1/6 (Grundlagen; Verwaltungsakt I: Begriff und Bedeutung; Begriffsmerkmale des § 35 S. 1 VwVfG; Arten von Verwaltungsakten und artverwandte Begriffe) Flashcards
Regelung (s. § 35 S. 1 VwVfG)
“verwaltungsrechtliche Willenerklärung, die einseitig, rechtsverbindlich und Rechtsfolgen festlegend einen Lebenssachverhalt ordnet”
- inkludiert:
- auf Setzung einer Rechtsfolge gerichtet
- Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung von Rechten oder Pflichten
- Einseitige (Str.) rechtsverbindliche Gestaltung eines Lebens-SV
- exkludiert:
- Realakte (Verwaltungsrechtsakte vs. Verwaltungsrealakte)
- Insbes. unverbindliche (Rechts-)Auskünfte
- Vorbereitende und unselbstständige Teilakte (nicht aber: Teilgenehmigungen, Vorbescheide)
- Willenserklärungen iRe verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses, die keinen anordnenden Charakter haben (Aufrechnungserklärung, Fristsetzung)
Hoheitliche Maßnahme (s. § 35 S. 1 VwVfG)
“jede verwaltungsrechtliche Willenserklärung” (Elemente: Willensbildung und Willensäußerung)
- inkludiert:
- auf dem Gebiet des ÖR (in praxi irrelevant)
- Einseitigkeit ÖRlichen Handelns (str.)
- exkludiert:
- Privatrechtsakte
- auch Akte verwaltungsprivatrechtlicher Natur (Bsp. städt. Abfallversorgungsunternehmen: GmbH, aber zu 100% im Eigentum der Stadt)
- verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse (insbes. Verwaltungsverträge)
- Strafrechtsakte wohl erst mangels Behördencharakters auszuscheiden
Einzelfall (s. § 35 S. 1 VwVfG)
“bestimmte oder bestimmbare Anzahl der Adressaten einer hoheitlichen Maßnahme - Konkretheit der Regelung entscheidend”
- inkludiert:
- konkrete Regelungen
- nicht notwendig auch individuelle Regelungen (s. Allgemeinverfügungen, § 35 S. 2 - str. Abgrenzung konkret vs. individuell)
- auch Dauerverwaltungsakte
- exkludiert:
- abstrakte Regelungen, wie RVO, Satzung
- Abgrenzungsprobleme bei abstrakt–konkret
- Einordnungsprobleme: Pläne, Verkehrszeichen, Allgemeinverbindlichkeitserklärung
- Regelungsgegenstand:
- abstrakt vs. konkret
- muss stets konkret sein (nach Ort, Zeit, Umständen bestimmten Einzelfall betreffend)
- Regelungsadressat:
- generell vs. individuell
- authentisch interpretiert (“gelockert”) durch § 35 S. 2 1. Alt. VwVfG für adressatenbezogene Allgemeinheitsverfügungen: i.E. reicht Konkretheit
[Verwaltungsakte sind Verwaltungsrechtsakte und somit konkret-individuelle Normen - problematisch, da historische Sicht: Normen sind nur Gesetze]
Auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts (s. § 35 S. 1 VwVfG)
“das Verwaltungsrecht umsetzende Maßnahme”
Indizien für/gegen eine Einzelfallregelung
Pro:
- nach Zeit, Akteuren und Ort bestimmter SV
- Einmaligkeit des Lebenssachverhalts
- betrifft das Rechtsverhältnis zu einer bestimmten Sache (s. Widmung - Indizstellung einer Sache für öffentlich Belange
- Individualbekanntgabe
Contra:
- Erlass durch Legislativorgan im Gesetzgebungsverfahren
- Publikation im Gesetzesblatt (Ausnahme: 31 II BVerfGG: Tenor von Entscheidungen in Normenkontrollverfahren wird im Gesetzblatt publiziert - Sinn: diese haben Gesetzeskraft)
Bedeutung der Abgrenzung VA und “Rechtsnorm”
- unterschiedliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
- Anforderung an EGL
- Zuständigkeit
- Verfahren
- unterschiedliche Rechtswidrigkeitsfolgen
- Nichtigkeitsdogma bei Rechtsnormen
- nur bei VA: §§ 43 ff. VwVfG
- unterschiedlicher Rechtsschutz
- Anfechtungs-/Verpflichtungsklage (§ 113 I und V VwGO) vs. Normenkontrolle (§ 47 VwGO)
- unterschiedliches Vollstreckungsregime
- Bestandskraftfähigkeit (nur) des VA
Behörde (s. § 35 S. 1 VwVfG)
“alle Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden”
- inkludiert:
- jede Stelle, die Aufgaben der öffVerw wahrnehmt, § 1 IV VwVfG (§ 1 II LVwVfG!)
