9/13 (Deliktsrecht II: Sonstige Rechte iSd § 823 I BGB (APR, Gewerbe); sonstige TB der Verschuldenshaftung; Haftung für vermutetes Verschulden) Flashcards
APR: Qualifikation als Rahmenrecht
- gestützt auf § 823 I iVm Art. 1 I, 2 I GG
- Schutzbereich allgemein: “Recht des Einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde und auf Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit”
- > die Persönlichkeit selbst
- > Ehre und Ansehen
- > die Intim- und Geheimsphäre
- > der Schutz des Privatbereichs, der Individualität, Identität und Selbstbestimmung der Person
- Rechtswidrigkeit muss daher anhand eines Eingriffs und einer Interessensabwägung im Einzelfall (oft Art. 1 I iVm Art. 2 I GG vs Art. 5 I,II / Art. 5 III GG) bestimmt werden
- > Verletzung von verfassungsrechtlich geschützten ideellen Interessen oder von nur zivilrechtlich geschützten vermögenswerten Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts
- > Intensität und Grad der Vermeidbarkeit der Persönlichkeitsrechtsverletzung
- > Grundrechte anderer
- > Interessen des Schädigers
§§ 22, 23 KUG: Paparazzi-Fotos: Personen der Zeitgeschichte
- BGH (alt):
- > absolute Personen der Zeitgeschichte: eingeschränkter Schutz (nur im häuslichen Bereich / Rückzugsorte)
- > relative Personen der Zeitgeschichte (aufgrund einmaligem Ereignis): Einwilligung erforderlich, wenn kein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang zum Ereignis
con: zu einseitiges Abstellen auf das Informationsinteresse der Öffentlichkeit - EGMR: kommt wesentlich darauf an, ob Fotos/Artikel der Öffentlichkeit bei der Diskussion einer Frage von allgemeinem Interesse dienen oder nur der Neugier
pro: Differenzierung des BGH ist kein sachliches Kriterium
pro: inhaltliches Kriterium für die widerstreitenden Interessen aus Art. 8 und Art. 10 EMRK - BGH (neu):
- > nicht nur Differenzierung nach absolut/relativ, sondern Telos des § 23 I Nr. 1 KUG: Bedeutung für das Informationsinteresse der Allgemeinheit und den demokratischen Willensbildungsprozess (Abwägung)
pro: EMRK/GG-konforme Auslegung über mittelbare Drittwirkung der GR - > dabei: Presse darf im Rahmen der Pressefreiheit entscheiden, woran ein allgemeines Informationsinteresse besteht
§§ 22, 23 KUG: Paparazzi-Fotos: Personen des politischen Lebens
- Weitergehende Einschränkung als Personen der Zeitgeschichte, da das Leben von Politikern Leit- und Orientierungsfunktion für viele Menschen aufweisen kann
APR: Postmortaler Persönlichkeitsschutz
- Art. 1 I gilt auch für Verstorbene
- Vermögenswerte Bestandteile des APR: gem. § 1922
- Ideelle Bestandteile: Erben können nur Abwehransprüche geltend machen
- P: Anspruch auf Geldentschädigung vererblich?
P: APR: Anspruch auf Geldentschädigung vererblich?
