Völkerrecht II Flashcards
Vorbemerkungen
Unterscheidung von Konflikten
- herkömmlicher Dualismus: Staaten- und Bürgerkrieg
- zweite Hälfte 20. Jhr.: Tendenz zu asymmetrischen Kriegen
asymmetrischer Krieg
mE: Am Krieg sind Akteure unterschiedlicher Kategorien beteiligt
Wiki: Ein asymmetrischer Krieg ist eine militärische Auseinandersetzung zwischen Parteien, die waffentechnisch, organisatorisch und strategisch stark unterschiedlich ausgerichtet sind.
Staatenkrieg
- souveräne Staaten als Akteure
- Krieg zw. im Prinzip Gleichen
- typ. Ziel: Selbstverteidigung
- (im Prinzip) klare Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung
Bürgerkrieg
- innerstaatlicher Krieg zwischen mind. zwei Gruppen
- oft internationale Beteiligung (internationalisierter Bürgerkrieg)
- Ziel: Erringen der innerstaatlichen Macht (pol. Macht), Beendigung des Kriegs
Bsp. Spanischer Bürgerkrieg 1936-1939, äthiopischer Bürgerkrieg 2020 – heute, Sudanesischer Bürgerkrieg 2023 – heute
Partisanenkrieg
- Wesen: Defensiver Krieg, der typischerweise gegen eine Besatzungsmacht geführt wird
- Partisanen agieren aus einer Position der Unterlegenheit heraus
- Ziel: Schwächung des Gegners durch Anschläge/Zermürbung
- Sieg ist nicht nötig, nur keine Niederlage
- asymmetrischer Krieg
- oft ao. grausam, denn gerade Grenzen zwischen Zivilbevökerung und Kombattanten verschwimmen
- Zivile als mitlitärische Ressource
- schwere Strafen für Zivile (bspw. bei Kooperation mit Partisanen) von Besatzungsmacht
Bsp. Partisanenkriege in Osteuropa gegen deutsche Besatzer ab 1942; die Résistance in Frankreich und Belgien; kurdische Peschmerga im Irak, “Atesh” auf der Krim
Terrorkrieg
- Akteure: nichthierarchische Netzwerkorganisationen
- ebenfalls aus unterlegener Position
- offensiver asymmetrischer Krieg
- zielt auf die psychischen - nicht physischen (Partisanenkrieg) - Ressourcen des Gegners
- kann im eigenen/fremden Land geführt werden
- Ziel: Weltbild durchsetzen, Angst verbreiten
Bsp. Anschläge auf frz. und amerikanische Truppen in Beirut 1983 (ca. 300 Todesopfer)
Guerillakrieg
- Hinterhalte und Überfälle
- zielt auf Verzettelung/physische Schädigung der überlegenen Macht
- soll die wirtschaftlichen Grundlagen der Kriegsführung erodieren
- war traditionell Element eines “grossen Krieges”
- Verselbständigung in Zusammenhang mit Unabhängigkeitskriegen
Bsp. Algerienkrieg 1954-1962; Vietnamkrieg (Vietcong v. US-Truppen) 1964-1973; FARC in Kolumbien
Cyberkrieg
- nie isoliert für sich, kombiniert mir traditioneller Kriegsführung
- Akteure: private und staatliche
- asymmetrische Kriegsführung
- Schädigung des Gegners durch elektronisches Einwirken auf Computersysteme; meist nicht-physische Schäden
- mE: Ursachen für spätere Schäden schaffen
Neue Kriege
- kurz: Krieg / bewaffneter Konflikt als “Geschäftsmodell” bei Wegfall staatlichen Gewaltmonopols
- gescheiterte Staatsbildung oft als Ursprung (wegen Fehlen korruptionsresistenter Eliten)
- ökonomische Grundlage: Arbeitslosigkeit, Flüchtlingslager, humanitäre Hilfe
- Kinder/Jugendliche: Ausschluss von Erwerbsmöglichkeit, eigene Sorglosigkeit
- Sammelbezeichnung für im letzten Vierteljhr. auftretende Kriege
- Staatszerfallskriege (durch Warlords geführt)
- Krieg als kommerzielles Interesse
- Kriegsführung auf eigene Rechnung
- Warlords
- Souveränität nicht als Ziel
- fliessender Übergang zwischen Krieg und Kriminalität
- Anschluss an die Wirtschaftskreisläufe
- ca. 80% der Opfer sind Zivilisten
- bewusst Gewalt gegen Zivilisten
- dauern oft extrem lang
- Friedensprozess statt Friedensschluss
- Kriegsende gar nicht Ziel (mE), daher muss erst jmd. aus dem Kreislauf entfernt werden
- Sexualisierung kriegerischer Gewalt
- sexuelle Gewalt als Strategie
- vs. relative Diszipliniertheit von Kombattanten in Staatenkriegen
- Jugendliche besonders anfällig - Verbreitung: Ränder ehemaliger Imperien (relativer Friede in Industrieländern)
Bsp. Kriege im früheren Jugoslawien, Kriege in Afghanistan seit den 1980er-Jahren
Ende des Zeitalters der Staatenkriege?
