1/6 (Arten, Dimensionen, Funktionen; Art. 8; VB (insb. GR-Berechtigung); Einzelfallgesetz; Wesensgehalt) Flashcards
Funktionen der Grundrechte
Erlegen dem Staat eine Rechtfertigungspflicht auf
- Subjektiv-rechtliche Funktion
- objektiv-rechtliche Funktion
- Schutzfunktion
Funktionen der Grundrechte: Subjektiv-rechtliche Funktion der GR
a. Status negativus: Zustand der Freiheit vom Staat (staatlichen Eingriffen) wird gewährt, insbesondere wenn GR Abwehrrechte sind (zB Art 4 I : Glaubens- und Gewissensfreiheit, 10 I : Briefgeheimnis, 13 I : Unverletzlichkeit der Wohnung)
b. Status positivus: Zustand der Freiheit durch bzw. nicht ohne den Staat, insbesondere wenn Leistungs-, Anspruchs-, Schutz- oder Teilhaberechte (Art 19 IV: Justizgewährungsanspruch; Art 3 I: Gleichheitsgrundsatz)
c. Status activus: Zustand der Betätigung der Freiheit im und für den Staat, durch staatsbürgerliche Rechte ausgeformt (Art 33 I-III, Art 38 I 1)
Funktionen der Grundrechte: Objektiv-rechtliche Funktion der GR
- > Verstärkung des subjektiv-rechtlichen Schutzes
a. GR als negative Kompetenznormen (Staat darf nicht im grundrechtlich geschützten Bereich des Einzelnen handelnd)
b. GR als objektive Wertentscheidungen (BVerfG: Die ethischen Prinzipien, die im GG positiviert sind, sind als verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts maßgeblich) - GR haben nicht nur im verfassungsrechtlichen / öffR Bereich Relevanz, sondern prägen und durchdringen als Werte und Prinzipien alle anderen Rechtsbereiche (Privatrecht und Gesetzgeben des einfachen Rechts)
c. Einrichtungsgarantien: GR, die objektive Einrichtungen gewähren, die der Gesetzgeber nicht abschaffen darf
- > Institutsgarantien: privatrechtliche Rechtsinstitute (zB Art 6 I : Ehe, Art 14 I : Eigentum; Erbe)
- > Institutionelle Garantien: öffentlich-rechtliche Einrichtungen (Berufsbeamtentum)
Funktionen der Grundrechte: Schutzfunktion der GR
a. Gebot der grundrechtskonformen Auslegung (einfaches Gesetz darf nicht dazu führen, dass GR unverhältnismäßig eingeschränkt werden)
b. Schutz durch Teilhabe (Art. 3 GG) bei existierenden Einrichtungen und Leistungssystemen (Zugang zu Studienplätzen) -> darf nicht willkürlich geregelt werden
c. Schutz vor Gefahren (ins. Art 2 II 1), zB Schutz des ungeborenen Lebens vor Schwangerschaftsabbrüchen
-> Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers: Verletzung nur, wenn
α. Schutzvorkehrungen nicht getroffen wurden oder
β. Schutzvorkehrungen zur Erreichung des Ziels gänzlich ungeeignet oder unzureichend sind
Art. 8: Persönlicher Schutzbereich
- alle Deutschen (eA: alle EU-Bürger)
- Ausländer und Staatenlose: nach hM Art 2 I (str., s. § 1 I VersG)
- JurP allenfalls als Veranstalter (Art 19 III), nicht: Recht auf Teilnahme
- Nicht: Versammlung selbst (keine JurP iSv Art 19 III)
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich
- Versammlung: eine örtliche Zusammenkunft von mind. zwei (hL) Personen
- > innere Verbindung, die sich in einer gemeinsamen Zweckverbindung manifestiert
- > vs. bloße Ansammlung: Verfolgung des gleichen Zwecks, aber dieser ist kein gemeinsamer
- Körperliche Teilnahme erforderlich
- Friedlich
- Ohne Waffen
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich: P: Anforderung an gemeinsamen Zweck
- eA: keinerlei zusätzliche Anforderungen
