Block 2 Flashcards

1
Q

Was kennzeichnet ein Unterlassungsdelikt?

A

Jemand macht sich strafbar, weil er ein Gebot missachtet, tätig zu werden. Das strafbare Verhalten
besteht darin, dass jemand eine Handlung nicht vornimmt, obwohl es ihm möglich wäre.

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2
Q

Was ist der Unterschied zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten?

A

Die echten Unterlassungsdelikte ergeben sich direkt aus den im StGB formulierten Tatbeständen,
das heisst, der Tatbestand ist als Unterlassung formuliert, bspw. Art. 127, 128 oder 319 StGB (sind
in der Regel echte Sonderdelikte).
Bei den unechten Unterlassungsdelikten ist die strafbare Tätigkeit im StGB als Begehungsdelikt for-
muliert. Die Unterlassung des Begehungsdelikts kann deshalb nur jemandem vorgeworfen werden,
wenn er zusätzlich die Voraussetzungen von Art. 11 StGB erfüllt.

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3
Q

Was bedeutet die Subsidiaritätstheorie im Zusammenhang mit Unterlassungsdelikten?

A

Eine Tat kann grds. immer auch durch Unterlassen begangen werden, weshalb zuerst zu klären ist,
ob der Tatbestand durch ein Tun oder durch ein Unterlassen bewirkt worden ist. Die h.L. wie auch
die Rechtsprechung ziehen dabei die Subsidiaritätstheorie heran, gemäss welcher immer zuerst zu
prüfen ist, ob ein aktives Tun vorliegt. Nur dann, wenn das strafrechtlich relevante Verhalten nicht
an ein aktives Tun geknüpft werden kann, sind die Voraussetzungen für ein Unterlassungsdelikt zu
prüfen.

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4
Q

Woraus ergeben sich die Garantenstellungen? Sind diese abschliessend geregelt?

A

Art. 11 Abs. 2 lit. a-d StGB. Die Garantenstellungen sind nicht abschliessend formuliert, was insbe-
sondere hinsichtlich Art. 1 StGB (keine Strafe ohne Gesetz) nicht unproblematisch ist.

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5
Q

Welche Rechtfertigungsgründe sind bei einem Unterlassungsdelikt möglich?

A

Im Grundsatz sind dieselben Rechtfertigungsgründe anwendbar wie bei den Begehungsdelikten.
Von praktischer Bedeutung sind jedoch insbesondere der Notstand und die rechtfertigende Pflich-
tenkollision.

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6
Q

Welche Bedeutung hat die sogenannte Gleichwertigkeit?

A

Art. 11 Abs. 3 StGB: «Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbe-
stand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden
kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte.» Die Unterlassung ist also nur
strafbar, wenn im konkreten Fall das Unrecht derart gross wie bei einem aktiven Tun erscheint. Zur
Bestimmung des Unrechts können die soziale Adäquanz und eine allenfalls vorhandene gesell-
schaftliche Verhaltenserwartung hinsichtlich der Abwehr gewisser Gefahren herbeigezogen werden.
In der Praxis stellt die Gleichwertigkeit jedoch kein Problem dar, da sie meistens automatisch gege-
ben ist, wenn auch die anderen Kriterien erfüllt sind. Besteht eine Garantenpflicht bedeutet dies ja
gerade, dass die Gesellschaft eine gleichwertige Wertung zum aktiven Tun vorgenommen hat. Die Gleichwertigkeit könnte aber in aussergewöhnlichen Fällen eine letzte Rettung vor der Strafbarkeit
darstellen, wenn das Ergebnis stossend erscheinen würde.

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7
Q

Nennen Sie vier echte Unterlassungsdelikte.

A

Z.B. Art. 127 (Aussetzung), Art. 128 (Unterlassung der Nothilfe), Art. 217 (Vernachlässigung von
Unterhaltspflichten) und Art. 319 StGB (Entweichenlassen von Gefangenen).

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8
Q

Wie geben Sie korrekt den Artikel eines unechten Unterlassungsdeliktes an?

A

Die Strafbarkeit des unechten Unterlassungsdelikts ergibt sich aus zwei Gesetzesbestimmungen:
dem jeweiligen Tatbestand aus dem BT sowie Art. 11 StGB. Daher wird immer eines in Verbindung
mit (i.V.m.) dem anderen zitiert. Bspw. für eine vorsätzliche Tötung durch Unterlassung: Art. 111
i.V.m. Art. 11 StGB.

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9
Q

Was wird unter conditio cum qua non verstanden? Welche Relevanz weist es auf?

A

Reminder: Conditio sine qua non bezieht sich auf die natürliche Kausalität. Die fragliche Handlung
kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass auch der Erfolg entfiele.
Mit conditio cum qua non wird die hypothetische Kausalität zwischen Unterlassung und Erfolgseintritt
beschrieben: Die gebotene Handlung kann nicht hinzugedacht werden, ohne dass auch der Erfolg
höchstwahrscheinlich entfiele.

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10
Q

Worauf muss sich der subjektive Tatbestand beim unechten Unterlassungsdelikt erstrecken?

A

Wissen bezüglich aller objektiven Merkmale. Willen, nichts zur Rettung des gefährdeten Rechtsgu-
tes zu unternehmen / Inkaufnahme des Erfolgs.

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11
Q

Lea unterlässt es, rechtzeitig zu bremsen und tötet ein Kind. Wie hat sie sich strafbar gemacht?