- Ausgangspunkt: extrem hohe Kosten
- Technikentwicklung und Kriegskosten
- immer grössere Verluste
- WW als Wendepunkt
- Interesse an Vermeidung als Folge von WWI
- Massenvernichtungswaffen
- riesiges Schädigungspotential
- kaum Begrenzbarkeit
- tendenziell Stärkung der Position des militärisch Schwächeren
- (dadurch) partielle Entkoppelung von Drohpotential und militärischer Stärke
- psychologische Dimension tritt hinzu
- kulturelle Verschiebungen
- Kapitalismus -> abnehmende Kriegsbereitschaft
- postheroisches Zeitalter
Folgen der Verschiebung: Staatenkriege > neue Kriege
- Zunahme kriegsfähiger Akteure
- nicht nur Staaten
- abnehmende Gewalteindämmung wegen abnehmender Kriegszugangshürden
- Entdifferenzierung Kombattanten/Zivilisten
- typischerwiese Zivilisten gerade als Ziele
- Krieg als diffuser Dauerzustand
- kein klarer Beginn / eindeutiges Ende
- Entdifferenzierung Krieg/Kriminalität
- Zunahme von Akteuren ohne eigenes Haftungssubstrat
- nicht-staatliche Akteure (Warlords, Hackergruppierungen) welche “nichts zu verlieren” haben
System der kollektiven Sicherheit
Merkmale
- Angriff gegen ein Mitglied gilt als Angriff gegen alle Mitglieder
- Reaktion als Gemeinschaftsaufgabe
- im Prinzip globale Kriegsverhinderungs- bzw. Eindämmungsabsicht
Weitere Friedenssicherungskonzepte
im Gegensatz zu UNO-System
- blosse Militärallianz / kollektive Verteidigung (zB NATO)
- Imperien (zB Pax Romana/Britannica)
Wegbereiter der modernen Systeme kollektiver Sicherheit
Herzog von Sully: Grand Dessin (1632); Schaffung eines christlich ausgerichteten Völkervereins auf der Grundlage des Gleichgewichts der Kräfte
William Penn: An Essay towards the Present and the Future Peace: By the Establishment of an European Diet, Parliament, or Estates (1693); Einrichtung eines Parlaments oder einer Staatversammlung auf europäischer Ebene
Abbé de St. Pierre: Projet pour rendre la paix perpetuelle en Europe (1713); Vorschlag der Schaffung einer internationalen Organisation mit Zuständigkeit für den Frieden sowie eines internationalen Gerichts
Immanuel Kant: Zum Ewigen Frieden (1795); Friede ist mehr als Waffenstillstand; Republiken führen weniger Krieg, da die Betroffenen selbst entscheiden und auch die Folgen ihrer Entscheidung tragen; Notwendigkeit eines weltweiten Völkerbundes
beachte insb. jeweilige historischen Umstände
Versuche der Errichtung von Systemen kollektiver Sicherheit
vor 1945
Europäische Quadrupelallianz/Pentarchie nach 1815
- Schaffung einer Art Direktorium, das als Wächter des Gleichgewichts der Mächte fungiert
- Zunächst regelmässige Treffen der Grossmächte (bis 1825)
Völkerbund
- Art. 11 Abs. 1 VBS
- Organe: Versammlung, Rat, Sekretariat
Gründe für Scheitern:
- partielle Gewaltächtung (Diggelmann str.)
- Fehlen eines zentralen Sanktionierungssystems
- fehlende Universalität
- Konzessionen an Aggressoren
grds. Stärken und Schwächen
System der kollektiven Sicherheit
Hautpschwächen Völkerbund:
- umfassende Gewaltächtung
- Zentralisierung der Sanktionsgewalt
- Universalität
Stärken:
- Vermeidung WWIII
- insgesamt Aggressionsverbot mehr be- als missachtet
Schwächen:
- Charta auf Situationen der unmittelbaren Gewaltanwendung fixiert
- UNCh 43
- Missbrauch Vetorecht
- nicht (mehr) universelle Akzeptanz des Gewaltmonopols
- Uneignung bez. Bürgerkriegen / neuen Kriegen
SR und Kap. VII der UNCh
“Triggersituation”: (Friedensbedrohung als Schlüsselbegriff)
- UNCh 39
- zunächst: (I) konkrete int. Destabilisierung
- danach: (II) schwere innere Destabilisierung mit signifikanten grenzüberschreitenden Auswirkungen bzw. später sogar (III) per se
insb. bereits humanitäre Situation als solche kann trigger sein (Somalia ‘92)
Massnahmen:
- vorläufige Massnahmen (UNCh 40)
- nichtmilitärische Massnahmen (UNCh 41)
- Waffenstillstand, Embargo, Waffenexportverbote, ad hoc-Strafgerichte (Konfliktbewältigung)
- Tendenz zu “targeted/smart sanctions”
- Überweisung an den IStGH (Römer Statut 13 b.)
