11/12 (Grundlagen; Leistungskondiktion; Nichtleistungskondiktion I: Allgemeine Eingriffskondiktion, Verfügung eines Nichtberechtigten) Flashcards
Dogmatische Grundierung: Trennungs- vs. Einheitslehre der condictio(nes)
- Trennungslehre (hM): Unterscheidung von Leistungs- und Nichtleistungskondiktion(en)
pro: wesentliche Unterschiede der Kondiktionen vor dem Hintergrund des Billigkeitsgedankens der condictio kann Rechnung getragen werden
-> Leistungskondiktion: nichtige Verträge oder sonst fehlgeschlagene Leistungen: Nähe zu Rechtsgeschäften (Annex zum Vertragsrecht/Güterbewegungsrecht)
-> Nichtleistungskondiktion: Eingriff in den Rechts(guts)bereich des Bereicherungsgläubigers: Nähe zum Deliktsrecht (Annex zum Eigentumsrecht/Güterschutzrecht)
=> daraus ergeben sich unterschiedliche Maßstäbe für die Bestimmung des rechtlichen Grundes bzw. für das Fehlen desselben
pro: §§ 813, 814, 815, 817, 819 Abs. 2 und 820 Abs. 1 nehmen ausdrücklich auf eine “Leistung” Bezug - Einheitslehre (mM, hist. hM): Einheitlicher Kondiktionstatbestand
pro: einheitliches Ziel einer Rückgängigmachung ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen
pro: einheitlicher Wortlaut “ohne Rechtsgrund” wird nach hM unterschiedliche ausgelegt
Systematik der Leistungskondiktion(en)
- condictio indebiti: Fehlender Rechtsgrund, § 812 I 1 Alt. 1
- > Sonderfall der Erfüllung trotz Einrede, § 813 I S. 1
- condictio ob causam finitam: Wegfall des rechtlichen Grundes, § 812 I 2 Alt. 1
- condictio ob rem: Fortfall des Zwecks, § 812 I 2 Alt. 2
- condictio ob turpem vel iniustam causam: § 817 S. 1
Etwas erlangt
- eA: vermögensorientierte Betrachtung: jeder vermögenswerte Vorteil
- aA: gegenstandsorientierte Betrachtung: jede vorteilhafte Rechtsposition
=> dazu: P: Bestimmung des Bereicherungsgegenstands bei Gebrauchsvorteilen und Dienstleistungen
- > konkrete Rechtspositionen (nicht Sache, sondern Besitz oder Eigentum an der Sache)
- > auch: Befreiung von einer Verbindlichkeit
P: Bestimmung des Bereicherungsgegenstands bei
Gebrauchsvorteilen und Dienstleistungen
- BGH: Bereichungerungsschuldner hat Ersparnis von Aufwendungen erhalten (§ 818 II) (Vermögensorientierte Betrachtung)
- > Konstellation, dass eigentlich keine Aufwendungen erspart wurden, da Bereicherungsschuldner die Leistung normalerweise nicht in Anspruch genommen hätte (Luxusaufwendungen)
- -> schon bei der Prüfung des Bereicherungsgegenstandes (nach BGH: Ersparnis der Aufwendungen) ist mögliche Entreicherung zu prüfen (§ 818 III)
con: gem. der Systematik ist § 818 III auf Ebene des Umfangs des Bereicherungsanspruches zu prüfen
con: Haftung des bösgläubigen Bereicherungsschuldners für Luxusaufwendungen: nach § 818 III liegt kein “etwas” vor, sodass § 819 systemwidrig bereits im Tatbestand geprüft werden muss - hL: Bereicherungsgegenstand sind die Gebrauchsvorteile oder Dienstleistungen als solche (Gegenstandsorientierte Betrachtung)
