Moralische Dilemmas 1 Flashcards
Der Umgang mit Tieren als moralisches Dilemma
- Tiere sind ein wesentlicher Bestandteil des Soziallebens: z.B. als
Freund:innen, bei der Arbeit, als Ressource. - Das menschliche (Sozial-)Verhalten beeinflusst Tiere massiv, z.B.
Tierhaltung durch den Menschen, Lebensraum-Reduktion. - Das menschliche Verhalten gegenüber Tieren beeinflusst den Planeten
(über die Tiere hinaus) massiv, z.B. Regenwald-Abholzung zur Gewinnung
von Weidefläche, globale Erwärmung durch Haltung von zu vielen(!) Kühen
(Methan-Ausstoß). - Tiere können uns Menschen stark beeinflussen, z.B. Wohlbefinden durch
Haustiere, Gefahr von Krankheiten durch Massentierhaltung,
Gesundheitsimplikationen von Fleischkonsum.
Warum ist wie der Mensch mit Tieren umgeht als moralisches
Dilemma relevant?
- Menschen und Tiere sind stark voneinander abhängig.
- Wie Menschen mit Tieren umgehen hat Auswirkungen auf die Tiere,
den Planeten und damit Menschen selbst. - Menschen haben noch keinen klaren Umgang mit Tieren gefunden:
es ist ein moralisches Dilemma der modernen Gesellschaft. - Wir als Psycholog:innen können zur wissenschaftlichen Erkenntnis
und dem hochbrisanten gesellschaftlichen Diskurs zum Thema
Tiere, deren Rechte und Nutzung, viel beitragen!
Moralischer Anthropozentrismus
(von griechisch ánthrōpos = Mensch und kéntron =
Mittelpunkt)
Definition moralischer Anthropozentrismus: die Ansicht,
dass Menschen einen höheren moralischen Wert
besitzen als Tiere.
- Moralischer Anthropozentrismus ist allgegenwärtig.
- Er manifestiert sich in unserer Gesellschaft auf vielfältige Art. (In den meisten Fällen nicht derart
absurd wie im vorherigen Gedankenexperiment.) - Er zeigt sich überwiegend darin, wie wir Menschen Tiere behandeln: Oftmals viel schlechter, als wir
andere Menschen behandeln würden.
Tiere als Dinge vs. Personen
Eine Reihe psychologischer Studien untersucht, ob Menschen Tiere in deren moralischem Wert als
Personen oder als Dinge wahrnehmen: Caviola at al. (2021)
- Aber wie kann gemessen werden, ob X als Person (mit Rechten als Individuum) oder als Ding (ohne
Rechte) angesehen wird? - Etablierte Methode zu dieser Frage: Man fragt Proband:innen (oft mit Hilfe eines Szenarios), wie
moralisch richtig sie es finden, wenige X zum Nutzen von vielen X zu schädigen. - Beispiel X = Mensch: Fänden Sie es eher moralisch richtig oder falsch, einen gesunden Menschen zu
opfern, wenn mit dessen Organen fünf kranke Menschen vor dem Tod bewahrt werden könnten? - Die meisten Proband:innen finden dieses Opfer eher moralisch falsch, da ein Mensch eine Person ist,
die das Recht auf körperliche Unversehrtheit hat.
Diese Untersuchungsmethode nutzten auch Caviola et al. (2021).
Ablauf der Studien von Caviola et al. (2021):
* Insgesamt 10 Studien mit über 4.500 Proband:innen.
* In den Studien wurden Proband:innen gefragt, als wie moralisch richtig oder falsch sie es
einstufen, ein X zum Nutzen von vieler X zu opfern.
* Was “X” ist wurde hierbei variiert.
* Auf diese Weise konnte herausgefunden werden, wie sehr X als eine Person mit Rechten
angesehen wird und verschiedene X können verglichen werden: je mehr Proband:innen es
unmoralisch finden, ein X zum Nutzen vieler X zu opfern, desto mehr wird X als Person
angesehen.
- Wie moralisch ist es, einen Mensch vs.
