Verschiedene Erhebungsverfahren Flashcards
Beobachtung Überblick
Aus verschiedenen Gründen ist ein Test im engeren Sinne nicht immer möglich. Beispiele sind Verhalten, das sich nicht in bestimmten Situationen provozieren lässt, die Weigerung der Versuchspersonen, hoher Auswand, etc.
In solchen Situationen ist man stattdessen auf die Beobachtung von Verhalten angewiesen. Nach Roth (2001) ist deshalb Beobachtung das grundlegende Verfahren der empirisch forschenden Sozialwissenschaften und der Erziehungswissenschaften
Definition nach Heller und Nickel 1978: „Beobachtung ist die absichtliche, aufmerksame Art des Wahrnehmens, die ganz bestimmte Aspekte auf Kosten der Bestimmtheit von anderen betrachtet.“
Bedeutende Fehler bei der Beobachtung (nach Ingenkamp 2005):
> Beobachter ist zugleich das Messinstrument, d.h. Starke Beeinflussung der Wahrnehmung durch Erfahrung, Einstellung, etc.
> Überfordernde Differenzierung: z.B. bei zu hoher Anzahl von Merkmalen oder Personen
> Unscharfe Definition: zu beobachtendes Verhalten muss genau abgrenzbar sein
> Unvertrautheit mit Beobachtungseinheit: Kenntnis von Definition & Vorgehen nötig
> Unvertrautheit mit Probanden
Arten der Beobachtung
- (nicht) teilnehmend
- offen vs. Verdeckt
- Fremd- vs. Selbstbeobachtung
- (dis)kontinuierlich
- technisch (nicht) vermittelt
- (un) systematisch
- Feld vs. Labor
Arten der Beobachtung: unsystematische vs. Systematische Beobachtung
Unsystematisch (auch frei):
umgerichtetes „Zuschauen“, d.h. Sehr breite Zielsetzung für erste Orientierung, auf Breite des Vorfinbaren ausgelegt
Wichtig: Beobachtungen sofort aufschreiben
—> Problem: subjektive Verzerrung
Systematisch (strukturiert): Klärung des Ziels, des Zeitpunktes, der Methode, des Instruments, etc.
—> erleichtert die Vergleichbarkeit und die Quantifizierung der Informationen
Verwendug eines vorher erarbeiteten und erprobten Registrierschemas
—> Problem: erfasst nur Ausschnitt des Gesamtverhaltens
Kennzeichen nach Huber 1987:
> Zielgerichtetheit: Beobachtung eines kleinen Auschnitts der Wirklichkeit
> Methodische Kontrolle: Elimination von Störvariablen, Kontrolle der menschlichen Wahrnehmung, Entwicklung eines Speichersystems
Beobachtungsbögen:
Zwischen freier und systematischer Beobachtung
Aufmerksamkeit wird auf bestimmten Aspekt gelenkt, ist aber nicht durchstrukturiert
Arten der Beobachtung: teilnehmende vs. Außenstehende Beobachtung
Teilnehmend:
Versuchsleiter ist involviert in Geschehen und interagiert mit den Versuchspersonen
Motivation: Verhalten der Versuchspersonen soll durch das Gefühl der Beobachtung nicht gestört werden
Problem: u.U. Mangelnde Distanz, Beobachter verliert objektiven Status, spätere Protokollierung, nur gruppengebundene Auskunft möglich
Nicht-teilnehmend:
Wahrung einer kritischen Distanz zum Geschehen
Problem: Versuchspersonen fühlen sich beobachtet und zeigen u.U. Nicht das gewünschte Verhalten
Arten der Beobachtung: offene vs. Verdeckte Beobachtung
Offen (wissentlich):
Versuchspersonen wissen, dass sie beobachtet werden
Problem: u.U. Wird gewünschtes Verhalten unterdrückt
Vermeidung von Reaktanzeffekten (nach Huber 1987)
> Eingewöhnungsphase
> Aufmerksamkeit der Versuchspersonen auf unwichtige Verhaltensbereiche lenken
> Aufzeichnungsgeräte anstelle eines Beobachters
Verdeckt (unwissentlich):
Versuchsperson weiß nicht, dass sie beobachtet wird
kein Kontakt zwischen Diagnostiker und Versuchsperson
Problem: ethische Bedenken, nachträgliches Einverständnis notwendig
Arten der Beobachtung: technische vs. Unvermittelte Beobachtung
Technisch vermittelt:
Einsatz von Videokameras, Tonbänder etc.