- eA (BGH): grds. auch nicht bei Rechtshängigkeit des Anspruchs, jedoch bei Rechtskraft des Urteils
pro: Genugtuungsinteresse des Erblassers entfällt mit seinem Tod - > neuere Rspr.: Entschädigungsanspruch (§ 253) erlischt, aber nicht SEA, der aufgrund der Verletzung vermögenswerter Teile der Persönlichkeit besteht
- aA (Looschelders): Rechtshängigkeit ausreichend (für alle Ansprüche)
pro: Präventionsgedanke
pro: Gegenseite soll nicht darauf vertrauen dürfen, dass APR-Verletzter während des Prozesses verstirbt
APR: Rechtsfolgen
- Naturalrestitution: Beseitigung der Verletzung (bspw. Widerruf)
- Ersatz des materiellen Schadens, § 249
-> konkret nachweisbar oder
-> angemessene Vergütung (BGH: Fiktion eines abgeschlossenen Lizenzvertrages - Lizenzanalogie)
-> nach Rspr.: auch erzielter Gewinn
(“dreifache Schadensberechnung”, s.u.) - Ersatz des immateriellen Schadens, § 823 I iVm Art. 1 I, 2 I GG (BGH, BVerfG)
- > s. P: APR: Rechtsfolgen: Immaterieller SE - Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch, § 1004 analog iVm § 823 I
- > verschuldensunabhängig
- > bspw. Löschung, Widerruf
- -> (-) bei bloßen Werturteilen
Gewerbebetrieb: Charakteristik
- Rahmenrecht: Rechtswidrigkeit muss nach umfassender Interessensabwägung im Einzelfall positiv festgestellt werden
- Subsidiär (insb. § 824 BGB, § 1 UWG)
- Aus der Erwägung entwickelt, dass BGB Unternehmerinteressen nicht hinreichend schützt, insbesondere wenn Parteien in keinem Wettbewerbsverhältnis stehen (dann wäre UWG einschlägig)
- Gewerbetrieb: weit zu verstehen (auch Selbstständige) - bestimmt durch:
1. Selbstständigkeit
2. Entgeltlichkeit
3. Nachhaltigkeit
4. Auftreten nach außen - Geschützt sind
- -> Bestand
- -> Entfaltung der unternehmerischen Tätigkeit
Gewerbebetrieb: betriebsbezogener Eingriff
- da kein allgemeiner Vermögensschutz im Deliktsrecht besteht: Schutzgut »Gewerbebetrieb« restriktiv anzuwenden
- hM: Eingriff nur solcher, der
a. unmittelbar ist,
b. gegen den Betrieb als solchen gerichtet und
c. nicht lediglich vom Gewerbebetrieb ohne Weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen
-> “Unmittelbarkeit” keine faktische Kausalitätsfrage, sondern Wertungsfrage (bspw. idR (-) bei Beeinträchtigungen, die jeden treffen können)
Gewerbebetrieb: Geschäftsschädigende Kritik
- Unwahre Tatsachenbehauptungen: § 824
- Negative Werturteile
- > hM: grds. zulässig (Bedeutung des Art. 5 I), unzulässig reine Schmähkritik
- > großer Freiraum: Warentest (sofern objektiv, neutral, sachkundig, im Ergebnis nicht offensichtlich unrichtig); Gastronomiekritik (sofern keine reine Schmähkritik, bspw. Essen als “Pinscherkot”)
Gewerbebetrieb: Boykott, Betriebsblockaden, Streik
- beachte jeweils die strikte Interessensabwägung unter Ansehung der einschlägigen Grundrechte (Art. 5, Art. 8, Art. 9)
Gewerbetrieb: Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
- BGH: unberechtigte Abmahnung als rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (+)
- > Zivil I BGH: (-), da gutgläubige Geltendmachung eines Schutzrechts eine zulässige (wettbewerbskonforme) Meinungsäußerung darstelle
- > Großer Senat: folgt traditioneller Auffassung
§ 823 II: Schutzgesetz
= jede Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB), die nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit, sondern zumindest auch dem Schutz einzelner Personen bzw. Personenkreise dienen soll
- > formelle Gesetze
- > RVO
- > Satzungen
- > VA (-), jedoch ist auf das jeweilige Ermächtigungsgesetz abzustellen
§ 823 II: Schutz einzelner Personen bei Normbeständen des StGB
- Regelmäßig ist Individualschutz mitbeabsichtigt
- > Aussagedelikte (+)
- > Vermögensdelikte (+)
- > Insolvenzstraftaten (+)
- > Urkundsdelikte (str.)
