Irrtümer Flashcards
Tatumstandsirrtum, § 16 StGB
Täter kennt nicht alle Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören
begriffliche Ebene
umfasst Ausdrücke und Begriffe, mittels derer der Gesetzestext auf bestimmte Umstände der Wirklichkeit Bezug nimmt
Tatsachenebene
umfasst die Umstände der Wirklichkeit, auf die die Gesetzestext mittels seiner Begriffe Bezug nimmt
Subsumtionsirrtum
sprachlicher Irrtum über korrekte Verwendung gesetzlicher Begriffe, lässt Vorsatz nicht entfallen, Verbotsirrtum, § 17 StGB
deskriptive TBM
Bezeichnung von natürlichen Tatsachen, die es unabhängig von rechtlichen Regelungen gibt
normative TBM
Bezeichnung von rechtlichen Tatsachen, die erst durch bestimmte rechtliche Regeln erzeugt werden
Bsp. “fremd” in § 242 StGB = bestimmte Rechtslage (Eigentumsverhältnisse)
Parallelwertung in der Laiensphäre
Täter muss die bestehende Rechtslage, d. h. die rechtliche Tatsache, auf die das normative TBM des Straftatbestandes als Umstand Bezug nimmt, zumindest im Großen und Ganzen erkannt haben
error in persona vel objecto
Täter trifft mit seiner Tat zwar das anvisierte Tatobjekt, aber er irrt über die Identität dieses Tatobjekts
bei Gleichwertigkeit Unbeachtlichkeit
aberratio ictus
Täter lenkt seinen Angriff auf ein von ihm anvisiertes Tatobjekt (Zielobjekt), aufgrund äußerer Umstände geht dieser Angriff fehl, sodass der Erfolg an einem anderen Objekt (Verletzungsobjekt) eintritt, das der Täter nicht anvisiert hast und auch nicht verletzen wollte
Zusammentreffen von error in objecto/persona und aberratio ictus
Täter lenkt seinen Angriff auf ein von ihm anvisiertes Zielobjekt, dabei irrt er über dessen Identität; Angriff geht fehl und trifft “richtiges” vom Täter eigentlich gewolltes Objekt
Entscheidend, dass Erfolg nicht am Zielobjekt eintritt, das der Täter bei Ausführung seines Angriffs tatsächlich anvisiert hatte, auf das sich der Vorsatz also konkretisiert hatte. → Argumente des a. i. passen
→ Regeln des aberratio ictus
Fehlgehen der Tat bei nur mittelbarer Individualisierung
Täter lenkt seinen Angriff aus der Ferne und nimmt deshalb das Zielobjekt nicht unmittelbar wahr. Das Verletzungsobjekt, an dem der Erfolg eintritt, hat nicht die Identität, die es nach der Vorstellung des Täters haben sollte.
hM: error in persona Lösung
Abweichung vom Kausalverlauf
Nach hM ist eine Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf dann unwesentlich, wenn sie sich noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt.
Irrtum über den Kausalverlauf bei zweiaktigem Geschehen
Täter glaubt irrtümlich, mit erster Handlung bereits Erfolg herbeigeführt zu haben, tatsächlich aber erst mit anschließender Handlung
(Jauchegrube-Fall)
Lehre vom dolus generalis
Beide Handlungen bilden ein einheitliches Gesamtgeschehen, das auch im zweiten Teil noch von einem Gesamttötungsvorsatz getragen wird.
Kritik: Vorsatz nur fingiert
Fehlen des Unrechtsbewusstseins, § 17 StGB
Dem Täter muss die Einsicht fehlen, Unrecht zu tun. Nach hM besitzt er diese Einsicht bereits dann, wenn er sein Verhalten als rechtlich verboten erkennt.
