Justizgrundrechte, Art. 19 IV, 101 I, 103 GG Flashcards
Prüfung Zulässigkeit Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV
wichtig, oft in Zusammenhang mit Art. 101 I 2 GG
Fraglich ist, ob ein Antrag des OLG auf ein Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV beim EuGH zulässig wäre.
- Zuständigkeit
- -> EuGH und nicht das Gericht
I. Vorlageberechtigung
–> nach Art. 267 II AEUV alle staatlichen Gerichte. unionsrechtsautonom zu bestimmen = umfasst alle unabhängigen Organe, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren Rechtsstreitigkeiten mit Rechtskraftwirkung verbindlich entscheiden können.
II. Zulässige Vorlagefrage
–> ergibt sich aus Art. 267 I AEUV; direkte Fragen nach der Vereinbarkeit von nationalen Regeln mit Unionsrecht sind jedoch unzulässig; hier immer Vorlagefrage formulieren!!!: “ist Art.. RL dahingehend auszulegen, dass er einer Auslegung des § entgegensteht, die…..”
III. Entscheidungserheblichkeit
–> die Entscheidung des EuGH muss für die Tenorierung des Ausgangsrechtsstreits ausschlaggebend sein
diese Entscheidung obliegt jedoch nationalem Gericht, wird von EuGH nicht überprüft, es sei denn, dass es evident hypothetisch ist oder fernab der Realität
IV. Keine Frist
V. Schriftlich nach Art. 94 EuGH-VerfO
Wird oft in Form einer UrteilsVB kommen: Direkt am Anfang der Begründetheitsprüfung Maßstab feststellen:
” Im Falle der VB gegen ein Urteil dient die Überprüfung durch das BVerfG nicht dazu, die korrekte Anwendung der einfachen Gesetze zu überprüfen. Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz. Vielmehr überprüft das BVerfG das Urteil nur auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.
Spezifisches Verfassungsrecht ist verletzt, wenn die Entscheidung aufgrund eines formell oder materiell verfassungswidrigen Gesetzes erging, das Gericht bei seiner Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Grundrechte grundsätzlich verkannt hat, die Entscheidung objektiv willkürlich ist oder Justizgrundrechte missachtet wurden.
Vorliegend kommt lediglich die Verletzung der Justizgrundrechte in Betracht…
Art. 101 I 2 GG: Recht auf den gesetzlichen Richter
Prüfungsschema
(gemünzt auf Art. 267 AEUV)
I. Persönlicher Schutzbereich:
jedermann
II. Sachlicher Schutzbereich:
schützt vor dem Entzug des gesetzlichen Richters.
–> Im Vorhinein muss generell abstrakt feststehen, welcher Richter für die Entscheidung des jeweiligen Falles zuständig ist, um dem staatlichen Machtmissbrauch und der Willkür entgegenzutreten und jedem Rechtsschutzssuchenden ein faires Verfahren zu ermöglichen. Der Gesetzgeber ist also verpflichtet, derartige Normen zu erlassen (leistungsrechtliche Seite) bzw. darf von diesen Regelungen nicht abgewichen werden. (abwehrrechtliche Seite)
Auch der EuGH zählt als gesetzlicher Richter, weil er mit der nationalen Gerichtsbarkeit funktional verschränkt ist.
auch Schöffen! (nicht Schiedsgerichte)
III. Eingriff
kann darin liegen, dass die Normen nicht den leistungsrechtlichen Anforderungen des Art. 101 I 2 GG entsprechen ODER dass von diesen Vorgaben willkürlich abgewichen wurde (abwehrrechtliche Seite).
Jedoch ist die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen auf eine Willkürkontrolle beschränkt (keine Superrevisionsinstanz). Die Auslegung und Anwendung der Normen muss bei verständiger Würdigung der Umstände nicht mehr verständlich erscheinen oder offensichtlich unhaltbar sein.
Also prüfen:
- -> Bestand Vorlagepflicht?
- -> wurde diese willkürlich missachtet?