- -> eA: nur Allgemeininteresse des Schutzes des Rechtsverkehrs (BGH)
- -> aA: Schutz vor Urkundenfälschungen kein Selbstzweck, sondern dient gerade den Interessen des Opfers (Lit)
§ 823 II: Dimensionen des Schutzbereichs der Norm
- Personal
- Sachlich
- Modal (im Schadensfall muss sich gerade das Risiko verwirklicht haben, vor dem geschützt werden soll)
§ 823 II: Verschulden
- Vorsatzprüfung richtet sich nach den Anforderungen des Rechtsgebiets des jeweiligen Schutzgesetzes
- > hM: bei Fahrlässigkeitstaten sind die objektiven Regeln des ZivilR einschlägig
- Deliktsfähigkeit richtet sich nach §§ 827, 828
- Verschulden muss sich nur auf Schutzgesetzverletzung beziehen, nicht auf Rechtsgutsverletzung oder Schaden (praktische Bedeutung va bei Gefährdungsdelikten: Verletzungserfolg (-), sodass § 823 I nicht greift - jedoch greift § 823 II)
§ 823 II: StVO als Schutzgesetz
- StVO als Ganze ist kein Schutzgesetz
- Einzelne Vorschriften innerhalb der StVO sind Schutzgesetze:
- > § 14 Abs. 2 S. 2 StVO (Sicherung von Kfz gegen unbefugte Benutzung) als Schutzgesetz zugunsten von Personen, die ein Autodieb bei seiner Flucht verletzt
- > § 20 Abs. 1 StVO (langsames Vorbeifahren an Bussen) als Schutzgesetz sogar für unachtsame Fußgänger
- > § 22 Abs. 2 S. 1 StVO (Maximalmaße eines Kfz) als Schutzgesetz bei Beschädigung einer Brücke
- StVO schützt jedoch regelmäßige keine Vermögensinteressen
Prüfung: § 823 II
I. Voraussetzungen des § 823 II BGB
(= Haftungsbegründender Tatbestand)
- Verletzung eines Schutzgesetzes
a) Schutzgesetz i.S.v. § 823 II BGB
= Jede Rechtsnorm, die zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen gegen die Verletzung eines Rechtsguts zu schützen
b) Verletzungshandlung
→ Beurteilung nach den Regeln des Schutzgesetzes → Inzidente Prüfung des Schutzgesetzes nach Dimensionen des Schutzgesetzes:
aa. Personal
bb. Sachlich (Rechtsgut erfasst?)
[bei StGB: TB - RW - Sch!]
cc. Modal (in der Verletzung muss sich gerade das Risiko verwirklicht haben, vor dem geschützt werden soll)
c) Haftungsbegründende Kausalität
→ Kausalität zwischen Handlung und Verletzung - Rechtswidrigkeit der Schutzgesetzverletzung
→ Rechtswidrigkeit wird regelmäßig durch die Schutzgesetzverletzung indiziert - Verschulden
→ Verschuldensfähigkeit (§§ 827f. BGB)
→ Regeln des Verbotsgesetzes maßgeblich für den Grad des Verschuldens (§ 823 II S. 2 BGB)
→ Verschulden braucht sich nur auf die Schutzgesetzverletzung (nicht auf RG-Verletzung) zu beziehen
→ Beachte § 823 II 2 BGB: Wenn Verbotsgesetz kein Verschulden voraussetzt: Mindestens Fahrlässigkeit gem. § 276 BGB
II. Rechtsfolgen gem. §§ 249ff. BGB
(= Haftungsausfüllender Tatbestand)
- Vorliegen eines Schadens
- Haftungsausfüllende Kausalität
→ Zurechnung zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden (s. wieder: umfasst Schutzzweck der Norm Schaden in sachlicher und modaler Hinsicht?) - Mitverschulden (§ 254 BGB)
§ 826: Verursachung eines Schadens
Schaden:
- keine Rechtsgutsverletzung erforderlich
- Vermögen umfasst
Verursachung:
- Kausalität und objektive Zurechenbarkeit
§ 826: Sittenwidrigkeit
- Rspr.: “Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden” - Maßstab sind die Anschauungen der in Betracht kommenden Kreise (z. B. Kaufleute), wobei ein Durchschnittsmaß von Redlichkeit und Anstand zugrunde zu legen ist (Zweck - Mittel - Zweck-Mittel-Relation)
con: empirisch nicht feststellbar
con: widerspricht pluraler Verfassungsordnung - Lit: Sittenwidrigkeit als normativer Begriff: sozialethische Wertungen, die in der Rechtsordnung Niederschlag gefunden haben
- > GR als objektive Werteordnung, die auch jenseits des Rechtlichen begründet sind (Menschenwürde)
- > auch außenrechtliche Maßstäbe können relevant werden
- > Interessenabwägung im Einzelfall notwendig; zurückhaltende Handhabung (-> Fallgruppen)