Sitzung 12 Flashcards
Normen VS Gesetze in den internationalen Beziehungen
• Normen sind Standards für angemessenes Verhalten → Verhaltensstandards, die sich in Rechten und Pflichten ausdrücken
• Normen wirken über zwei Mechanismen: Validität und Ächtung/Brandmarken
Validität: normative Richtigkeit einer Norm, Überzeugung
Ächtung: Soziale Sanktionen stützen die Norm
• Abgrenzung zu Gesetzen: Gesetze sind rechtlich verbindliche Normen, die präziser als Normen Verhalten und Strafen spezifizieren, entscheidend ist ihre Durchsetzung durch eine anerkannte Autorität
Was ist Völkerrecht?
Völkerrecht ist ein Sammelbegriff für alle Rechtsnormen, die das Verhältnis der Staaten untereinander und die Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten und den internationalen Organisationen regeln. Im Gegensatz zum Recht kann das Völkerrecht nicht von einer zentralen Gewalt durchgesetzt werden, sondern ist von der Anerkennung der jeweiligen Staaten abhängig. Völkerrecht entsteht durch Verträge (Abkommen, Konventionen, Pakte etc.), die sich mit der Anerkennung fremder Staatsgebiete, Beschränkung kriegerischer Handlungen, dem diplomatischen Austausch und Verkehr, der Schlichtung von Streitigkeiten, Fragen des internationalen Handels etc. beschäftigen
Urprünge des Völkerrechts
• ursprünglich kein Recht der Völker, sondern ein Staatenverkehrsrecht. Als solches hat es Staaten zur Voraussetzung, die miteinander in Verkehr treten und sich wechselseitig als Rechtssubjekte anerkennen.
• Rechtsordnung, die Beziehungen zwischen Völkerrechtssubjekten regelt. Die Beteiligten müssen Rechtssubjekte sein, die keiner übergeordneten Herrschaftsgewalt unterworfen sind; sie müssen kontinuierliche Beziehungen pflegen, denn erst daraus ergibt sich ein Regulierungsbedarf, und sie müssen anerkennen, dass ihre Absprachen und Verabredungen nicht einseitig verändert werden
dürfen
Subjekte des Völkerrechts
• Völkerrechtssubjekte sind aber nicht die Völker, sondern zunächst und vor allem die Staaten
→ Völkerrecht ist im Wesentlichen ein Staatenverkehrsrecht
• Begriff „Völkerrecht“ ist eigentlich falsch; den Sachverhalt besser treffen Bezeichnungen wie internationales Recht oder internationales öffentliches Recht.
Quellen des Völkerrechts
4 Hauptquellen:
- Verträge
- Gewohnheit (Brauch/Tradition): “If states behave toward each other in a certain way for long enough, their behavior may become generally accepted practice with the status of law” (Goldstein & Pevehouse)
- allgemeine Rechtsprinzipien (erga omnes- Verpflichtungen, absolutes Recht)
- Rechtsauslegung (z.B. Rechtsversprechung)
Phasen des Völkerrechts
- 1648 – 1919: Phase des klassischen Völkerrechts →nur “zivilisierte” Staaten wurden als Subjekte des Völkerrechts anerkannt, Ausgrenzung von Kolonien etc.
- ab 1919: modernes Völkerrecht (1919: Völkerbundvertrag) →alle Staaten als Subjekte des Völkerrechts anerkannt
- 1999: Kosovokrieg → „Weiterentwicklung“ des modernen Völkerrechts?
- Gründung des klassischen Völkerrechts?
- Tendenzen?
- Gründungsdatum des „klassischen“ Völkerrechts: Westfälischer Friede (1648)
- Westfälischer Frieden: begründet das System souveräner Königs- und Fürstenstaaten; stellt das Völkerrecht auf eine neue Grundlage: wird von nun an als ein kodifizierter Satz von Konventionen und Vereinbarungen zwischen den Staaten begriffen.
- Erhöhung der Völkerrechtssubjekte
- Verbesserung der Rechtsstellung des Einzelmenschen bzw. einzelner Menschengruppen: Selbstbestimmungsrecht, Schutz der Menschenrechte, Verbot der Rassendiskriminierung, Gebot der Gleichbehandlung der Geschlechter
- Vergrößerung des Umfangs der Regelungsgegenstände: neue Teilgebiete, z.B. Umweltschutzrecht
- Intensivierung der Regelungstiefe des Völkerrechts hin zur Universalisierung
Zentrale Prinzipien des Völkerrechts? (3)
- tragende Säule des klassischen Völkerrechts: Souveränität
- Westfälischer Friede: das erste völkerrechtliche Dokument, in dem Souveränität ausdrücklich bestätigt wird
- Souveränität war immer „relational“, d.h. mit der wechselseitigen Anerkennung der Souveränität verbunden. Die Souveränität war zunächst eine Eigenschaft der unabhängigen Fürsten, der „Souveräne“. Bestandteil dieser Souveränität war das Recht auf Kriegführung
Französische Revolution:
• Souveränitätsverständnis (als Souveränität nach außen) blieb bestehen. Im Innern tritt an die Stelle der Fürstensouveränität jedoch die Volkssouveränität.
