7/7 (Fahrlässigkeit, Unterlassen, Konkurrenzen) Flashcards
Fahrlässigkeitsdelikt (Aufbau)
I. Tatbestandsmäßigkeit
- Handlung - Erfolg - Kausalität
- Objektive Komponenten der Fahrlässigkeit
- 1 Objektiver Sorgfaltspflichtverstoß
- 2 Objektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts
- Objektive Zurechnung des Erfolges
- 1 Pflichtwidrigkeitszusammenhang (str.)
- 2 Schutzzweckzusammenhang
- 3 Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen (im Einzelnen str.)
II. Rechtswidrigkeit
- Objektive Merkmale eines etwaigen Rechtfertigungsgrundes
- Subjektives Element (str.)
III. Schuld
- Schuldfähigkeit
- Individuelle Komponenten der Fahrlässigkeit
- 1 Individueller Sorgfaltpflichtverstoß
- 2 Individuelle Vorhersehbarkeit
- 3 Entschuldigungsgründe
Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit
Leichtfertig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maß verletzt (grober Sorgfaltspflichtverstoß)
Objektiver Sorgfaltspflichtverstoß
Das Außer-Acht-Lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, zu ermitteln durch
- Verstoß gegen gesetzliche Norm (StVO)
- Sonstige Bestimmungen und Vorschriften (Unfallverhütung im Betrieb etc)
- Maßgeblich, wie sich ein besonnener und gewissenhafter Mensch in Betrachtung der Situation ex ante in der konkreten Lage und sozialen Position aus dem Verkehrskreis des Handelnden verhalten hätte (Sonderfähigkeit und -kenntnisse beachtlich, unterdurchschnittliche Fähigkeiten und Kenntnisse unbeachtlich, str/hM)
Begrenzung der objektiven Sorgfaltspflicht (Maßstabsverschiebung)
“Vertrauensgrundsatz”: Man darf auf das verkehrsgerechte Verhalten Dritter vertrauen und muss sein Handeln nicht nach allen eventuellen Sorgfaltswidrigkeiten durch andere ausrichten
- Nur bei eigenem verkehrsgerechtem Verhalten
- Nicht gegenüber solchen, die erkennbar sich nicht nach ordnungsgemäßem Verhalten ausrichten können (Kinder etc)
- Bestimmte Umstände indizieren das nicht-verkehrsgemäße Verhalten Dritter
Objektive Vorhersehbarkeit
Objektiv vorhersehbar ist alles, was ein umsichtiger Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nach allgemeiner Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde
P: Bestimmung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs bei der objektiven Zurechnung innerhalb des Fahrlässigkeitsdelikts
- eA (hM): wäre der Erfolg bei rechtmäßigen Pflichtverhalten des Täter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotzdem eingetreten, war der Erfolg objektiv unvermeidbar und ist daher dem Täter nicht objektiv zurechenbar
pro: entspricht in dubio pro reo
con: Schaffung eines unerlaubten Risikos, das sich möglicherweise sogar im Erfolg niedergeschlagen hat, findet keine strafrechtliche Würdigung - aA (mM, Risikoerhöhungstheorie): für objektive Zurechenbarkeit ist ausreichend, dass das sich im Erfolg realisierte Verhalten den Erfolgseintritt erhöht hat
(Ausnahmen: sicherer Erfolgseintritt auch bei pflichtgemäßen Verhalten; zweifelhafte Risikoerhöhung: idpr)
pro: bei unerlaubten Risiko besteht kein Grund mehr, den Täter von den Folgen seines Handelns zu entlasten
con: idpr wird zu Lasten des Täters verkürzt, da dieser schon bei nachgewiesener Risikoerhöhung haftbar gemacht wird
-> dagegn con: idpr gilt nur auf Tatsachenebene; Risiko nicht in erlaubtes oder unerlaubtes Element aufteilbar
con: verwandelt Verletzungsdelikte in konkrete Gefährdungsdelikte (so nicht zutreffend, da auch Verletzungselemente eine Gefährdung beinhaltet, die sich dann aber zusätzlich in einer Rechtsgutsverletzung realisiert; diese Struktur bleibt unangetastet)
