Gender-Stereotype 2 Flashcards
Warum können Gender-Stereotype schädlich sein?
- Gender-Stereotype sind generalisierte Annahmen über die Merkmale von Männern und Frauen. Damit sind sie deskriptiv: wie Frauen und Männer üblicherweise sind.
- Diese deskriptiven Annahmen können inakkurat sein.
- Gender-Stereotype können haben auch eine präskriptive Komponente: wie Frauen und
Männer sein sollen. - Beispiele:
- „Männer sind üblicherweise dominant.“ „Ein echter Mann soll dominant sein.“
- „Mädchen mögen üblicherweise Puppen lieber als Autos.“ „Ein Mädchen soll nicht
mit Autos spielen.“
Warum können Gender-Stereotype schädlich sein?
- Koenig (2018) hat beispielsweise in ihrer Umfrage unter US-Studierenden auch
gefunden,
dass Proband:innen nicht nur denken, dass Männer bzw. Frauen diese
Eigenschaften üblicherweise haben (deskriptiv), sondern auch haben sollen (präskriptiv):
* Männer: auf Leistung bezogen, nicht schwach, nicht emotional, intelligent,
unabhängig, nicht schüchtern, maskulines Aussehen
* Frauen: auf die Gemeinschaft bezogen, nicht dominant, nicht laut, nicht aufsässig,
feminines Aussehen
- Gender-Stereotype können schädlich sein, wenn sie Vorstellungen dazu, wie sich
Personen verhalten sollen in starren und potentiell falschen Annahmen über deren
biologisches Geschlecht verankern.
Warum können Gender-Stereotype schädlich sein?
In Abgrenzung zu „Gender“: Geschlecht
- Das „biologische Geschlecht“ (Englisch: „sex“) wird verstanden als die Zugehörigkeit zu einer der
beiden Kategorien „männlich“ und „weiblich“, in die sich viele Lebewesen auf Basis ihrer
reproduktiven Funktion einordnen lassen. - Der Begriff ist nützlich, um biologische Vorgänge wie geschlechtliche Fortpflanzung erklären zu können.
- Die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ werden beim Individuum anhand verschiedener Merkmale
definiert, z.B. Hormone, Chromosomen, Geschlechtsorgane usw. - Die eindeutige Einordung eines einzelnen Individuums auf Basis dieser Merkmale kann jedoch schwierig sein: kein einzelnes Merkmal ist völlig eindeutig.
- Geschlecht wird üblicherweise als binär (männlich vs. weiblich) verstanden.
Gender
- Der Begriff „Gender“ ( auch: „soziales Geschlecht“) bezeichnet die Geschlechtsaspekte, die eine
Person in Abgrenzung zu ihrem rein biologischen Geschlecht beschreiben. - Gender wird oft in der Gesellschaft als direkt aus dem biologischen Geschlecht folgend
stereotypisiert. Die Annahme ist hier, Gender sei ebenfalls binär: - Das Stereotyp enthält, dass Menschen mit einem weiblichen biologischen Geschlecht, sowohl a) eine
klare weibliche Identität haben als auch b) typisch weibliches Verhalten zeigen. - Das Stereotyp enthält zudem, dass Menschen mit einem männlichen biologischen Geschlecht, sowohl
a) eine klare männliche Identität haben als auch b) typisch männliches Verhalten zeigen.
Dies enthält jedoch zwei falsche Annahmen:
1. Gender folgt direkt und zwingend aus dem biologischen Geschlecht.
2. Es gibt zwei kategoriale Verhaltensmuster (männlich und weiblich).
Fehlannahme 1: Gender folgt direkt und zwingend
aus dem biologischen Geschlecht
- Geht fälschlicherweise davon aus, dass Identität und
Verhalten rein biologisch determiniert und über die
Lebensspanne stabil sind. - Einige Personen ordnen sich selbst einem Gender zu,
das nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht
(z.B. transgender). - Einige Personen fallen weder in die Kategorie
„männlich“ noch „weiblich“ in ihrem Gender (z.B.
genderfluid, multigender, agender). - Gender ist nicht-binär.
Fehlannahme 2: Es gibt zwei kategoriale
Verhaltensmuster (männlich und weiblich)
- Die meisten Gender-Unterschiede in
Eigenschaften, Fähigkeiten, Interessen und im
Verhalten sind klein (mehr dazu später). - Es gibt deutlich mehr Unterschiede zwischen
verschiedenen Persönlichkeitstypen als
zwischen Männern und Frauen. - Alle Menschen haben „männliche“ und
„weibliche“ Eigenschaften in verschieden
starker Ausprägung – es ist ein Kontinuum,
keine Kategorie.
Damit können Gender-Stereotype negative Folgen
haben für:
- Frauen, die nicht dem stereotypen Frauen-Bild
entsprechen. - Männer, die nicht dem stereotypen Männer-Bild
entsprechen. - Personen, deren Gender nicht ihrem biologischen
Geschlecht entspricht oder die sich nicht einem
Geschlecht klar zuordnen.
