wechselnde, zum Teil dramatische Emotionen, „Platzhirsch“/“Diva“
28
Q

Achse 3: Konflikt

7. Identitätskonflikt

A
  1. Identitätskonflikt
    • Unsicherheit in der Identität, weil sich Widersprüche ergeben zwischen z.B. Körper-, Geschlechts-, Familienidentität, religiöser-, sozialer-, politischer-, beruflicher Identität (z.B. sozialer Aufstieg vs. Identifikation mit sozialer Identität)
    • Nicht gemeint: Konflikte z.B. im Rahmen von Migration, die auf realen Widersprüchen von sozialen Lebensgefügen beruhen
    • Passiver Modus:
    – Identitätsdissonanzen werden verleugnet, was zu einem chronischen Identitätsmangel führen kann „Wer bin ich? Wo gehöre ich hin?“
    • Aktiver Modus:
    – Aktives Überspielen der Unsicherheit in der Identität, Kompensieren durch Konstruktion von Identität (z.B. in Übernahme neuer Familienidentität nach Heirat)
29
Q

Achse 3: Konflikt

• Zentrale Frage : Welche Konflikte bewegen den Patienten?

A
30
Q

Achse 4: Struktur

Zentrale Frage:

A

Zentrale Frage: Wie reguliert sich der Patient?
• Struktur = Verfügbarkeit psychischer Funktionen, um sich selbst und seine Beziehung zu inneren und äußeren Objekten zu regulieren
• Beurteilung in Bezug auf die letzten 1-2 Jahre

31
Q

Achse 4: Struktur

• Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.)

A

„Der 46jährige Patient stellt Muskelschmerzen im rechten Schulter- Arm-Bereich in den Vordergrund. Die sind seit zwei Jahren deutlich verschlimmert. Vorausgegangen war vor mehreren Jahren ein Fahrradunfall, orthopädische und neurologische Untersuchungen blieben ohne Befund. Der Patient berichtet über depressive Gestimmtheit, Gefühl von Kraftlosigkeit und Erschöpfung und dauernde Angespanntheit. Er mache sich viele Gedanken über seine Gesundheit und über seine Zukunft. Er wisse nicht, wie er die Anforderungen im Büro als Controller noch erfüllen könne. Alles sei schwieriger geworden, sei vor zwei Jahren die Firmenleitung wechselte. Die Ehefrau könne seine Klagen über körperliche Beschwerden schon nicht mehr hören, sie sorge sich vor allem um die lernbehinderte Tochter. Dem Patienten mache besonders zu schaffen, dass der 21-jährige Sohn vor einigen Monaten unter Protest ausgezogen sei. Er wisse auf allen Gebieten nicht recht weiter.“

32
Q

Achse 4: Struktur

1a/1b

A

• 1a: Selbstwahrnehmung
– Sich selbst und eigene Gefühle differenziert wahrnehmen
– Sein eigenes Selbstbild konstant halten können
– Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Der Patient […] scheint den körperlichen Ausdruck von Emotionen und primär körperliche Belastungen nicht unterscheiden zu können. Das Bild, das er von sich zeichnet ist wenig facettenreich.“
• 1b: Objektwahrnehmung
– Zwischen eigenen Gefühlen und Gedanken und denen anderer unterscheiden können und andere in ihren verschiedenen Aspekten ganzheitlich und realistisch wahrnehmen können, auch z.B. bei negativen Gefühlen
– Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Auch die anderen werden eher eindimensional aus seiner emotionalen Perspektive der Erwartung und Enttäuschung heraus beschrieben.“

33
Q

Achse 4: Struktur

2a/2b

A

• 2a: Selbstregulierung
– Seine Gefühle, Impulse und seinen Selbstwert regulieren können und dabei weder zu untersteuern
noch zu übersteuern
– Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Der Patient ist erkennbar übersteuert mit seltenen Durchbrüchen. Seine Kränkbarkeit ist spürbar.“
• 2b: Regulierung des Objektbezugs
– Die Beziehung zu anderen nicht durch eigene Impulse belasten, eigene und fremde Interessen
angemessen berücksichtigen können
– Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Die Interessen und Bedürfnisse der anderen werden vom Patienten kaum gesehen und berücksichtigt.“

34
Q

Achse 4: Struktur

3a/3b

A

• 3a: Kommunikation nach innen
– Seine Gefühle erleben und innere Dialoge führen können, seinen eigenen Körper lebendig
wahrnehmen können (nicht als Objekt)
– Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Der Patient wirkt wenig emotional beteiligt und eher rollenhaft normativ. Bezüglich seiner Körperlichkeit ist er ärgerlich auf den Orthopäden, der ‚das immer noch nicht hingekriegt hat‘.“
• 3b: Kommunikation nach außen
– Empathisch sein, Gefühle anderen gegenüber zulassen und anderen seine Gefühle zeigen können
– Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Die Kommunikation zu dem Patienten gestaltet sich vernünftig sachlich, unterschwellig sind Enttäuschung und Misstrauen spürbar. Es entsteht kein Gefühl des ‚Wir‘.“

