Psychiatrische Klassifikation Flashcards
Ziele von Klassifikationssystemen
Forschungsrelevant:
- Charakterisierung von Patientengruppen in Therapie- und Verlaufsstudien
- Fallidentifikation in epidemiologischen Studien
- Grundlage empirischer Untersuchungen zu Ätiologie und Verlauf von Störungen
Klinisch:
- Vereinfachung und adäquate Berücksichtigung der interindividuell ähnlichen Charakteristika im Rahmen einer psych. Erkrankung
- Verbesserung der Kommunikation zw. Klinikern
- Grundlage für die Indikationsstellung und Einleitung von Behandlungsmaßnahmen sowie ihre Überprüfung am Therapieerfolg
Einführung erste ICD-Klassifikation der WHO
1948, ICD 6
> deskriptive Klassifikation:
psych. Erkrankungen werden symptomorientiert beschrieben, da viele Ätiologien/ Pathogenesen nicht vollständig geklärt
traditionelle Klassifikationssysteme
- versuchten nach Ätiologie/ Pathogenese zu unterscheiden
zB: Emil Kraeplin (1856-1926) unterschied zw. exogenen und psychogenen Krankheitsformen i.S. des
TRIADISCHEN SYSTEMS:
1. körperlich begründbare Psychosen (exogen) > Demenz, Delir
2. körperlich noch nicht begründbare Psychosen (endogen) > Schizophrenien
3. abnorme Variationen seelischen Wesens > Anpassungsstörungen, PTBS
Einführung ICD 10/11
ICD 10:
1992 klinisch diagnostische Leitlinien
1994 Forschungskriterien
ICD 11:
2019 offizielle Verabschiedung durch WHO
offizielle Einführung 2022
noch keine offizielle deutschsprachige Übersetzung und kein Manual verfügbar
- es werden nur klinisch-diagnostische Leitlinien vorliegen, keine Forschungskriterien
ICD steht für…
International Statistical Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death
DSM 5
- seit 2015 in der deutschen Version
erstellt von der APA (American Psychiatric Association ) - v.a. in der Forschung international verwendet
ICD und DSM lassen sich durch 3 Kennzeichen beschreiben
1) operationalisierte Diagnostik
2) Komorbiditätsprinzip
3) Multiaxiale Diagnostik (wurde im DSM 5 aufgegeben)
4) deskriptive (nicht ätiologische) Klassifikation
operationalisierte Diagnostik
= Festlegung, wie eine bestimmte Störung definiert ist
1. durch explizite Vorgabe diagnostischer Kriterien (Ein- und Ausschlusskriterien), d.h. eine Verbindung von Symptom-, Zeit- u/o Verlaufskriterien
2. durch diagnostische Entscheidungs- und Verknüpfungsregeln für diese Kriterien
zB. ICD-10 Kriterien der depressiven Episode
> je strenger die Kriterien (bspw. in ICD Forschung und DSM 5), desto mehr Pat. fallen in unspez. Kategorien, was für klin. Alltag wenig sinnvoll ist
> ICD 11 nur klinisch-diagnostisch, nicht mehr forschungsrelevant
Komorbidität
= bietet die Möglichkeit gemeinsam auftretende, unterschiedliche psych. Erkrankungen bei einer Person getrennt zu diagnostizieren und zu kodieren
DD Multimorbidität
= neben einer oder mehrerer psychischer Erkrankungen liegen zusätzlich körperliche Erkrankungen vor
- wurde in ICD 10 und DSM IV eingeführt
- zuvor: hierarchisches Klassifikationssystem:
JASPERSSCHE SCHICHTREGEL
Jasperssche Schichtregel
- diagnostische Vorgehensweise, die noch für die ICD-9 galt
- basierte auf der Annahme, dass psych. Erkrankungen in Schichten angeordnet sind
- jede „tiefer liegende“ Erkrankung könne das Erscheinungsbild der „darüber liegenden“ Erkrankung annehmen. Die eigentliche Diagnose sei aber die tiefer liegende Erkrankung
bspw: org. Störungen könnten zeitweilig wie schizophrene Störungen anmuten, wären aber als org. Störungen zu diagnostizieren
> empirische Studien haben hierfür keine hinreichende Begründung erbracht, sodass im ICD 10 und DSM IV das Komorbiditätsprinzip eingeführt wurde
Ansätze zur Erklärung der Komorbidität nach Clark et al. (1995)
- eine Störung entwickelt sich als sekundäre Komplikation einer anderen Störung
- Komorbidität beruht auf gemeinsamer Diathese/ Vulnerabilitätsfaktoren
- Komorbidität ist ein Artefakt einander überlappender diagnostischer Kriterien
Multiaxiale Diagnostik
= erlaubt die Beschreibung psych. Erkrankungen auf mehreren Achsen:
1. Achse:
Psych. (1a) und somatische (1b) Erkrankungen
- Achse:
soziale Funktionseinschränkungen (Erhebung mittels Disability Diagnostic Scale der WHO) - Achse:
Belastungsfaktoren (ICD 10: Z-Diagnosen)
> in der Praxis kaum durchgesetzt, daher in DSM 5 und ICD 11 abgeschafft
Checklisten
- Einfachste Hilfsmittel zur Diagnosestellung
- Beinhalten idR nur die für die einzelnen diagnostischen Kategorien relevanten Kriterien
- Dem Diagnostiker bleibt es selbst überlassen, wie er Fragen stellt, um die notwendigen Informationen zu erhalten, und wie er die Antworten des Pat. codiert
- Für ICD 11 und DSM 5 liegen keine Checklisten vor
Strukturierte Interviews
- Geben systematische Gliederung des Prozesses der Informationssammlung vor
- Fragen sind vorgegeben, die Bewertung und Gewichtung der Antworten des Pat. bleibt idR dem Untersucher überlassen
Bspw:
> SCAN (Schedules for Clinical Assessment in Neuropsychiatry), welche speziell für ICD 10 entwickelt wurden
> MINI (Mini International Neuropsychiatric Interview), orientiert sich an ICD-10
> SCID-5 (Strukturiertes klinisches Interview für DSM 5)
> DIPS-Open Access (Diagnostisches Interview bei Psychischen Störungen), orientiert sich ebenfalls am DSM-System
Standardisierte Interviews
- Alle Ebenen des diagnostischen Prozesses, sowie alle Elemente der Informationserhebung sind genau festgelegt: Ablauf der Untersuchung, Reihenfolge der Fragen, Kodierung der Antworten
- Erfordert geringste Voraussetzungen des Untersuchers; allerdings mehrtägiges Training und Supervision notwendig, um zuverlässige Diagnosestellung zu gewährleisten
Bspw:
> DIA-X-Interviews (erlauben Diagnosen im Querschnitt und Verlauf nach ICD 10 und DSM IV)