aber con (!): verstößt gegen Wortlaut, Verletzung muss durch Fahrlässigkeit erfolgen (dies ist nur der Fall wenn ohne Zweifel feststeht, dass der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten nicht eingetreten wäre)
con: gibt keine Kriterien für die Beurteilung der Risikoerhöhung zur Hand
Fahrlässigkeit: Objektive Zurechnung: Schutzzweck der verletzten Norm
Diejenige rechtlich missbilligte Gefahr muss sich im konkreten Erfolg realisiert haben, deren Eintritt nach dem Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsnorm vermieden werden sollte
- > bspw. Geschwindigkeitsbeschränkung hat nicht den Sinn und Zweck, die Anwesenheit des Fahrers an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu verhindern
- > bspw. sollen §§ 229, 222 nicht Schockschäden von Angehörigen verhindern bzw. Spätfolgen der ursprünglichen Tathandlung bestrafen (auch als “Auswirkungen der Tat” nach § 46 II bereits für die Strafzumessung der Ursprungstat zu berücksichtigen)
Individuelle Komponenten der Fahrlässigkeit
Individuelle Fähigkeit zu pflichtgemäßem Verhalten ist zu bejahen, wenn der Täter aufgrund seiner Intelligenz und Bildung, seiner Geschicklichkeit und Befähigung, seiner Lebenserfahrung und sozialen Stellung in der Lage gewesen ist, entsprechend dem objektiven Maßstab die Gefahr der Erfolgsherbeiführung zu erkennen und durch sorgfaltsgemäßes Verhalten zu vermeiden
(-> Auseinanderfallen von subjektiven und objektiven Komponenten nur ausnahmsweise, bspw. bei noch sehr unerfahrener Krankenschwester)
Fallgruppen der Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen bei der objektiven Zurechnung innerhalb des Fahrlässigkeitsdelikts
I. Verantwortungsbereich Opfer
- Retterfälle: Täter bringt Opfer in eine Gefahrenlage, und ein Dritter wird als Retter verletzt oder getötet - eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Retters wird verneint, wenn der Retter zum Eingreifen verpflichtet ist oder sich für ihn eine § 35 entsprechende (psychische) Zwangslage ergibt
- Verfolgerfälle: Opfer kommt dadurch zu Schaden, dass es Täter verfolgt (Zurechnung bei verfolgungstypischen, durch die Ausgangsgefahr gesetzten Risiken; nicht bei allgemeinem Lebensrisiko oder besonders riskantem Verfolgerverhalten; Täter schafft einsichtiges Motiv für Verfolgung, bspw. bei Flucht mit Beute)
- Fluchtfälle: Zurechnung von Flucht- und Ausweichreaktionen (soweit unfreies Opferverhalten)
II. Verantwortungsbereich Dritter
- “Jägerfall”: Täter nimmt geladenes Gewehr von der Garderobe, dass Jäger dorthin gehängt hat - strafbar aus § 222 (Verletzungen von Sicherheitsvorschriften und Garantenpflichten durch Nebentäter): objektive Vorhersehbarkeit (Animieren von anderen Personen zu Vorsatztaten durch Verletzung der eigenen Sorgfaltspflicht), Schutzzweckzusammenhang (Zweck der verletzten Sorgfaltsnorm, Dritte von Vorsatztaten abzuhalten, bei Sicherheitsvorschriften idR zu bejahen)
con: nach den §§ 25-27 ist fahrlässige Beteiligung an einer vorsätzlichen Haupttat nicht möglich (frühere Lehre des Regressverbots)
- > dagegen con: Fahrlässigkeitsdelikt hat eigene Systematik, sodass fahrlässige Nebentäterschaft möglich bleibt - “Geliebte-Fall”: G überlasst M Gift, M tötet seine Frau - grds. Vertrauensgrundsatz/Eigenverantwortlichkeit des Vorsatztäters, aber gilt nach hM nicht, wenn durch fahrlässiges Verhalten die erkennbare Tatgeneigtheit des späteren Vorsatztäters gefördert wird
Rechtswidrigkeit (Fahrlässigkeitsdelikt)