- Verwaltung im funktionellen Sinne (vs. organisatorischer Behördenbegriff): Sachaufgabenerledigung entscheidend
- dh auch Einrichtungen, die nicht zur Verwaltung im institutionellen/organisatorischen Sinne gehören (zB Gerichtsverwaltungen; Beliehene: setzt Gesetz voraus)
- exkludiert:
- Aufgaben der Legislative, der Gubernative, der Judikative
- Aufgaben der Strafverfolgung
- mangels Behördencharakter: Nicht-VA ist kein nichtiger VA!
Außenwirkung (s. § 35 S. 1 VwVfG)
“Regelung wirkt außerhalb der Behörde und soll auch nach außen wirken; betrifft alle nat und jurP, die sich zur Behörde in einem allgemeinen Gewaltverhältnis befinden”
- inkludiert:
- dazu bestimmt, rechtliche Außenwirkung zu erzielen
- Außenrecht
- typisch: Staat-Bürger-Beziehung
- aber auch Rechtsbeziehungen innerhalb des Staates, soweit Adressat im Verhältnis zur Behörde Träger eigener Rechte ist
- Frage der Rechtsbeziehung - außen = Berührung eines fremden Rechtskreises durch die regelnde Behörde
- exkludiert:
- Innenrecht
- zB innendienstliche Weisungen
- Abgrenzung von Grund- und Betriebsverhältnis bei Beamten (Versetzung vs. Umsetzung)
- Mehrstufiger Verwaltungsakt (Zustimmung anderer Verwaltungsbehörden)
Begriff: Verwaltungsrealakt
- Gegenstück zum Verwaltungs(rechts)akt i.S.v. § 35 VwVfG
- besitzt als solcher keinen Regelungs- und damit keinen Rechtsnormcharakter
- schlichtes / schlichthoheitliches / nichtförmliches / informelles Verwaltungshandeln
- erfüllt nicht die Merkmale einer der rechtsbegründenden Handlungsformen
- aber nicht auf Gegenüber zum VA beschränkt, d.h. Einzelfallbezug oder Hoheitlichkeit nicht begriffsnotwendig ( insoweit Sammelkategorie)
- zB: behördliche Auskünfte; Feststellung der Personalien
Rechtliche Wirkungen: Verwaltungsrealakt
- begründet/setzt selbst zwar keine Rechtsfolge (sonst wäre es ja selbst eine Rechtsnorm
- kann aber durch Inbezugnahme in einer Rechtsnorm(als deren Tatbestandselement) eine Rechtsfolge auslösen, muss also nicht ohne rechtliche Wirkung sein
- daher unterscheide: aus sich heraus rechtsbegründend (Rechtsnorm) – rechtliche Relevanz (rechtsfolgenauslösend)
- -> zentrale Testfrage also: verwirklichen der Verwaltung zurechenbare Tathandlungen (Verwaltungsrealakte) den Tatbestand einer Rechtsnorm?