pro: systemkonform
pro: Prüfung etwaiger Entreicherung (Luxusaufwendung) erst bei Umfang und Inhalt des Bereicherungsanspruchs
Leistung
- bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens
1. Mehrung fremden Vermögens
2. Zweckrichtung dieser Mehrung
3. Bewusstsein des Leistenden um die Vermögensmehrung und den Zweck (generelles Leistungsbewusstsein ausreichend)
-> vs. Zuwendung (= bloße Vermögensverschiebung, welche nicht die Anforderungen an den Leistungsbegriff erfüllt (keine Zweckrichtung oder kein Leistungsbewusstsein) - jedoch ausreichend, wenn eine Zuwendung als Leistung [aus Sicht des Empfängers] »zugerechnet« werden kann)
- > zentral für modernen Leistungsbegriff: Zweckbindung als notwendige Verbindung von Leistung und rechtlichem Grund
- > bei Auseinanderfallen der Zweckvorstellungen der Parteien (Rspr. und hL): objektivierte Betrachtung aus Sicht des Empfängers (Auslegungsregeln der WE gem. §§ 133, 157 (analog) anwendbar, da Zweckbestimmung (bzw. Tilgungsbestimmung) als zumindest rechtsgeschäftsähnliche Handlung gilt)
Bestimmung der Parteien der Leistungskondiktion durch den modernen Leistungsbegriff (Zweckbindung entscheidend)
- wenn Zuwendender gegenüber dem Empfänger der Leistung keinen eigenen Zweck verfolgt, kann er nicht Gläubiger des Bereicherungsanspruches sein (bspw. Banküberweisung)
con: bei komplizierten Mehrpersonenverhältnissen kommt es mitunter zu unsachgemäßen Lösungen
pro: sachgemäße Lösungen in Zweipersonenverhältnissen
pro: Ausgangspunkt für Überlegungen in Mehrpersonenverhältnissen - maßgeblich ist wiederum der objektivierte Empfängerhorizont, wonach Zuwendung der Person zuzurechnen ist
-> Abgrenzung zwischen (echter) eigener Leistung des Dritten (§ 267) und Drittem als Leistungsgehilfen (§ 362 II - Leistung an einen Dritten) - erforderlich sind
-> Guter Glaube an Leistung dieser Person
-> Veranlassung/Anweisung der Zuwendung durch Leistenden
[-> Zurechenbare Hervorrufung eines entspr. Rechtsscheins genügt]
Ohne rechtlichen Grund: objektive vs. subjektive Rechtsgrundtheorie
- grds. = Kein Anspruch auf Erlangen oder Behalten des erhaltenen Etwas
- objektiv (hM): rechtlicher Grund besteht bei der allgemeinen Leistungskondiktion in der Existenz eines wirksamen Schuldverhältnisses (ieS), aufgrund dessen der Empfänger die Leistung verlangen (Anspruch) oder behalten (gem. § 362 I erfüllter Anspruch) darf
pro: etablierte Rechtspraxis - subjektiv (neuere Lit): rechtlicher Grund besteht nicht, wenn der Leistende den damit verfolgten Zweck nicht erreicht hat
pro: einheitliche Beurteilung des rechtlichen Grundes bei allen Leistungskondiktionen
con: bei § 812 I 1 Alt. 1: führt zu (unnötig) doppelter Prüfung, da für eine (subjektive) Zweckverfehlung das objektive Fehlen der zugrundeliegenden causa vorausgesetzt wird