Unvermeidbarkeit
wenn Täter trotz Einsatzes all seiner individuellen Fähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten die Unrechtmäßigkeit seines Handelns nicht zu erkennen vermag
- Nachdenken, gehörige Gewissensanspannung
- Zweifel / Anlass: Einholung verlässlichen und sachkundigen Rats bei Dritten
Erlaubnisirrtum
Täter verkennt die rechtlichen Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes oder glaubt an das Bestehen eines von der Rechtsordnung nicht anerkannten Rechtfertigungsgrundes
= Verbotsirrtum, § 17 StGB
Erlaubnistatumstandsirrtum
Fehlvorstellungen über die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes
Täter nimmt irrig Umstände für gegeben an, die im Falle ihres tatsächlichen Vorliegens die Tat rechtfertigen würden
ETI: strenge Schuldtheorie
Das Unrechtsbewusstsein ist ein Element der Schuld. Fehlt es, richten sich die Rechtsfolgen daher nach den Regeln des Verbotsirrtums.
§ 17 StGB
ETI: eingeschränkte Schuldtheorie
Täter irrt nicht über die rechtlichen Bedingungen eines Rechtfertigungsgrundes, sondern nimmt irrtümlich dessen tatsächliche Voraussetzungen an. Legt man seine Tatsachenvorstellung zugrunde, handelt er daher ebenso wie beim Tatumstandsirrtum “an sich rechtstreu”, d. h. in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung.
§ 16 StGB
ETI: Lehre von den negativen TBM
- Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe = negative TBM eines “Gesamtunrechttatbestandes”, dürfen nicht vorliegen, damit eine Tat Unrecht darstellt
- nimmt Täter irrtümlich rechtfertigende Umstände an, fehlt ihm die erforderliche Kenntnis vom tatsächlichen Nicht-Vorliegen rechtfertigender Umstände und damit der Vorsatz
§ 16 StGB direkt
ETI: vorsatzunrechtsausschließende eingeschränkte Schuldtheorie
- Tatumstandsirrtum iSd § 16 und ETI qualitativ gleichwertig
- es entfällt zwar nicht der Tatbestandsvorsatz, wohl aber der Handlungsunwert und damit das Vorsatzunrecht
§ 16 I 1 StGB analog
ETI: rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie
Doppelfunktion des Vorsatzes: Tatbestandsvorsatz + Vorsatzschuld
nimmt Täter irrtümlich rechtfertigende Umstände an, darf ihm kein Vorsatzschuldvorwurf gemacht werden, weil ihm das bewusste Abfallen von der Rechtsordnung fehlt
§ 16 I 1 StGB analog in seinen Rechtsfolgen
Doppelirrtum
Täter unterliegt zugleich einem Tatsachenirrtum (tatsächliche Vrss.) und einem Erlaubnisirrtum (Existenz / Grenzen eines bestehenden RF-Grundes) = Täter stellt sich Umstände vor, die tatsächlich nicht vorliegen, aber selbstbei ihrem Vorliegen zu keiner RF führen würden
→ RW (+), ETI (-)
→ Schuld: wie Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln
Entschuldigungsirrtum
Täter verkennt die rechtlichen Grenzen eines anerkannten Entschuldigungsgrundes oder glaubt an das Bestehen eines von der Rechtsordnung nicht anerkannten Entschuldigungsgrundes
nach hM stets irrelevant
Entschuldigungstatumstandsirrtum
Täter hält irrtümlich Umstände für gegeben, die im Falle ihres tatsächlichen Vorliegens die Tat entschuldigen würden
§ 35 II StGB (analog) - Vermeidbarkeit entscheidend
Wahndelikt
Handelnder hält sein Verhalten in Verkennung der Strafrechtsregeln irrtümlich für strafbar
umgekehrter Verbotsirrtum
→ straflos
Fallgruppen des Wahndelikts
- der umgekehrte direkte Verbotsirrtum
- der umgekehrte Subsumtionsirrtum
- der umgekehrte Erlaubnisirrtum
irrelevante Abweichungen vom Kausalverlauf
BGH: Irrelevant sind Abweichungen vom vorgestellten Kausalverlauf, wenn sie sich in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen.