35
Q

Achse 4: Struktur

4a/b

A

• 4a: Bindung an innere Objekte
– Positive innere Vorstellungen von sich wichtigen anderen Personen haben (Selbst- und Objektrepräsentanzen) und diese nutzen können, um gut für sich zu sorgen und unterschiedliche Beziehungsqualitäten realisieren zu können
• Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Die vom Patienten angesprochenen inneren Objektbilder wirken alle ähnlich; es geht immer darum, dass jemand etwas kritisiert, zum Vorwurf macht, einklagt oder nicht bekommt.“
• 4b: Bindung an äußere Objekte
– Sich emotional an andere binden und deren Unterstützung annehmen können, sich aber auch wieder
von ihnen lösen können
– Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Der Patient ist bemüht, besonders selbstständig zu sein; er signalisiert keine Beziehungswünsche, sucht nicht nach Hilfe.“

36
Q

Achse 5: Psychische und psychosomatische Störungen

• Zentrale Frage:

A

• Zentrale Frage: Welche Diagnose nach ICD-10 oder DSM liegt vor?

37
Q

Therapieplanung und Fokusformulierung

A

Indikationsstellung auf Basis der OPD-Achse I
• Ist für Patient:in überhaupt eine Psychotherapie angezeigt? – Gibt es eine behandlungsbedürftige psychische Störung?
– Will Patient:in etwas verändern? (Leidensdruck)
– Gehören psychosoziale Faktoren zu seinem Krankheitskonzept? – Hat Patient:in genügend persönliche Ressourcen?
– Stehen der Psychotherapie innere oder äußere Hemmnisse entgegen?

Fokusbestimmung auf Basis der OPD-Achsen II-IV
• Auf welche Foki aus den Achsen soll sich die therapeutische Arbeit orientieren? (max. 5)

38
Q

Gütekriterien & Kritik des OPD

A

Erfahrungen mit der OPD-1 – Studien zur Reliabilität (s. Arbeitskreis OPD, 2009):
• Interraterreliabilität Cohens Kappa: – Achse I: .47
– Achse II: .62 bis .56
– Achse III: im Mittel .61 – Achse IV: im Mittel .71
• Stärken: Vereinheitlichung, Operationalisierung àfördert Erforsch- und Lehrbarkeit!
• Kritik (aus VTtler-Sicht)
– Teilweise überlappende Operationalisierungen (Struktur vs. Konflikt, Konflikte
untereinander)
– Viele Konstrukte sind unabhängig vom Beobachter kaum beobachtbaràstark inferentiellàGeringe Interraterreliabilität
(für VT-Konzeptionen zu Fallkonzeptionen sieht die Forschung ähnlich schwach aus; Persons & Tompkins, 2010)

39
Q

Probefrage

  • Was sind Merkmale und Inhalte des psychodynamischen Erstgesprächs
  • Welche Informationsquellen werden im Erstinterview nach Argelander herangezogen?
  • Was bedeuten „szenische Informationen“?
  • Was erfasst die Achse I des OPD-2?
  • Nennen Sie beispielhaft zwei Konflikte aus der Achse III des OPD-2!
  • Wie wird die Verfügbarkeit psychischer Funktionen, um sich selbst und seine Beziehung zu inneren und äußeren Objekten zu regulieren mit einem Begriff bezeichnet?
  • Ein Patient hat große Schwierigkeiten, sich selbst und seine Gefühle wahrzunehmen. Auf welche Achse nach OPD-2 können Sie dies beziehen? Erläutern Sie!
A
40
Q

Was sind Merkmale und Inhalte des psychodynamischen Erstgesprächs

A
  • … Befragung und Beobachtung müssen so gehandhabt werden, dass sie die (unbewusste) interaktiven Beziehung nicht behindern.
  • Bei der anschliessenden Formulierung dieser unbewussten Interaktion sollen dann wieder die Ergebnisse der Befragung/Beobachtung mitberücksichtigt werden.
  • Die initiale Beziehung sollte durch Therapeut:innen ohne Bewertung gestaltet werden – offene Grundhaltung. Position der Zurückhaltung. Therapeut:innen geben Patient:innen den Raum, ihnen eine bestimmte Rolle zuzuschreiben.
  • Die Beziehung wird durch Übertragung und Gegenübertragung gestaltet. Es geht um den Aufbau eines intersubjektiven Übertragungsraumes.
41
Q

Welche Informationsquellen werden im Erstinterview nach Argelander herangezogen?

