4. Psychopathologischer Befund Flashcards
Modelle klinisch-psychologischer Diagnostik
Diagnostische Teilschritte (Reimer und Rüger, 2012)
• „Eine zeitgemäße psychodynamische Diagnostik integriert die bewährten psychodynamischen Ansätze und gelangt damit abschließend zu einer psychodynamischen Fallformulierung, aus der sich auch eine diagnostische Klassifikation und eine individuelle Behandlungsplanung ableiten lässt.“ (Reimer & Rüger, 2012, Kap. 3, S 41)
• Die wichtigsten diagnostischen Teilschritte:
– 1.ErfassungderEingangsszene
– 2.BeschreibungdesklinischenBildesundderaktuellen Lebenssituation
– 3.BiografischeAnamnese
– 4.ErfassungderPsychodynamik
– 5.FormulierungderpsychodynamischenDiagnoseundder Klassifikation
– 6.TherapeutischeZielsetzungundBehandlungsplanung
Psychopathologie
- „Gegenstand der Psychopathologie (griechisch: páthos = Leiden, Krankheit, Gefühl, lógos = Wort) sind Definition, Beschreibung, Auflistung und Zuordnung krankhaft veränderter psychischer Funktionen und Eigenschaften.“ (Payk, 2007, S. 5 f.)
- Die Begriffe Psychopathologie und Pathopsychologie werden i.d.R. synonym verwendet
- Beruhen auf der Beobachtung, Beschreibung und Strukturierung psychischer Abnormitäten beim Menschen erschlossen aus sprachlicher Mitteilung, Verhaltensbeobachtung und Psychometrie
- Liefert das für die Diagnostik nötige terminologische Rüstzeug: präzise Begriffe zur Benennung und Beschreibung
- Erkenntnisse sind notwendig zur Diagnosestellung und der darauf aufbauenden Therapiestrategie
Das AMDP-System
- Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (2015)
- Fremdbeurteilungsverfahren, das der internationalen Vereinheitlichung psychiatrischer Diagnostik und Forschung dient
- Kernstücke des AMDP-Systems: „Psychischer Befund“ und „Somatischer Befund“ (aber auch Fragen zur Anamnese)
Das AMDP-System: Struktur
- Anamnese 1: Soziodemographische Daten
- Anamnese 2: Einflüsse auf Genese und Funktion der Erkrankung
- Anamnese 3: Krankheitsverlauf, Suizidalität, Vorbehandlungen
- Psychischer Befund: 100 Symptome
- Somatischer Befund: 40 Symptome
AMDP-System: Psychischer Befund
- Bewusstseinsstörungen
- Orientierungsstörungen
- Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen
- Formale Denkstörungen
- Befürchtungen und Zwänge
- Wahn
- Sinnestäuschungen
- Ich-Störungen
- Störungen der Affektivität
- Antriebs- und psychomotorische Störungen
- Circadiane Besonderheiten
- Andere Störungen
Das AMDP-System
- Für die Beurteilung des jeweiligen Merkmals sind alle zur Verfügung stehenden objektiven (z.B. Untersuchung, Gespräch, Verhaltensbeobachtung) und subjektiven (vom Patienten berichteten) Informationen heranzuziehen
- Es ist systematisch zu jedem Merkmal Stellung zu nehmenàhoher Zeitaufwand!
AMDP-System: Psychischer Befund
Der psychopathologische Befund
- Psychopathologischer Befund: Abweichungen und Veränderungen von psychischen Funktionen werden registriert, geordnet und dokumentiert, vorerst ohne Interpretation, d.h. ohne weitere Aussagen über Hintergründe und diagnostische Zuordnungen
- Dafür werden Informationen verwendet
- aus der Beobachtung des Verhaltens (motorische Aktivität, Sprechakte)
- die der Patient mitteilt (Erlebnisse, Erfahrungen, Emotionen etc.)