- militärische Massnahmen (UNCh 42)
- “all necessary means” aber trz. vhm
- Sicherheitsrat autorisiert nationale Sicherheitskräfte, GS ist Chef
- R2P
NB:
- keine ex-post Genehmigung gem. UNCh
- Problem: Dauer und Konkretisierung von Genehmigungen (keine Regelung in UNCh)
Systemschwächen (UNO) und Praxis
Fixierung auf unm. Gewaltanwendung:
- Kompensation durch Peacekeeping
- in Frühphasen v. Konflikten
- Zustimmung der Parteien
- Stärkung durch Kap. VII => robustes peacekeeping
unerfüllter UNCh 43:
- sodass Autorisation nicht zu weit;
- gesteuerte Autorisierungen (präzis, zeitl. limitiert, strenge Berichtspflichten)
Missbrauch des Veto:
- extrakonstitutionelle Ausnahmen des Gewaltverbots
- Situationen schwerster MR-Verletzungen (inkl. R2P)
- Notstands-Interventionsrecht regionaler Org.?
- Ambivalenz solcher Aufweichungen: Gefahr einer einseitigen mr-Perspektive
Recht auf Selbstverteidung
Entwicklung, allg. VSS
Selbstverteidigungsrecht bei der Schaffung der UNCh
- Gewohnheitsrecht; in UNCh bloss deklaratorisch (?!)
- in der Charta, um Beschneidungen zu verhindern
VSS:
- bewaffneter Angriff
- Verhältnismässigkeit
- noch keine Massnahme des Sicherheitsrats = Subsidiarität
Selbstverteidigungsrecht en detail
= verhältnismässige Verteidigung gegen einen bewaffneten Angriff eines anderen Staats auf das eigene Territorium; sofern der SR selbst noch keine Massnahmen ergriffen hat
1. bewaffneter Angriff: entscheidend ist die subj. Wahrnehmung
- keine Def. → Mindestintensität!
- Grenzzwischenfälle erreichen nicht Intensität
- Kumulation (+/-)
- Rebellenunterstützung (-), vgl. Nicaragua
- Cyber? (+/-)
- Ziel:
- eigenes Territorium
- Truppen im Ausland, +/- bez. viele! Staatsbürger
- (Handelsschiffe, Ölplattformen)
- Angreifer: Staat (auch irreguläre Truppen, Banden?);
- Private u. Terroristen grds. möglich, (keine Zurechnung vgl. Nicaragua-Fall II, 37)
- wenn vom eigenen Territorium ausgehend? (-), s. Mauergutachten
- Beweislast: bei Verteidiger
2. Verhältnismässigkeit:
- Zweck-Mittel-Relation (mE “Schadensvergleich”)
- Notwendigkeit als Teil-VSS = Erforderlichkeit
- ex ante-Beurteilung
3. Subsidiarität:
- Tätigwerden zum Zweck der Friedenssicherung
- blosse Aufforderung genügt nicht
zeitliche Schranken:
- Verteidigung während Angriff
- nach h.M. in engen Grenzen auch präventives Selbstverteidigungsrecht (Coraline-Kriterien); “nicht anders abwehrbarer (vs. keine Wahl der Mittel bzw. Zeit für Abwägungen), überwältigender Angriff imminent” (z.B. Sechstagekrieg, 40)
- pre-emptive strikes? (-)
- spätester Zeitpunkt für Ausübung? wiederum (mE) solange andauernd; gerade krit. bei Anschlagsserien
humanitäre Intervention
= ”idR Militärische Intervention in einem fremden Staat zum Schutz der Opfer besonders schwerer Verletzungen von Menschenrechten”
- Grundgedanke: Eingriffsmöglichkeit bei schweren MR-Verletzungen
- idR militärische Intervention
- Herkunft: 19. Jhr., Schutz eigener Glaubensgenossen
- Opfer besitzen nicht die Staatsangehörigkeit des eingreifenden Staates
- vör-Zulässigkeit: Triggersituation (+), daher Kap. VII eröffnet
- Ausnahme vom Gewaltverbot?
