Sitzung 11 Flashcards

1
Q
  • Welche Ziele werden im Irak und Afghanistan verfolgt? Magische Formel?
  • Was ist Versicherheitlichung / Sekurisierung?
  • Wie hat sich das Sicherheitsdenken nach dem 11. September 2001 verändert?
A
  • Irak und Afghanistan: magische Formel „aufräumen, sichern, aufbauen“ (clear, hold, build) zu Mantra von militärischen Aufstandbewegungen geworden. –> Not- und Entwicklungshilfe UND Aufstandsbekämpfung –> hohe Erwartungen an soziokulturelle Experten und soft skills (sanftes Wissen), die Kriegsbereiche überschreiten.
  • Sekurisierung / Versicherheitlichung = Zusammenhang von Militär, internationaler Ordnungspolitik, Entwicklungspolitik. Umfassendes Sicherheitsdenken, das durch die Unterordnung verschiedener politischer und gesellschaftlicher Handlungsfelder (mikro, makro, national, international, militärisch, sozial, wirtschaftlich, sozial, ökologisch, privat, öffentlich) unter ein sicherheitsbezogenes Bedrohungsszenarium und eine darauf bezogene Handlungslogik gekennzeichnet ist. Neuer Akteur hat die entwicklungspolitische Arena betreten – das Militär = ARENENWANDEL.
  • Gewaltsszenarien nach dem Kalten Krieg trugen zu zivilen wie militärischen Interventionsmodellen bei. Perspektive, dass bei entwicklungspolitischen Projekten oft etwas anderes als geplant herauskommt, fehlt: nach 11. September 2001 akzentuiertes Interventionsdenken –> Trend zur zivil-militärischer Verbindung von Politikfeldern.
    In der BRD, „vernetzte Sicherheit“. In den USA: COIN-Logik (counterinsurgency) und Zusammenarbeit zwischen Militär und SozKul-Forschung (Ethnologie, Politik, Religionswissenschaften, Soziologie, etc) –> ethnographischer Blick auf Strukturen und Details wird notwendig. (militarisierte Ethnographie)
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2
Q
  • Was ist Sicherheit?

- Was ist Versicherheitlichung?

A
  • Sicherheit in Internationalen Beziehungen eng mit Machtkonzept verbunden.
  • traditionelles militärisch-politisches Verständnis: Bei Sicherheit geht es um Überleben und darum, sich vor einer existentiellen Bedrohung zu schützen. Notmaßnahmen und Gewalt werden dadurch legitimiert.
  • Hauptziel von Streitkräften in fortgeschrittenen Demokratien ist nicht mehr nur Staatsverteidigung, sondern auch humanitäre Interventionen und peacekeeping
  • Existentielle Bedrohung = Für den Staat Bedrohung der Staatssouveränität. Für die EU Auflösung der Integration. Für internationale Regime Situationen, in denen Regeln, Normen und Institutionen bedroht sind. Für Unternehmen Insolvenz.
  • Versicherheitlichung: public issues können entweder nicht-politisiert (Staat ignoriert sie und Öffentlichkeit auch), politisiert (Teil der public policy und Staat muss Entscheidungen treffen) oder versicherheitlicht (existenzielle Bedrohung, die Notfallmaßnahmen und Handlungen legitimiert, die sonst nicht im Bereich des Politischen liegen)
    –> Ein Diskurs, bei dem ein Referenzobjekt als existenzielle Bedrohung dargestellt wird, ist ein “securitizing move” (versicherheitlichender Schachzug)
    3 Schritte bei Versicherheitlichung:
    • Existentielle Bedrohung
    • Notfallmaßnahmen
    • Auswirkung auf Einheiten, weil die Regeln gebrochen wurden.
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3
Q

Was sind Zufallsguerillas?

A

Zufallsguerrilla: im Irak und Afghanistan interagieren hochmotivierte kleine Netzwerke von Gewaltakteuren (Al-Qaida), die von Religion und Ideologie gesteuert sind, mit Massen von Zufallsguerillas, die nicht primär durch Religion und Ideologie motivert sind, sondern durch lokale Melangen von Rache, Ehre, Prestige, Gewinn, lokalem Patriotismus und Macht. Mithilfe von religiösem Fundamentalismus wird die Interaktion beider Gruppen in militanten Organisationsformen stabilisiert. à COIN soll beide voneinander trennen. Al-Qaida verwendet lokales Protespotential, das aus sozial instabilen Verhältnissen resultiert. Zufallsguerillas sind durch partikulare Wertvorstellungen und Interessen motiviert.