- aus Testverfahren (z.B. zur Merkfähigkeit)
- Voraussetzungen:
- Fachliches Wissen und berufliche Erfahrung
- Gesprächsführungskompetenzen (z.B., wer sich nicht verstanden fühlt, wird ggf. bestimmte Informationen nicht mitteilen)
- Reflexion des eigenen Gesprächsführungsverhaltens und von systematischen Beobachtungsfehlern
Symptom – Syndrom – Störungsbild
• Symptom (griechisch: sýmptoma = Eigentümlichkeit): gestörte oder zumindest veränderte Elementarfunktion oder Eigenschaft
– Objektive Symptome: von außen zu beobachtende oder psychometrisch erfasste Symptome
– Subjektive Symptome: beschreibt der Betroffene selbst(Befinden)
• Psychopathologische Symptome sind „diagnostische Bausteine“, die kleinsten phänomenologisch zu unterscheidenden und operationalisierbaren Störungseinheiten
CAVE: Ein einzelnes Symptom für sich genommen ist unspezifisch
– gleiche oder ähnliche Symptome können bei unterschiedlichen psychischen Störungen auftreten
– bei der selben Störung können verschiedene Symptome auftreten
– ein Symptom ist nicht zwingend ein Zeichen für eine psychische Störung
Syndrom (griechisch: syndromé = zusammenlaufen): Symptome, die regelhaft miteinander zusammen auftreten bzw. deren gemeinsames Auftreten auf einen inneren Zusammenhang hinweist
– z.B.: Angstsyndrom, dementielles Syndrom, depressives Syndrom…
Leitsyndrom: Symptomverbindung, die besonders charakteristisch für ein bestimmtes Störungssbild ist
Bewusstsein
• „Bewusstsein – ein Zustand – umfasst alle registrierten Wahrnehmungen, Gedanken, Vorstellungen, Erinnerungen und Empfindungen im Zustand der Wachheit.“ (Payk, 2007, S. 136)
Bewusstseinsstörungen im AMDP
Störungen des gesamten Erlebens und Verhaltens
Ein quantitatives Merkmal:
– Bewusstseinsverminderung (Ausmaß)
Drei qualitative Merkmale:
– Bewusstseinstrübung
– Bewusstseinseinengung
– Bewusstseinsverschiebung
Bewusstseinsverminderung
Störung der Wachheit, der Vigilanz
Reicht von Benommenheit bis zu Somnolenz, Sopor, Koma
Unterschiedliches Maß an Schläfrigkeit und Verlangsamung
– Leicht: dösig, benommen, schläfrig, reagiert aber auf Ansprache – Schwer: nur durch starke Reize weckbar (z.B. Schmerz)
Bewusstseinstrübung
- Qualitative Beeinträchtigung der Bewusstseinsklarheit
- Die Fähigkeit ist gestört, verschiedene Aspekte der eigenen Person, der eigenen Lebenswirklichkeit und der Umwelt zu verstehen, sie sinnvoll miteinander zu verbinden, sich entsprechend mitzuteilen und sinnvoll zu handeln
Bewusstseinseinengung
Fokussierung des Denkens, Fühlens und Wollens auf wenige Themen
Metapher: „Lichtkegel des Bewusstseins“ à enger und wenig beweglicher Lichtkegel
Patient ist fixiert auf oder fasziniert durch bestimmte innere Erlebnisse oder äußere Gegebenheiten
Verminderte Ansprechbarkeit auf Außenreize
In leichter Ausprägung auch bei Hypnose, äußerster Konzentration, oder Meditation
Bewusstseinsverschiebung
Subjektives Erleben eines erweiterten Bewusstseins durch Steigerung der Wachheit, intensivierter Wahrnehmung von Raum und Zeit, verfeinerter Sinnesempfindungen und eines erweiterten Erfahrungshorizontes
Kommt vor z.B. bei: Meditation, Hypnose, Intoxikationen, Stimulantien; beim manischen und schizophrenen Syndrom, schizotypische Persönlichkeitsstörung
Orientierungsstörungen im AMDP
Orientierung: Bescheidwissen über Zeit, Ort, Situation und Person
Meint nicht wahnhafte Situations- und Personenverkennungen, wenn eine reale Orientierung vorhanden ist (z.B. wenn Patient sich als Gott fühlt, aber über seine reale Situation Bescheid weiß)
Orientierung zur Zeit
Orientierung zum Ort
Orientierung zur Situation
Orientierung zur Person
- Orientierungsstörungen sind leicht zu kaschieren à Prüfen!
Zeitliche Orientierungsstörung
• Wissen um Datum, Tag, Tageszeit, Monat, Jahr, Jahreszeit ist vermindert oder aufgehoben.
– Genauer Kalendertag muss nicht unbedingt gewusst werden (darf leicht abweichen), aber Wochentag muss gewusst werden
• Unterscheide!
– Zeitgitterstörung (falsche Einordnung von Gedächtnisinhalten in das richtige Zeitgitter)àGedächtnisstörung
Örtliche Orientierungsstörung
• Der gegenwärtige Aufenthaltsort wird nicht oder unscharf gewusst • Unterscheide!
– Wenn sich ein Patient sich in seiner Umgebung nicht zurechtfindet (Zimmer nicht findet)àGedächtnisstörung
Situative Orientierungsstörung
• Störung der Erfassung (Auffassung) der jeweiligen Situation in ihrem Bedeutungs- und Sinnzusammenhang für die eigene Person
– Beispiel für eine Situation: Untersuchungssituation, in der er der Patient und der andere der Therapeut ist
– Führt oft zu Verwirrtheit, Verständnislosigkeit, teilweise Aggressivität
Orientierungsstörung zur eigenen Person
• Die aktuelle persönliche, lebensgeschichtliche Situation wird nicht oder nur teilweise gewusst
–> Geburtstag, Alter, Name, Anzahl und Name der Kinder, Name des Partners, Beruf/Beschäftigung, Rolle im Lebensalter und sozialen Kontext
Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen im AMDP-System
Bildet verschiedene Aspekte kognitiver Beeinträchtigung ab – Auffassungsstörungen
– Konzentrationsstörungen
– Merkfähigkeitsstörungen
– Gedächtnisstörungen – Konfabulationen
– Paramnesien
Manche sind im Gespräch vom Interviewer nicht beobachtbar, wenn sie trotzdem plausibel geschildert werden, sind sie als „leicht“ einzuschätzen
– Unterscheide!: Wenn nicht plausibelàz.B. Insuffizienzgefühle?