- h.L.: unzulässig ohne Ermächtigung des SR
- a.A.: zulässig als ultima ratio (vgl. Nato im Kosovo-Krieg)
R2P
- Ausgangspunkt: Passivität der int. Gemeinschaft. bei Völkermorden und ähnlichen Situationen; dadurch Unterminierung der moralischen Grundlagen des VöR
- Bedeutung: Versuch, Grundlage für ein Eingreifen in Fällen extremer MR-Verletzungen zu verbessern
- Grundgedanken: (I) Souveränität als Verantwortung eines Staates zum Schutz der Menschenrechte der eigenen Bevölkerung; (II) Nichtwahrnehmung führt zu Verschiebung jener auf die int. Gemeinschaft
- genauer Konturen unklar (insb. pol. oder rechtl. Konzept?)
- um 2000 zu einem Schlüsselbegriff geworden
- gem. “E-Learning” Ermächtigung durch SR erforderlich
- starke Anlehnung an den Begriff der humanitären Intervention; sollte aber noch weiter gehen (Prävention, Reaktion, Wiederaufbau)
Haupteinwände:
- Aushöhlung der Souveränität
- Beschränkung der P5 Recht (gerade Veto)
Schlüsselfragen:
- was ist Trigger
- VHM
- welches ist die “right authority”
- Klarheit der Operationsprinzipien
Bedeutung der R2P für den SR
- Druck auf Vetoverzicht
- weitere Dimensionen (prevent, rebuild) oder Fokus auf das Wesentliche
humanitäres VöR
Grundidee, Kritik
- Regelungsggs.: Sonderrecht für bewaffnete Konflikte; das “Wie” (nicht “Ob”)
- Regeln für Kriegsführung ieS (Mittel/Methoden) und Schonungspflicht Uninvolvierter
- Regeln für den Umgang mit Kampfunfähigen/Nichtkämpfenden - Kerngedanke: Kompromissrecht (humanitäre vs. militärische Interessen)
- Anerkennung der Realität des Krieges und Abmilderung der Folgen der Gewaltanwendung
- Restvertrauen erhalten - Reziprozität; geringere Wirkung in unübersichtlichen, asymmetrischen Verhältnissen
- Durchsetzung durch Staaten selbst (Ausbildung, Sensibilisierung, Disziplinierung, Strafrecht, Sozialisation)
- Kritik:
- implizite RF des Krieges
- blosse Begleiterscheinung der Entgrenzung v.Konflikten
- Nutzlosigkeit infolge fehlender Durchsetzbarkeit (inter arma enim silent leges)
Konfliktarten, zeitl. AB des HVöR
- internationale bewaffnete Konflikte
- nicht-internationale bewaffnete Konflikte (= Bürgerkriege)
- innere Unruhen/Spannungen
- Unabhängigkeitskriege
- gemischte Konflikte
- Beginn und Ende der Anwendbarkeit: Entstehen resp. Lösen eines humanitären Problems
einzelne Konfliktarten des HVöR
internationale bewaffnete Konflikte
- keine Def. in den GK
- Praxis: jeder Einsatz von Streitkräften gg. das Territorium eines anderen Staates (obj. Massstab!)
- anwendbares Recht: GK I-IV, ZP I
nicht-internationale bewaffnete Konflikte (= Bürgerkriege)
- innere (?) Angelegenheit; insb. durch R2P relativiert
- Staaten neigen zu “Herunterspielen”, daher SR zentral(er) ?? - Schwelle für Anwendbarkeit des HVöR schwierig zu bestimmen
- (mögl.) Kriterien: Org.grad der Aufständischen, aussergewöhnliche (Reaktions-)Massnahmen (nicht nur Polizei) verlangt, Internsität der Gewaltanwendung, Schutzbedürfnis Betroffener - anwendbares Recht:
- gem. Art. 3 der GK I-IV
- ZP II (höheres Gewaltniveau verlangt)
- zT vertraglich vereinbartes VöR
- Gew.recht betrifft zusehends auch Bürgerkiege
- Hauptunterschiede (zu int. bew. K.): kein Kombattanten- und Kriegsgefangenenstatus, keine Regeln für besetzte Gebiete
innere Unruhen/Spannungen
- Schwelle für Bürgerkrieg nicht erreicht
- anwendbares Recht: MR, Turku Declaration (privater Kod.versuch)
Unabhängigkeitskriege
-urspr. oft Bürgerkriege (also intern)
- jetzt: vör Anerkennung als bes. Konfliktsart; weil Sezessionsrecht best. Kolonien
- anwendbares Recht: gleich wie int. bew. K.