Tier vs. Objekt zum Nutzen vieler zu
opfern: Skala von 1 = “extrem
unmoralisch” bis 7 = „extrem moralisch“. - Beispiel-Szenario Objekte: „Wie
unmoralisch oder moralisch ist es, ein
funktionierendes Auto zu zerstören, um
mit den Teilen fünf kaputte Autos zu
reparieren?“
Tiere als Dinge vs. Personen
Ergebnisse:
- Menschen: Mittelwert ca. 3.
- Die schwarze Linie markiert den
Mittelwert, die Form des Balkens die
Verteilung der Antworten. - Proband:innen fanden es eher
unmoralisch als moralisch, einen
Menschen zum Nutzen vieler Menschen
zu opfern. - Dies entspricht vorangegangener
Forschung: Menschen werden als
Personen mit Rechten wahrgenommen. - Objekte: Mittelwert fast 6.
- Proband:innen fanden es moralisch
unproblematisch, ein Objekt zum Nutzen
vieler Objekte zu opfern. - Tiere: Mittelwert zwischen 4 und 5.
- Proband:innen ordneten Tiere zwischen
Menschen und Objekten ein: mit
signifikanten Mittelwertsunterschieden
sowohl zwischen Mensch und Tier als
auch zwischen Tier und Objekt.
Ergebnis-Zusammenfassung:
Menschen stufen Tiere in deren
moralischem Wert zwischen Personen und
Dingen ein.
Take-Home Message
Sehen Menschen Tiere als Dinge oder als
Personen?
- Menschen schreiben ihrer eigenen Spezies
im allgemeinen mehr moralischen Wert zu
als Tieren. Die Ansicht, dass Menschen
einen höheren moralischen Wert besitzen
als Tiere nennt man: moralischer
Anthropozentrismus. - Die Untersuchung von Caviola et al.
(2021) zeigt dass Personen Tieren einen
moralischen Wert zuschreiben, der
zwischen dem von Menschen und dem von
Objekten liegt. - Tiere verdienen in den Augen der
Proband:innen mehr individuelle Rechte
als Dinge, aber weniger Rechte als
Personen. - Die Meinung der Proband:innen spiegelt
hier ein gesellschaftliches Phänomen
wieder: Das Problem, Tiere in ihrem
moralischen Wert klar zuzuordnen zeigt
sich beispielsweise in der Rechtsprechung.
Das lässt aber eine große Frage offen…
… wird offensichtlich, dass nicht alle Tiere vom Menschen gleich behandelt werden.
- Menschen sind
sehr besorgt um
das Wohlergehen
von Hunden und
Katzen. - Beispiel: Empörung
über
Medienberichte
über misshandelte
Haustiere. - Viele Menschen
akzeptieren, dass
Kühe oder
Schweine nicht gut
behandelt werden. - Beispiel:
Massentierhaltung.
Wie kommt dieser Unterschied zwischen verschiedenen Tieren zustande?
- Wieder die Frage: liegt es an den
mentalen Fähigkeiten der Tiere? - Nein! Schweine sind ebenso
intelligent wie Hunde. - Liegt es an der Leidensfähigkeit der
Tiere? - Nein! Schweine und Kühe empfinden
Schmerz und Freude.
Es scheint, in unserer westlichen Gesellschaft werden:
* Hunde und Katzen eher als Individuen
betrachtet (haben Namen und
„Persönlichkeiten“).
* Schweine und Kühe eher als Dinge
betrachtet (sind Teil einer anonymen
Masse und haben Nummern).
Einige Tiere moralisch wertvoller als andere?
- In einer weiteren Studie wurden als X
dann verschiedene Tiere im Vergleich zu
Menschen getestet: Hunde vs.
Schimpansen vs. Schweine. - Vergleich zu X = Mensch: Proband:innen
schätzten es als signifikant moralischer
ein, einen Hund zum Nutzen vieler Hunde
zu opfern. - Hunde werden weniger als Personen
angesehen als Menschen. - Vergleich zu X = Hund: Proband:innen
schätzten es als signifikant moralischer
ein, einen Schwein zum Nutzen vieler
Schweine zu opfern. - Schweine werden noch weniger als
Personen angesehen als Hunde.
