Völkerrecht - Fragenkatalog Flashcards
Die Staaten A und B sind beide Parteien eines multilateralen Rüstungskontrollvertrages, der es den Mitgliedstaaten verbietet, eine bestimmte Anzahl an Fahrzeugen, Waffen und anderen militärischen Ausrüstungsgegenständen zu überschreiten. Überdies begrenzt der Vertrag die Truppenstärke enorm, so dass der große Staat B seine Armee verkleinern muss. Nach einigen Jahren stellt sich heraus, dass Staat A heimlich die Truppenstärke überschritten hat. Ebenso hat er damit angefangen, neue Waffentechnologien zu entwickeln. Kurze Zeit später kommt es zum Angriff As auf das Staatsgebiet von B und die Staaten erklären einander wechselseitig den Krieg.
Der Präsident von B bittet Sie als völkerrechtliche/n Experten/in um Rat: Er möchte vom Rüstungskontrollvertrag zurücktreten, um das Heer aufzustocken und sich besser gegen A verteidigen zu können. Andererseits hat er Bedenken, weil er auch Vorteile darin sieht, dass sich die internationale Staatengemeinschaft zur Abrüstung bekennt. Welche Optionen hat er? Was sind die Vor- und Nachteile dieser Optionen? (6 Punkte)
S.9
Wenn man von einem völkerrechtlichen Vertrag zurücktritt, kann man auch keine Vorteile aus diesem ziehen. Daher wäre in Betrachtung des Austrittes:
Negativ:
* keine kollektive Selbstverteidigung mehr vorhanden
* Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann die Gewaltanwendung gegen einen Staat oder ein Individuum ermächtigen und/oder verbindliche nichtmilitärische Sanktionen beschließen
* rechtswidrig erzwungene Gebietsgewinne und Verträge werden nicht anerkannt
* Strafverfahren vor einem internationalen Gericht
* Verlust an internationalen „Goodwill“
* negative Präzedenzwirkung
* „Kettenreaktion“
Positiv:
* keine Verpflichtungen mehr aus dem Vertrag
Hierbei können ebenso im innerstaatlichen Recht Nachteile anfallen, welche wie folgt lauten:
- der Verstoß gegen Völkerrecht kann von der politischen Opposition aufgegriffen werden
- Widerstand von Pressure-groups
- Kritik in den Massenmedien
- NGO’s beeinflussen öffentliche Meinung
- negative Präzedenzwirkung
- Belastung der außenpolitischen Bürokratie
c) Besteht eine allgemeine Vorrangregel (Hierarchie) zwischen Völkergewohnheitsrecht und Völkervertragsrecht? (2 Punkte)
S.11, Abs 2
d) Ist eine Gerichtsentscheidung auch eine Völkerrechtsquelle? (2 Punkte)
Gerichtsentscheidungen dienen als Erkenntnisquellen des Völkerrechts, aber aufgrund der hohen Autorität der Entscheidungen spricht man von einer de-facto case-law-Wirkung.
a) Welche Bedeutung haben sogenannte radizierte Verträge im Gegensatz zu politischen oder höchstpersönlichen? Wobei spielt diese Unterscheidung eine Rolle? Gibt es zu diesem Bereich anerkannte kodifizierte Regeln? Erläutern Sie! (7 Punkte)
S.37 Abs 2, Pkt 6.3.
Radizierte Verträge oder gebietsbezogene Verträge werden idR automatisch vom Gebietsnachfolger übernommen (z.B. Grenzverträge), während höchstpersönliche Verträge nicht vom Nachfolger übernommen werden (z.B. Militärbündnisverträge, Gründungsverträge von internationalen Organisationen)
Ähnliche Prinzipien haben sich für Vermögen, Archive und Schulden herausgebildet. Weitgehend anerkannt ist ebenso, dass die sog. „dettes odieuses“ (Regimeschulden), nicht übernommen werden (z.B. Schulden, die etwa zur Verhinderung der Unabhängigkeit eingegangen worden sind.
Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge 1978 – in Kraft seit 1996
Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Staatsvermögen,-archive und -schulden 1983 – noch nicht in Kraft
b) Für welche Art der Interpretation wird auf die „travaux préparatoires“ zurückgegriffen und wann wird diese angewandt? (2 Punkte)
S.19, Pkt 6
Primär sind völkerrechtliche Verträge nach der objektiven Methode zu interpretieren, also nach Wort-, kontextuellen und teleologische Interpretation. Erst wenn diese Auslegung dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen Ergebnis führt, kann die subjektive Methode, also die historische Auslegung mit den „travaux préparatoires“ (z.B. Vertragsentwürfe, Verhandlungsprotokolle) zurückgegriffen werden.
c) Werden mehrsprachige Verträge nach anderen Regeln ausgelegt? (1 Punkte)
S.20, Pkt 6
Nein, mehrsprachige Verträge bilden einen einzigen Vertragstext, die verschiedenen Sprachen sind authentisch, also rechtlich gleichwertig auszulegen.
d) Nennen Sie die sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen! (1 Punkte)
S.19, Pkt 6
Französisch, Chinesisch, Arabisch, Russisch, Englisch, Spanisch
Welche Vertragsauslegungsregeln sind auf einen bilateralen Investitionsschutzvertrag
zwischen Iran und Österreich anwendbar?
Österreich ist der WVK I 1979 beigetreten; Iran hat die WVK I am 23. Mai 1969 unterzeichnet. Der bilaterale Investitionsschutzvertrag ist am 11. Juli 2004 in Kraft getreten. (2 Punkte)
S.13 Pkt 2; S.15 (3) – wenn kein Hinweis im SV, dann ist davon auszugehen, dass der Vertrag schriftlich ist
Gemäß Art 2 Abs 1 lit a WVK ist ein Vertrag welcher:
* schriftlich
* zwischen Staaten
* dem Völkerrecht unterliegende
* nach dem Inkrafttreten der WVK abgeschlossene Verträge
Je nachdem, ob im Iran das einfache Abschlussverfahren gilt, ist die Unterzeichnung gleichsam Bindungsakt und es ist keine Ratifikation mehr notwendig. Gilt aber das zusammengesetzte Abschlussverfahren im Iran, dann ist die Unterzeichnung nicht ausreichend und es bedarf noch einer Ratifikation. (Beitritt, wenn beitretende Staat nicht an den Vertragsverhandlungen teilgenommen hat)
* Var. 1. – einfaches Abschlussverfahren – WVK gilt
* Var. 2. – zusammengesetztes Abschlussverfahren – Unterzeichnung nicht ausreichend und es bedarf noch einer Ratifikation
b) Welche rechtlichen Regelungen sind auf mündliche Verträge anzuwenden? (1 Punkte)
S.13 Pkt 2
Ist die WVK nicht anwendbar, dann gilt Völkergewohnheitsrecht, genauso wie für mündliche Verträge.
Wer ist gemäß Art 7 WVK ohne Vorweisung einer Vollmacht berechtigt
a) völkerrechtliche Verträge ohne gesonderte Vollmacht abzuschließen? (3 Punkte)
S.14 Pkt 4.2.
Staatsoberhaupt, Regierungschef, Außenminister
Wer ist gemäß Art 7 WVK ohne Vorweisung einer Vollmacht berechtigt
b) den Text von völkerrechtlichen Verträgen anzunehmen?
Bitte erklären Sie etwaige Zusatzbedingungen! (2 Punkte)
S.14 Pkt 4.2.
Delegationsleiter:innen auf Konferenzen und Leiter:innen der ständigen Vertretungen bei den internationalen Organisationen dürfen Verträge annehmen. Alle anderen Staatenvertreter haben eine Vollmacht vorzuweisen, sofern nicht aus der Übung die Berechtigung hervorgeht.
Der Staat Atlantis gibt bezüglich seines Beitritts zur Internationalen Folterkonvention eine „Erklärung“ ab, dass die Konvention nur insoweit für das Land verbindlich sei, als sie nicht gegen innerstaatliches Verfassungsrecht verstoße.
a) Um was für eine „Erklärung“ handelt es sich? (1 Punkte)
b) Ist eine solche „Erklärung“ zulässig? (2 Punkte)
c) Welche Rechtsfolgen hat sie? (4 Punkte)
Antwort a)
S.16 Pkt 4.5.
