Ordnungswidrigkeitenrecht Aufsatz Teil 1 Flashcards

Voraussetzungen der Ahndung eines Verhaltens, Darstellung der möglichen Rechtsfolgen, Grundlagen und Ablauf des Bußgeldverfahrens Es geht um das vorsätzlich vollendete Handlungsdelikt im Grundsatz

1
Q

Warum sind Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafrecht eng verwandt, was ist der Unterschied?

A

Beide verletzen gesetzlich verankerte Ge- oder Verbote und werden mit negativen Folgen geahndet. Der Unterschied liegt im
Maß des Unrechts: Straftaten sind besonders verabscheuungswürdig und werden vom Staat mit seiner schärfsten Waffe bekämpft – dem Strafrecht. Ordnungswidrigkeiten sind dagegen weniger schlimm und beruhen meist auf menschlichen Schwächen wie Nachlässigkeit, Unzuverlässigkeit oder Bequemlichkeit; sie brauchen daher nicht so streng geahndet zu werden.
Dazu passen die Verfahrenskonzepte: Bei Straftaten sind die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich verpflichtet einzuschreiten (§§ 152 Abs. 2, 163 Abs. 1 StPO,
Legalitätsprinzip), bei Ordnungswidrigkeiten steht die Einleitung eines Bußgeldverfahrens im Ermessen der zuständigen
Behörde. Jedes Verfahren kann zu jedem Zeitpunkt ohne Verhängung einer Rechtsfolge beendet werden (§ 47 Abs. 1 OWiG, Opportunitätsprinzip).

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2
Q

Was bestimmt § 3 OWiG?

A

§ 3 OWiG bestimmt, dass ein Verhalten als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, wenn die Möglichkeit der Ahndung in einem Gesetz bestimmt worden ist. Die Formulierung nimmt Bezug auf Art. 103 Abs. 2 GG, der das Gesetzlichkeitsprinzip für das Strafrecht neben seiner einfachgesetzlichen Ausprägung in § 1 StGB verfassungsrechtlich absichert.
Neben dem Bestimmtheitsgebot, dem Verbot belastender Analogie und dem Rückwirkungsverbot folgt aus § 3
OWiG, dass die Ahndung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit nur möglich ist, wenn eine gesetzliche Grundlage
existiert, die dies zulässt.

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3
Q

Autofahrer A fährt innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit 75 km/h. Woraus ergibt sich, dass es sich um ein ordnungswidriges Verhalten handelt?

A

von Vorschrift zu Vorschrift hangeln:
es handelt sich um Straßenverkehr, daher StVG
–> § 24 StVG handelt um “Verkehrsordnungswidrigkeiten”
–> erklärt (unter Androhung von Geldbuße in Abs. 2) für ordnungswidrig, dass jemand einer Vorschrift zuwiderhandelt, die aufgrund § 6 Abs. 1 StVG erlassen wurde, darunter fällt auch die StVO
–> Verstöße gegen die StVO, die als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können, stehen in § 49 StVO
–> Nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über die Geschwindigkeit nach § 3 StVO verstößt
–> § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO schreibt vor, dass die zulässige
Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften auch unter günstigsten Umständen für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h beträgt
–> Die Rechtsgrundlage, die die Ahndung der Geschwindigkeitsübertretung des A zulässt, lautet also § 24 StVG
i.V.m. §§ 49 Abs. 1 Nr. 3, 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO.

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4
Q

Was besagt § 1 Abs. 1 OWiG? Warum ist es wichtig?

A

§ 1 Abs. 1 OWiG ist zu beachten: Dieser legt fest, dass das Gesetz die Ahndung mit
einer Geldbuße zulassen muss. Das ist ernst zu nehmen. Es
gibt nämlich Gesetze, bei denen der Gesetzgeber das beschriebene Verhalten als ordnungswidrig bezeichnet, die
Zulassung der Ahndung mit Geldbuße aber vergessen hat.