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4
Q

Was ist Entwicklungsgegnerschaft? (opposed development)

A

Entwicklungsgegnerschaft (opposed development): bei friedlichen Rahmenbedingungen ist Entwicklungspolitik praktikabel als Armutsbekämpfung. Wenn aber 60% der Entwicklungshilfe in Krisen- und Poskonfliktsituationen geht, muss sich der organisatorische Rahmen ändern. Entwicklungspolitik soll Teil des zivil-militärischen Kampfauftrages mit militanten Netzwerken und Zufallsguerillas werden. Dreiteilung des Entwicklungsumfelds:
• Im Normalfall: Entwicklungsziele und Maßnahmen können linear verfolgt werden. Es mag Störfaktoren, Projektgegner, Korruption geben, aber im Prinzip bleibt der Plan linear.
• Entwicklungsmaßnahmen finden unter Beschuss durch feindliche Kräfte statt. Planbarkeit erschwert, aber noch nicht opposed development.
• opposed development, wenn der Gegner zusätzlich zur Gewalt mit eigenen Programmen und institutionellen Lösungen in einzelnen Handlungsfeldern auftritt und über die Lieferung von Dienstleistungen ein Wettbewerb um die Gunst der Bevölkerung eintritt. (zB in Afghanistan, wo Taliban eigene Rechts- und Verwaltungsstrukturen besitzen, oder humanitäre Hilfe durch Hisbollah im Libanon)

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5
Q

Was sind die Konsequenzen von kurzfristigen humanitären Hilfen und Projekten zur Armutsbekämpfung?

