2/7 (Rechtswidrigkeit) Flashcards
Notwehr / Nothilfe (Aufbau)
I. Objektive Rechtertigungselemente
- Notwehrlage
- Notwehrhandlung
- 1 Verteidigung durch Eingriff in die Rechtsgüter des Angreifers
- 2 Erforderlichkeit
- Gebotenheit
II. Subjektive Rechtfertigungselemente
- Verteidigungsvorsatz
- Verteidigungsabsicht (str.)
Notwehrlage
- Angriff: jede Bedrohung (objektiv aus der ex-post-Perspektive) rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten (notwehrfähig grds. jedes, nicht notwendigerweise durch Strafgesetze bewährtes, Individualrechtsgut)
- Gegenwärtig: unmittelbar bevorstehend, gerade stattfindend, oder noch fortdauernd (ohne weitere Zwischenschritte)
- Rechtswidrig: im Widerspruch zur Rechtsordnung (aA: wenn der Betroffene ihn nicht zu dulden braucht), d.h. Angreifer hat keine Erlaubnis/Befugnis
- auf den Verteidiger oder einen Dritten
Notwehrhandlung: Verteidigung
= schneidiges Notwehrrecht gibt nur ein Recht zum Eingriff in Rechtsgüter des Angreifers, nicht aber in Rechtsgüter dritter, unbeteiligter Personen (Tötung eines Hundes, den nicht der Besitzer auf einen hetzt - nicht Notwehr, sondern Defensivnotstand!)
Notwehrhandlung: Erforderlichkeit
Recht braucht Unrecht nicht zu weichen (keine Güterabwägung)
- Verteidigungshandlung muss nach objektivem ex-ante Urteil geeignet sein, den Angriff abzuwehren (zur sofortigen und endgültigen Beseitigung des Angriffs)
- Bei mehreren gleich wirksamen Mitteln ist das relativ Mildeste zu wählen (3- Stufen-Regel bei tödlichen Waffen: Androhen - Kampfunfähig - Tötung nur als letztes Mittel) - Notwehrhandelnder braucht sich nicht auf das Risiko einer ungenügenden Abwehrhandlung einzulassen
- Aus Rechtsbewährungsprinzip (Verteidigung der Rechtsordnung): Fehlende Erforderlichkeit bei sofort verfügbarer und effektiver obrigkeitsstaatlicher Hilfe
Notwehrhandlung: Gebotenheit
Einschränkungen bei
- Bagatellangriffen (wenn Notwehrlage bejaht wird, darf Notwehrhandlung nicht Grenze zur Körperverletzung überschreiten)
- Krasses Missverhältnis (jedoch keine regelmäßige Güterabwägung - beschränkt auf Extremfälle: Schuss auf apfelstehlende Jugendliche, oft P: Art. 2 EMRK)
- Angriff schuldlos Handelnder
- 1 Kinder, Betrunkene, Geisteskranke, durch Notwehrexzess und Notstand Entschuldigte (Stufen: Ausweichen - Schutzwehr - Trutzwehr unter Möglichstes Schonung)
- 2 Schuldlosigkeit durch Irrtum: Irrtum soll zunächst aufgeklärt werden
- Persönliche Nähebeziehung: Notwehrbeschränkung bei intakten familiären Nähebeziehungen (hM, aber str!)