con: auf Zweckverfehlungskondiktion zugeschnitten, die ungerechtfertigterweise als Grundtatbestand der Leistungskondiktion firmiert
§ 813 S. 1 als eigene AGL
- Sonderfall zur condictio indebiti
- statt “ohne rechtlichen Grund”: “zur Erfüllung eines Anspruches, dessen Geltendmachung aufgrund einer Einrede dauernd ausgeschlossen ist”
- > Einrede der Bereicherung (§ 821)
- > Arglisteinrede (§ 853)
- > Einreden des Erben (§§ 1973, 1975, 1990)
- > Einrede des Bürgen aus § 768 Abs. 1 S. 1 wegen Unwirksamkeit einer Sicherungsvereinbarung zwischen Gläubiger und Hauptschuldner
- > § 242
- > nicht: Verjährungseinrede (§ 813 I 2 iVm 241 II) (würde Ziel der Verjährung konterkarieren, gerade in zweifelhaften Fällen Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu schaffen)
- > nicht: Mängeleinrede (§ 438 IV S. 2) (würde kurze Verjährungsfrist aus § 438 I und speziellere Regelung der Rückabwicklung nach § 438 IV S. 3 umgehen)
Ausschlüssgründe: § 814
- restriktiv auszulegen: positive Kenntnis der Nichtschuld bzw. Existenz der dauerhaften Einrede (Parallelwertung in der Laiensphäre)
- > Kenntnis der Umstände, die diese konstituieren, nicht ausreichend
- > gilt nur für § 812 I 1 Alt. 1 und § 813 I S. 1
- > Sonderfall des venire contra factum proprium (§ 242)
- Leistung trotz Wissen um Anfechtungsberechtigung
- > § 142 II
- > jedoch idR bereits “ohne Rechtsgrund” (-), da Leistung trotz Wissen um Anfechtungsberechtigung als konkludente Bestätigung gem. § 144
§ 812 I S. 2 Alt. 1: Konstellationen der condictio ob causam finitam
- hM: Anfechtung gem. § 142 I führt zu condictio indebiti (gegen den historischen Willen des Gesetzgebers)
pro: ex tunc-Wirkung - Eintritt der auflösenden Bedingung (§ 158 II)
- Eintritt der auflösenden Befristung (§ 163 iVm § 158 II)
- Schenkungswiderruf (§ 530)
- § 817 S. 2 analog (+), § 814 (-) (positive Kenntnis vom fehlenden rechtlichen Grund müsste zum Zeitpunkt der Leistung vorliegen)
§ 812 I S. 2 Alt. 2: condictio ob rem: Anwendungsbereich (“Erfolg”)
- Zweck der Leistung darf nicht in der Erfüllung einer Verbindlichkeit bestehen (-> dann § 812 I 1 Alt. 1)
- Leistung ohne Verpflichtung
a) Veranlassungsfälle: Empfänger der Leistung soll zu einem bestimmten, rechtlich nicht erzwingbaren Verhalten und damit zu einer freiwilligen Gegenleistung
veranlasst werden, zu der sich der Empfänger rechtlich nicht verpflichten kann oder will
-> in Aussicht genommenes Verhalten kein tauglicher Gegenstand einer rechtsgeschäftlichen Bindung (Bsp: Abwendung einer Strafanzeige; Freikauf von Prostitution)
-> Erbringen der Leistung bei einem nichtigen Vertrag trotz Kenntnis der Nichtigkeit (Notarfälle)
b) Vorleistungsfälle: es wird in der Erwartung geleistet, den Empfänger zum Abschluss eines Rechtsgeschäftes und zur Gegenleistung zu bewegen - Leistung mit Verpflichtung bei Verfolgung eines über die Vertragserfüllung hinausgehenden Zwecks (“Zweckanstaffelung”), str.
