Einführung Flashcards
§16 Psychoanalytisch begründete Verfahren
- ätiologisch orientierten Psychotherapie, welche die unbewusste Psychodynamik neurotischer Störungen mit psychischer oder somatischer Symptomatik zum Gegenstand der Behandlung machen.
- Zur Sicherung ihrer psychodynamischen Wirksamkeit sind bei diesen Verfahren übende und suggestive Interventionen als auch Kombinationsbehandlung grundsätzlich ausgeschlossen.
- Als psychoanalytische begründete Psychotherapieverfahren gelten im Rahmen dieser Richtlinie die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie
- Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und analytische Psychotherapie können als Krankenbehandlung nach dieser Richtlinie bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen zur Anwendung kommen.
§16a tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
- Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie umfasst ätiologisch orientierte Therapieformen mit welchen die unbewusste Psychodynamik aktuell wirksamer neurotischer Konflikte und struktureller Störungen unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand behandelt werden.
2.Eine Konzentration des therapeutischen Prozesses wird durch Begrenzung des Behandlungszieles, durch ein vorwiegend konfliktzentriertes Vorgehen und durch Einschränkung regressiver Prozesse angestrebt. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie gelangt auch in jenen Fällen zur Anwendung, in denen eine längerfristige therapeutische Beziehung erforderlich ist.
3.Sonderformen der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie: Psychotherapiemethoden:
1.Kurztherapie
2.Fokaltherapie
3.Dynamische Psychotherapie,
4Niederfrequente Therapie in einer längerfristigen, Halt gewährenden therapeutischen Beziehung
§16b Analytische Psychotherapie
• Therapieformen, die zusammen mit der neurotischen Symptomatik den neurotischen Konfliktstoff und die zugrundeliegende neurotische Struktur der Patientin oder des Patienten behandeln und dabei das therapeutische Geschehen mit Hilfe der Übertragungs- , Gegenübertragungs- und Widerstandanalyse unter Nutzung regressiver Prozesse in Gang setzen und fördern.
Was ist tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie (TfP)?
„Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie umfasst ätiologisch orientierte Therapieformen, mit welchen die unbewusste Psychodynamik aktuell wirksamer neurotischer Konflikte unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand behandelt wird.“ (Psychotherapie-Richtlinien)
„Richtlinien-Verfahren“ (Rüger & Bell, 2004)
Seit 1967 im deutschen Sprachraum; international: „psychodynamic psychotherapy“
Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie sieht keinen Unterschied zwischen tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Psychotherapie
Abgeleitet vom psychoanalytischen Standardverfahren
• Ätiologie = Beschäftigung mit der Entstehung der Störung
• Unbewusste Psychodynamik = innere Prozesse, die dem Bewusstsein nicht
zugänglich sind
• Wirksame neurotische Konflikte = innere Konflikte wie z.B. ein Schuldkonflikte
• Übertragung, Gegenübertragung = die in aktuellen Beziehungen, auch in der therapeutischen Beziehung unbewusst wirksam werden und unser Handeln beeinflussen und die sich als Widerstand manifestieren, z.B. Schuld die schwer erträglich ist, wird abgewehrt und dem Anderen zugeschoben
Was sind Merkmale der TfP?