- Art. 2 EMRK: Auslegung des § 32 danach würde Tötungen zum Schutz von Sachwerten konventionswidrig machen, aber hM bezieht Art. 2 nur auf Staat-Bürger
- Schuldhafte Herbeiführung der Notwehrlage (separat)
Schuldhafte Herbeiführung einer Notwehrlage
- Absichtsprovokation: der Angriff wurde gerade mit dem Ziel herausgefordert, unter dem Deckmantel der Notwehr verletzen zu können (str. mM nimmt keinerlei Beschränkungen an, aA verlangt Ausweichen, hM lässt Notwehr vollständig entfallen, tw. wird Provokation als Einwilligung, als Angriff, als Selbstgefährdung, nicht mehr zur Verteidigung der Rechtsordnung, als rechtsmissbräuchlich ohne Vereidigungswillen handelnd gesehen)
- Sonst vorwerfbar herbeigeführte Notwehrlage
- 1 Zurechnungszusammenhang zwischen provozierendem Vorverhalten und dem ausgelösten Angriffsverhalten
- 2 Schuldhaft: Rechtswidriges Vorverhalten, aber auch str. sozialethisch zu missbilligendes Verhalten (1.Klasse-Fall)
- Enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang
Allgemein: je schwerer die rechtswidrige und verwertbare Provokation der Notwehrlage wiegt, umso größere Zurückhaltung ist ihm bei der Abwehr zuzumuten
P: Abwehrprovokation
“Überrüstung” in Erwartung eines Angriffs
- eA Notwehrablehnung wie bei Notwehrprovokation
- aA (BGH): wäre Widerspruch, wenn Befugnis zur Ausübung des Notwehrrechts bestünde und gleichzeitig eine Bestrafung angedroht würde
pro: Angreifer ist allein für Notwehrlage verantwortlich
pro: Einschränkungen nach den Grundsätzen der Abwehrprovokation sind dennoch möglich (bspw. absichtliches Liegenlassen des milderen Verteidigungsmittel, um Angreifer schwerer verletzen zu können)
Verteidigungswille (Notwehrwille)
Täter muss die Umstände kennen, die die Notwehrlage begründen und die Erforderlichkeit der konkret gewählten Verteidigungshandlung ausmachen. Darüber hinaus muss Verteidigungsabsicht vorliegen (und ggü anderen Motiven dominieren)
Nothilfe
- Notwehrvoraussetzungen- und Einschränkungen sind aus dem Verhältnis von Angreifer und Angegriffenem abzuleiten
- Nothilfe hat sich am Willen des Betroffenen zu orientieren
- “Allgemeinheit” ist kein anderer (Funktion der staatlichen Organe)
- Staatsnothilfe
- 1 Anderer als juristische Person: Staatsnothilfe möglich, wenn der Staat als Träger von Individualrechtsgütern betroffen ist
- 2 Staat als Hoheitsträger: nur wenn der Staat in seinem Bestand als solchem evident gefährdet ist und nicht in der Lage, sich durch seine eigenen Organe zu verteidigen
- Str., ob Hoheitsträger bei amtlichem Handeln auf Nothilfe sich berufen können (Metzler-Fall)
Selbsthilfe zur Anspruchssicherung (§§ 229 ff. BGB)
- Selbsthilfelage
- 1 Einredefreier, durchsetzbarer zivilrechtlicher Anspruch
- 2 Gefahr der Vereitelung oder Erschwerung
- 3 Staatlich Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen
- Selbsthilfehandlung
- 1 Wegnahme, Beschädigung oder Zerstörung einer Sache
- 2 Bei Fluchtverdacht Festnahme
- 3 Beseitigung von Widerstand
- 4 In allen Fällen: Verhältnismäßigkeit und nur vorläufige Anspruchssicherung erlaubt (§ 230 I); ferner Selbsthilfegrenzen des § 230 II-IV, insbesondere bei Wegnahme einer Sache: Beantragung von Sicherheitsarrest
- Selbsthilfewille
Selbsthilfe des Besitzers (§ 859 BGB)
- Besitzstörung / Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht
- 1 Besitzstörung muss noch andauern
- 2 Besitzentziehung muss noch frisch sein
- Besitzwehr- / Besitzkehrhandlung
- 1 Bei Besitzstörung: durch angemessene Gewaltanwendung
- 2 Bei Besitzentziehung: gewaltsame Wegnahme
Vorläufige Festnahme durch Jedermann (§ 127 I S. 1 StPO)
- Festnahmelage
- 1 Andere Person auf frischer Tat betroffen oder verfolgt (nicht bei Fahndung oder bei Gefängnisausbruch!)