- > eA (Rspr): condictio ob rem
pro: für (Zusatz-)Zweck besteht gerade keine vertragliche vorrangige Rückabwicklungsmöglichkeit
pro: aufgrund TBlicher Verschiedenheit besteht keine Überschneidung mit Störung der Geschäftsgrundlage
- -> BGH: parallele Anwendbarkeit beider AGL möglich
- > aA (hL): § 313 (mit Anpassung des Kaufpreises)
- -> MüKo: § 313 TBlich vorrangig
§ 812 I S. 2 Alt. 2: condictio ob rem: Zweckvereinbarung und Abgrenzungen
= tatsächliche Willensübereinstimmung in dem Sinne, dass der Empfänger die Erwartung des Leistenden kennt und durch die Annahme zu verstehen gibt, dass er die Zweckbestimmung billigt (keine Einigung iSe rechtsgeschäftlichen Bindung)
- vs.: einseitiges Motiv
- vs.: vertragliche Verpflichtung: Bestehen einer vertraglichen Vereinbarung über den Leistungszweck und eines erzwingbaren Anspruches auf Herbeiführung des bezweckten Erfolges (§§ 133, 157) -> vertragliche Ansprüche; condictio indebiti
- vs.: Geschäftsgrundlage: bezweckter Erfolg wird lediglich von beiden Parteien vorausgesetzt, aber nicht vereinbart (insb. Abgrenzungsprobleme zur konkludent vereinbarten Zweckvereinbarung)
§ 817 S. 1: eigene AGL
- regelmäßig ist bei rechts- oder sittenwidrigem Empfang das Grundgeschäft bereits nach §§ 134, 138 nichtig (-> § 812 I 1 Alt 1) -> nebeneinander anwendbar
- Auffangtatbestand, wenn ausnahmsweise der Vertrag nicht unwirksam ist:
a) Verstoß nur durch den Empfänger
b) Kondiktion trotz § 814 (eigenständiger Anwendungsbereich jedoch fraglich, da bei rechts- oder sittenwidrigem Verstoß sich der Bereicherungsgläubiger nach Treu und Glauben nicht auf § 814 wird berufen können) - condictio ob rem und § 817 S. 1: nebeneinander anwendbar, wobei § 817 S. 1 auch bei Zweckverwirklichung eingreift, solange der Zweck rechts- oder sittenwidrig ist (bspw. Schweigegeld kann auch zurückgefordert werden, auch wenn geschwiegen wurde)
- Kenntnis erforderlich?
- > eA: objektiver Gesetzes- oder Sittenverstoß reicht aus
pro: Bereicherungsrecht zielt auf die Regelung der materiell richtigen Güterzuordnung ab - > aA (hM): positive Kenntnis erforderlich bzw. Bewusstsein, sittenwidrig zu handeln
pro: Parallele zum subjektiven Erfordernis von § 817 S. 2
§ 817 S. 2: Voraussetzungen
- Direkt nur auf Anspruch aus § 817 S. 1 anwendbar
- subjektives Element wegen der einschneidenden Wirkung des § 817 S. 2 erforderlich (Bewusstsein der Gesetz- oder Sittenwidrigkeit oder leichtfertiges Verschließen vor dieser Einsicht)
§ 817 S. 2 analog
- “Gleichfalls”: nach Sinn und Zweck erst recht anzuwenden, wenn nur Leistendem ein Rechts- oder Sittenverstoß vorzuwerfen ist (hM)
- gilt für alle Leistungskondiktionen
pro: Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage (“nemo auditur turpitudinem suam allegans” – niemand wird gehört, der aus seiner eigenen Schändlichkeit [vorteilige Rechtsfolgen] herleiten will)
pro: da causa regelmäßig nach §§ 134, 138 nichtig ist, würde § 817 S. 2 leerlaufen, wenn er nicht auf den parallel anwendbaren § 812 I 1 Alt. 1 angewendet würde - weitere Herausgabeansprüche (v.a. §§ 985, 667, 894, 826)
- > eA (Rspr): (-)
pro: restriktive Auslegung des § 817 S. 2 als Ausnahme
con: generelle Leitbildfunktion der §§ 812 ff. in Leistungsverhältnissen (BeckOK) - > aA (Lit): (+), wenn nicht nur das Kausalgeschäft, sondern auch das dingliche Geschäft nach §§ 134, 138 nichtig ist
pro: Leistender soll bei einem solchen schwereren Mangel nicht besser stehen als bei der bloßen Nichtigkeit des Kausalgeschäfts
pro: Charakter des Ausnahmetatbestandes weniger wichtig als die Frage, ob die ratio der Vorschrift zutrifft
pro: wenn ein weiterer Herausgabeanspruch gegeben ist, würde der Ausschluss des § 817 S. 2 leerlaufen