Vorbehalt = Eine einseitige Erklärung eines Staates, welche er spätestens bei der Ratifikation oder beim Beitritt zu einem Vertrag abgibt, durch die der Staat bezweckt die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf sich auszuschließen oder abzuändern.
Antwort b)
S. 18 Pkt 4.5.4.
Hier liegt ein Fall unbestimmten Inhalts vor bei dem schwer festgestellt werden kann, ob er mit Ziel und Zweck des Vertrages vereinbar ist. Dieser Vorbehalt ist unzulässig und der Staat ist sodann an den gesamten Vertrag (ohne Vorbehalt) gebunden. Nach anderer Auffassung führt das Anbringen unzulässiger Vorbehalte dazu, dass ein Staat gar nicht Vertragspartei wird.
Antwort c)
S.17 Pkt 4.5.3.
[Vorbehalte werden meistens mittels eines Falles abgeprüft]
Es gibt 4 Möglichkeiten auf einen Vorbehalt zu reagieren:
* annehmen (Schweigen gilt als annehmen)
* einfacher Protest – protestieren – Vorbehalt kommt zwischen Staaten nicht zur Anwendung
* qualifizierter Protest - protestieren und die Vertragswirkung ausschließen – keine Vertragsbeziehung
Ein gültiger Vorbehalt bewirkt, dass die Bestimmung, auf die sich ein Vorbehalt bezieht, in der Beziehung zwischen dem annehmenden und vorbehaltenden Staat nicht zur Anwendung gelangt.
Ein wirksamer Vorbehalt muss durch mindestens einen Staat (auch stillschweigend) angenommen werden. Ein wirksamer Protest muss innerhalb von 12 Monaten ab Notifikation des Vorbehalts oder bis zur Parteiwerdung erhoben werden.
Sind Drittstaaten grundsätzlich an Verträge, bei denen sie nicht Vertragsparteien sind,
gebunden? (2 P)
S.19 Pkt 5.3.
- „pacta tertiis nec nocent nec procunt” – “Weder schaden Verträge Dritten noch nützen sie ihnen“
- Drittstaaten sind an Verträge nicht gebunden und können nur durch deren Zustimmung entstehen.
- Bei Rechten zugunsten Dritter wird eine Zustimmung vermutet, Verpflichtungen zu Lasten Dritter bedürfen deren schriftlicher Zustimmung.
Unter welchen Voraussetzungen kann ein völkerrechtlicher Vertrag angefochten werden?
Welche Wirkung hat die erfolgreiche Anfechtung? (7 Punkte)
S.20 Pkt 8.1.
Eine Anfechtung ist entweder:
* formeller Willensmangel - Vertrag unter offenkundiger Verletzung einer wesentlichen innerstaatlichen Vorschrift betreffend den Vertragsabschluss zustande kam. – z.B. Staatsorgan einen Vertrag abschließt, wo er nach innerstaatlichem Recht nicht zuständig ist. (Art 46 Abs 2 WVK)
* materieller Willensmangel – Inhaltliche Beeinträchtigung – z.B. Irrtum, Betrug, Zwang gegen einen Staat und/oder Staatenvertreter:in, Bestechung
* Unvereinbarkeit mit ius cogens – Verstoß gegen grundlegende Werte und Vorstellungen (Art 53 WVK)
Rechtsfolge:
* Aufhebung des Vertrages:
o EX TUNC – Betrug, Bestechung, Zwang, Unvereinbarkeit mit ius cogens
o EX NUNC – bei allen anderen Formen
a) Führen Sie die Schritte der Vertragswerdung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Art 50
B-VG chronologisch an! (3 Punkte)
S.24 Pkt 10.2.
Vertragswerdung von Verträgen nach Art 50 B-VG:
1. Verhandlung
2. Unterzeichnung
3. Ratifikation
4. Übermittlung der Ratifikationsurkunde an den Depositär oder die andere Vertragspartei
5. Inkrafttreten
6. Verlautbarung im Bundesgesetzblatt (BGBl) III