A

Zunächst muss die Subsidiaritätstheorie herbeigezogen werden. Nur beim Nichtvorliegen eines ak-
tiven Tuns stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit der Unterlassung. Lea hat ein Kind überfahren.
Somit kann das strafrechtlich relevante Verhalten hier an ein aktives Tun geknüpft werden. Es ist
nicht nötig, auf Unterlassungsdelikte zurückzugreifen. Die «Unterlassung rechtzeitig zu bremsen»
ist keine Unterlassung im juristischen Sinne, sondern entweder auf einen Vorsatz oder eine Sorg-
faltspflichtverletzung zurückzuführen.

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12
Q

Ein Kleinkind fällt ins 1m tiefe Bassin. Müssen Sie es retten? Muss es seine Mutter retten?

A

Beim Kind handelt es sich um einen Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt. Daher
muss es nach Art. 128 Abs. 1 Alt. 2 StGB jedermann retten. Die einzige Einschränkung liegt in der
Zumutbarkeit nach den Umständen. Einem Nichtschwimmer ist es nicht zuzumuten, einen Ertrin-
kenden im Zürichsee selber zu retten (Selbstgefährdung), wohl aber andere Badegäste, die Ret-
tungskräfte oder den Bademeister herbeizuziehen. I.c. geht es um ein 1m tiefes Bassin, daher ist es
wohl jeder gesunden und durchschnittlich grossen Person zuzumuten, das Kleinkind direkt selber
zu retten.
Die Mutter hat zusätzlich eine Garantenstellung für ihr Kind. Sie muss es daher sowohl aus Art. 128
Abs. 1 Alt. 2 StGB als auch aus Art. 111 i.V.m. 11 StGB retten. Die vorsätzliche Tötung durch Unterlassen konsumiert jedoch die unterlassene Hilfeleistung (vgl. BSK StGB-NIGGLI/MUSKENS, Art.
11, N 152).

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13
Q

Was muss bei der Strafzumessung von unechten Unterlassungsdelikten berücksichtigt werden?

A

Nach Art. 11 Abs. 4 StGB kann das Gericht die Strafe mildern. Dies entspricht dem Gedanken, dass
ein Unterlassen generell gesehen weniger schwer wiegt als ein aktives Tun. Die Strafmilderung ist
aber fakultativ, d.h. es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es diese gewähren möchte oder nicht.
Art. 11 Abs. 4 StGB ist nur mit Zurückhaltung anzuwenden und eher für aussergewöhnliche Fälle
gedacht, da aufgrund des Kriteriums der Gleichwertigkeit (Art. 11 Abs. 3 StGB) die Unterlassung ja
eben gerade die Intensität eines aktiven Tuns aufweisen muss. Daher ist grds. auch das gleiche
Strafmass gerechtfertigt.
Aussergewöhnliche Fälle, wo eine Strafmilderung in Frage kommt, sind bspw. dort gegeben, wo die
Beachtung des Gebots zum Tätigwerden an der Grenze des Zumutbaren liegt.

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14
Q

Der Ladendetektiv lässt einen Dieb gewähren. Macht er sich strafbar?

A

Der Ladendetektiv hat eine Garantenpflicht aus Vertrag, da seine Arbeit gerade darin besteht, Dieb-
stähle zu verhindern und aufzudecken. Diebstahl (Art. 139 StGB) kann jedoch nicht durch Unterlas-
sung begangen werden (vgl. DONATSCH/GODENZI/TAG, S. 344). Dennoch hat sich der Ladendetektiv
strafbar gemacht, nämlich der Gehilfenschaft zu Diebstahl durch Unterlassen, da er den Diebstahl
erst ermöglicht hat.

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15
Q

Die Zeugen Jehovas lehnen Bluttransfusionen ab. Wann könnte dies problematisch sein?

A

Jeder darf für sich selbst entscheiden, ob er medizinische Behandlungen ablehnen möchte. Proble-
matisch wird es dort, wo für jemand anderen entschieden wird wie bspw. eine Mutter, die ihrem Kind
eine dringend benötigte Bluttransfusion verweigert. Da die Mutter eine Garantenpflicht hat, könnte
eine vorsätzliche Tötung durch Unterlassung in Frage kommen (Art. 111 i.V.m. 11 StGB), wenn das
Kind deswegen stirbt. In der Praxis wird bei einer Kindeswohlgefährdung jedoch die KESB tätig und
kann stellvertretend die Einwilligung zu medizinischen Behandlungen erteilen, um das Kind zu ret-
ten.

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16
Q

Welche Bedeutung hat die Tatmacht?

A

Das Vorliegen einer Garantenpflicht genügt nicht, um ein strafbares Verhalten zu bejahen. Nur wenn
es dem Täter im konkreten Fall möglich gewesen wäre, den tatbestandsmässigen Erfolg abzuwen-
den, hatte er auch die Tatmacht.

17
Q

Wieso wird bei echten Unterlassungsdelikten nicht von Gleichwertigkeit gesprochen?

A

Echte Unterlassungsdelikte existieren, weil der Gesetzgeber eine bestimmte Unterlassung explizit
direkt unter Strafe stellen wollte. Damit hat er bereits zum Ausdruck gebracht, dass die Tat strafwür-
dig ist. Es ist irrelevant, ob dem Täter der gleiche Vorwurf wie bei einem Tun gemacht werden
könnte, weil Art. 11 StGB nicht anwendbar ist. Dies zeigt sich auch darin, dass bspw. bei Art. 128
Abs. 1 StGB jedermann einem Menschen in Lebensgefahr helfen muss – auch wenn keine Garan-
tenpflicht besteht.