3/6 (Art. 4; Art. 6,7; Art. 2 I; Drittwirkung; GRS bei (EU-)Ausländern) Flashcards
Art. 4: P: Persönlicher Schutzbereich
- Korporativ/kollektiv:
- > einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung als solcher zukommende Freiheit (s. Art 19 III) – Art 137 II 2 WRV iVm 140
- > GRberechtigt sind grds. Kirchen, Rel.gemeinschaften, Kirchl. Jugendvereine, konfessionelle Krankenhäuser; Erziehungseinrichtungen
- > Art. 137 V WRV: Körperschaftsstatus soll Religionsgemeinschaften privilegieren und nicht ihrer Grundrechte entziehen -> existieren nicht als staatliche Einrichtung (sondern zur Wahrnehmung eigener, originärer Aufgaben)
- > Berechtigung zu Art. 4 I, II GG: tw. direkt grundrechtsberechtigt, tw. über Art. 19 III GG (str., aber irrelevant iE)
- Minderjährige:
- > ggü Staat: voll grundrechtsmündig
- > ggü Eltern: Eltern nicht grundrechtsverpflichtet, aber Staat hat Schutzmaßnahmen zu treffen, damit Entscheidungsfreiheit des Kindes ggü Eltern gewahrt wird (bspw. § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung)
- > im Prozess vor BVerfG: prozessfähig, sofern sie angesichts des jeweiligen Grundrechts reif und einsichtsfähig sind
Art. 4: P: Einheitlichkeit des sachlichen Schutzbereichs
- Lit: (-), abgegrenzte Schutzbereiche:
- > Glaubensfreiheit: Freiheit, sich einem religiösen oder weltanschaulichen Glauben anzuschließen (forum internum)
- > Bekenntnisfreiheit: Freiheit, diesen Glauben bzw. die Weltanschauung beispielsweise in Form religiöser oder weltanschaulicher Meinungsäußerung nach außen kund zu tun (forum externum)
- > Freiheit der Religionsausübung: Freiheit, ungestört religiöse Gebräuche und kultische Handlungen auszuüben
pro: Wortlaut
pro: gravierende Bedeutungsunterschiede
pro: zahlreiche Konflikte; schrankenlose Gewährleistung - BVerfG: (+) - umfassende religiöse Handlungsfreiheit
-> genügt, wenn der Glaube eine bestimmte Handlung als das beste und adäquate Mittel erscheinen lässt,
um die Lebenslage der Glaubenshaltung entsprechend zu bewältigen (maßgeblich ist das Selbstverständnis der jeweiligen religiösen Gemeinschaft)
pro: umfassender Schutz
Art. 4: Sachlicher Schutzbereich: Religionsfreiheit
= Freiheit, einen Glauben oder eine Weltanschauung (religiöse bzw. areligiöse Sinndeutung von Welt und Mensch) zu bilden, zu haben, zu äußern und entsprechend zu handeln
- geschützt ist forum internum sowie forum externum
- nicht nur kultische Handlungen, sondern auch diakonische und karitative Betätigungen, religiöse Erziehung (Art. 6 II iVm Art. 4 I, II GG), freireligiöse und atheistische Feiern, Sonntagsruhe (Art. 139 WRV), sowie „das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“
- con: Gefahr eines konturenlosen SB
- > es muss sich bei der „Religion“ „auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln“
- Handeln muss für den religiösen oder weltanschaulichen Auftrag notwendig sein und in entsprechendem organisatorischem und sachlichem Zusammenhang damit stehen (eigentlich wirtschaftliches oder politisches Handeln kann nicht durch religiöse Ummantelung zu religiösem Handeln werden) (Verhalten muss „plausibel“ glaubensgeleitet sein)
- Schutz der Religion auch als Teil der personalen Identität – nicht geschützt es jedoch daher ein religiöses Handeln, zu dem sich der Gläubige zwar motiviert, aber nicht verpflichtet sieht, dass er also zumutbar sowohl tun als auch lassen kann
Art. 4: Sachlicher Schutzbereich: Negative Religionsfreiheit
- Umkehrschluss (BVerfG) aus der Gewährleistung der positiven Freiheit