- Fokus auf therapeutische Beziehung
- Erforschung von Emotionen
- Untersuchung von Abwehr (- mechanismen)
- Analyse von Übertragung, Gegenübertragung
- Identifikation typischer, sich wiederholender Lebensthemen
- Exploration der Vergangenheit (Gabbard, 2004; Shedler, 2010)
- Stunden ohne fest vorgegebenen Ablauf (frei-äußern)
- Zur Behandlung eines breiten Spektrums psychischer Erkrankungen
Interventionsspektrum TFP
Expressiv interpretieren, deuten konfrontieren klassifizieren bitten das gesagte eher auszuführen empathisch bestätigen einen Rat geben loben anerkennen bestätigen
Erstgespräch
Erfassung der Symptomatik in ihrer subjektiven Bedeutung und ihren Auswirkungen
• Identifikation der symptomauslösenden Situation
• biografische Anamnese
• Erfassung der zentralen Beziehungsgestaltung/Objektbeziehungen
• Wahrnehmung des Selbstbildes
• Einschätzung der Ressourcen
• Einschätzung des Strukturniveaus, der Konflikte und der Abwehrorganisation
• Formulierung der Psychodynamik
- Hypothesencharakter aller Einschätzungen beachten
- fortgesetzte adaptive Überprüfung der initialen Einschätzung im Therapieprozess
Verfahren initialer Diagnostik
- Psychoanalytisches Erstinterview (Argelander, 2011)
- Biographische Anamnese (Dührssen, 1986)
- Strukturelles Interview (Kernberg, 1988)
- Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD-2; Arbeitskreis OPD 2009)
- Anamneseerhebung in der psychosomatischen Medizin (Adler, 2011)
Szenische Information
der Schlüssel zum Verständnis des Patienten
verleiht den objektiven und subjektiven Informationen ihre Evidenz
Patient braucht ausreichende Frustrationstoleranz, Introspektionsfähigkeit und Motivation
„Um diese Szene sich entfalten zu lassen und sie wahrnehmen zu können, wartet der Diagnostiker in der Haltung der gleichschwebenden Aufmerksamkeit in Ruhe ab, er wendet sich dem Patienten zu, zeigt sich aber nachdenklich schweigend.“
Die Grundregel: Freie Assoziation
“Noch eines, ehe Sie beginnen. Ihre Erzählung soll sich doch in einem Punkte von einer gewöhnlichen Konversation unterscheiden. Während Sie sonst mit Recht versuchen, in Ihrer Darstellung den Faden des Zusammenhangs festzuhalten, und alle störenden Einfälle und Nebengedanken abweisen, um nicht, wie man sagt, aus dem Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Sollen Sie hier anders vorgehen: Sie werden beobachten, dass Ihnen während Ihrer Erzählung verschiedene Gedanken kommen, welche Sie mit gewissen kritischen Einwendungen zurückweisen möchten, Sie werden versucht sein, sich zu sagen: es ist unsinnig, man braucht es darum nicht zu sagen. Geben Sie dieser Kritik niemals nach und sagen Sie es trotzdem, ja gerade darum weil Sie eine Abneigung dagegen verspüre. Den Grund für diese Vorschrift- eigentlich die einzige, die Sie befolgen sollen- werden Sie später erfahren und einsehen lernen: sagen Sie also alles, was Ihnen durch den Sinn geht.“ (Freud, 1913c, S. 468, aus Rugenstein, K. Freie Assoziation und gleichschwebende Aufmerksamkeit, 2019)
Szenisches Verstehen
Aktuelle Szene in der Behandlung
Infantile Szenen
tagesrestszenen
Settingbedingungen
Inhalte des Erstgesprächs
- Spontan berichtete Beschwerden des Patienten
- Hinweis auf Hauptprobleme und Beschwerden aus Sicht des Patientin, ermöglichen weitere Exploration
- Diagnostische Fragen
Welche Probleme begründen aktuellen Behandlungswunsch? Welche Symptome treten auf? Dauer, Intensität? Krankheitsverlauf? Drogen/ Alkoholkonsum? Halluzinationen/ Wahn?… - Behandlungsgeschichte
Medizinische Untersuchungsergebnisse? Frühere Behandlungsversuche?…
3.Erwartungen der/ des Patienten/in
Initiative für Behandlungsaufnahme? Konkrete Änderungswünsche? Hoffnungen & Befürchtungen?
4.Biografische Informationen und aktuelle Lebenssituation
Wie sind die aktuellen Lebensumstände? Familiär, beruflich, finanziell, wohnlich?