(Z.B. lautete § 67a PStG: „Wer eine kirchliche Trauung oder
die religiöse Feierlichkeit einer Eheschließung vorgenommen
hat, ohne dass zuvor die Verlobten vor dem Standesamt erklärt hatten, die Ehe miteinander eingehen zu wollen, begeht
eine Ordnungswidrigkeit […].“8
Es fehlte in der Norm ein
Satz wie: „Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße
geahndet werden.“ Ohne eine solche Befugnis gab es keine
Möglichkeit, das Verhalten zu ahnden. Umgekehrt sind Vorschriften, die die Ahndung einer Handlung mit Geldbuße
zulassen, auch dann taugliche „Gesetze“, wenn das in ihnen
missbilligte Verhalten nicht ausdrücklich als ordnungswidrig
bezeichnet wird. So etwas gibt es in bayerischen Gesetzen,
die regelmäßig folgendermaßen beginnen: „Mit Geldbuße
kann belegt werden, wer..)

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5
Q

Wie lautet der dreistufige Deliktaufbau? (Kurzfassung)

A

Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Vorwerfbarkeit

Der Täter muss tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handeln. Schuld wird in der Terminologie des OWiG als Vorwerfbarkeit bezeichnet, beide Begriffe sind indes synonym. Geldbußen dürfen nur verhängt
werden, wenn diese drei Merkmale der Ordnungswidrigkeit
erfüllt sind. Fehlt eines, muss der Bußgeldbescheid unterbleiben oder der Betroffene, falls das Verfahren bereits bei Gericht anhängig ist, freigesprochen werden

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6
Q

Wie wird der Tatbestand untergliedert? Worum geht es im Tatbestand?

A

objektiver TB
subjektiver TB

Der Tatbestand prägt den Charakter der Ordnungswidrigkeit, er wird ergänzt durch die §§ 8 ff. OWiG und ungeschriebene Rechtssätze

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7
Q

Warum geht es beim objektiven Tatbestand?

A

Der objektive Tatbestand beschreibt die äußeren Merkmale
der Ordnungswidrigkeit, also das, was in der Außenwelt geschieht und sich nicht nur in der inneren Gedankenwelt des
Täters abspielt.

Täter Wer –> jedermann kann eine Ordnungswidrigkeit verüben
( Es gibt auch Ordnungswidrigkeiten, die nur besondere Personen begehen können (z.B. § 405 Abs. 1 AktG: „als Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder als Abwickler)
Tathandlung
sonstiges Tatbestandsmerkmal

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8
Q

Beispiel zum objektiven Tatbestand

A

Großmutter G hält sich als Haustier einen
gutmütigen Dackel, den sie überall frei herumlaufen lässt.
Enkel E hat ihr erzählt, dass es die Ordnungswidrigkeit
des § 121 Abs. 1 Nr. 1 OWiG gibt, die das Umherbewegenlassen bestimmter Tierarten mit Bußgeld bedroht.

Zum objektiven Tatbestand der genannten Norm gehört zunächst das Wörtchen „Wer“, aus dem sich ergibt, dass jedermann diese Ordnungswidrigkeit verüben kann. Daneben ist
die missbilligte Tathandlung beschrieben: das Freiumherbewegenlassen eines gefährlichen Tieres einer wildlebenden Art oder eines bösartigen Tieres.
Überträgt man dies auf das Beispiel, ist schnell festzustellen, dass eine Ahndung nicht in Frage kommt:
Zwar hat G ein Tier, den Dackel, sich frei umherbewegen lassen. Bei diesem handelt es sich aber weder um ein gefährliches Tier einer wildlebenden Art noch um ein bösartiges.

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9
Q

In welche Delikte lassen sich Ordnungswidrigkeiten unterteilen? (gehört mit zum obj. TB)

A

Ordnungswidrigkeiten lassen sich in Tätigkeitsdelikte und
Erfolgsdelikte unterteilen.
Bei Tätigkeitsdelikten genügt, dass der Täter die geforderte Handlung vornimmt, etwa ein Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 0,5
‰ führt (§ 24a Abs. 1 StVG), während Erfolgsdelikte verlangen, das aus der Handlung des Täters ein Erfolg resultiert,
etwa andere Personen geschädigt, gefährdet, behindert oder
belästigt werden (§ 24 StVG i.V.m. §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 1
Abs. 2 StVO).
Bei den Erfolgsdelikten ist zu prüfen, ob die Handlung, die der Täter vorgenommen hat, ursächlich dafür
war, dass der Erfolg eingetreten ist. Wie im Strafrecht nimmt
man also eine Kausalitätsprüfung vor, die sich orientiert an
den dafür entwickelten Kriterien, vorzugsweise der Lehre
von der gesetzmäßigen Bedingung.