- mögliche Bewirkung eines Rechtserfolges (Aufstellen eines Verkehrsschildes) oder eines Unrechtserfolges (TBElemente entsprechender Haftungsansprüche bei ihrer Rechtswidrigkeit)
- > Verwaltungsrealakte müssen daher den für sie bestehenden Rechtmäßigkeitsanforderungen genügen (ggf. Zuständigkeitsanforderungen; ErmächtigungsGL und GR)
- Die Rechtswidrigkeit hat keinen Einfluss auf den Bestand des Verwaltungsrealakts als Rechtsnorm (denn der Rechtsnormcharakter fehlt ja ohnehin!), kann aber Haftungsfolgen auslösen
Selbstbindung der Verwaltung nach Art. 3 I GG - Voraussetzung
(1) Vorliegen einer Ungleichbehandlung
- VV als „Indiz“ für Verwaltungspraxis – man nimmt an, dass die Amtsträger/innen nach VV entscheiden
- beim ersten Fall: „antizipierte Verwaltungspraxis“?
(2) keine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
- sachlicher Grund für eine Änderung der Verwaltungspraxis?
(3) Gesetzmäßigkeit der Praxis
- „keine Gleichheit im Unrecht“, „kein Anspruch auf Fehlerwiederholung“
P: Unterliegt die sonstige Leistungsverwaltung (sofern noch nicht gesetzlich geregelt) dem Gesetzesvorbehalt?
- eA (hM): nicht erforderlich; jede andere parlamentarische Willensäußerung, insbes. die etatmäßige Bereitstellung von Mitteln, ist ausreichend
pro: Parlament trifft mit Haushaltsplan implizit auch Entscheidung über Ausgabenposten
pro: auch an Art. 3 I gebunden
pro: e contrario / systematisch: Gesetzesvorbehalt ist in der Leistungsverwaltung explizit normiert (bspw. § 31 SGB-I) - > Diff.: Vorbehalt der parl. Äußerung umfasst nur das ob, nicht das wie der Subventionsvergabe (durch Verwaltungsvorschriften regelbar)
- aA: Gesetzesvorbehalt auch hierfür
pro: Haushaltsposten nur abstrakt umschrieben - bei erforderlicher Konkretisierung durch Exekutive fehlt rechtsstaatliche Rückbindung an parlamentarischen Detailwillen
pro: Vorenthaltung von staatlicher Leistung kann mitunter gravierender sein als Eingriff
pro: Leistungskomponente der GR, sodass der grundrechtliche GVB auch die Leistungsverwaltung umfasst
P: Sind VG befugt bzw. in welchem Umfang sind VG befugt, aufgrund von unbestimmten Rechtsbegriffen ergangene Entscheidungen zu überprüfen?
- eA: Lehre vom Beurteilungsspielraum: nur beschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit - Varianten:
- > Beurteilungsspielraum: VG haben in diesem Bereich liegende Entscheidung hinzunehmen, können aber überprüfen, ob die Grenzen des von den Behörden gesteckten Bereichs eingehalten sind
- > Vertretbarkeitslehre: wenn mehrere Lösungen vertretbar sind, dann ist die von der Behörde gewählte hinzunehmen
- > Einschätzungsprärogative
pro: wenn mehrere Wertungen aufgrund von offenem Rechtsbegriff möglich, dann gebe es normlogisch keine richtige Lösung
pro: Verwaltung hat größere Sachkunde
pro: als Staatsgewalt soll Verwaltung auch eigener Verantwortungsbereich zustehen - > normative Ermächtigungslehre (hM): Beurteilungsspielraum ist vom Gesetzgeber jeweils festzulegen und muss sich aus der Norm selbst ergeben
con: findet sich selten explizit im Gesetzestext
con: Art 19 IV (Garantie der ordentlichen Gerichtsbarkeit) steht nicht unter Gesetzesvorbehalt (würde jedoch umgangen, wenn Gesetzgeber bestimmtes Verwaltungshandeln durch Festlegung eines ungebundenen Beurteilungsspielraumes von gerichtlicher Kontrolle entbinden würde) - aA: Ermessensspielraum vergleichbar, somit keine Überprüfbarkeit
- wA: vollständige gerichtliche Überprüfbarkeit
con: ignoriert Funktionsgrenzen der Rspr. - BVerfG (ähnlich auch BVerwG): VG sind grds. verpflichtet, die Entscheidung der Verwaltung in sachlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, auch soweit es um die Anwendung und Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe geht
Ermessensfehler
- Ermessensüberschreitung: Behörde wählt Rechtsfolge, die das Gesetz nicht einräumt
- Ermessensnichtgebrauch: trotz eingeräumten Ermessens macht die Behörde keinen Gebrauch davon (stellt keine Erwägung an; nimmt an, an Rechtsfolge gebunden zu sein)
- Ermessensfehlgebrauch:
a) Abwägungsdefizit: Behörde berücksichtigt nicht alles, was nach Lage der Dinge berücksichtigungsbedürftig ist
b) Ermessensmissbrauch: Behörde verfolgt sachfremde Motive oder Zwecke
c) Abwägungsdisproportionalität: fehlerhafte Gewichtung eines für die Entscheidungsfindung relevanten Gesichtspunkts
(Ermessensreduzierung auf Null: Behörde hat nur eine Option, wie sie sich rechtmäßig verhalten kann)
P: Muss ein Beamter eine gesetzeswidrige VV befolgen?
