Unterlassung der Nothilfe (Art. 128) Flashcards
Welche drei Konstellationen (Tatbestände) sind denkbar?
3P
- Nichthelfen nach Verletzung
(Pflicht trifft nur den Verursacher der Verletzung) (Abs. 1 Var. 1) - Nichthelfen bei unmittelbarer Lebensgefahr
(allgemeine Nothilfe; Pflicht trifft alle Personen) (Abs. 1 Var. 2) - Ver- oder Behinderung der Hilfeleistung Dritter (jemanden anderen von der
Hilfeleistung abhalten) (Abs. 2)
Welche besonderen Voraussetzungen werden allgemein bei Tatbestandsvariante 1 (durch Verursacher der Verletzung) vorausgesetzt?
(2P)
- Ausmass: mind. einfache Körperverletzung i.S.v. Art. 123
- Verletzungshandlung braucht nicht rechtswidrig oder schuldhaft zu sein; blosse
Verursachung der Verletzung reicht aus.
Was ist das Tatbestandsmässige Verhalten?
TB-Variante 1
Nichthelfen, obwohl Opfer hilfsbedürftig ist
Welche gebotene Hilfeleistung sieht der Gesetzgeber vor?
Erste Hilfe, Benachrichtigung eines Rettungsdienstes, Sicherung einer
Unfallstelle, …
Wen trifft die allgemeine Nothilfepflicht gemäss Tatbestandsvariante 2?
(2P)
> allgemeine Nothilfepflicht: Pflicht trifft “alle”
- alle Personen, die in der konkreten Situation zu sinnvoller Hilfe in der Lage sind
- …wenn mehrere Personen hilfeleistungspflichtig sind?
Welche Anforderungen werden an die unmittelbare Lebensgefahr gestellt?
- muss nicht mit Verletzung verbunden sein
- Ursache der Lebensgefahr unerheblich; kann durch Opfer selbst verschuldet sein
Welche Tathandlung wird vorausgesetzt? (TB-Variante 2)
Nichthelfen (Wie Variante 1)
Welche Interessenabwägung muss bei Tatbestandsvariante 1 und 2 vorgenommen werden?
(2 + 1P)
- einerseits: Bedürfnisse der hilfsbedürftigen Person, inkl. Ausmass der Verletzung
- andererseits: Ausmass der Gefährdung der hilfeverpflichteten Person unter
Berücksichtigung ihrer persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten
> Beziehung des Hilfsfähigen zum Geschehen: grössere Anforderungen an den
Verursacher der Verletzung als an einen unbeteiligten Dritten
Welche Nachteile für den “Retter” werden allgemein als Zumutbar angesehen?
> allgemein zumutbar bei Rettung einer ernsthaft verletzten Person: verschmutzte
Kleider oder Autopolster; körperliche Anstrengung; Vermögensnachteile (etwa wegen
verpassten Terminen); …
- Herbeirufen eines professionellen Rettungsdienstes ist in der Regel immer
zumutbar
Welche fünf Unterschiede bestehen auf der objektiven Tatseite bei der Ver- oder Behinderung von Hilfe?
> kein Unterlassungsdelikt; Handlungsdelikt
> nur bezogen auf Nothilfe im Sinne von Abs. 1
> Täter: jede Person; auch Personen, die nicht gemäss Abs. 1 zur Hilfe verpflichtet
wären
> Tathandlung: jede Handlung, welche die gebotene Hilfe verunmöglicht oder
erschwert (z.B. Zurückhalten von Hilfsbereiten; Blockieren der Zufahrt; verbale
Aufforderungen, etc.)
> “andere”: Hilfspflichtige nach Abs. 1 oder “professionelle Retter”
Welche Anforderungen werden an den Vorsatz gestellt?
> Vorsatz; Eventualvorsatz reicht aus
- bei 1. TB-Variante muss der Täter mind. mit der Möglichkeit rechnen, dass er
jemanden verletzt hat und der Betroffene seiner Hilfe bedarf (Wissen), sowie sich
dennoch entschliessen, diese Hilfe nicht zu erbringen (Willen) - bei 2. TB-Variante muss der Täter insbesondere die Lebensgefahr erkennen
(Wissen um die unmittelbare Lebensgefahr) (BGE 121 IV 18)
Welche Konkurrenzen bestehen?
6P
> Verhältnis zu den vorsätzlichen Tötungsdelikten: unechte Konkurrenz
> Verhältnis zu den vorsätzlichen Körperverletzungsdelikten: echte Realkonkurrenz
(BGer), zumindest wenn Hilfsbedürftigkeit das Ausmass übersteigt, das mit
Verletzungsvorsatz angestrebt wurde (h.L.)
> Verhältnis zur fahrlässigen Tötung und zur fahrlässigen Körperverletzung: echte
Realkonkurrenz
> Verhältnis zur Aussetzung: Art. 127 als lex specialis (d.h. unechte Konkurrenz)
- unechte Idealkonkurrenz; Bestrafung gemäss Art. 92 Abs. 2 SVG als lex specialis
- falls Unfallverursacher am Unfallort verbleibt, ohne zu helfen: Bestrafung gemäss
Art. 128 (Art. 92 SVG gar nicht erfüllt)