6/6 (Privatisierung der Verwaltung; Verwaltungsverfahren; Recht der öffentlichen Sachen; Verwaltungsvollstreckung) Flashcards
P: Bindungwirkung von VV für Private: gesetzliche Ermächtigungen zu administrativer Normsetzung gegenüber Privaten, die keiner anderen Handlungsform zuzuordnen sind (RVO, Satzung oder Allgemeinverfügung [VA])? (BSP Hausordnung einer Justizvollzugsanstalt, § 15 JVollzGB BW)
unterscheide: unmittelbare Bindungswirkung zulasten vs. mittelbare Bindungswirkung zugunsten des Privaten
- letzteres ist Frage von Art. 3 I GG („Selbstbindung der Verwaltung“)
P: Darf Behörde auf die Durchführung des Vorverfahrens verzichten (bspw. wenn Widerspruchsfrist nicht eingehalten wurde, Behörde jedoch darüber hinweggeht und Ausführungen zur Sache macht)
eA: unzulässig
pro: gesetzliche Klagevoraussetzung kann nicht zur Disposition der Behörde stehen (Sinn und Zweck des Bestehens von § 70 II, § 60 VwGO)
pro: mangels Devolutiveffekt beim unzulässigen Widerspruch ist Widerspruchsbehörde gar nicht zuständig - aber: Klage nicht unzulässig, da Heilung möglich
con: übertriebener Formalismus, da Widerspruchsbehörde an Unanfechtbarkeit gebunden wäre, obwohl Ausgangsbehörde den VA nach § 48 noch zurücknehmen kann
aA: zulässig (hM)
pro: nach der Zurückweisung als unzulässig würde der Streitstoff wenig später wieder zu Gericht kommen; reiner Formalismus (Prozessökonomie)
pro: Behörde als “Herrin des Verfahrens”
P: Kann die Behörde Gründe bei andernfalls fehlerhaftem Verwaltungshandeln nachschieben
eA (mM): (-)
pro: Schutz des Bürgers, Rechtssicherheit
aA (hM): (+)
pro: § 45 II LVwVfG (Handlungen können bis zu letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden)
pro: Untersuchungsgrundsatz; das Gericht hat auch nach Gründen zu suchen, die außerhalb der behördlichen Ausführung liegen
pro: Prozessökonomie (Verwaltung würde sonst einfach einen neuen, richtig begründeten VA erlassen)
pro: Schutz des Betroffenen auch ausreichend dadurch, dass er angesichts der neuen Begründung das Verfahren auch für erledigt erklären kann
Formenwahlfreiheit der Verwaltung #
= soweit gesetzliche Regelungen oder sachliche Gründe nicht entgegenstehen, kann die Verwaltung im Bereich der Leistungs- und Lenkungsverwaltung nach öffentlichem Recht oder Privatrecht vorgehen
“(Keine) Flucht ins Privatrecht”
= Verwaltung bleibt auch bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in der Form des Privatrechts an öffentlich-rechtliche Grundsätze und Regelungen gebunden (insb. Grundrechte, allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts, Zuständigkeitsregelungen)
Begriff: Subvention
=
a. jede vermögenswerte Zuwendung
b. des Staates oder eines Verwaltungsträgers an Privatpersonen
c. ohne marktmäßige Gegenleistung
d. zur Förderung eines im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks
Zweistufigkeit der Subventionsvergabe
- Generelle Subventionsentscheidung
- > generell-abstrakte Entscheidung durch Gesetz oder Ausweisung der Mittel im Haushaltsplan - Konkrete Subventionsentscheidung
- > Vergabe der Mittel im Einzelfall
- > Rechtsform abhängig von der konkreten Art der Subvention
P: Vergabe des Subventionsdarlehens
- eA (hM): Zweistufentheorie
pro: Überwindung der rein privatrechtlichen Deutung der staatlichen Subventionsdarlehen nach dem 2. Weltkrieg
pro: Grundrechtsschutz durch 1. Stufe
con: Darlehensvertrag oftmals bloße Fiktion
con: einheitlicher Lebensvorgang wird künstlich in zwei Stufen aufgeteilt
con: Schicksal des Darlehensvertrages, wenn Bewilligungsbescheid nichtig (hM: auch Vertrag unwirksam) - aA: VA als Dauerrechtsverhältnis mit Bedingungen/Auflagen für Aus- bzw. Rückzahlung der Zuwendung
- wA: Verwaltungsvertrag (öffentlich-rechtliches Darlehensverhältnis)
con: oftmals vielfältige Vorgaben durch Gesetz oder Verwaltungsrichtlinien -> faktische Nähe zu aA in der Praxis
pro: Möglichkeit der individuellen Vereinbarung und Aushandlung in Einzelfällen - neA: privatrechtlicher Vertrag mit öffentlich-rechtlichen Bindungen
con: Ausgangspunkt ist nach Rechtsgrundlage und Zielsetzung das öffentliche Recht
Konstruktion: sonstige Subventionsformen (Verlorene Zuschüsse; Bürgschaften; Realförderung) #
- verlorene Zuschüsse (= Beihilfen): Bewillungungsbescheid und Auszahlung uno actu (Maurer)
- Bürgschaften: Zweistufentheorie
- > VA gegenüber Bürger
- > Bürgschaftsvertrag mit Gläubiger
- Realförderung: v.a. Einheimischen-Modell (Bevorzugung Einheimischer bei Grundstücksverkauf oder ermäßigter Eintritt in kommunale Einrichtungen)
Öffentliche Sachen
= Vermögensgegenstände, die
(1) unmittelbar einem öffentlichen Zweck dienen (Gemeinwohlfunktion) und
(2) durch besonderen Rechtsakt einen öffentlich-rechtlichen Status erhalten haben, mit dem die Sachherrschaft eines Hoheitsträgers verbunden ist (Widmung; Rechtsakt), und
(3) tatsächlich in Dienst gestellt wurden (Indienststellung; Realakt)
- > auch unkörperliche Gegenstände erfassbar
Öffentliche Sachen vs.