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10
Q

W ist Mitglied des örtlichen Theatervereins
und spielt im aktuellen Bühnenstück einen Sanitäter. Er
trägt auf der Bühne eine Uniform des Roten Kreuzes, ohne dafür eine Erlaubnis zu besitzen. Hat W den objektiven
Tatbestand des § 125 Abs. 1 OWiG erfüllt?

A

Das Tragen der Uniform ist Benutzung des Wahrzeichens des
„Roten Kreuzes“. W hat keine Erlaubnis, handelt also „unbefugt“. Folglich scheinen alle objektiven Voraussetzungen gegeben zu sein. Gleich, welchen Inhalt die Bühnenrolle hat,
ist jedoch allen Zuschauern des Bühnenstücks klar, dass W
als Schauspieler kein wirklicher Vertreter des „Roten Kreuzes“ ist, sondern sich nur verkleidet hat. Verkleiden ist für
Schauspieler sozialüblich. Ein solches sozialübliches Verhalten schließt den objektiven Tatbestand aus, weil es das geschützte Rechtsgut nicht unerlaubt gefährdet. Diesen Aspekt erörtert man im Strafrecht unter dem Stichwort „objektive Zurechnung“, deren Kriterien auch im Ordnungswidrigkeitenrecht gelten. W hat also keine Ordnungswidrigkeit begangen.

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11
Q

Worum geht es beim subjektiven Tatbestand?/Was gehört zum subj. TB?

A

Zum subjektiven Tatbestand gehört grundsätzlich Vorsatz.
Das steht in § 10 OWiG. Der Vorsatz muss sich auf die
Merkmale des objektiven Tatbestandes beziehen, was aus der Formulierung des § 11 Abs. 1 S. 1 OWiG herzuleiten ist.

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12
Q

Aus wie vielen und welchen Elementen besteht der Vorsatz? (subjektiver Tatbestand)

A

Nach h.M. besteht der Vorsatz aus zwei Elementen: Der
Täter muss um die Merkmale des objektiven Tatbestandes
wissen und ihre Verwirklichung wollen. (Wissen und Wollen)

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13
Q

Welche Arten von Vorsatz gibt es?

A

Man unterscheidet drei Arten des Vorsatzes:
- Absicht (dolus directus ersten Grades),
- Wissentlichkeit (dolus directus zweiten Grades) und den
- bedingten Vorsatz (Eventualvorsatz): Dem absichtlich Handelnden kommt es gerade darauf an, dass die Merkmale des
objektiven Tatbestandes verwirklicht werden, der wissentlich Handelnde sieht den Eintritt als sichere Folge seines Handelns voraus, der bedingt vorsätzlich Handelnde hält die Verwirklichung der objektiven Merkmale nur für möglich, findet sich aber damit ab.
Alle Vorsatzformen sind grundsätzlich gleichwertig, genügen also der Verwirklichung des
subjektiven Tatbestandes

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14
Q

Beispiel bedingten Vorsatz´(Eventualvorsatz)

A

: L fährt mit seinem Wagen auf eine grüne Ampel zu. Etwa 30 Meter davor schaltet die Ampel auf Gelb
um. L gibt Gas. Ihm ist bewusst, dass er es möglicherweise nur bei Rot schafft, hält das aber wegen eines Termins, den er einhalten muss, für nicht so wichtig. Als L
die Kreuzung passiert, zeigt die Ampel auf Rot (§ 24
StVG i.V.m. §§ 49 Abs. 3 Nr. 2, 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO)

–> L kam es nicht darauf an, bei Rot zu fahren (er hatte also keine Absicht). Sicher vorhergesehen hat er seinen Fehltritt auch nicht (er handelte also nicht wissentlich). Wohl aber hat er die Möglichkeit erkannt und sich wegen seines Termins damit abgefunden. Dies ist bedingter Vorsatz.