→ nach h. M. muss Täter Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen vorhersehen
→ bei relevanter Abweichung Vorsatz bzgl. Kausalverlauf (-)
→ nach h. L. i. d. R. schon obj. Zurechnung (-)
Anforderungen an Rechtsgutachten für Unvermeidbarkeit i. R. v. § 17 StGB
- kein Gefälligkeitsgutachten
- Fachanwalt, gewisse Expertise
- inhaltliche Anforderungen
→ restriktiv handhaben
Vorfeldirrtum
Irrtum im Vorfeld des Straftatbestandes, z. B. über die zivilrechtliche Rechtslage als einen Umstand, auf den ein TBM der Norm Bezug nimmt
→ kann als Rechtsirrtum zu einem TBI führen
umgekehrter Tatbestandsirrtum
Täter stellt sich Sachlage vor, bei deren Vorliegen sein Handeln einen Tatbestand verwirklichen würde, untauglicher Versuch
Behandlung der dolus - generalis - Fälle
Aufbau in Klausur
umgekehrte Prüfung: 1. Prüfung des Zweitakts → strafbegründender / -schärfender Umstand liegt an sich nicht vor → Theorie des dolus generalis: Vorsatz erstreckt sich auch auf 2. Akt (-) Koinzidenzprinzip 2. Prüfung des Erstakts a) P: obj. Zurechnung b) P: Vorsatz
Behandlung der dolus - generalis - Fälle
P: objektive Zurechnung bei Zweitakt
e. A.: (-), wenn Täter irrtümlich glaubt, Ziel sei beretis durch Erstakt erreicht
→ Versuch + Fahrlässigkeit
(+) atypischer Kausalverlauf
(+) Erstakt haftet nicht spez. Risiko des Erfolgseintritts durch Zweitakt an
(-) kein ganz atypischer Kausalverlauf
h. M.: (+), wenn sich durch Zweitakt die durch den Erstakt geschaffene rechtlich relevante Gefahr realisiert
(+) ermöglicht differenzierte Ergebnisse
(+) allg. Lebenserfahrung: verspätete Erfolgseintritte immer einzukalkulieren
(+) bloße Fortsetzung der urspr. Handlung, ohne Erstakt wäre Zweitakt nicht erforderlich
Behandlung der dolus - generalis - Fälle
P: Vorsatz bzgl. wesentlichem Kausalverlauf
e. A.: (-), wenn Täter irrtümlich glaubt, Ziel sei bereits durch Erstakt erreicht
(+) beide Teilakte = selbständige, von unterschiedlichen Vorsätzen getragene Handlungen, Täter hat durch Erstakt Tötungsvorsatz eben nicht verwirklicht
(-) wird tatsächlichem Geschehen nicht gerecht
h. M.: (+), wenn sich die Abweichung in Grenzen des Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen
(+) ermöglicht differenzierte Ergebnisse
Grundregel: Wann führt error in persona vel objekto zu Vorsatzausschluss?
Irrtum über Handlungsobjekt wirkt sich nur vorsatzausschließend aus, wenn vorgestelltes und getroffenes Objekt nicht tatbestandlich gleichwertig sind = wenn sie nicht unter dasselbe TBM subsumiert werden können
A schießt nach Raub irrtümlich auf Mittäter B, weil er diesen für Verfolger hält → Strafbarkeit des B, wenn Tatplan vorsah, dass auf Verfolger geschossen werden soll?
- Tatbeitrag des A = Exzess?
(-) Plan umfasst auch Risiko, statt Verfolger unbeteiligten Passanten oder eben Tatbeteiligte zu treffen - gilt etwas anders, weil B selbst getroffen wurde?
→ B würde so wegen versuchter Tötung an sich selbst bestraft, obwohl eigentlich straflos
(-) vom Tatplan umfasst, Verwechslung = Planverwirklichungsrisiko
(-) Handlungsunrecht besteht
(-) aus Bs Sicht untauglicher Versuch, aber auch der strafbar
→ Strafbarkeit des B (+)
Folgen des aberratio ictus
e. A.: Gleichbehandlung mit error in persona
(+) Identität des Tatobjektis ist kein TBM
(+) maximaler Schutz
(-) entspricht nicht dem realen Sachverhalt, Täter hat Opfer richtig erkannt und individualisiert
h. M.: Versuch bzgl. Zielobjekt, FK bzgl. verletztem Objekt
(+) sobald konkretes Ziel anvisiert wird, beschränkt sich Vorsatz auf dieses
(+) welches Ziel letztlich getroffen wird, hängt vom Zufall ab
(+) Vorsatz bzgl. aller in Betracht kommenden Tatobjekte ist reine Fiktion, Verstoß gegen Schuldprinzip
a. A.: differenzierend: höchstpersönliche Rechtsgüter → h. M.; individualrechtsunabhängie RG → wie e. A.