pro: Versammlungsfreiheit soll die drohende Isolierung des Einzelnen verhindern und die Entfaltung in Gruppenform gewährleisten - aA: gemeinsame Meinungsäußerung und -bildung
con: gemeinsame Meinungsäußerung und -bildung geschützt durch Art 8 iVm Art 5
con: Art 11 EMRK: weiter Versammlungsbegriff, keine politische Inhaltsrichtung nötig
pro: historisch ist Art. 8 ein politisches KommunikationsGR - wA (BVerfG): gemeinsame Meinungsäußerung und -bildung bezüglich öffentlicher Angelegenheit erforderlich
pro: Komplementärfunktion zur Meinungsfreiheit (Kommunikationsgrundrechte)
pro: historische Bedeutung der Versammlungsfreiheit
pro: gesteigerter Schutz ggü Art. 2 I wird durch politische Bedeutung gerechtfertigt; “Spaßveranstaltungen” (Love-Parade) auch über Art. 2 I geschützt
con: weder Wortlaut noch Systematik: Art. 8 differenziert nicht zwischen öffentlicher und privater Meinung - > BVerfG: Brokdorf-Formel: garantiert ist Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich: Friedlichkeit der Versammlung
- eA: jedenfalls bei Rechtsverletzungen
- > con: zieht schon Gesetzesvorbehalt aus Art 8 II in den SB hinein
- aA: jedenfalls bei jedem Verstoß gegen das Strafrecht
- > con: auch hier ist der Gesetzesvorbehalt in den SB hineininterpretiert
- > con. Einfachrechtlicher Gesetzgeber würde verfassungsrechtlich gesetzten SB mitdefinieren
- wA (BVerfG): in Anlehnung an § 5 Nr. 3, 13 I Nr. 2 VersG: „wenn die Versammlung keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder ein solcher vom Veranstalter nicht angestrebt wird”
- > Gewalttätig: aktive körperliche Einwirkung des Täters auf Personen oder Sachen (aggressiv und von einiger Erheblichkeit)
- > Aufrührerisch: Umsturz als das Ziel der Versammlung, zum anderen auf das Mittel des aktiven gewaltsamen Widerstands gegen rechtmäßig handelnde Vollstreckungsbeamte
- Unfriedliches Verhalten Einzelner: erkennbar nicht von der Gesamtgruppe getragen, sondern nur durch Einzelne: Merkmal der Friedlichkeit besteht unbeschadet (BVerfG: “Kollektive Unfriedlichkeit” maßgeblich)
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich: ohne Waffen
- Waffen iSd § 1 WaffG als reine Merkhilfe, da einfaches Recht nicht den Schutzbereich bestimmen kann
- > Gegenstände, die objektiv gefährlich sind und zum Zweck der Gewaltanwendung mitgeführt werden
- (-) bei reinen Schutzgegenständen
Art. 8: Sachlicher Schutzbereich für qualifizierten Gesetzesvorbehalt: unter freiem Himmel
- eA: Wortlaut: architektonische Unterscheidung
- aA (ganz hM; BVerfG): soziale Unterscheidung
pro: Telos: besonderes Gefährdungspotenzial von Orten, der dem allgemeinen Publikumsverkehr zugänglich ist - > soweit sich Flächen in der Hand privater Eigentümer liegen, geht damit eine Beschränkung ihrer GR einher, die aber zur Verwirklichung der Versammlungsfreiheit grds. gerechtfertigt ist
- > jedoch nicht gleichzusetzen mit versammlungsrechtlich: öffentlich vs. nicht-öffentlich (bemessen nach der für jedermann oder nicht jedermann bestehenden Zugänglichkeit)
Art. 8: P: Grundrechtsbindung
- Private Anbieter, aber an öffentlichen Orten (Bahnhöfe, Flughäfen) -> Staat hinter privater Rechtsform: Staat bleibt gebunden (s. Fraport)
- auch in privat betriebenen öffentlichen Räumen (bspw. in einem Einkaufszentrum) ?