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15
Q

Was ist ein Tatumstandsirrtum?

A

Wenn jemand bestimmte Umstände nicht mitbekommen hat, sie also nicht kennt und deswegen eine Ordnungswidrigkeit begeht

Beispiel: In der Stadt R kommt es zu einer Spontanversammlung von Jurastudenten, die gegen die Schließung ihrer Fakultät seitens der Landesregierung protestieren wollen. Die Stimmung droht in Gewalttätigkeit umzuschlagen, sodass die Polizei sich berechtigterweise entschließt, die Veranstaltung zu beenden. Polizist P fordert die Menge dreimal deutlich auf, auseinander zu gehen;
die Studenten lassen sich davon aber nicht beeindrucken.
Kurz nach den Aufforderungen kommt Jurastudent M
vorbei, der von den Ereignissen nichts mitbekommen hat.
M freut sich, einige seiner Kommilitonen zu treffen, und
schließt sich der „Meute“ an.

= M könnte die Ordnungswidrigkeit des § 113 Abs. 1 OWiG
verwirklicht haben, dessen objektiver Tatbestand erfüllt ist:
Er hat sich einer öffentlichen Ansammlung angeschlossen,
obwohl ein Träger von Hoheitsbefugnissen die Menge dreimal rechtmäßig aufgefordert hat, auseinander zu gehen. Weil M die Aufforderung des Polizisten nicht mitbekommen hat,
kennt er aber einen Umstand nicht, der zum gesetzlichen
Tatbestand (gemeint: § 113 Abs. 1 OWiG) gehört: die dreimalige Aufforderung. Er handelt also nicht vorsätzlich (§ 11 Abs. 1 S. 1 OWiG). Diesen Fall nennt man Tatumstandsirrtum. M hat kein Bußgeld zu befürchten.

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16
Q

besondere subjektive Merkmale (Vorsatz bzgl. TM)
Was ist das ? Gib ein Beispiel

A

Manchmal verlangt der subjektive Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit etwas über den Vorsatz Hinausgehendes, das sind dann besondere subjektive Merkmale

Beispiel: § 33 Abs. 5 Nr. 1 AWG, der (verkürzt) lautet: „Ordnungswidrig handelt, wer unrichtige oder unvollständige Angaben tatsächlicher Art macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen eine Genehmigung oder eine Bescheinigung zu erschleichen.“ Hier verlangt der subjektive Tatbestand erstens Vorsatz (§ 10 OWiG), zweitens dass der Täter handelt, „um für sich oder einen anderen eine Genehmigung oder eine Bescheinigung zu erschleichen“. Die Erschleichung
der Genehmigung oder Bescheinigung muss also nicht wirklich eintreten, vielmehr muss der Täter sie nur – subjektiv – im Zeitpunkt der Tathandlung herbeiführen wollen. Das folgt aus der Formulierung „um […] zu“.

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17
Q

Was prüft man, wenn der Tatbestand bejaht wurde?

A

Die Rechtswidrigkeit, also die Frage, ob der Täter ausnahmsweise das Recht hatte, tatbestandsmäßig zu handeln (weil Rechtfertigungsgründe vorliegen)

18
Q

Wann hatte der Täter ausnahmsweise das Recht, tatbestandsmäßig zu handeln?

A

Wenn ein Rechtfertigungsgrund vorlag.

19
Q

Welche Rechtfertigungsgründe gibt es?