Solche negativen Folgen können beispielsweise in sozialer Abwertung oder
Einschränkung der entsprechenden Personen bestehen:
- Stark leistungsorientierte Frauen werden weniger gemocht.
- Männer, die in Elternzeit gehen werden als schwächer wahrgenommen.
- Nicht-Erfüllen von Geschlechts-Rollenbildern wird im Arbeitsleben bestraft
(z.B. Übergangen werden bei Beförderungen).
Take-Home Message
Warum können Gender-Stereotype schädlich sein?
- Gender-Stereotype enthalten eine deskriptive und eine präskriptive Komponente.
- Aus der (gegebenenfalls inakkuraten) deskriptiven Komponente kann die präskriptive
folgen. - So wird beispielsweise von Männern erwartet, dass sie nicht schwach, nicht emotional
und nicht schüchtern sein sollen. Und von Frauen wird erwartet dass sie nicht dominant,
nicht aufsässig und nicht laut sein sollen (wie von Koenig, 2018 gezeigt). - Gender-Stereotype können schädlich sein, wenn sie Vorstellungen dazu, wie sich
Personen verhalten sollen in starren und potentiell falschen Annahmen über deren
biologisches Geschlecht (binär: männlich vs. weiblich) verankern. - Diese Annahmen enthalten dass Menschen sowohl eine klare Identität haben die ihrem
biologischen Geschlecht entspricht, als auch geschlechts-typisches Verhalten zeigen. - Es gibt jedoch nicht zwei klare Geschlechtsidentitäten, da Gender (= soziales Geschlecht
über das biologische hinaus) nicht binär ist. - Es gibt auch nicht ein klares geschlechts-typisches Verhalten, da es nicht zwei
kategoriale Verhaltensmuster (männlich vs. weiblich) gibt: der Unterschied zwischen
Persönlichkeiten ist grösser als der zwischen Männern und Frauen. Und
männlich/weiblich ist ein Verhaltens-Kontinuum. - Damit können Gender-Stereotype zu sozialer Abwertung oder Einschränkung von
Personen führen, die dem Stereotyp nicht entsprechen (z.B. dominante und
leistungsorientierte Frauen, am Haushalt interessierte Männer oder Personen, die sich
keiner klaren Geschlechtsidentität zuordnen).
Gender-Stereotype schränken potentiell alle Personen ein (nicht nur Frauen)!
Wir Psycholog:innen können die Ursachen und Wirkungen von Gender-Stereotypen
erklären und damit zu Interventionen (zum Wohle aller Personen) beitragen.
Welche Gender-Unterschiede sind messbar?
- Wir haben gelernt: Annahmen darüber, wie Männer und Frauen üblicherweise sind (Gender-
Stereotype) können akkurat oder inakkurat sein. - Lassen sich im Durchschnitt tatsächlich irgendwelche Unterschiede zwischen Männern und Frauen
im Erleben und Verhalten messen? - Diese Frage wurde in einer riesigen Zahl von Studien untersucht. Hierbei wurde stets eine große
Anzahl Frauen (hier: Personen, deren biologisches und soziales Geschlecht weiblich ist) mit einer
großen Anzahl Männer (Personen, deren biologisches und soziales Geschlecht männlich ist) in
einer Reihe von Testergebnissen verglichen. - Meist lag hier das Ziel darin, Unterschiede (anstatt Gemeinsamkeiten) zwischen Männern und
Frauen zu belegen. - (Andere Gender-Identitäten sind in diese Vergleichsstudien noch nicht eingeflossen, da die
Stichproben zu klein waren. Es findet aber gerade erste Forschung dazu statt.)
Zentrale Studie: Hyde (2005)
- Janet Hyde schrieb einen Artikel mit dem Titel „The gender similarities hypothesis.”
Sie stellte die Hypothese auf, dass sich Frauen und Männer mehr ähnlich sind
als dass sie sich unterscheiden. - Sie erstellte einen Review (= qualitative Zusammenfassung) von 46 Meta-Analysen
(= quantitative Zusammenfassung) zum Thema Gender. - Der Fokus lag hier auf der statistischen Effektstärke: wie bedeutsam ist ein
eventueller Unterschied?
Ergebnisse:
* Bei 30% der untersuchten Variablen zeigten sich keine oder nur winzige Gender-Unterschiede,
z.B.:
* Mathematische Problemlösefähigkeit
* Depressive Symptomatik
* Bei weiteren 48% der untersuchten Variablen zeigten sich kleine Gender-Unterschiede, z.B.:
* Hilfsbereitschaft allgemein
* Gesprächigkeit
* Erregbarkeit durch sexuelle Stimuli
* Neurotizismus
- Das heißt bei insgesamt 78% der untersuchten Variablen gab es keine oder nur kleine Gender-
Unterschiede. - Hydes Grund-Ergebnis (schon fast 20 Jahre alt), dass die Geschlechter sich mehr ähneln als
unterscheiden, wurden in groß angelegten Studien bestätigt, z.B. Zell et al. (2015) und Hofmann
et al. (2023).