einerseits: Weisungsgebundenheit des Beamten
• § 35 BeamtStG, § 62 BBG
andererseits: volle persönliche Verantwortung des Beamten für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns
• § 36 BeamtStG, § 63 BBG
-> Lösung durch Prozeduralisierung: „Remonstration“ (Gegenvorstellung)
- Vorgesetzte müssen befasst werden: „Gegenvorstellung“
- Regel: falls VV aufrechterhalten wird, Fortbestehen der Befolgungspflicht, aber Entlastung des Beamten
- (Rück-)Ausnahme: in Fällen krasser RW (Menschenwürdewidrigkeit, evidente Strafbarkeit o. Ordnungswidrigkeit) Verbot, die Weisung zu befolgen
- Modifikation im Soldatenrecht, vgl. § 11 I und II SG
Unbestimmter Rechtsbegriff
= TBM, das weder der Sache nach noch durch Gesetze oder Rechtssprechung hierzu bestimmt ist und das der Behörde mehrere Handlungsmöglichkeiten eröffnet
Unbestimmter Rechtsbegriff: Gerichtliche Überprüfung
- Grundsatz: Unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum (für Behörde) -> vollumfängliche Prüfung
pro: Art. 19 IV GG - Ausnahmen: wenn sich aus dem Gesetz ergibt, dass der Behörde ein abschließender Beurteilungsspielraum zusteht, der von den Gerichten nur ins stark eingeschränkter Weise überprüft werden soll
-> Prüfungsentscheidungen
-> Beamtenrechtliche Beurteilungen
-> Gremienentscheidungen
-> Prognose- und Risikobewertungen (va Umweltrecht)
=> dann nur Willkürkontrolle (unzutreffender SV; SVfremde Erwägungen; Missachtung anerkannter Bewertungsgrundsätze)
P: Hausverbot: Abgrenzung ZivilR vs. ÖffR
- eA (BGH früher): Besuchszweck (Motiv des Klägers entscheidend: öffentliches oder privatrechtliches Verhältnis, um dessentwillen Kläger in dem Behördengebäude ist)
- aA (BVerwG, hM): Verbotszweck
pro: eA geht ins Leere, wenn Motivforschung betrieben werden müsste, die ergebnislos verläuft
pro: Telos -> Betätigung des Hausrechts dient der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gebäudes in Verwaltungsgebrauch -> Annexkompetenz zur Sicherstellung der Sachaufgabenerledigung
(Hintergrund: Recht der öffentliche Sachen: Gemeingebrauch vs Verwaltungsgebrauch)
=> im Zweifel somit öffentliches Recht
(bei Bundestag: Hausrechtsnormen sind Art. 40 GG, § 7 GOBT) - VG Berlin: wenn Verwaltung tatsächlich durch VA gehandelt hat, kommt nur Qualifizierung als öffentliches Recht in Betracht (Wahl der öffentlich-rechtlichen Handlungsform)