gemischte Konflikte
- viele Aufständische werden von Staaten unterstützt (mannigfaltige Formen)
- Regelfall bei Bürgerkriegen
- Begriff: internationalisierte interne Konflikte
- anwendbares Recht: zeitgleich zwei Regime
Personenkategorie im HVöR
Kombattanten und Zivilpersonen
- Zweck: Begrenzungsgedanke, jeweils konkrete Rechte/Pflichten
- Grundidee: Unterscheidbarkeit zw. militärischen und nicht-militärischem Geschehen, Beschränkung der Gewaltbetroffenheit
- Begriff Kombattant: Soldaten der Streitkräfte, nicht: Sanitäts-/Seelsorgepersonal, kämpfende Zivilpersonen
- gilt grds. auch nicht für private Militärunternehmen (für Bewachung, Waffenunterhalt, Ausbildung, Spez.operationen), sofern nicht in Militär integriert
- Grenzfälle: Spezialisten und Hilfspersonal, (+) sofern “militärisch wichtig”; Kriegspropaganda
- Spezialfall: levée en masse, uU Kombattantenstatus = Überbrückungslösung - kein weiterer Status! (insb. jeweils gerichtl. Anklärung)
- Konsequenzen der Zuordnung:
- (grds.) zulässige Gewaltanwendung ohne strafrechtliche Verantwortlichkeit
- strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Teilnahme am bewaffneten Konflikt ?
- Kriegsgefangenenstatus
Personenkategorie im HVöR
geschützte und nicht geschützte Personen
- geschützt: geniesst gestützt auf GK / ZP einen besonderen Schutz; nehmen nicht (mehr) an Kriegshandlungen teil
- keine festen Kategorien geschützter Personen, s. Bsp. im Skript
HVör und MR?
Gemeinsamkeiten
- Schutz des Individuums als zentrales Anliegen
- (zu) pauschal: HVör als Spezialgebiet des MR-Schutzes
- teilw. Überschneidungen der Garantien
Unterschiede
- andere Wertungsschwerpunkte: HVöR anerkennt militärische Notwendigkeit, dessen Kompromisscharakter
- engerer sachlicher AB des HVöR: Sonderrecht für bewaffneten Konflikt =/= ausserhalb
- weiterer sachlicher AB des HVöR: Kriegsmethoden geregelt, nicht bloss individualrechtliche Perspektive
- ergänzender Charakter: ggü. der MR (zB Regeln betr. Flüchtlingen in besetzten Gebieten)
- Wesen (HVöR): aktives Handeln (vs. bloss Verhalten unterlassen)
gleichzeitige Anwendbarkeit?
- Kumulation mögl.
- teilw. HVöR als lex specialis
menschenrechtlicher Charaker des HVöR
- Repressalienverbote
- höchstens bez. Waffenverbote noch denkbar
Suspension HVöR-Verträge?
- Nein (WVK 60 V), bloss Kündigung
Schritte des Kodifizierungsschubs ab der zweiten Hälfte des 19. Jh.
Lieber Code (1863)
- Zusammenstellung wichtiger Kriegsführungsregeln (Hintergrund: amerikanischer Bürgerkrieg)
- Vorbild für milit. Handbücher
Genfer Konvention (1864)
- Neutralisierung der Lazarette (Hauptanliegen)
- rasche, breite Ratifizierung
- Revision 1906
Deklaration von St. Petersburg (1868)
- Schwächung des Feindes als einziges legitimes Kriegsziel (Beschränkung der Mittel/Methoden, zB Explosivgeschosse)
- Ausschluss eines totalen Krieges
Agreement on the Laws and Customs of the War (1874)
- sog. Brüsseler Konferenz/Deklaration
- Kriegsführungsregeln (Hintergrund: spanischer Bürgerkrieg)
- unverbindlich!
“Oxford Manual”: The Laws of War on Land (1880)
- privater Entwurf (durch entstehende VöR-Wissenschaft)
- Regeln für die Landkriegsführung
Haager Konventionen (1899, 1907)
- Regelung va für die Landkriegsführung -> zentral: Begrenzung durch Formalisierung (mE)
- grössenteils ungeregelt: Seekriegsführung
- starke Abstützung auf Oxford Manual und Brüsseler Deklaration
- Adressaten: Staaten
Gründe für den Kodifizierungsschub des HVöR
- veränderte Kriegsführung infolge der Technikentwicklung
- hohe Opferzahlen (moderne Massenheere: Bürgerheere)
- Fortschritts-/Zivilisationsglaube des 19. Jh.
- allg. Kodifizierungstendenzen des 19. Jh. (vgl.??)
Stagnation der Entwicklung des HVöR zw. 1914 und den ‘60-Jahren?