a) tatsächliche öffentliche Sachen
b) Gegenstände des Finanzvermögens
a) gehören einem Privateigentümer und werden allein von diesem der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (z. B. private Krankenhäuser)
b) dienen nur mittelbar einem öffentlichen Zweck (z.B. erwerbswirtschaftliche Unternehmen der öffentlichen Hand )
Widmung
= öffentliche Zweckbestimmung der Sache, die durch einen öffentlich-rechtlichen Rechtsakt erfolgen muss (Gesetz, RVO, Satzung, VA)
-> sofern keine Rechte Dritter betroffen sind: kein Gesetzesvorbehalt
Widmung: Aufhebung und Änderung
- Aufhebung:
- > Entwidmung (actus contrarius)
- > Beendigung der tatsächlichen Indienststellung - Änderung
- > Umwidmung/Änderungswidmung (selbe Rechtsform wie Widmung)
Dogmatische Konstruktion des Eigentums an öffentlichen Sachen
- Modifiziertes Privateigentum
- > sofern Eigentum nach dem BGB an öffentlichen Sachen möglich ist, hat öffentlicher Träger Privateigentum nach den Vorschriften des BGB
- > Widmungsakt begründet lediglich den öffentlich-rechtlichen Status des Privateigentums an der Sache und schränkt das Eigentum somit ein (öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit) - auch Sachen im Eigentum Privater können öffentliche Sachen werden - Öffentliches Eigentum
- > durch spezialgesetzliche Ermächtigung begründbar
- > jedoch als eigenständiges Rechtsinstitut nur lückenhaft ausgeformt
Begriff: öffentliche Sachen im Gemeingebrauch
= öffentlichen Sachen, die
(1) durch öffentlich-rechtliche Widmung
(2) einer unbeschränkten Öffentlichkeit unmittelbar und ohne besondere Zulassung zur zweckbestimmten Benutzung zugänglich gemacht wurden
- > Engeltlichkeit nicht als besondere Zulassung anzusehen!
Sondernutzung von Sachen im Gemeingebrauch (insb. Straßen)
= Sondernutzung ist anzunehmen, wenn die Sache über den widmungsgemäßen Gemeingebrauch hinaus genutzt wird (-> Sondernutzungserlaubnis erforderlich)
- > bei Straßen: anzunehmen, wenn die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr/Fortbewegung, sondern zu anderen Zwecken benutzt wird (§§ 7 I 3, 8 I 1 FernStrG), oder wenn die Straße in einer Weise genutzt wird, die nicht mehr der bau- und verkehrstechnischen Beschaffenheit der Straße entspricht
- -> s. Kasuistik zur Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung
Sondernutzung von Sachen im Gemeingebrauch (insb. Straßen): Kasuistik
a) Ruhender Verkehr
b) Straßennutzung zu gewerblichen Zwecken
c) Übermäßige Nutzung einer Straße (Schwerverkehr)
d) Politische Kommunikation
e) Straßenkunst
f) Religiöse und weltanschauliche Nutzung
g) Stilles Betteln
h) Anliegergebrauch
- Ruhender Verkehr: Gemeingebrauch, auch bei Anbringen von Verkaufsschildern etc. (vs. Abstellen nicht verkehrstauglicher Fahrzeuge: Sondernutzung)
- Straßennutzung zu gewerblichen Zwecken: Sondernutzung, wenn alleiniger oder überwiegender Zweck (auch bei gemeinnützigen Vereinen, wenn finanzieller Zweck zB durch Spendensammeln im Vordergrund steht)
- Übermäßige Nutzung einer Straße (Schwerverkehr): Sondernutzung, sofern regelmäßig (ansässige Baufirmen)
- Politische Kommunikation: Gemeingebrauch im Sinne des “kommunikativen Verkehrs”; grundrechtskonforme Auslegung der straßenrechtlichen Regelungen in Ansehung des Art. 5 I 1 GG
- Straßenkunst: idR Sondernutzung trotz Art. 5 III 1, jedoch in Ansehung der Kunstfreiheit Ermessen bei Erteilung der Sondernutzungserlaubnis oft auf Null reduziert
- Religiöse und weltanschauliche Nutzung: idR Sondernutzung trotz Art. 4 I, II GG, jedoch in Ansehung der Grundfreiheiten Ermessen bei Erteilung der Sondernutzungserlaubnis oft auf Null reduziert
- Stilles Betteln: an öffentlichen Plätzen/Straßen als Gemeingebrauch
- Anliegergebrauch
- > gesteigerter Gemeingebrauch: soweit gesteigerte Inanspruchnahme zur angemessenen Nutzung des Grundstücks oder des Gewerbebetriebs erforderlich, ortsüblich und gemeinverträglich (Art. 14 I GG)
- > Anliegerrecht: Art. 14 I 1 GG garantiert dem Eigentümer/Mieter von Grundstücken und Gebäuden die Zugänglichkeit zum öffentlichen Straßennetz; bei Beeinträchtigung Eingriff in Art. 14 I (P: Ausgestaltung durch einfachgesetzliche Vorschriften des Anliegerrechts möglich?)