- 2 Fluchtverdacht (nach Umständen oder Lebenserfahrung berechtigte Annahme, der Betroffene werde sich der Strafverfolgung durch Flucht entziehen) oder Identität nicht sofort feststellbar (Name nicht bekannt und Verweigerung der Angaben/ kann sich nicht ausweisen)
- Festnahmehandlung
- 1 Erklärung der Festnahme und zwangsweise Durchsetzung
- 2 Verhältnismäßigkeit (insbesondere keine Handlungen, die ernsthafte Gesundheitsschädigung oder Lebensgefährdung nach sich ziehen könnten)
- Festnahmeabsicht
- 1 Kenntnis der die Festnahme begründenden Umständen
- 2 Absicht, den Betroffenen der Strafverfolgung zu übergeben
P: Taterfordernis bei § 127 I S. 1 StPO
- eA materielle Theorie: Straftat muss wirklich begangen worden sein
pro: Scheinangriff begründet auch keine Notwehr
pro: Systematik des § 127: wenn wie für Abs. 2 dringender Tatverdacht auch für Abs. 1 ausreichen würde, wäre Abs. 2 überflüssig
pro: Festnahme durch Private als Ausnahme und daher eng auszulegen
pro: Duldungspflicht kann Betroffenem nur bei tatsächlicher Tat abverlangt werden - aA prozessuale Theorie (wohl hM): bei pflichtgemäßer Zusammenschau der erkennbaren äußeren Umstände darf von einer Tatbegehung ausgegangen werden
pro: alle anderen Eingriffsnormen der StPO lassen dringenden Tatverdacht genügen
pro: die Rechtmäßigkeit der Festnahmehandlung kann nicht derart lange in der Schwebe sein, bis etwaige Zweifelsfragen bezüglich der Straftat geklärt sind
pro: Bürger können nicht mehr Sorgfalt abverlangt werden als Behörden
pro: bei Risiko würde sonst keine mehr 127 anwenden - -> dagegen con: Irrender wird ausreichend über ETBI geschützt
Rechtfertigender Notstand (Schema)
I. Objektive Rechtfertigungselemente
- Notstandslage: Gegenwärtige Gefahr für ein rechtlich geschütztes Interesse des Verteidigers oder eines Dritten
- Notstandshandlung
- 1 Eingriff in ein anderes Rechtsgut durch die begangene tatbestandsmäßige Tat (= das beeinträchtigte Interesse)
- 2 Erforderlichkeit der Notstandshandlung (= die Gefahr darf „nicht anders abwendbar“ sein)
- 2.1 Eignung
- 2.2 Einsatz des mildesten effektiven Mittels
- Interessenabwägung: Das geschützte Interesse muss das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegen
- Angemessenheit des Mittels (§ 34 S. 2)
II. Subjektives Rechtfertigungselement: Rettungsabsicht (str.)
Notstandslage
- Notstandsfähiges Rechtsgut: alle Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit, sofern sie in der konkreten Situation schutzbedürftig und schutzwürdig sind
- Gegenwärtig Gefahr meint einen Zustand, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden (objektive ex-ante-Prognose: objektiver Beobachter unter Berücksichtigung etwaigen Sonderwissens des Notstandstäters)
- Gegenwärtigkeit auch: Dauergefahr, wenn die gefährliche Situation jederzeit in einen Schaden umschlagen kann und sofortiges Handeln angezeigt ist, um ihm wirksam begegnen zu können
Erforderlichkeit der Notstandshandlung
= Gefahr darf nicht anders als durch die Eingriffshandlung des Täters abwendbar sein, dh.
- geeignetes (Rettungschance enthaltendes) und zugleich 2. relativ mildestes Mittel
- > jede Abwehrmaßnahme ist heranzuziehen, ggf. auch eine bloße Ausweichmöglichkeit
- > insb. staatliche Hilfe vorrangig
Interessenabwägung bei der Notstandshandlung (Kriterien)
Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen muss das geschützte das eingegriffene wesentlich überwiegen. Abwägungsgesichtspunkte sind:
- Strafrahmenvergleich
- Wertgefälle der Rechtsgüter
- Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzung
- Grad der drohenden Gefahr
- Keine Abwägung Leben gegen Leben
- Autonomieprinzip (Eingriff richtet sich gegen Dritte)
- Verschulden der Notstandslage (kein Ausschluss, aber Abwägekriterium)
- Besondere Pflichtenstellung (Polizist etc, aber: Risikopflicht, keine Aufopferungspflicht!)
- Individuelle Bedeutung der Schäden für die jeweils Betroffenen
- Entstehung einer Gefahr aus der Sphäre des Eingriffsopfers (s. Fallgruppen)
Wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses beim rechtfertigenden Notstand
Ein Interessenübergewicht muss zweifelsfrei und eindeutig sein, wenn eine Rechtfertigung erfolgen soll und bei unklarem Abwägungsergebnis keine Rechtfertigung erfolgen kann
Angemessenheit der Notstandshandlung
Zusätzliches Korrektiv, sodass sichergestellt werden soll, dass das Verhalten des Notstandstäters auch nach den anerkannten Wertvorstellungen der Allgemeinheit als eine sachgemäße und dem Recht entsprechende Lösung der Konfliktlage erscheint