A

Notwehr § 15 OWiG
rechtfertigende Notstand § 16 OWiG
Einwilligung

(im Strafrecht § 32 und 34 StGB)

(Beispiel: Nach einem Verkehrsunfall transportiert der
Krankenwagenfahrer F den schwer verletzten K unter
Außerachtlassung aller Geschwindigkeitsbegrenzungen ins
nächste Krankenhaus und rettet ihm so das Leben. Auf
der Fahrt wird F geblitzt.
Der Krankenwagenfahrer hat mit der Außerachtlassung der Geschwindigkeitsbegrenzungen den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt, nämlich § 24 StVG i.V.m. §§ 49
Abs. 1 Nr. 3, 3 Abs. 3 StVO. Das ist aber nur eine Seite der
Medaille. Der genannte § 35 StVO befreit in seinem Abs. 5a
Fahrzeuge des Rettungsdienstes von den Vorschriften der
StVO, also auch von denen über die Geschwindigkeit, wenn
höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. F kann sich auf diesen Rechtfertigungsgrund berufen. Er hat also tatbestandsmäßig, nicht aber rechtswidrig gehandelt, weshalb er kein Bußgeld zu befürchten hat)

20
Q

Was ist ein Erlaubnisumstandsirrtum?

A

Wenn in der Vorstellung des Täters Umstände gegeben sind, die bei ihrem tatsächlichen Vorliegen einen anerkannten Rechtfertigungsgrund erfüllen würden
–> der Täter geht also irrig davon aus, dass Umstände vorliegen, die am Ende doch nicht vorliegen

Beispiel: K simuliert, ist also gar nicht
schwer verletzt, sondern unversehrt. Krankenwagenfahrer
F geht hingegen davon aus, es mit einem lebensbedrohlich verletzten Menschen zu tun zu haben. Wie ist das
Verhalten des F nun zu würdigen?

(F hat den Tatbestand des § 24 StVG i.V.m. §§ 49 Abs. 1
Nr. 3, 3 Abs. 3 StVO erfüllt, denn er hat vorsätzlich die Geschwindigkeitsgrenzen missachtet. Dies geschah auch rechtswidrig, denn weil objektiv keine höchste Eile geboten war, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, kann F sich nicht auf § 35 Abs. 5a StVO (und auch nicht auf § 16 OWiG) berufen. Das Besondere an dem Fall ist, dass das Handeln des F durch § 35 Abs. 5a StVO gerechtfertigt wäre, wenn seine Vorstellung der Wirklichkeit entspräche. F irrt also über das Vorliegen von Umständen, die ihn bei tatsächlichem Vorliegen rechtfertigen würden. Eine solche Vorstellung nennt man Erlaubnisumstandsirrtum. Er ist gesetzlich nicht geregelt und seine Lösung umstritten. Dass der Täter wegen eines Vorsatzdeliktes nicht sanktioniert werden darf, ist dabei nahezu unumstritten. Am besten ist es, die Konstellation mit dem BGH entsprechend den Regeln des Tatumstandsirrtums (§ 11 Abs. 1 OWiG analog) zu behandeln, denn der Tatumstandsirrtum unterscheidet sich zwar formal vom Erlaubnisumstandsirrtum, qualitativ sind die beiden sich aber sehr ähnlich, weil der Täter sich jeweils eine Situation vorstellt, die mit der Rechtsordnung im Einklang steht. Weil § 11 Abs. 1 OWiG zugunsten des Täters analog angewendet wird, kommt man
auch mit dem Verbot belastender Analogie (§ 3 OWiG) nicht
in Konflikt. )

21
Q

Wie lautet der Obersatz der Rechtswidrigkeit?

A

Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtwidrigkeit, es sei denn es liegt ausnahmsweise ein Rechtfertigungsgrund vor

22
Q

Was ist zu untersuchen, wenn Tatbestand und Rechtswidrigkeit bejaht wurden?