(+) Vorsatzkonkretisierung ohne Bedeutung
(-) kein Grund für Differenzierung
Abgrenzungsprobleme bei error in persona und aberratio ictus
Fallgruppen
Täter wählt eine Vorgehensweise, die nicht unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung führt; durch einen Fehler / unvorhergesehenen Verlauf wird das falsche Opfer getroffen
- Tatmittler oder Haupttäter verwechselt das Opfer
- Distanzfälle
- actio libera in causa: im schuldunfähigen Zustand verwechselt Täter das Opfer
P: Auswirkungen des error in persona des Haupttäters auf den Anstifter
Rspr.
grds. unbeachtlich, es sei denn Abweichung liegt nicht mehr im Bereich des nach allg. Lebenserfahrung Vorstellbaren → Anstiftervorsatz (+), wenn sich Haupttäter an den vom Anstifter vorgegebenen Spielraum zur Individualisierung des Opfers hält
(-) Blutbadargument: Anstiftervorsatz bezog sich nur auf eine Tötung (Gegenargument: schon 2. Tötung = Exzess)
(+) was für Täter unbeachtlich ist, kann nicht für Anstifter beachtlich sein → Akzessorietät
(+) § 26 StGB: “gleich dem Täter” → gleicher Vorsatzmaßstab
P: Auswirkungen des error in persona des Haupttäters auf den Anstifter
h. L.
error in persona des Täters = aberratio ictus für Anstifter → versuchte Anstiftung zur geplanten Tat und ggf. fahrlässige (tatsächliche) Tat
(+) Vorsatz des Anstifter bezieht sich auf konkrete Tat, ausgewähltes Tatmittel = Angestifteter geht jedoch fehl
(-) Anstifter hat letztlich Tat verursacht, aber wird ggü. Haupttäter privilegiert
P: error in persona im Fall der alic
Rspr.: e. i. p. unbeachtlich
(+) Gleichbehandlung mit “normaler” Vorsatztat
(+) Opferschutz
(-) berücksichtigt Eintritt des Defektzustandes nicht
Teil Lit.: wesentliche Abweichung → nur § 323a StGB bleibt
(+) Irrtum erst nach Eintritt Schuldunfähigkeit → tragende Verbindung Tatplan - Tatgestaltung beseitigt
(+) vgl. Fall des Vorsatzwechsels nach Eintritt der Schuldunfähigkeit
überwiegender Teil Lit.: Einordnung als aberatio ictus
(+) Erfolg tritt nicht an der Person ein, die zum maßgebenden Zeitpunkt (Sich-Berauschen) anvisiert wird
(+) Parallele zur mittelbaren Täterschaft
(+) § 323a StGB erfasst Versuchsunrecht unzureichend
Unrechtsbewusstsein
genügt, dass Täter die spezifische Rechtsgutsverletzung als Unrecht erkennt (nicht billigt)
Rspr.: wenn er Möglichkeit erkent, Unrecht zu tun (bedingtes Unrechtsbewusstsein) → Täter müsse Verhalten danach ausrichten
P: Irrtum über persönliche Straffreistellungsgründe
Bsp.: Verlobte begeht Strafvereitelung nach § 258 I StGB, Verlöbnis stellt sich als unwirksam heraus, sodass § 258 VI StGB (-)
h. M.: nur objektive Lage entscheidend, Irrtum unbeachtlich
(+) Strafausschließungsgründe müssen nicht von Vorsatz umfasst sein, jenseits von Unrecht und Schuld
a. A.: differenzierend
→ subjektive Kenntnis des Täters entscheidend,
(+) Nähe zu Entschuldigungsgründen