- Tat ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Täter den Tatbestand auch hätte vorsätzlich verwirklichen dürfen
- Rechtfertigungsabsicht kann nicht gegeben sein (keine Vorstellung insb. bei unbewusstem Fahrlässigkeitsdelikt), vielmehr reicht beim Fahrlässigkeitsdelikt ein Handeln in Kenntnis der Rechtfertigungssituation aus
- Bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements wird - parallel zum Vorsatzdelikt - der Erfolgsunwert des Fahrlässigkeitsdelikt durch die objektive Rechtfertigungslage kompensiert; mit dem übrig bleibenden Handlungsunwert ergibt sich ein fahrlässiger Versuch, der als solcher nicht strafbar ist
Unechtes Unterlassensdelikt
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
* ggf. Abgrenzung Tun - Unterlassen
a. Tatbestandsmäßiger Erfolg
b. Unterlassen der Rettungshandlung trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit
c. Quasi-Kausalität (Unterlassen dann kausal, wenn die Vornahme der unterlassenen Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Entfallen des konkreten Erfolgs geführt hätte)
d. Objektive Zurechnung: Erfolg muss gerade auf der pflichtwidrigen Unterlassenshandlung beruhen; wenn die Vornahme der erforderlichen Rettungshandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Erhaltung des gefährdeten Rechtsguts geführt hätte (Insbesondere wieder Schutzzweckprüfung: diente die dem Täter obliegende Handlungspflicht gerade der Vereitelung des konkret eingetretenen Erfolges)
e. Garantenstellung des Täters
f. Entsprechungsklausel gem. § 13 I (entfällt idR bei Erfolgsdelikten)
2. Subjektiver Tatbestand
a. Tatbestandsvorsatz bezüglich aller Merkmale des objektiven Tatbestandes (Irrtum über Garantenstellung oder diese begründende Umstände: Tatbestandsirrtum: Irrtum über Garantenpflicht aus Garantenstellung: Verbotsirrtum): Wille zum Untätigsein in Kenntnis aller Merkmale des objektiven Tatbestandes und in dem Bewusstsein, dass die Abwendung des drohenden Erfolges noch möglich ist
b. Deliktspezifische subjektive TB-Merkmale
II. Rechtswidrigkeit (ggf. rechtfertigende Pflichtenkollision)
III. Schuld (insbes. Unzumutbarkeit)
P: Abgrenzung Tun - Unterlassen
- hM: wertende Betrachtung: wo nach normativer Betrachtung und unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinnes der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens liegt
con: unklare Schwerpunktbestimmung
con: Zirkelschlussvorwurf: Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit wird durch die Strafwürdigkeit des Verhaltens maßgeblich bestimmt - aA: Entscheidend ist, ob der Täter durch positiven Energieaufwand auf seine Umwelt einwirkt (Tun) oder ob er seine Energie gegenüber einem in Gang gesetzten Kausalverlauf nicht eingesetzt hat (Unterlassen)
con: unbrauchbar bei mehrdeutigen/ mehraktigen Geschehen - wA: Subsidiaritätsprinzip: Zunächst aktives Tun (Körperbewegung) vs. Unterlassen (keine Körperbewegung) - jedes aktive (vorsätzliche oder fahrlässige) Tun ist auf TB-Mäßigkeit, RW und Schuld zu prüfen, erst dann kommt eine Prüfung infrage, ob der Täter ein zu erwartendes aktives Tun unterlassen hat
con: Unterlassen ohne irgendein vorheriges Tun ist nicht denkbar
Beschützergarantenstellung
Beschützergaranten haben ein bestimmtes Rechtsgut vor allen ihm aus beliebigen Quellen drohenden Verletzungen zu schützen
- Natürliche Verbundenheit (Ehegatten, Verwandten gerader Linien, Geschwister, Verlobten), aber restriktive Auslegung (konkrete, faktische Situation immer miteinzubeziehem bspw. zerrüttete Ehe, “rein biologische” Geschwister)