A

Ob dem Täter sein Unrecht persönlich vorwerfbar ist (Vorwerfbarkeit)
Die individuelle Persönlichkeit des Täters wird dahingehend beleuchtet, ob er etwas dafür konnte, tatbestandlich und rechtswidrig gehandelt zu haben
= wenn er in der Lage ist, sein Unrecht einzusehen
(Im Strafrecht Schuld)

23
Q

Unrechtsbewusstsein - Verbotsirrtum
wann liegt es vor? Beispiel mit Erklärung

A

Ein Verbotsirrtum liegt vor, wenn dem Täter das Unrechtsbewusstsein fehlt, d.h. wenn er davon ausgeht, durch sein Verhalten kein Unrecht zu verwirklichen

Beispiel: Wirt W bietet in seiner Schankwirtschaft nur
alkoholische Getränke an, weil er auf „Gesundheitsapostel, die sogar in Kneipen nur Cola und Wasser trinken
wollen“, keine Lust hat. Eines Tages flattert ihm ein Anhörungsbogen ins Haus. In diesem wird ihm eine Ordnungswidrigkeit nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 GastG zur Last
gelegt, weil er entgegen § 6 S. 1 GastG keine alkoholfreien Getränke verabreicht. Er macht geltend, er habe
nicht vorwerfbar gehandelt, weil er die Normen des GastG
nicht gekannt und deshalb sein Verhalten für erlaubt gehalten habe.

Der Tatbestand der genannten Ordnungswidrigkeit ist erfüllt, ein Rechtfertigungsgrund nicht ersichtlich. Knackpunkt des Falles ist, dass W sein Verhalten für sanktionsfrei gehalten
hat. Ihm fehlte, so formuliert § 11 Abs. 2 OWiG, bei Begehung der Tat die Einsicht, etwas Unerlaubtes zu tun. Eine solche Fehlvorstellung nennt man Verbotsirrtum. Ob er die Vorwerfbarkeit ausschließt, macht § 11 Abs. 2 OWiG davon abhängig, ob der Irrtum für den Täter vermeidbar oder unvermeidbar war. Für eine Unvermeidbarkeit wird vom Täter einiges verlangt: Er muss all seine geistigen Erkenntniskräfte einsetzen und eventuell auftauchende Unrechtszweifel mit Nachdenken und – falls erforderlich – der Einholung sachkundigen Rechtsrates aufzuklären versuchen. Erfasst der Bußgeldtatbestand ein Verhalten im Rahmen der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit, sind die Prüfungs- und Erkundigungspflichten des Täters besonders hoch: Es gehört zu den
Pflichten einer Berufsausübung, sich über Regeln und Gesetze zu informieren, die in dem entsprechenden Berufszweig gelten. Daher war der Verbotsirrtum in dem Beispiel vermeidbar und W erwartet ein Bußgeld.

24
Q

Welcher § ist bei dem Unrechtsbewusstsein relevant?

A

§ 11 Abs. 2 OWiG

25
Q

Wie lautet der Obersatz der Vorwerfbarkeit?

A

Das tatbestandsmäßige und rechtswidrige Verhalten muss dem Täter letztlich auch persönlich vorwerfbar sein

26
Q

Verantwortlichkeit - welcher § ist relevant? Was bedeutet es?

A

§ 12 OWiG “zu jung, zu blöd, zu blau”
Nicht vorwerfbar handelt wer:
- unter 14 Jahren (Kinder)
- Jugendliche 14-18 außer reif genug
- Erkrankte (Abs. 2)
–> krankhafte seelische Störung (langfristig Drogen/Alkoholmissbrauch und starke Folgen, exogene Psychosen)
–> tiefgreifende Bewusstseinsstörung (durch Zuführung von Betäubungsmitteln, Alkohol etc.) ab 3.0 Promille!
–> Intelligenzminderung unter 70 %
–> andere schere seelische Störung

27
Q

Beispiel Verantwortlichkeit mit Erklärung

A

Beispiel: Der zehnjährige K ist nachts allein zu Hause.
Er öffnet die Fenster und dreht die Musikanlage bewusst
so laut, dass die Nachbarn stundenlang kein Auge zutun.
Nachbar N will sich das nicht gefallen lassen. Er ruft die
Polizei und verlangt, dass „dem Bengel von staatlicher
Seite das Taschengeld gekürzt wird“.