WWI: Bedeutung des HVöR
- partielle Wirksamkeit (“eher GK als Haager-K”)
- grosse Probleme: Tötung von Kriegsgefangenen, C-Waffen
- Diggi: “serielles Töten” durch automatische Gewehre
Zwischenkriegszeit
- Spannungsverhältnis zw. Kriegsächtung und Bemühung um weitere Regeln zur Kriegsführung
- Forschritte bez. Ächtung von B-/C-Waffen-Einsatz
- Schaffung der GK II bez. Frage der Kriegsgefangenen
WWII
- Verbrechen an der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten
- Ost- vs. Westfront: Sowjetunion hatte die GK nicht anerkannt
- Städtebombardierungen
danach
- zähe Entwicklung: ambivalentes Ansehen des HVöR
- GK von 1949
- Weiterentwicklung der Regeln betreffend Kriegsgefangenen
- Verbesserung des Schutzes von Zivilpersonen
- elementare Regeln für Bürgerkriege (Hintergrund: spanischer Bürgerkrieg) - verfühte Initiative des IKRK für Weiterentwicklung des HVöR in den ‘50-Jahren
weiteres Kriegsführungsrecht
- Schutz von Kulturgütern
HVöR ab den ‘60-Jahren
Wiedererwachen des Interesses am HVöR
- Konflikte mit hohen (zT mit 70% zivilen) Opferzahlen
- Bewusstsein für Besonderheit der Entkolonialisierungskriege (Guerillakrieg nicht Teil eines “grossen Krieges”, zahlenmässige Dominanz von Entwicklungsländern in der UNO-GV)
- MR-Entwicklungen
- allmähliche Entfaltung der Idee in internationalen Verträgen
- Teheraner Resolution: Human Rights in Armed Conflicts (1968): Link zw. MR und HVöR
- Tendenz zur Reformulierung des HVöR in menschenrechtlichen Kategorien (vgl. ZP I 75)
- umfassendes Diskriminierungsverbot, Folterverbot - aktive Rolle des Roten Kreuzes (Konferenz 1965, s. XXIII vom 12.05.68)
Zusatzprotokolle von 1977
- Konferenz in Genf von 1974-‘77
- Schlüsselthemen: (a) besserer Schutz der Zivilbevölkerung, (b) Anpassung zentraler Begriffe (Kombattant, bewaffneter Konflikt)
- Essenz (ZPI): Ergänzung bisheriger Regeln des internationalen bewaffneten Konflikts, Zusammenführung des sog. Genfer und Haager Rechts
- Essenz (ZPII): elementare Regeln für nicht-internationale Konflikte
- urspr. ging ZP II wesentlich weiter
- Kritik der USA: Schmälerung milit. Spielräume
Weiteres Kriegsführungsrecht
- “Biowaffenkonvention” (1972)
- Verbot der militärischen oder sonstigen feindlichen
Nutzung umweltverändernder Techniken (1976) - Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermässige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (1980)
- Konkretisierung des Verbots besonders grausamer Waffen
HVöR nach 1989
Bedeutungszuwachs des HVöR
- Praxis des SR
- “humanitäre Situation” als Fallgruppe der Friedensbedrohung
- Schaffung ICTY, ICTR - Annäherung des Rechts internationaler und nicht-internationaler Konflikte -> Ausweitung des Gewohnheitsrechts (Assimilationsthese)
- Weiterentwicklung der MR (Durchdringung weiterer Gebiete des HVöR, “Popularisierung”)
Weiteres Kriegsführungsrecht
- “Chemiewaffenkonvention” (1993)
- Abkommen von Ottawa (Antipersonenminen, 1997)
- Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty, 2013)
Grds. der Kriegsführung
- Begrenzung Mittel/Methoden
- Unterscheidungsgebot
- keine Bekämpfung unzulässiger Ziele
Begrenzung Mittel/Methoden
- milit. Notwendigkeit als Zulässigkeitsschranke
- E. St. Petersburg (1868): rechtl. unverb. Erwähnung
- LKO 22 (1907): nur Mittelbegrenzung
- Nürnberger Tribunal: “LKO und damit Mittelbegrenzung = Gew.recht”
- keine Mod. durch GK (1949)
- mit ZP I 35 I beides erwähnt
- Konkretisierung durch spez. Best. und Grds. der VHM
Mittel: zwei Konkretisierungen in ZP I 35
- Ziff. 2: betr. Menschen, konkretisiert durch bes. Konventionen und 51 Ziff. 4 (unterschiedslos)
- Ziff. 3: betr. Objekte, zeitl. Element sehr str.
Methoden: im Vordergrund va 2 Verbote
- Heimtücke (ZP I 37) =/= Kriegslist (diese ist zulässig); konkretisiert durch 38 I
- Pardon (ZP I 40)
Was gilt im nicht-int. bew. Konflikt?
- grds. kein allg. Regelwerk
- weder GK 3 noch ZP II enthalten expl. einen Grds. (s. aber ZP II 14 ff.)