Interessanter Fall: Schimpansen
* Vergleich zu X = Hund: Proband:innen
schätzten es nicht als signifikant
unmoralischer ein, einen Schimpansen zum
Nutzen vieler Schimpansen zu opfern.
* Schimpansen werden nicht mehr als
Personen angesehen als Hunde.
* Und das obwohl Proband:innen die mentalen
Fähigkeiten von Schimpansen für höher
hielten.
* Warum? Als Haustiere genießen Hunde einen
besonders hohen moralischen Wert.
Ergebnis-Zusammenfassung
* Caviola et al. (2021) zeigen dass
Proband:innen Tieren insgesamt weniger
Rechte und moralischen Wert zuschreiben als
Menschen.
* Einige Tiere werden jedoch mehr als Personen
gesehen als andere: Hunde mehr als
Schweine.
* Dies liegt nicht an Unterschieden in mentalen
Fähigkeiten der Tiere, sondern an der Spezies-
Zugehörigkeit.
Speziesismus
- Das heißt, der moralischen Wert eines Individuums wird nicht an dessen mentalen
Fähigkeiten, sondern an dessen Spezies-Zugehörigkeit festgemacht. - Dies nennt man Speziesismus.
- Wichtige Definition: Speziesismus ist das Basieren des moralischen Wert eines
Individuums ausschließlich auf dessen Spezies-Zugehörigkeit. - Das Konzept des Speziesismus ist in der Philosophie schon länger Gegenstand von
Debatten (vgl. Peter Singers berühmtes Buch: „Animal Liberation“, 1975). Es ist nun
auch in der Psychologie ein „boomendes“ Forschungsthema.
Speziesismus in action
Der psychologische Prozess hinter der verschiedenen moralischen
Einordnung verschiedener Tiere:
- Wir haben gelernt: Personen messen einigen Tieren mehr moralischen
Wert zu als anderen Tieren ausschließlich basierend auf deren Spezies-
Zugehörigkeit (= Speziesismus). - Wenn Personen ein Tier sehen, nehmen sie eine Kategorisierung des
Tieres vor: Haustier? Nutztier / Essen? Wildes Tier? Schädling? usw. - Wie ein Tier behandelt wird und welcher moralische Wert ihm
beigemessen wird hängt davon ab, in welche Kategorie es eingruppiert
wird.
Das Konzept des Speziesismus kann damit auch erklären, warum dasselbe Tier nicht überall den
gleichen moralischen Wert hat. Beispiel 1: Kühe gelten als heilig in einem Kulturkreis und als
„Milchmaschinen“ in
einem anderen.
Beispiel 2:
Für Personen in einem
Kulturkreis sind Hunde
Familienmitglieder,
Personen in einem
anderen Kulturkreis essen
Hunde.
Take-Home Message
Finden Menschen einige Tiere moralisch wertvoller
als andere?
Ja.
* Es gibt in der Meinung von Personen eine moralische
Hierarchie zwischen Tieren.
* Einige Tierarten (z.B. Haustiere) werden als moralisch
wertvoller wahrgenommen als andere Tierarten (z.B.
Nutztiere).
* Die Untersuchung von Caviola et al. (2021) zeigt
beispielsweise, dass im westlichen Kulturkreis Hunde
relativ mehr als Personen mit Rechten gesehen werden
als Schweine.
Speziesismus.
* Unabhängig von deren mentalen Fähigkeiten und oder deren Leidensfähigkeit genießen einige
Lebewesen eine höheren moralischen Status als andere.
* Der moralische Wert verschiedener Tiere wird mitunter ausschließlich auf Spezies-Zugehörigkeit
basiert (= Speziesismus).
* Wichtige Definition: Speziesismus ist das Basieren des moralischen Wert eines Individuums
ausschließlich auf dessen Spezies-Zugehörigkeit.
* Personen kategorisieren Tiere (z.B. in Haustier/Freund:in vs. Nutztier/Essen) und schreiben den
moralischen Wert abhängig von der Kategorie zu.