K hat mit seiner vorsätzlichen Lärmverursachung den Tatbestand des § 117 Abs. 1 OWiG erfüllt. Er handelte rechtswidrig, weil ein Rechtfertigungsgrund für sein Handeln nicht ersichtlich ist. Dennoch können wir ihm sein Verhalten nicht anlasten, denn er war für sein Tun nicht verantwortlich. Dies ergibt sich aus § 12 Abs. 1 S. 1 OWiG, der Menschen wie K, die noch keine 14 Jahre alt sind, generell von der Verantwortlichkeit für ihr Handeln befreit. Wäre K Jugendlicher, also „zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt“ (§ 1 Abs. 2 JGG), hinge seine Verantwortlichkeit und damit die Vorwerfbarkeit davon ab, ob er „zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht
zu handeln“ (§ 12 Abs. 1 S. 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG).

Beispiel 2: L befindet sich mit Freunden in einer Kneipe,
um das Fußballspiel England gegen Holland anzuschauen.
Man frönt fleißig dem Alkohol und freut sich, dass die
englische Mannschaft einen guten Tag erwischt hat. Nach
dem Schlusspfiff kennt die Siegesfreude des Alkohol
kaum gewöhnten L keine Grenzen mehr: Sturzbetrunken
steigt er auf den Tresen, zieht sich nackt aus und singt in
der vollbesetzten Kneipe die englische Nationalhymne.
Der Wirt holt die Polizei, die den L mit zur Wache
nimmt. Ein Sachverständiger ermittelt, dass L zur Tatzeit
eine Blutalkoholkonzentration von 3,1 ‰ hatte. Am nächsten Morgen weist Polizeimeister P den L darauf hin, dass er mit einem Bußgeldbescheid zu rechnen habe.
L hat durch seine „Darbietung“ den Tatbestand des § 118
Abs. 1 OWiG verwirklicht. Er handelte auch rechtswidrig.
Problematisch ist die Vorwerfbarkeit, denn L hatte einen
durchaus beachtlichen Alkoholpegel. Der Alkoholrausch ist
der häufigste Anwendungsfall des § 12 Abs. 2 OWiG und
fällt unter das Merkmal „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“.
Im StGB gibt es die Parallelnorm des § 20 StGB, in
dessen Kontext die Gerichte sich mittlerweile einig sind, dass eine Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von 3,0 ‰ oder mehr den Richter zur Auseinandersetzung mit der Schuldfähigkeit veranlassen muss. Dies lässt sich auf das Ordnungswidrigkeitenrecht übertragen, sodass dem alkoholentwöhnten L sein Tun wegen des Rausches gemäß § 12 Abs. 2 OWiG nicht
angelastet werden kann. Das heißt aber noch nicht, dass er
ungeschoren davonkommt. Denn neben dem hier nicht zu
behandelnden Komplex der „actio libera in causa“ gibt es
den in § 122 OWiG geregelten „Vollrausch“ als Ordnungswidrigkeit. Er passt zu dem Beispiel: L hat sich (mindestens) fahrlässig durch alkoholische Getränke in einen Rausch versetzt, eine mit Geldbuße bedrohte Handlung begangen (§ 118 Abs. 1 OWiG) und konnte ihretwegen nur nicht mit Geldbuße belegt werden, weil infolge des Rausches die Vorwerfbarkeit ausfiel.

28
Q

Was sind weitere Entschuldigungsgründe (abgesehen von dem Unrechtsbewusstsein und der Verantwortlichkeit?

A

Notwehrexzess ( § 15 Abs. 3 OWiG) –> aber seehr selten

entschuldigende Notstand (nicht gesetzlich fixiert) aber noch seltener

29
Q

Welche Unterlassungsdelikte gibt es? Was bedeuten sie?

A

echte Unterlassungsdelikte: Manche Ordnungswidrigkeiten knüpfen ausdrücklich daran
an, dass der Täter etwas nicht tut ( z.B. § 121 Abs. 1 Nr. 2
OWiG). Sie bieten keine Besonderheiten.