- > bezieht sich auch auf die Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt; Art. 4 Abs. 1 GG überlässt es dem Einzelnen zu entscheiden, welche religiösen Symbole er anerkennt und verehrt und welche er ablehnt
- > kein umfassendes Schonungsrecht in freiheitlicher Gesellschaft, aber in staatlich kontrolliertem Bereich, dem er zwangsweise ausgesetzt ist (Kruzifix-Urteil)
pro: Art. 136 IV WRV (verboten, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen) - explizit benannte negative religiöse Freiheiten
- > Art. 7 Abs. 2 und 3 S. 3 GG
- > Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3, 4, Art. 141 WRV
Art. 4: Eingriffe
- BVerfG: weiter Eingriffsbegriff: auch wenn ein religiös bestimmtes Verhalten erschwert wird
- > jegliche Ge- und Verbote bzgl. des Denkens, Redens, Verhaltens im weltanschaulichen/religiösen Bereich
- -> in Denken: ab indoktrinierender Beeinflussung der Bildung und des Bestandes religiöser, weltanschaulicher und moralischer Überzeugungen
- -> bei Verhalten: ab staatlichen oder staatlich geförderten Warnungen von Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften (faktischer Eingriff)
- –> aber BVerfG: kein Eingriff bei nur sachlicher Information über Sekten (aber Beeinträchtigung)
- —> Eingriff bei verfälschenden, diskriminierenden, diffamierenden Darstellungen (str.)
- besonders bei Verpflichtung zu einem Handeln oder Unterlassen, welches gegen ein Gebot oder Verbot der Religion verstößt
- > Vermeidung: Schaffung von Alternativen (areligiöser Eid); Zumutbarkeit der Schaffung von eigenen Alternativen
- -> Kein Eingriff: Beim Bestehen zumutbarer Handlungsalternativen
- –> bei Verbot ggü Eltern, die ärztl. Behandlung von einem kranken Kind zu unterbrechen
- –> bei Pflicht, Postsendung von Sekten Vorgesetztem zu melden
- Gewisse Wechselwirkung: Berufung auf Religion setzt Offenbarung derselben voraus (Dialektik von negativer und positiver Religionsfreiheit)
Art. 4: P: Rechtfertigung des Eingriffs (Schrankenregelung)
- BVerfG: Art. 140 GG iVm Art. 136 I keine Schranke iSe eines Vorbehalts der allgemeinen Gesetze (“bürgerliche und staatsbürgerliche Rechte und Pflichten” würde alle Rechtspositionen im bürgerlichen und öffentlichen Recht bedeuten)
pro: Systematik: unter Titel XI. und damit “Übergangs- und Schlussbestimmungen”; eine weitreichende Schranke müsste aber im Grundrechtsteil stehen (zudem: Art. 136 ff WRV sind in der Hauptsache Staatskirchenrecht)
pro: Historie: Gesetzesvorbehalt des Art. 135 S. 3 WRV wurde gerade nicht übernommen
pro: Historie: Gesetzesvorbehalt des GG-Entwurfs als Art. 4 II S. 2 wieder gestrichen
pro: Telos: Bedeutung des Art. 4 “überlagert” WRV-Teil
=> kollidierendes Verfassungsrecht - hL: Art. 140 GG iVm Art. 136 I als Schranke
pro: Art. 136 ff WRV als gleichwertiges, vollgültiges Verfassungsrecht
pro: “Überlagerung” wäre faktische Außerkraftsetzung von Art. 136 I WRV
pro: Historie passt nicht, da diese von dem restriktiven Schutzbereich ausging, den jedoch das BVerfG erheblich ausgeweitet hat -> zahlreiche Konfliktlagen erfordern allgemeinen Gesetzesvorbehalt - > con: auch über kollidierendes Verfassungsrecht zu lösen
pro: EMRK: Art 9 II unter weitreichendem Gesetzesvorbehalt (Einhaltung von Mindestanforderungen des Zusammenlebens in der Gesellschaft) - > con: Vorbehalt muss vom BVerfG aufgrund seiner Interpretation des Günstigkeitsprinzips in Art 53 EMRK nicht berücksichtigt zu werden
Art. 4: Staatskirchenrecht, Art. 140 iVm Art. 136 ff. WRV
- keine strikte Trennung von Kirche und Staat, sondern Kirche und Staat in einem Kooperationsverhältnis („hinkende Trennung“)
- Gebot der Nichtidentifikation
- Gebot der Neutralität
- Umfassendes kirchliches Selbstbestimmungsrecht, Art. 137 III WRV