5.Informationsweitergabe an Patienten/in
Was ist Psychotherapie? Kostenübernahme, Ablauf von Psychotherapie, Vermittlung allgemeiner Behandlungsprinzipien
Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD-2)
• Erhebt relevante Informationen für die Psychotherapieplanung
• Ermöglicht struktur- oder konfliktbezogene Ausrichtung der Therapieentscheidung und Berücksichtigung spezifischer Problemkonstellationen
Multiaxiale psychodynamische Diagnostik
• Achse 1: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen
• Achse 2: Beziehung
• Achse 3: Konflikt
• Achse 4: Struktur
• Achse 5: Psychische und psychosomatische Störungen (ICD-10, Kap. V)
• Entwicklung seit Beginn der 1990er Jahre
• dazugehöriges manualisiertes Interview-Verfahren
Konfliktdefinition der OPD
„Unbewusste intrapsychische Konflikte sind unbewusste innerseelische Zusammenstöße entgegengerichteter Motivbündel, z.B. etwa der basale Wunsch nach Versorgung und der basale Wunsch, autark zu sein. […] Der zeitlich überdauernde, psychodynamische Konflikt ist […] gekennzeichnet durch festgelegte Erlebnismuster eines Menschen, die in entsprechenden Situationen immer wieder zu ähnlichen Verhaltensmustern führen, ohne dass dies dem Menschen bewusst wäre und ohne dass er sich aus eigener Willensanstrengung überwinden könnte“ (Arbeitskreis OPD 2006, S. 96; zit.n. Benecke 2014, S. 133)
Konfliktachse in der OPD: 7 Konflikte
- Abhängigkeit vs. Individuation
- Unterwerfung vs. Kontrolle
- Versorgung vs. Autarkie
- Selbstwertkonflikt
- Schuldkonflikt
- Ödipaler Konflikt
- Identitätskonflikt
Rating: abwesend, wenig bedeutsam, bedeutsam, sehr bedeutsam, nicht beurteilbar
Ø Verarbeitungsmodus: aktiv, passiv (inkl. Zwischen- oder Mischformen)
Konflikt: Abhängigkeit vs. Individuation
- Das Konfliktthema ist durch die beiden Motivsysteme der Bindung und Autonomie/Individuation gekennzeichnet. Beide Motive haben eine existentielle Bedeutung im Leben jedes Menschen.
- Bei gelungener Entwicklung ist der Mensch in der Lage, beide Motive psychisch zu integrieren und erlebt diese nicht als Widerspruch: die Person kann enge, emotionale nahe und tiefe Beziehungen eingehen (Abhängigkeit) und sich gleichzeitig als abgegrenztes, autonomes, eigenständiges Individuum erleben (Individuation), weder Alleinsein noch In-Beziehung-Sein löst (unbewusste) Ängste aus.
- Abhängigkeit und Autonomie/Individuation sind basale Elemente menschlichen Lebens und Erlebens und deshalb auch in allen anderen Konfliktbereichen enthalten. Ein lebensbestimmender Konflikt besteht dann, wenn diese grundlegende bipolare Spannung in eine konflikthafte Polarisierung geraten; in der dysfunktional-pathogenen Konfliktversion muss die Person in einer engen Beziehung sein (passiver Modus) bzw. muss sie forciert autonom und unabhängig sein (aktiver Modus), jeweils erlebt als eine existentielle Notwendigkeit
Strukturbegriff
• Keine verbindliche allgemeingültige Definition
STRUKTUR (Rudolf, 2008) =
• ein ganzheitliches und relativ zeitstabiles Gefüge von psychischen Dispositionen
• beeinflusst den Verlauf intrapsychischer Prozesse und die Gestaltung intrapersoneller Beziehungen
• entwickelt sich lebensgeschichtlich
• beinhaltet die Erfahrungen eines Individuums, die in der Gegenwart wirksam werden
Funktion der Struktur:
• intrapsychische und psychosomatische Organisation und Regulation zu leisten
• ein gewisses Wohlbefinden und Selbstwertgefühl sicherstellen
• interpersonell die Beziehungen zu wichtigen Anderen auf eine individuell
befriedigende Weise aufrechterhalten
• alle strukturellen Funktionen bezogen auf die Gesamtpersönlichkeit als „Fähigkeit zu“ gekennzeichnet, handlungsnah operationalisiert und empirisch untersucht werden!