- aber Arg. wohl (mE?): via Assimilationsthese zu Gew.recht
Unterscheidungsgebot
Grundidee und Funktion:
- Unterscheidung v. Kombattanten und Zivilisten
- wichtigte Pflicht des Kombattanten (Begriff: ZP I 43)
- überhaupt VSS für Verwirklichung des Verbots der Bekämpfung unzulässiger Ziele
Guerillakriege:
- Spezifika v. Unabhängigkeitskriegen
- daher Regelung in ZP I 44 Ziff. 3
- Terrorismusbegünstigung? -> “Nein, Terroristen unterscheiden sich fundamental”
interne Konflikte:
- kein Unterscheidungsgebot
- ZP II 13 Ziff. 3 als Surrogat (Diggi: dadurch Annäherung)
Keine Bekämpfung unzulässiger Ziele
- Grundregel: ZP I 48 = Kriegshandlungen nur gg. milit. Ziele (Personen und Objekte)
- Begriff des milit. zulässigen Ziels: dadurch eindeutiger milit. Vorteil
Grenzfälle:
- Kollateralschadensproblematik: zivile Opfer bei milit. Zielerreichung miteingeschlossen
- dual use-Objekte: zivil und milit. nutzbar
- in beiden Fällen: kein abs. Schutz, VHM entscheidend; in jüngerer Zeit immer weitere “Ausnahmen” zugelassen
- Fallschirmspringer: Zivilisten +/- ? (Diggi: eher Nebenthema)
Was gilt in nicht-int. bew. Konflikten
- Bürgerkriege: grds. keine Unterscheidung; aber ZP II 13 Ziff. 2 und 14 => durch weite Auslegung können Regeln angewandt werden (mE)
Wichtigste spez. Kriegsführungsregeln
Mittel: ZP I 51 Ziff. 4 zur Konkretisierung des 35 Ziff. 2 (spez. Bsp. im Skript)
Methoden:
- ZP I 51 Ziff. 2 (Terrorismusverbot); 6; 7; 54 Ziff. 1
- angemessene Information und Warnung: ZP I 57 f.
zulässige Ziele:
- ZP I 52 Ziff. 3; 54 Ziff. 2
- Verbot der Politik der verbrannten Erde (Unterschied?)
- ZP I 56
- ZP I 59 f.: Sicherheits-/Sanitätszonen, neutrale Zonen, unverteidigte Orte, entmilit. Zonen
- ZP I 53
Was gilt bez. internen Konflikten?
- nicht alle Regeln auch für interne Konflikte zugeschnitten
- teils (+) qua expl. Regelung im ZP II / Abkommen / Gew.recht
Minimalstandard bez. alle geschützen Personen ?
- Erinnerung Begriff: bes. Rechtsstatus infolge bes. Verletzlichkeit
- ZP I 75: menschl. Behandlung (menschenrechtl. imprtägniert) “unter allen Umständen” (“geraffte MRE”)
- ZP I 10: Unparteilichkeit, Vorbehalt: nur med. Gründe
- ZP I 11: keine Menschenversuche (JP im WWII, Kosovo-Krieg)
Schutz von Verwundeten, Kranken, sich Ergebenden und San.einheiten
anwendbares Recht:
- GK
- Entspezifizierung des Schutzes durch ZP I (keine Unterscheidung zw. verschiedenen Verwundeten/Kranken; medizinischen Einrichtungen)
- ZP I 41: Verschonung “hors de combat”
- ZP I 20: Repressalienverbot
- ZP I 10: Schutz/Pflege
- ZP I 32: Suchaktionen
- NIAC?
- selbe Pflichten, nur andere Fundtstellen
- ZP II 7: menschl. Behandlung, Schutz/Pflege
- ZPII 8: Suchaktionen
San.einheiten:
- Grundgedanke: Schutz derselben ist VSS für Schutz anderer Personen
- ZP I 12 I: unzulässiges Ziel, Verbot der Verteidigung
- ZP I 12 IV: keine milit. Nutzung, Abschirmungsverbot, Ende des Schutzes im Falle von milit. “Operationszwecken”
- ZP I 16 I: keine Berstrafung der med. Tätigkeit
- ZP I 21 ff. betr. San.transporte
- NIAC?
- Annäherung, aber kein abs. Schutz; insb. kein bes. Status von San.-/Seelsorgepersonal
- ZP II 9 kann aufgrund weiter Formulierung allerdings viel enthalten
- ZP II 10
- Schutzzeichen: Kennzeichnung von unter Schutz stehenden Personen/Objekten
Schutz von Kriegsgefangenen in NIAC?