- Körperschaftsstatuserlangung, Art. 137 V S. 2 WRV
- > Gewähr der Dauer
- > Gewähr der Rechtstreue (ungeschrieben): insb. Art. 79 III GG darf nicht gefährdet sein (gilt jedoch nicht für Binnenorganisation der Glaubensgemeinschaft)
Art. 4 I, III: Gewissensfreiheit: Schutzbereich
- nur bei natürlichen Personen
- Gewissen = moralische Haltung, welche die personale Identität eines Menschen mitkonstituiert und ihm subjektiv bindend vorschreibt, in einer konkreten Situation bestimmte Handlungen als gut oder gerecht zu tun oder als böse oder ungerecht zu lassen
- > Spannungssituation zwischen Rechtstreue und Gewissenstreue wird durch hohe Anforderung an den Schutzbereich (Beeinträchtigung der “personalen Identität”) aufgelöst
- Gewissensentscheidung: jede ernste sittliche, dh an den Kategorien Gut und Böse, orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, sodass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte
- Reichweite: forum internum und externum (erst bei Garantie der Handlung nach der Gewissensentscheidung ist Gewissensfreiheit sinnvoll)
- Kriegsdienstverweigerung: jedenfalls nicht bei Ersatzdienst gem. Art 12a GG
Art. 4 I, III: Gewissensfreiheit: Eingriff und Rechtfertigung
- Eingriffe
- > jeder staatliche Zwang zum Handeln entgegen dem eigenen Gewissen
- > jedoch: Handelnder hat selbst dazu beizutragen, dass er nicht in Gewissenskonflikte gerät, indem er Situationen zumutbar ausweicht bzw. selbst Alternativen anbietet (Biologiestudentin)
- Rechtfertigung
- > Schranken: kollidierendes Verfassungsrecht
- > Schranken-Schranken: praktische Konkordanz
- -> beachte: wegen Nähe zur Menschenwürde strenge Prüfung (zugunsten der Gewissensfreiheit)
Grundrechtsbindung: Staat
- Art. 1 III GG
- > jede Form der öffentlichen Gewalt
- > auch mittelbare Staatsverwaltung
- > auch Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie Hoheitsgewalt ausüben
- > auch Beliehene
- > auch Gerichte (s. insb.: Zivilrichter)
- Unabhängig von rechtlicher Qualifikation der Handlungs- oder Organisationsform
- > keine Flucht ins Privatrecht (auch privatrechtliches Handeln in Form bloßer fiskalischer Hilfsgeschäfte)
- > auch juristische Personen des Privatrechts, wenn sie von öffentlichen Anteilseignern beherrscht wird (Fraport)
- bei Auslandssachverhalten
- > keine geographischen Grenzen (vgl. Wortlaut Art. 1 III GG)
- > aber (BVerfG): Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers bei Auslandsberührung größer sei als bei der Regelung von Rechtsbeziehungen mit inländischem Schwerpunkt
- Allgemein (BVerfG): “Art. 1 Abs. 3 GG liegt dabei eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden”
Grundrechtsbindung: Private: Drittwirkung
- mM (früher): unmittelbare Drittwirkung (BAG)
pro: Telos: gerade im Verhältnis Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann auch ein starkes Machtungleichgewicht herrschen
con: Wortlaut Art. 1 III GG
con: Institut der mittelbaren Drittwirkung
con: Systematik: e con Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, Art. 20 Abs. 4 GG und Art. 48 Abs. 1, 2 GG (explizite Anordnung der unmittelbaren Drittwirkung) - ganz hM/BVerfG: mittelbare Drittwirkung (Lüth)
- > primär sind GR Abwehrrechte gegen den Staat
- > aber GG als objektive Wertordnung: Grundentscheidung der Verfassung für alle Rechtsbereiche und damit auch für das Privatrecht
- -> vor allem durch Einfallstore der Generalklauseln, aber auch hinsichtlich der Anwendung und Auslegung einfachen Rechts zu beachten
- –> Zivilrichter muss bei seiner Entscheidung im Rahmen seiner Gesetzesanwendung die entgegenstehenden Grundrechtspositionen gegeneinander abwägen und zu einem schonenden Ausgleich bringen