• Nach außen (völkerrechtlich): der republikanische Staat übernimmt des gesamte Erbe der Monarchien.
• Die Souveränität und damit das Recht zum Kriege blieben als „tragender Pfeiler des klassischen Völkerrechts“ unberührt.
Weitere zentrale Prinzipien (3)
- Prinzip der Staatengleichheit: von Beginn an ist das Völkerrecht ein Recht unter Gleichen, d.h. die Völkerrechtsubjektivität der Staaten kennt keine Rangordnung
• Prinzip der Gegenseitigkeit: typisch für die ganze Völkerrechtsordnung: eine weitere wichtige Norm: sie ist eine der Voraussetzungen dafür, dass das Völkerrecht auch oh-ne Sanktions- und Vollzugsapparat überhaupt befolgt wird.
• Interventionsverbot: umfasst auch nicht-militärische Gewalt, d.h. auch Eingriffe mit diplomatischen, propagandistischen oder innenpolitischen Mitteln → UNO- Satzung: verbietet ausdrücklich das „Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“ (Art. 2, Abs. 7)
Nichteinmischungsprinzip
- Nichteinmischungsgebot: in der völkerrechtlichen Debatte zunehmend in die Kritik geraten, da es anderen Völkerrechtsnormen, insbesondere im Bereich der Menschenrechte, entgegenstehen kann.
• Resolutionen zur Apartheid in Südafrika, zum Schutz der Kurden im Irak oder zur Intervention in Somalia: Staatengemeinschaft hat anerkannt, dass es u.U. höhere völkerrechtliche Güter gibt als die klassische Nichteinmischung.
→ Kosovo-Debatte (1999)
Völkerrecht “von unten”? (4)
- Besatzung gehört zum festen Inventar des Völkerrechts → Vierte Haager Konvention (1907): legte die Normen fest, unter denen bewaffnete Konflikte und darauf folgende Besatzungen eroberter Territorien erfolgen sollen.
• Besatzungen als solche – im Gegensatz zu Annexionen – sind demnach nicht illegal.
• Kritiker und Befürworter berufen sich auf das Völkerrecht
• Völkerrecht war alles andere als eine neutrale Berufungsinstanz für Völker unter Besatzung; vielmehr ist es Ausdruck eines expansiven, ursprünglichen europäischen Systems, das seit Jahrhunderten die Lizenz zu kolonialer Expansion und zu terroristischer Gewalt gegen diejenigen geliefert hat, die ihr widerstanden.
Klassisches Völkerrecht
Klassisches Kriegsvölkerrecht: verzichtete auf eine Bewertung des Krieges; ganz anders als die mittelalterliche Moraltheologie, die sich noch Gedanken über mögliche gerechte Kriegs-gründe gemacht hatte
Krieg und Frieden waren zwei gleichermaßen legitime Rechtszustände → Fast dreihundert Jahre lang hat das Völkerrecht nicht versucht, den Krieg zu ächten. Es gab den souveränen Staaten das Recht, zum Krieg zu schreiten, wann immer ihre Herrscher bzw. die sonst zur politischen Entscheidung Berufenen dies für richtig hielten.
→ im klassischen Völkerrecht: der Krieg war generell nicht verboten (Die Verteidigung ist auch im modernen Völkerrecht erlaubt)
Der “Gerechte Krieg”
- Ius ad bellum (das Recht zum Kriege)
1) Legitime Autorität
2) Existenz eines rechtfertigenden Grundes
3) Sittliche Intention
4) Krieg als letztes Mittel (ultima ratio)
5) Erfolgswahrscheinlichkeit des Krieges
6) Verhältnismäßigkeit - Ius in bello (das Recht im Kriege)
7) Verhältnismäßigkeit der angewandten militärischen Mittel
8) Immunitätsprinzip - Ius post bellum (Recht nach dem Kriege)
Kriegsverbot: 2 Etappen
- 1919: Völkerbundsatzung (Art. 1, Abs. 1): Die Entscheidung zum Krieg, die früher die Sache souveräner Staaten war, wurde zur Angelegenheit der organisierten Völkerrechtsgemeinschaft erklärt:
„Ausdrücklich wird hiermit festgestellt, dass jeder Krieg und jede Bedrohung mit Krieg, mag davon unmittelbar ein Bündnismitglied betroffen werden oder nicht, eine Angelegenheit des ganzen Bundes ist, und dass dieser die zum wirksamen Schutz des Völkerfriedens geeigneten Maßnahmen zu ergreifen hat.“
–> verbietet Krieg noch nicht generell als Mittel der Politik, sie verbietet nur bestimmte Kriege, und sie macht den Versuch der friedlichen Streitschlichtung verbindlich - August 1928: Briand- Kolleg-Pakt: wurde von 15 Staaten in Paris unterschrieben → das partielle wurde zum generellen Kriegsverbot ausgeweitet
Kriegsverbot und Selbstverteidigung
- generelle Kriegsverbot wird noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts
• Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung bleibt davon unberührt → kein Widerspruch zum allgemeinen Kriegsverbot
• völkerrechtliche Selbstverteidigung: entspricht der strafrechtlichen Notwehr
• Beteiligung an Sanktionskriegen der Weltorganisation: entspricht der strafrechtlichen Nothilfe.