Vorteil: wiederholtes Betrachten des Materials möglich (Reliabilität!), zur Beobachtung simultan ablaufenden Verhaltens, keine Überforderung des Beobachters, dokumentarischer Wert
Nachteil: subjektive Kamera (Bildauswahl durch Kameramann), eventuell schlechte Qualität (—> Verhalten kann nicht mehr eindeutig identifiziert werden)
Technisch unvermittelt:
ohne technische Hilfsmittel, Verhalten wird beobachtet und simultan protokolliert
Problem: nach Abschluss der Beobachtung keine Kontrolle der Beobachterqualität möglich
Arten der Beobachtung: kontinuierliche vs. Diskontinuierliche Beobachtung
Kontinuierlich:
Ereignisstichproben, d.h. Es werden dauerhaft bestimmte Ereignisse registriert
Problem: Überforderung des Beobachters, in Schule kaum möglich notwendig bei seltenen Ereignissen
Diskontinuierlich:
Zeitstichprobenpläne, d.h. In bestimmten Zeitabständen wird Proband beobachtet
Problem: erfasst u.U. Seltenes oder unauffälliges Verhalten nicht, erfassen zeitliche Struktur von Verhalten nicht adäquat —> nur bei häufigen Ereignissen möglich
Arten der Beobachtung: Feld- vs. Laborbeobachtung
Feldbeobachtung:
Alltagssituation
Problem: u.U. Störbedingungen
Laborbeobachtung:
künstliche Situation (z.B. Rollenspiele)
Vorteile: Schaffung optimaler Beobachtungsbedingungen (Kontrolle der Bedingungen) leichtere Manipulierbarkeit unabhängiger Variablen; Kontrolle der Störbedingungen
Problem: externe Validität (Übertragbarkeit auf Alltagssituationen), Verhaltensänderung wegen Beobachtung/neue Umgebung
Arten der Beobachtung: Fremd- vs. Selbstbeobachtung & Fazi
Fremdbeobachtung:
Problem: kein direkter Zugang zum „Innenleben“
Selbstbeobachtung: z.B. Befragung, Tagebücher
Problem: Verzerrung wegen Bewusstsein der Beobachtung, fehlende Kapazitäten für Parallelhandlungen, unmöglich bei automatisierten Handlungen
Fazit:
Optimale Situation:
systematische, nicht-teilnehmende und verdeckte Beobachtungen
Reale Situation:
naive, teilnehmende und diskontinuierliche Beobachtung (gezwungenermaßen)
Definition Interaktion & Interaktionsanalysen
Merkens und Seiler 1978:
Der Begriff Interaktion bezeichnet sowohl direkte (konkrete, face-to-tace, vis-à-vis) Begegnungen als auch indirekte (abstrakte, anonyme, vermittelte) soziale Beziehungen von Individuen, in denen diese ihre Handlungen wechselseitig aufeinander abstimmen.
Lukesch 1998:
Interaktionsanalysen sind alltägliche und wissenschaftliche Versuche, Informationen über zwischenmenschliche Beziehungen (Interaktionen) unter spezifischer Fragestellung zu gewinnen und zu verarbeiten
Beispiele für Beobachtungskategorien für den schulischen Unterricht
- Sprechzeiten Lehrer/Schüler
- Wartezeiten auf Schülerantworten (Dauer)
- Impulse des Lehrers (Häufigkeit): offene Fragen, Suggestivfragen, Provokationsfragen, Lehrerecho
- Einsatz von Verstärkern (Häufigkeit): positive/negative Verstärkungen, Ignorieren …
- Standort des Lehrers (Dauer): am Pult, an der Tafel, bei dem einzelnen Schüler …
- Arbeitsformen bzgl. Didaktischer Vorgaben (Dauer): Lehrervortrag, Gruppenarbeit, …
Beobachtungssysteme/Interaktionsanalysen-Analyse-Systeme
Sollen Beobachtungsauftrag genau Formulieren, um Ereignissen in Situation und Aussagen über Situation reliabel zuordnen zu können
Nach Mees 1977 kann man die Beobachtungssysteme unterscheiden in:
- Isomorphe Deskription: möglichst vollständige und unveränderte Wiedergabe des Beobachteten
—> faktisch unmöglich, da Verhalten immer unterschiedlich kategorisiert werden kann
- Reduktive Deskription: Beschränkung auf interessierende Verhaltensklassen
Verschiedene Beobachtungssysteme
- Zeichensysteme
> Häufigkeit eines Ereignisses wird registriert (=Strichlisten)