- -> BVerfG: Zurücknahme der Kontrolldichte
- –> “wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet” (Lüth)
Grundrechtsbindung: Private: Begründung der mittelbaren Drittwirkung
- über Dimension der Schutzpflichten des Staates
- > Staat muss tatsächliche Wirksamkeit der Grundrechte auch innerhalb von Privatrechtsbeziehungen sichern und gewährleisten
- > sowohl hinsichtlich der zivilrechtlichen Gesetzgebung als auch der zivilrichterlichen Einzelentscheidung
- > Maßstab ist das Untermaßverbot angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (lediglich erforderlicher Mindesschutz)
- > Freiheitssphären der Privaten müssen in Ausgleich gebracht werden
Grundrechtsbindung: Private: Mittelbare Drittwirkung: Eingriffe durch das Zivilrecht
- Art. 1 III GG sagt nichts darüber aus, ob hinsichtlich des Zivilrechts lediglich eine Bindung in Form der Schutzpflicht oder auch in Form der Eingriffsabwehr besteht
- hM: differenziert zwischen Zivilrichter und Zivilgesetzgeber:
1) Zivilrichter - hM: kein Eingriff
con: materiell kann auch ein zivilrichterliches Urteil die Freiheitsrechte einer Partei einschränken
pro: Richter entscheidet anhand der bereits vor seiner Anrufung geltenden Rechtssätze, die ohnehin bereits zwischen den Parteien gelten
pro: obwohl die Grundrechtspositionen der Parteien formal gleich sind, wäre eine Abweisung (kein Eingriff) der Klage einfacher zu begründen als eine Verurteilung (Eingriff), sodass sich ein unterschiedliches Schutzniveau ergäbe
2) Zivilgesetzgeber - hM: Eingriff
pro: Gesetzgeber hat Gestaltungsspielraum, ob er zur Regelung eine zivilrechtliche oder eine öffentlichrechtliche Norm erlässt - Wahl für zivilrechtliche Vorschrift soll ihn nicht von GR-Bindung entlasten
con: Ungleichmäßigkeit auch hier (wenn der Staat nicht handelt, dann muss er sein Nichthandeln nur anhand des reduzierten Prüfungsmaßstabes messen lassen; wenn er handelt, wäre als Eingriff eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen -> Ungleichbehandlung der unterschiedlichen Interessen der Privaten)
con: öffentliches Recht dient gerade dem Interessensausgleich zwischen Staatsgewalt und Privaten; Zivilrecht hat zwischen Gleichberechtigten zu regeln
Prüfung: Grundrechtsbindung von Privaten durch mittelbare Drittwirkung
1) Bei Privatrechtsnorm
a. Erörterung des Status der Norm als Eingriff (hM)
b. Normale Prüfung der Verfassungsmäßigkeit
2) Bei zivilgerichtlicher Entscheidung
a. Beschwerdebefugnis: Hinweis der Geltung der GR auch in Privatrechtsverhältnissen (mittelbare Drittwirkung)
b. Eingriff:
aa. Klageabweisendes Urteil: kein Eingriff, allenfalls Schutzpflichtverletzung
bb. Verurteilung
- > eA: kein Eingriff (allenfalls Schutzpflichtverletzung -> praktische Konkordanz) (Epping)
- > aA: Eingriff: normale Verhältnismäßigkeitsprüfung (prüfungstaktisch wohl vorzugswürdig)
Art. 6 I: Schutz von Ehe und Familie: Sachlicher Schutzbereich (Begriffe)
- Ehe = das freiwillige und auf unbestimmte Dauer angelegte Zusammenleben zweier Personen unter Mitwirkung des Staates
- > Verschiedengeschlechtlichkeit nötig?
- -> eA: (+)
pro: Ehe als auf Fortpflanzung ausgerichtet - -> aA: (-)
pro: Verfassungswandel
pro: Aufgabe desEheschutzes ist es, die Menschen zu stärken, die auf rechtlicher Grundlage füreinander Verantwortung übernehmen wollen - Familie = tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft aus heranwachsenden Kindern und ihren Eltern
- > auch: enge familiäre Bindungen zwischen Erwachsenen
- > keine Blutsverwandtschaft erforderlich
- > auch Alleinerziehende mit Kind, Pflegefamilien etc