Alles in Eingriff prüfen, weil vorbehaltlos und schrankenloses Grundrecht und daher keine Rechtfertigung eines Eingriffs möglich.
1) Besteht eine Vorlagepflicht an den EuGH, Art. 267 II, III AEUV?
- nach Art. 267 II AEUV zur Vorlage berechtigt : Vorlagerecht
- nach Art. 267 III AEUV zur Vorlage verpflichtet, wenn Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann: Vorlageverpflichtung
Problem:
Wie ist “letztinstanzliches” Gericht zu verstehen? unionsrechtsautonom zu verstehen: also entweder abstrakt als letzte Instanz, oder konkret als im konkreten Verfahren letzte Instanz
–> iErg konkrete Betrachtungsweise, um einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu wahren, damit in jedem Verfahren zumindest ein vorlageverpflichtetes Gericht vorhanden ist.
AUSNAHMEN:
- -> acte éclairé: es liegt bereits Rechtsprechung des EuGH vor (Präzedenzfall), weshalb die Frage als beantwortet angesehen wird
- -> acte clair (CILFIT-Entscheidung), dass Auslegung so offenkundig ist, dass Vorlage nicht notwendig ist; muss eindeutig sein und sich aus einer unionsrechtlichen Perspektive ergeben (also nicht nur für eigene Rechtsordnung klar, sondern für alle und vor allem für EuGH)
2) Wurde die Vorlagepflicht willkürlich verletzt?
3 Fallgruppen entwickelt:
- Grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht, wenn Gericht Möglichkeit also gar nicht in Betracht zieht.
- Wenn Gericht bewusst von EuGH Rechtsprechung abweicht und gleichwohl vorsätzlich nicht vorlegt.
- Wenn Rechtsprechung des EuGH nicht oder nicht vollständig vorliegt und Gericht den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat.
- -> Streit innerhalb des BVerfG um den Anknüpfungspunkt: Entweder wenn Gericht eine Auslegung vorgenommen hat, andere Auslegung aber “eindeutig vorzugswürdig ist” (höherer Maßstab); oder, wenn Entscheidung des Gerichts über Vorlage unvertretbar erscheint (das läuft dann parallel eigentlich mit acte Clair-Doktrin)
- -> für zweites entscheiden, weil erste Ansicht Anforderungen zu hoch ansetzt
Gemeinsamkeit aller Justizgrundrechte:
diese grundrechtsgleichen Rechte können grundsätzlich allen zustehen: auch ausländischen juristischen Personen, auch juristischen Personen des Öffentlichen Rechts
–> sie sind Verfahrensgrundsätze, die für jedes gerichtliche Verfahren gelten und daher jedem nach der jeweiligen Verfahrensnorm Parteifähigen zugute kommen müssen
–> Alle Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 III, 28 I 1 !
Nochmal genauer: Schutzbereich des Art. 101 I 2 GG
und Eingriff
Formelle Dimension:
- Recht einer Prozesspartei darauf, dass der Richter, der einen bestimmten Rechtsstreit entscheidet, von vornherein abstrakt-generell vorherbestimmt ist. Soll Eingriffe von außen verhindern und verhindern, dass Justiz selbst Richter aussucht: Missbrauch und Willkür entgegenwirken, faires Verfahren! (Art. 6 EMRK stützt)
- Richter der deutschen Fachgerichte, BVerfG und EuGH
- muss wegen der Wesentlichkeitstheorie durch formelle Parlamentsgesetze erfolgen und dann durch Geschäftsverteilungspläne konkretisiert werden
Materielle Dimension:
- Recht der Prozesspartei, dass ein Richter iSd GG vorhanden ist, also unabhängig nach Art. 97 I GG; und persönlich unabhängig, Art. 97 II GG
Eingriff:
- durch den Gesetzgeber: gesetzliche Festlegung von Mehrfachzuständigkeiten und Einräumung von Ermessen bei der Bestimmung des zuständigen Richters
- durch Rechtsprechung: Geschäftsverteilungspläne müssen abstrakt-generell im Voraus Besetzung bestimmen (Problem der überbesetzten Spruchkörper: Überbesetzung wird wegen Ausfallsmöglichkeit hingenommen, muss aber dennoch abstrakt festgelegt sein, wer entscheidet); Falschanwendung des einfachen Rechts (error in procedendo) nur, wenn willkürlicher Verstoß (s.o.) (sonst Superrevisionsinstanz); Beteiligung von wegen Befangenheit ausgeschlossenen Richtern immer Verletzung
Art. 101 I 1 GG
= sind Gerichte, die von Legislative, Regierung oder Verwaltung abweichend von der gesetzlichen Zuständigkeit zur Entscheidung bestimmter einzelner individueller Fälle gebildet werden; Verdacht verbindet, dass Gerichtsmitglieder von bestimmter Tendenz ausgewählt sind
–> staatliche Willkür und kein faires Verfahren
(Gerichte, die keine gesetzliche Grundlage haben oder keine abstrakt generelle Festlegung ihrer Zuständigkeit)
Bsp:
ad-hoc oder ad-personam gebildete Gerichte durch Einzelfallgesetz
davon sind Sondergerichte nach Abs. 2 zu unterscheiden!