A
  • Kurzfristige humanitäre Hilfe und lokale Kleinstprojekte durch das Militär führt zu kurzfristiger Stabilisierung, aber keine langfristigen Wirkungen. Sobald Geldfluss stoppt, stoppt die Stabilisierung. Regionale Disparitäten durch Entwicklungshilfen schaffen Neid, das Aufstandsbewegungen begünstigt. Korruption begünstigt durch Kurzfristigkeit von Projekten.
  • Projekte zur Armutsbekämpfung erreichen in den Regel nicht die avisierten Ziele, sondern münden in lokalen Veränderungen und Remodulierungen. Zentral: Geldfluss kann unerwartete Folgen haben à Folgen: (1) durch Korruption wurden Projekte umgeleitet und verändert. (2) Lokale Bevölkerung hatten überzogene Erwartungen an Veränderungen und Leistungssteigerungen. (3) Entwicklungspolitische Innovationspakete wurden weitergeleitet. –> Forschungsprojekte machen strategischen Gruppen deutlich, die lokal, regional und national an der Aushandlung von Entwicklung beteiligt waren. Kein Akteur (strategische Gruppen oder Individuen) verfüge über das Privileg außerhalb der ethnologischen Betrachtung zu stehen.–> langfristig entwickelt sich eine selbstreflexive Ethnologie der Entwicklung, die konflikthafte, interessenbeladene Interaktionsprozesse dokumentiert und analysiert, in die gegebenenfalls auch der oder die ForscherIn verwickelt sein kann.
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6
Q
  • Was ist das Human Terrain System?
  • Aus welchen 2 Komponenten besteht es?
  • Welche Ziele verfolgt HTS?
A
  • Human Terrain System (HTS): tödlicher Luftangriff bei Kunduz: bis zu 140 zivile Tote und Verletzte. Taliban hatten 2 Tanklaster entführt, und deutsche Bundeswehr Luftangriff gestartet. –> hätte durch soziokulturelles Wissen vermieden werden können: In Afghanistan hätte man wissen können, dass bei Ereignissen wie der Entführung von Tanklaster Zivilbevölkerung hinströmt.
  • HTS: US-Armee soll soziokulturelles Wissen über den menschlichen Faktor und die Einbettung von Aufstandsbewegungnen in soziokulturelle lokale Zusammenhängen geliefert werden. Wissen soll den Kommandanten von Einheiten als Entscheidungshilfe bereitgestellt werden.
    Zivil-militärisches Hybrid. Private Firmen heuern Wissenschaftler an, trainieren sie, vermieten sie dann an US-Armee.
  • Besteht aus 2 Komponenten:
    (1) HTT (Human Terrain Team), das einer Brigade zugeordnet ist im Einsatzgebiet à Einfluss von Kultur soll auf dem Kampfplatz untersucht werden, und Bedürfnislagen der lokalen Bevölkerung erkennen: Wasser, Strom, Jobs…
    (2) der „reachback“ Ebene, ein rückgelagerter Laborbereich in den USA. à Dort werden Daten dann ausgewertet und mit öffentlichen Daten verbunden, die in ein Mapping von lokalen Gesellschaften, Erkenntnis von Schlüsselnetzwerken, Modellbildung etc. fließen. à Dadurch Handwerkszeug des Voraussehens und kalkulierbare proaktive Handlungen in Entscheidungsprozesse einfließen. Außerdem Koordinierung des Wissens der halbjährlich wechselnden Kampfeinheiten.
    Erster Einsatz von HTS im Irak, um Aufstand sunnitischer Stämme und Schulterschluss mit Gruppen unter Al-Qaida vereiteln. Nun in Afghanistan.
  • Ziele:
    • HTS diene der Zivilisierung des Krieges
    • HTS kreiere kein Wissen, das zum Töten dient, sondern schaffe notwendiges und bisher nicht vorhandenes Wissen, das Zivilisten in einem gewalttätigen Umfeld schützt.
    • Schutz der Zivilisten (Vermeidung von Kollateralschäden) dient der öffentlichen Legitimation der HTS:
      -HTS gebe der sonst sprachlosen zivilen Bevölkerung die Möglichkeit, ihre Meinung und Beschwerden zu äußern.
    • Bevölkerung misstraue dem Staat und zivile Ordnungseinrichtungen (Polizei, Justiz). HTS könne Schlichtungsmechanismen einleiten.
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7
Q
  • Was ist individualisierte Tödlichkeit ? (individualized lethality)
  • Kritik an HTS
A
  • Erfolgreiche militärische Aufstandbekämpfungen sollen die Zufallsguerillas stabilisieren, nicht sie töten.
  • Es gibt Vorder- und Hinterbühnen, unmittelbare Anlässe und Inszenierungen. Gehört der Wutausbruch zum Image des Scheichs? Um dies einzuschätzen, bedarf es eine längere Beobachtungsdauer, um richtig zu interpretieren. Diese Zeit ist aber begrenzt, durch die COIN vorgegebene reduktive Sekurisierungslogik erlaube keine pluralistische Perspektive auf lokale Strategien und Handlungen.
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8
Q
  • Was ist die Eigenartigkeit militärischer Akteure in der Entwicklungshilfe?
  • Was sind Spoilers?
A
  • Eigenart des militärischen Akteurs, der die gewohnten Akteure der Entwicklungszusammenarbeit nicht haben: Er kann über Leben und Tod entscheiden. à sachliche Unterscheidung von Freund und Feind wird notwendig. Nur Freund-Feind-Dichotomisierung besteht, kein ethnologischer Blick.
  • Aber: unter den strategischen Gruppen, die in Verhandlungsprozesse um Entwicklungsprojekte involviert waren, hat man Gegner eines Projektes identifiziert: die Spoilers. Sie verursachen Störungen des geplanten Entwicklungsprozesses, sie sind Teil einer Umwelt, die immer wieder störende Faktoren generieren, man kann sie nicht abschaffen. Spoiler laufen die Gefahr, als Feind definiert zu werden und situationsbezogen verhaftet oder getötet zu werden. Neue Akteure bringen ihr eigenen Sicherheitskalkül in die Arena mit ein.
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9
Q
  • Erweiteter Sicherheitsbegriff?

- Vernetzte Sicherheit?

A
  • Erweiterter Sicherheitsbegriff: Nutzung von militärischen, zivilen, wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und andere Mittel auf verschiedenen Ebenen (zB national, regional, international)
  • Vernetzte Sicherheit: Militärische, polizeiliche, diplomatische, entwicklungspolitische und humanitäre Mittel so zu bündeln und aufeinander abzustimmen, dass in Krisenregionen, in denen bewaffnete Konflikte ausgetragen werden, ein koordiniertes Handeln deutscher Akteure möglich wird. (Reform der Sicherheitskräfte über humanitäre Hilfe, Räumen von Minen und Blindgängern, (Wieder-)Aufbau von Infrastruktur, Landwirtschaft und Gesundheitssystem, Unterstützung von Wahlen bis zum Aufbau bzw. Reform von Verwaltungsstrukturen und Rechtssystem, etc.)
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