Die Bedeutung von Gender-Unterschieden im Erleben und Verhalten wird häufig überschätzt.
Viele in der Gesellschaft angenommene Unterschiede zwischen den Geschlechtern beruhen auf
inakkuraten Gender-Stereotypen (die wiederum die Folge haben, dass Personen sich selbst und
andere passend zu diesen Stereotypen behandeln).
Es gibt jedoch auch einige wenige mittlere & große Gender-Unterschiede:
- Mentale Fähigkeiten:
- Buchstabieren & Sprachbegabung (F > M; „F > M“ heißt Frauen haben eine höhere Ausprägung als
Männer) - Mechanisches Verständnis, räumliches Denken & mentale Rotation (M > F)
- Persönlichkeitseigenschaften:
- Aggression (physisch und verbal; M > F)
- Extraversion (M > F)
- Verträglichkeit (F > M)
- Sozialverhalten:
- Hilfsbereitschaft wenn unter Beobachtung (M > F)
- Lächeln im Gespräch (wenn unter Beobachtung; F > M)
- Anderes:
- Positive Einstellung gegenüber „casual sex“ (M > F)
- Zufriedenheit mit dem eigenen Körper (M > F)
Take-Home Message
Welche Gender-Unterschiede sind tatsächlich messbar?
- In der Frage, welche Unterschiede es zwischen den Gendern tatsächlich gibt ist die Arbeit
von Hyde (2005) zentral. - In ihren Review von Meta-Analysen fand sie heraus, dass es bei einer weiten Mehrzahl
(78%) der untersuchten Variablen keine oder nur kleine Gender-Unterschiede gab. - Ihre „gender similarities hypothesis“ gilt als klar bestätigt.
- Viele in der Gesellschaft angenommene Unterschiede zwischen den Geschlechtern
beruhen daher auf inakkuraten Gender-Stereotypen. - Es gibt jedoch auch einige Merkmale, bei denen sich im Durchschnitt Unterschiede
zwischen Männern und Frauen zeigen.
Achtung!
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Bei der Beurteilung der Studie von Hyde und ähnlichen Studien:
* Nicht die Frage nach dem „ob“ mit der Frage nach dem „warum“ verwechseln!
* Die Studie von Hyde beurteilt, ob bei den beschriebenen Variablen Unterschiede zwischen
Männern und Frauen messbar sind.
* Sie sagt nichts darüber, warum diese Unterschiede bestehen (genetisch? sozial?) und ob
diese veränderbar sind oder nicht.
* Beispiel 1: Hydes Studie beurteilt ob Frauen im Gespräch mehr lächeln als Männer. Die
Studie impliziert nicht, dass Frauen aus genetischen Gründen mehr lächeln als Männer.
- Beispiel 2: Manche Studien können Ursachen erklären. Erinnerung an die letzte Vorlesung:
- Die Studie von Olczyk et al. (2023) zur Leistung von Schüler:innen zeigte, dass die
verzerrten Wahrnehmungen von Lehrer:innen dazu beitrugen, dass tatsächliche
Unterschiede in Leistungen in Sprache (Mädchen besser) und Mathematik (Jungs besser)
über die Grundschulzeit verstärkt wurden. - Geschlechts-Unterschiede waren hier tatsächlich messbar und wir können aus der
Studie schließen, dass diese durch das soziale Umfeld (Behandlung durch die
Lehrer:innen) mitbedingt wurden. - Woran also diese messbaren Geschlechts-Unterschiede liegen könnten, dazu kommen wir
jetzt
Wie werden Gender-Unterschiede erklärt?
Die Erklärungsansätze fallen in drei (grobe) Kategorien:
- Evolutionär / biologisch („nature)
- Kulturell / sozial („nurture“)
- Bio-sozial (Interaktion von „nature“ und „nurture“)
- Evolutionäre / biologische Erklärungsansätze
- Basieren auf Darwin‘s Evolutionstheorie
- Kernbegriff: Natürliche Selektion
- Das bekannte Konzept „natural selection“ (vgl. „survival of the fittest“)
besagt dass Individuen, die überleben eine höhere Wahrscheinlichkeit
haben, sich zu reproduzieren und damit ihre Gene weiterzugeben. - So passen sich Spezies über die Zeit den Herausforderungen an, die ihre
Umwelt mit sich bringt. - Bei natürlicher Selektion geht es ums Überleben, nicht um die
Reproduktion. - Natürliche Selektion trägt eher zu Ähnlichkeiten als zu Unterschieden
zwischen den Geschlechtern bei.