Art. 103 I GG: Recht auf rechtliches Gehör
= dient auch der Achtung des Menschen in einer so schwerwiegenden Lage wie einem Prozess; muss Möglichkeit haben, sich mit rechtlichen und tatsächlichen Argumenten zu behaupten
I. Schutzbereich
- jedermann
- = bedeutet, sich grundsätzlich vor Erlass einer Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Sicht zur Sache äußern zu können
- wenn bei Eilmaßnahmen nicht möglich, muss es unverzüglich nachgeholt werden!! (s.u. Beschlagnahme zB)
- setzt voraus:
- -> Information über Verfahrensstoff
- -> Möglichkeit der Äußerung
- -> Kenntnisnahme durch Gericht und in Erwägung ziehen
Drei Aspekte des Art. 103 I GG nochmal genauer:
- Recht auf Information
- Äußerungen der Gegenseite, Tatsachen und Beweismittel, Auffassungen Sachverständiger - Recht auf Äußerung
- mindestens schriftliche Äußerung zu Tatsachen- und Rechtsfragen - Recht auf Berücksichtigung
- Gegenwart, Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft aller an der Entscheidung mitwirkenden Richter sowie eine Begründung der gerichtlichen Entscheidung, die auf Parteivorbringen eingeht
Problem 1: Recht auf Rechtsanwalt aus Art. 103 I ?
–> Könnte man annehmen, weil Bürger ohne rechtskundigen Beistand keine Möglichkeit hat, auf adäquates rechtliches Gehör; BVerfG leitet Recht im Strafverfahren aus Rechtsstaatsprinzip ab, nicht aus Art. 103 I; ansonsten aber nicht (ich finde es aber sehr plausibel)
Problem 2:
Darf Fristsäumnis des Anwalts dem Bürger zugerechnet werden, oder verletzt man damit Art. 103 I GG? Rspr hält es wegen Rechtssicherheit für möglich.
Vor Gericht, Art. 103 I GG?
- jedes staatliche Gericht, Art. 92 GG
- nicht Verwaltungsverfahren und Rechtspfleger, da aber Anhörungsrecht aus Art. 20 III, APR, Art. 1 I
- Art. 103 I betrifft das Verfahren bei Gericht, wohingegen Art. 19 IV GG den Zugang zu Gericht umschreibt
Eingriffe in Art. 103 I GG
- offensichtlich fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften schon
- grundsätzlich jedes Zurückbleiben hinter den Anforderungen
- NICHT: Revisionsverfahren nur Überprüfung auf Rechtsfragen;
- NICHT: Präklusionsvorschriften
- NICHT: wenn fehlendes rechtliches Gehör für Entscheidung unerheblich ist, sie also nicht darauf beruht (keine Kausalität): Funktion und Organisation des Rechtsschutzsystems
- NICHT: wenn fehlendes rechtliches Gehör in der gleichen Instanz oder Rechtsmittelinstanz (nicht aber in neuem gerichtlichen Verfahren) nachgeholt und damit geheilt wird (fraglich und kritisch zu betrachten, aber annehmen, wohl st Rspr)
–> vorbehaltlos und schrankenlos, daher jeder Eingriff ist Verletzung (in eng begrenzten Ausnahmefällen wird wohl entgegenstehendes Verfassungsrecht herangezogen werden können)
Bsp: Anhörung bei Beschlagnahme erforderlich?