-Auffassungsstörung (AMDP)
Störung der Fähigkeit, Wahrnehmungen in ihrer Bedeutung zu begreifen und sinnvoll miteinander zu verbindenàkognitive Verarbeitung
Auch: Konkretismus
– Beeinträchtigung der Fähigkeit zu abstrahierend-symbolischem Denken
– Beispiele: Haften an Details, Probleme bei Verallgemeinerungen
Fehlende Auffassung, falsche Auffassung oder verlangsamte Auffassung (schwerbesinnlich)
-Prüfung der Auffassung
Allgemeiner Gesprächskontext
Sprichwörter
Fabeln
Bildgeschichten
Gemeinsamkeiten/Unterschiede
Auf fremdsprachliche Schwierigkeiten achten
Konzentrationsstörungen (AMDP)
Verminderte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit ausdauernd einer Tätigkeit oder einem Thema zuzuwenden
Zeigen sich v.a. durch Zunahme von Fehlern im Verlauf von Aufgaben, durch Zerstreutheit, vermehrte Ablenkbarkeit, verminderte Ausdauer
subjektiv plausibel berichtet oder im Gespräch festgestellt
Prüfung der Konzentration
Monatsnamen vorwärts (relativ stark automatisiert)
Monatsnamen rückwärts (Modifikation eines automatisierten Vorgangs)
Von 100 immer 5 abziehen (abstrakte Leistung mit einfachem System)
Von 100 immer 7 abziehen (abstrakte Leistung mit häufigem 10er- Sprung)
Achtung unterscheide: Dyskalkulie!
Mnestische Störung im AMDP
Bis 10 Minuten:
Merkfähigkeitsstörung
Ab 10 Minuten:
Gedächtnisstörung
Merkfähigkeitsstörungen (AMDP)
Herabsetzung bis Aufhebung der Fähigkeit, sich frische Eindrücke über eine Zeit von ca. 10 Minuten zu merken
Abhängig von: Sinnesgebiet, Material, affektiver Bedeutung der Inhalte, Abrufmethode (Wiedererkennen vs. Reproduktion)
Prüfen:
– z.B. drei Begriffe (ein bedeutungsneutraler abstrakter Begriff, ein Gegenstand des täglichen Lebens, ein ferner liegender Gegenstand z.B. geographischer Begriff)à„35“, „Oslo“, „Aschenbecher“
Gedächtnisstörungen (AMDP)
Herabsetzen bis Aufhebung der Fähigkeit, Eindrücke oder Erfahrungen längerfristig (länger als ca. 10 Minuten) zu speichern bzw. Erlerntes aus dem Gedächtnis abzurufen
Zusammenfassung des eher labilen Frischzeitgedächtnisses (bis ca. 60 Minuten) und des eher stabilen Altgedächtnisses (weiter zurückliegende Erfahrungen) abgebildet.
Auch:
– Amnesien
– Zeitgitterstörungen
Konfabulationen (AMDP)
Auffüllen von Erinnerungslücken mit spontan wechselnden Einfällen
Prüfen: denselben Sachverhalt mehrfach erfragenàwechselnde Antworten, was der Patient nicht bemerkt
Immer zusätzlich markieren: Gedächtnisstörung (liegt dem zugrunde)
Paramnesien (AMDP)
Erinnerungsverfälschungen oder -täuschungen
Déja-vu: vermeintliche Vertrautheit, falsche Bekanntheit
Jamais-vu: vermeintliche Fremdheit
Ekmnesien: Störungen des Zeiterlebens bzw. der zeitlichen Einordnung (Gefühl in der Vergangenheit zu leben)
Hypermnesien: Steigerung der Erinnerungsfähigkeit
Flashbacks : Nachhallerinnerungen
Falsche Erinnerungen: false-memory-syndrome
Unterscheide: wahnhafte Erinnerungen sind nicht gemeint
Formale Denkstörungen im AMDP
gehemmt (subjektiv gebremst)
verlangsamt (fremdbeobachtet langsam)
umständlich
eingeengt
perseverierend
Grübeln
Gedankendrängen
Ideenflüchtig
Vorbeireden
Gesperrt /Gedankenabreißen
Inkohärent/zerfahren
Neologismen
Überprüfbar am Sprechen und an der Sprache (symbolhafter Ausdruck des Denkens)
Gehemmt (AMDP)
Denken wird subjektiv als gebremst, verlangsamt oder blockiert wahrgenommen
Wie gegen einen inneren Widerstand, mit großem Kraftaufwand
Bis hin zum subjektiven Erleben, nicht mehr denken zu können
Verlangsamt (AMDP)
- Das Denken des Patienten erscheint dem Beobachter verlangsamt und schleppend
- → „zähes“ Gespräch, stockender Gedankengang, Gesprächspausen