- Enge Lebens- und Gefahrengemeinschaft (Gewähr gegenseitiger Hilfe und Fürsorge in Gefahrensituationen aufgrund gegenseitigem Vertrauensverhältnis)
- Treu und Glauben (aus § 242 BGB): Rspr. mittlerweile zurückhaltender, tw. wird zusätzlich besonderes Vertrauensverhältnis gefordert (enge Geschäftsbeziehung)
- Tatsächliche (nicht rein vertragliche) freiwillige Übernahme von Schutz- und Beistandspflichten (Obhutsverhältnis über ein total oder partiell hilfloses Rechtsgutsobjekts; Reichweite ist durch konkreten Anvertrauensschluss begrenzt: bspw. Hausarzt - Suizidversuch)
- Garantenstellung von Organen und Amtsträgern (Polizisten; Art der Dienstpflicht und maßgeblicher Aufgabenbereich; bspw. Compliance-Officer)
Überwachergarantenstellung
Überwachungsgaranten haben Rechtsgüter Dritter vor Schäden zu bewahren, die aus einer von ihnen beherrschten und zu verantwortenden Gefahrenquellen ergeben können
- Gefährliches vorangegangenes Vorverhalten, Ingerenz (hM: “nahe Gefahr” des tatbestandsmäßigen Erfolgseintritts)
- Aus Überwachungspflichten für Gefahrenquellen (Sachen, Tiere, Anlagen, Produkte) und Verkehrssicherungspflichten (unabhängig von der Freiwilligkeit der Übernahme und der Pflichtwidrigkeit des vorangegangenen Tuns); Pflicht zur Beaufsichtigung Dritter
- Aus besonderer Verantwortung aus der Beherrschung eines räumlich umgrenzten Bereiches (besondere Umstände erforderlich: Vertrauenslage durch Aufnahme eines Gastes in die eigene Wohnung; Räumlichkeit oder Grundstück stellt aufgrund besonderer Umstände eine Gefahrenquelle dar; Pflicht zur Beaufsichtigung der einer Autorität unterstellten Personen, wie Lehrer oder Betriebsleiter)
P: Ingerenz
- Existenz dieser Garantenstellung als solcher
con: Verstoß gegen Bestimmheitsgebot des Art. 103 II GG
pro: in Lit und Rspr wurden Kriterien zur Eingrenzung entwickelt
pro: Strafbarkeitslücken des § 323c können gefüllt werden - Qualität des Vorverhaltens
- > eA: allgemeine Erhöhung des Schadenseintritts genügt, umfasst sind auch erlaubte Risikohandlungen
pro: ergibt sich aus allgemeinem Verantwortungsgefühl für selbst verantwortete Risiken
con: sehr weite Ausdehnung der Strafbarkeit
con: Umwandlung in Gefährdungsdelikte
con: Wertungswidersprüche, da Rechtsordnung einerseits Risikohandlungen erlaubt, sie andererseits dann aber als Anknüpfungspunkt für strafbares Verhalten heranzieht
- > aA: nur pflichtwidriges Vorverhalten (Verstoß gegen eine Vorschrift oder Norm, die gerade auf den Schutz des betroffenen Rechtsguts abzielt; ferner: Niederschlagen der Pflichtwidrigkeit im Erfolg)
s. extra Streit - Anschluss an Vorsatztaten
- > eA: Garantenstellung entsteht; tritt aber auf Konkurrenzebene hinter das vorsätzliche vollendete Delikt zurück (es sei denn, Straferschwernisse treten beim Unterlassen hinzu)
pro: Bestrafungsmöglichkeit Beteiligter
con: Widersprüchlich, jemanden, dem es auf den Erfolgseintritt ankommt, zu dessen Abwendung zu verpflichten
con: Daraus ergäbe sich eine Pflicht zum Rücktritt, was Ratio des § 24 zuwiderläuft
- > aA Keine Garantenstellung
con: a forteriori: wenn schon das fahrlässige Herbeiführen für die Begründung einer Garantenstellung ausreicht, dann erst recht eine vorsätzliche Tat - Aus der Schaffung einer Tatgelegenheit für Dritte
hM nicht bei bloßer Schaffung einer Gelegenheit (bspw. Leihen des Tatwerkzeuges), aber positiv, wenn der Dritte gerade aufgrund des Vorverhaltens nicht mehr eigenverantwortlich entscheiden konnte