- > nicht ohne Weiteres, jedoch: Erstreckung der Garantie auf solche privaten Flächen, wenn sie die Funktion eines öffentlichen Raums übernehmen (Zugänglichkeit für allgemeinen Publikumsverkehr)
con: gewisse Bindung Privater an GR
Art. 8: Eingriffe
- Ge- und Verbote sowie Pflichten aller Art (Anmeldepflicht)
- Auch auf faktische Maßnahmen, die Abschreckungseffekt haben und in ihrer Intensität imperativen Maßnahmen gleichstehen (bspw. Boykottaufrufe als Pressemitteilung)
- Auf Abschreckungseffekt auch bei staatlichen Überwachungsmaßnahmen abzustellen
- Eingriff auch bei „exzessiven Observationen und Registrierungen“ (BVerfG) (aus Angst werde lieber auf GR-Ausübung verzichtet)
Art. 8: Rechtfertigung für Eingriffe bezüglich Versammlungen in geschlossenen Räumen
- Umkehrschluss: Versammlungen in geschlossenen Räumen sind vorbehaltlos geschützt
- Rechtfertigung nur durch kollidierendes VerfassungsR
Art. 8: Rechtfertigung hinsichtlich Eingriffen in Versammlungen unter freiem Himmel
- Art. 8 II nur für versammlungsspezifische Eingriffe (Vorgehen gegen Versammlungen muss meinungsneutral sein)
- Art. 8 II: qualifizierter Gesetzesvorbehalt (Anknüpfung an „unter freiem Himmel“)
Art. 8: P: Anmelde- und Erlaubnispflicht (s. auch § 14 VersG)
- Ausschluss von Anmeldung und Erlaubnis in Art 8 I als Schranken-Schranke
- Obliegenheit hierzu kann jedoch statuiert werden
- > bei Nichterfüllung der Obliegenheit gibt es nicht die automatische Sanktion der Auflösung; die Versammlung riskiert lediglich, dass anders vermeidbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Polizei situativ zur Auflösung zwingen
- Verfassungskonformität von § 14?
- > pro: verfassungskonforme Auslegung (Epping: methodisch eher eine teleologische Reduktion) möglich für Spontan- und Eilversammlungen
- -> Spontanversammlungen (Versammlungen, die ohne Vorausplanung „spontan“ stattfinden): § 14 findet keine Anwendung
- -> Eilversammlungen (Versammlungen, die so kurzfristig stattfinden, dass die Anmeldefrist von 48 Stunden nicht eingehalten werden kann): Anmeldung nicht entbehrlich, Frist von 48h muss aber nicht gewahrt werden
Art. 8: P: Verfassungsmäßigkeit von § 7 I VersG (Bestellung eines Leiters)
- Bei größeren Versammlungen (+) (faktische Organisationsmöglichkeit; dient der Verwirklichung der Versammlungsfreiheit selbst)
- Bei kleineren Versammlungen (-) (ausnahmslose Pflicht zur Bestellung eines Leiters daher verfwidrig)
Art. 8: Rechtfertigung des Eingriff (Versammlungsverbot) wegen extremistischer Ziele/Inhalte
- eA: Wehrhafte Demokratie gebietet Eingriff
pro: GG als Gegenentwurf zur NS-Herrschaft
con: zulässig, solange extremistische Betätigung im Rahmen des geltenden Rechts - aA (BVerfG): kein inhaltsbezogenes Versammlungsverbot
pro: GG enthält Auftrag zur Abwehr mit den Mitteln des Rechtsstaats: insb. durch besondere Schutznormen des StGB und Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 sowie auch in Art. 26 Abs. 1 besondere Schutzvorkehrungen - > keine weitergehenden als positiv normierten Schranken