- Grundgedanke: zentral für Friedensperspektive
- bes. Status als Ausdruck, dass keine persönliche Verantwortlichkeit für Teilnahme besteht
- keine Strafe (vs. Ostfront-WWII)
- Begriff: Kombattanten in Gewalt der anderen Partei (=/= San.personal, jedoch änhlicher Status s. III. GK 33)
anwendbares Recht: III. GK und ZP I
- ganz zentral: III. GK 5 II (vs. US “war on terrorism”)
- Schlüsselpflicht: III. GK 13 I (menschl. Behandlung)
- Verbot des Aussetzens in Gefahrenzonen, sondern gerade Pflicht zum Herausbringen
- s. ZP I 43
- Verbot der Internierung auf Schiffen/Strafanstalten - III. GK 69 f.: Informationen
- III. GK 118 ff.: Freilassung (Friedensperspektive)
- nach Ende der Feindseligkeiten
- ungerechtfertigte Verzögerung = Kriegsverbrechen
- gegen den Willen
- Sonderregeln für San.personal - III. GK 126 IV: IKRK-Zugang
- Pflichten der Kriegsgefangenen
- Personalien
- Beibehaltung der Hierarchie
- Arbeitspflicht (Gefahr, EW)
- Beachtung der RO
Schutz von Gefangenen in NIAC?
- kein Kombattanten-/Kriegsgefangenenstatus => immenser Unterschied zu IAC
- Praxis: pragmatische Lösungen
- wichtigste Rechte:
- III. GK 3
- ZP II 4 II, insb. lit. a und d
- ZP II 5 I, insb. lit. a (ähnliche Versorgung wie Truppen)
Schutz von Zivilpersonen
in IAC
- Gefahren: (1) von Kriegshandlungen ausgehend, (2) in der Gewalt des Gegners - (2.1) aufgrund von Besatzungsmacht, (2.2) als Feindstaaten Ausländer
- anwendbares Recht: kaum LKO, IV. GK, ZP I
- Begriff: alle Personen, die nicht Kombattanten sind (auch Polizei, Zivilschutz, Journalisten - auch embedded [ZP I 79 I])
- Verbot der Teilnahme an Feindseligkeiten, andernfalls Ruhen des Status (ZP I 51III); Ausnahme: levé en masse
im Einzelnen:
- Umfassendes Diskriminierungsverbot (IV. GK 13)
- Repressalienverbot (IV. GK 33 III)
- Schutzschildverbot (IV. GK 28 ZP I 51 VII)
- Einschüchterungsverbot (ZP I 51 II)
- Verbot der Geiselnahme (IV. GK 34)
- Verbot von Kollektivstrafen (IV. GK 33 I)
- Suche nach Vermissten, Kontakt mit Familienangehörigen (IV. GK 26)
- auf gegnerischem Territorium: Ausreise, soweit keine milit. Interessen (IV. GK 35), Kontrollmassnahmen (IV.GK 27 IV)
-
Freiheitsentzug
- reguläres StrafR
- Freiheitsentzug, spez. mit Kriegssituation zusammenhängend
- Internierungen aus Sicherheitsgründen (IV.GK 5, 41-43 und 78)
- Administrative Internierung aus zwingenden Sicherheitsgründen (IV. GK 78)
- Incommunicado-Haft bei Spionen (IV. GK 5 II)
-
Regeln für besetzte Gebiete:
- Begriff: (1) tats. in Hand des Gegners und (2) Herrschaft über Zivilbevölkerung auch durchsetzbar
- keine Statusänderung (ZP I 4)
- Deportationsverbot (IV. GK 49 I)
- keine “Eigenansiedelung) (IV. GK 49 VI)
- unnötige Zerstörungen (IV. GK 53)
- Geltung der RO des besetzten Staates
- Konfiskation privater Güter (LKO 46 II)
- Versorgung (IV. GK 55 I, ZP I 69)
-
Zulassung von Hilfeleistungen - umstr.!
- Essenz (klar): unbedingter Durchlass von Medikamenten und San.material (IV. GK 23 I), unentbehrliche Lebensmittel für Kinder/Schwangere/Wöchnerinnen
- mit Ausnahme von Abs. 2
- übrige Lebensmittel: bedingter Durchlass
Schutz von Zivilpersonen
in NIAC
- anwendbares Recht: IV. GK 3 = allg. Pflicht zur menschlichen Behandlung; ZP II
zentrale Regeln:
- ZP II 13 I (Angriffsverbot) und II (Terrorismusverbot)
- ZP II 17: Umsiedelungsverbot
- Versorgung - unklar, via ZP II 18 und weiter Auslegung eine Konvergenz der Standards erreichen (mE)
- Schutz ziviler Objekte
- ZP II 14 verbietet Aushungern
- ZP II 15 (gefährliche Kräfte)
- ZP II 16 (Kulturgüter)