A

Interviewinformationen aus 3 verschiedenen Quellen
– Objektive Informationen: persönliche Angaben/ biografische Fakten, die jederzeit nachprüfbar sind
– Subjektive Informationen: Bedeutungssysteme der Patient:innen, die mithilfe der Therapeut:innen aufgearbeitet werden. Kriterium für Gültigkeit der Interpretation ist die situative Evidenz
– szenische/situative Informationen: Wie wird eine Situation erlebt? Wahrnehmung non-verbaler Informationen der Szene (Gefühlsregungen und Vorstellungsabläufe)

42
Q

Was bedeuten „szenische Informationen“?

A
  • Beziehung zwischen Therapeut:in und Patient:in wird genutzt zur Entwicklung diagnostischer Hypothesen und für Überlegungen zur Indikation.
  • Therapeut:in wird unbewusst vonPatient:in als ein Gegenüber erlebt, das früheren Objekten entspricht (Reinszenierung).
  • Am Anfang dominiert das Erlebnis der Situation mit allen darin entstehenden Gefühlsregungen und Vorstellungsinhalten und vor allem auch körperlichen Reaktionen (von Patient:in und Therapeut:in).
43
Q

Was erfasst die Achse I des OPD-2?

A

Achse I: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen

zentrale frage: welche Störungen oder Probleme und Ressourcen liegen vor?

Erläuterungen zu Veränderungsressourcen/Veränderungshemmnissen • Veränderungsressourcen
– Persönliche Ressourcen: z.B. gute Krankheitsbewältigung, positives Lebensgefühl, gesundheitsförderliche Lebensgewohnheiten, soziale Kompetenzen
– Psychosoziale Unterstützung: Ist soziale Unterstützung da und (darauf kommt es an) kann der Patient das auch wahrnehmen und nutzen?
• Veränderungshemmnisse
– Äußere Veränderungshemmnisse: z.B. ob Psychotherapie verfügbar ist, die berufliche Situation
Psychotherapie erlaubt oder wie das soziale Umfeld gegenüber Psychotherapie eingestellt ist
– Innere Veränderungshemmnisse: z.B. Widerstand gegen Veränderung, eingeschränkte Belastbarkeit oder Reflexionsfähigkeit, sekundärer Krankheitsgewinn

44
Q

Nennen Sie beispielhaft zwei Konflikte aus der Achse III des OPD-2!

A

Was sind psychodynamische Konflikte?
• = Innere unbewusste Konflikte zwischen Vorstellungen/Motiven, die mit anderen Normen, Werten, Gedanken oder Motiven nicht vereinbar sindàinnere Spannung

  1. Kontrolle-Unterwerfungs-Konflikt
    • Zentrales Motiv ist, den anderen zu dominieren oder sich dem anderen unterzuordnen, aggressive Affekte spielen eine zentrale Rolle
    • Passiver Modus:
    – Passiv aggressive Unterwerfung, unterschwellig aggressives Verhalten,
    • Aktiver Modus:
    – Aggressives Dominanzstreben, sucht andauernde Kontrolle über andere oder Situationen zu erlangen, Machtkampf mit allen Mitteln, Angst, bestimmt zu werden
  2. Selbstwertkonflikt
    • Die Bemühungen um Selbstwert sind entweder übermäßig stark oder aktuell unzureichend und gescheitert
    • Passiver Modus:
    – Scham, kritischer Einbruch des Selbstwertes, „ich bin nichts mehr“
    • Aktiver Modus:
    – Forcierte Selbstsicherheit gegenüber anderen, „Pseudoselbstsicherheit“, starke Wut, wenn das Selbstbild infrage gestellt wird, andere werden abgewertet
45
Q

Wie wird die Verfügbarkeit psychischer Funktionen, um sich selbst und seine Beziehung zu inneren und äußeren Objekten zu regulieren mit einem Begriff bezeichnet?

A

Struktur

46
Q

Ein Patient hat große Schwierigkeiten, sich selbst und seine Gefühle wahrzunehmen. Auf welche Achse nach OPD-2 können Sie dies beziehen? Erläutern Sie!

A

Achse 4: Struktur

1a: Selbstwahrnehmung
– Sich selbst und eigene Gefühle differenziert wahrnehmen
– Sein eigenes Selbstbild konstant halten können
– Beispiel (aus: Arbeitskreis OPD, 2009, S. 276 f.): „Der Patient […] scheint den körperlichen Ausdruck von Emotionen und primär körperliche Belastungen nicht unterscheiden zu können. Das Bild, das er von sich zeichnet ist wenig facettenreich.“