–> nein, weil es Eigenart der Beschlagnahme in Frage stellen würde; jedoch ist rechtliches Gehör danach zu gewähren und nachzuholen (eher Art. 20 III GG, weil es nicht bei Gericht ist)
Art. 103 II GG: nulla poena sine lege
Schutzbereich
- der wortgleiche § 1 StGB erhält durch Art. 103 II GG Verfassungsrang
I. Schutzbereich
- Strafbarkeit = staatliche Maßnahmen, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rw, schuldhaftes Verhalten darstellen und ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient = Kriminalstrafrecht, OWiG, Disziplinar- und Standesrecht
- zur Strafbarkeit gehören Straftatbestand und Strafandrohung (NICHT Maßregeln der Besserung und Sicherung, weil nicht dem Schuldausgleich dienen, sondern präventive Zwecke verfolgen; anders der EGMR; nach BVerfG auch NICHT die formellen Regeln der Strafverfolgung wie Verjährung)
4 Aspekte:
1. Tatprinzip: Strafrecht knüpft an Taten, nicht an Gesinnungen an
- Gesetzlichkeitsprinzip: ordnet Gesetzesvorbehalt für Strafrecht an: hier muss Strafbarkeit bestimmt sein, RVO Satzungen etc dürfen nur spezifizieren
- Bestimmtheitsgrundsatz: der Einzelne soll von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten und mit welcher Strafe es sanktioniert ist, damit er in der Lage ist, sein Verhalten danach auszurichten; als spezielle Normierung reicht At. 103 II GG weiter als allgemeines Bestimmtheitsgebot; schließt unbestimmte Rechtsbegriffe jedoch nicht schlechthin aus, wenn Auslegung durch Richter möglich
- -> hieraus folgt auch Verbot von Gewohnheitsrecht und Analogien - Rückwirkungsverbot: niemand darf bestraft werden, wenn Gesetz zur Zeit der Tat noch nicht in Kraft war bzw härter, als zur Zeit der Tat vorgesehen
Eingriffe in Art. 103 II GG
- Ein Zurückbleiben hinter den dargestellten Anforderungen ist grds Verstoß; durch Legislative oder Judikative (BVerfG hat es auch erwogen, wenn gesicherte Rechtsprechungslinie bestand, die Vertrauenstatbestand hervorruft)
vorbehaltlos gewährleistet und einer Abwägung nicht zugänglich
Ne bis in idem, Art. 103 III GG
Schutzbereich
- Verbot der Doppelbestrafung
- garantiert die Rechtskraft des Strafurteils (und damit Vertrauen des Bürgers) und bietet Rechtssicherheit; dahinter tritt die materielle Gerechtigkeit zurück
I. Schutzbereich
- dieselbe Tat = geschichtlicher Vorgang (einheitlicher Lebensvorgang), auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (prozessuale Tat)
- die allgemeinen Gesetze = Strafgesetze und OWi (nicht Disziplinar- und Berufsstrafrecht, hier nur aus Rechtsstaatsgebot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sodass ein Nebeneinander faktisch doch nicht möglich ist) (nicht Verwaltungsbehördliche Maßnahme, weil Gefahrenabwehr)
- schützt auch die Rechtskraft des Freispruchs! (entgegen Wortlaut) = besser: Einmaligkeit der Strafverfolgung
Eingriff durch Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des Angeklagten: wohl gerechtfertigt durch materielle Gerechtigkeit -> Grundlage dessen höchst unklar