> Großteil der Verhaltensweisem wird nicht registriert
z.B. Observation Schedule und Record (OSCAR) von Medley & Mitzel (1963)
z.B. Wie oft schaut jemand seinem Gesprächspartner in die Augen - Schätzskalen:
> Eigentlich eine Form von Beurteilungsverfahren
> Grad der Ausprägung eines Verhaltens wird festgehalten
—> Beobachter muss Auftreten der Beobachtungsstrategie feststellen und Intensitätsabstufung vornehmen
> hohe Inferenz (Subjektivität)
z.B. Polaritätenprofil nach Tausch & Tausch 1970:
o dient der Beurteilung von Lehreräußerungen
o 7-stufige Skala von +3 bis -3 —> Grad der Ent- bzw. Ermutigung - Kategoriensysteme
> Jedes Verhalten wird mittels verschiedener Kategorien, die unterschiedliche Verhaltensweisen repräsentieren, erfasst
> Kategoriesysteme sollten exakt definiert, disjunkt und erschöpfend sein
Beispiele für Beobachtungssysteme 1)
1) Lehrer- und Schüleräußerungen im Unterricht
a) Häufigkeit von Lehrer- und Schüleräußerungen nach Clauss, 1954 [24 U-Stunden]
i) 80% aller sprachlichen Interaktionen in einer Stunde fallen auf den Lehrer
ii) interindividuelle Unterschiede zw. Lehrern
iii) einzelne Lehrer in Sprachverhalten konsistent
iv) hohe Redehäufigkeit korreliert mit Frontalunterricht
v) hohe Redehäufigkeit —> unvollständige und Einwortsätze der Schüler (r = .92 bzw. r = .83), Behinderung der Denkvorgänge bei Schülern
vi) Lehrer unterschätzen eigenen Redeanteil
b) Lehrerfragen i) Tausch 1960: 41 bis 88 Fragen, 71% an ganze Klasse (je nach Lehrer 39-172) ii) Intraindividuelle Stabilität iii) Kein Zusammenhang mit Anzahl der Schüler, Alter, Fach, Geschlecht iv) Je häufiger der Lehrer Fragen stellt, desto seltener fragt der Schüler (r <= -.23) v) Lehrerfragen erhöhten Spannung und mindern Motivation (nur einer kann antworten), erhöhte Angst bei leistungsschwachen Schülern
Beispiele für Beobachtungssysteme: 2)
2) Prinzip der Interaktions-Prozess-Analyse (IPA) (Bales 1950)
Ziel: Erfassung des emotionalen und soz. Verhaltens von Individuen in Kleingruppen
Annahme: Soziales System (z.B. soziale Gruppe) muss 2 Anpassungsleistungen erbringen:
i) Anpassung an äußere Situation entspricht Aufgabenbewältigung ii) Integration nach innen (Solidarität und Gleichheit) entspricht innerer Zusammenhalt des Systems
Während eines Gruppenprozess sind 6 Probleme zu bewältigen: Orientierung, Bewertung, Kontrolle, Entscheidung, Spannungsbewältigung, Integration (dafür gibt es jeweils 2 gegensätzliche Verhaltenskategorien)
Beobachtung: Beobachter muss diese sprachlichen / nicht-sprachlichen Verhaltensmerkmale mit Hilfe eines Beobachtungsbogens in 12 Kategorien einordnen;
Dabei werden 4 Bereiche unterschieden (sozialemotionaler Bereich: positive/negative Reaktion & Aufgabenbereich: Versuch der Beantwortung/Fragen) —> erfordert intensive Beobachterschulung
Auswertung: Profilanalyse für jeden Teilnehmer, Sequenzanalyse, „wer-mit-wem-Matrix“, Phasenuntersuchungen bezüglich Änderung im Gruppengeschehen
Ergebnis: Bei jeder Anwendung sollten verschiedene Regularitäten auftreten:
i) Prozessphasen: Anfangsphase —> Orientierungsprobleme, Mittelphase —> Bewertungsprobleme, Zunahme von Kontrollversuchen und positiven/negativen Reaktionen von Anfangs- bis Endphase
ii) Rollendifferenzierung: Rangniedrigere Mitglieder richten mehr Äußerungen an höhere, als sie entgegen nehmen und sprechen eher zu Einzelpersonen.
Ranghöhere richten Äußerungen mehr an ganze Gruppe, als an einzelne. Tendenz zur Zentralisierung der Kommunikation. Aufgabenspezialist ist nicht gleich sozioemotionaler Führer
iii) Handlungsmuster: überwiegend sozio-emotional-positiv und „versuchte Antworten“ (ansonsten kann es zum Gruppenzerfall kommen)