Größere Probleme bereiten die unechten Unterlassungsdelikte, bei denen das im Gesetz beschriebene Handlungsmerkmal durch ein Unterlassen ersetzt wird.
Die prägnanteste objektive Voraussetzung des Unterlassungsdelikts steht in § 8 OWiG: der Täter muss „rechtlich dafür einzustehen (haben), dass der Erfolg nicht eintritt.“
Es muss also einen Rechtsgrund geben, der ihn für die Verhinderung des Erfolges zuständig macht. Diese sog. Garantenstellung kann aus zweierlei Gründen entstehen: Erstens, weil man eine potentielle Gefahrenquelle überwachen muss. So ist etwa der Eigentümer einer industriellen Anlage dafür verantwortlich, dass
von dieser keine Gefahren ausgehen.
Zweitens, weil man ein potentielles Opfer beschützen muss. Das kann im Gesetz angeordnet sein (z.B. haben Eltern nach § 1626 Abs. 1 BGB für ihre Kinder zu sorgen)46 oder aus der tatsächlichen Übernahme der Schutzpflicht folgen (z.B. die Übernahme der Obhut per „Sitting-Vertrag“). Der subjektive Tatbestand des unechten Unterlassungsdelikts verlangt grundsätzlich Vorsatz
(§ 10 OWiG), der neben den objektiven Tatbestandsmerkmalen der Ordnungswidrigkeit die besonderen Voraussetzungen
des Unterlassens erfassen muss

30
Q

Was bedeutet Garantenstellung?

A

Die Garantenstellung bedeutet, dass der Unterlassende rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandsmäßige Erfolg ausbleibt. Die Umstände, die die Garantenstellung begründen, sind ungeschriebene Tatbestandsmerkmale der unechten Unterlassungsdelikte.

31
Q

Beispiel: Weil Sommer ist, hat Hundehalter H seinen
Dackel über Nacht im Garten festgebunden. Als es in
Strömen zu regnen anfängt, steht dem Tier der Sinn nach
seinem Stammplatz im Haus. Deswegen bellt und jault es
und erzeugt einen Geräuschpegel, der die Nachbarschaft
um den Schlaf bringt. H ist sich bewusst, dass er lediglich
aufstehen und den Hund ins Haus lassen müsste, um den
Lärm zu beenden. Er weiß zudem, dass er als Eigentümer
dazu verpflichtet wäre. Dennoch sieht er davon ab und
stopft sich „Oropax“ in die Ohren. Während sein Hund
die ganze Nacht bellt, träumt H selig vor sich hin.

A

Nicht H hat die störenden Geräusche erzeugt, sondern sein
Hund, und zwar in einem Ausmaß, der geeignet war, die Nachbarschaft erheblich zu belästigen (§ 117 Abs. 1 OWiG).
§ 8 OWiG erlaubt, daran anzuknüpfen, dass H es unterlassen hat, das Gebell zu unterbinden und den Hund ins Haus zu holen. H war als Eigentümer des Hundes Garant für das Ausbleiben des Lärms, denn als Eigentümer des Hundes war er verpflichtet, ihn zu überwachen und dafür zu sorgen, dass das Tier der Nachbarschaft nicht den Schlaf raubt. H handelte vorsätzlich mit Blick auf die objektiven Voraussetzungen des
§ 117 Abs. 1 OWiG und die besonderen Unterlassungsvoraussetzungen, insbesondere wusste er um seine Garantenpflicht als Eigentümer. Weil er rechtswidrig und vorwerfbar handelte, muss er mit einem Bußgeld rechnen.

32
Q

Wie ist mit einem Versuch einer Ordnungswidrigkeit zu verfahren?

A

(Am Beispiel eines Handyschmuggels ins Gefängnis)
Die Tat war nicht vollendet.
Dennoch kann das Verhalten der E geahndet werden, denn es gibt § 115 OWiG, der zu den wenigen Ordnungswidrigkeiten gehört, die auch den Versuch der Tat mit Geldbuße bedrohen (§§ 13 Abs. 2, 115 Abs. 3 OWiG).

Innerhalb des Tatbestands: In der Reihenfolge, die die Formulierung des § 13 Abs. 1 OWiG vorgibt,
ist zunächst die „Vorstellung von der Tat“ zu prüfen. Damit
sind die Merkmale gemeint, die unter dem Stichwort
„Subjektiver Tatbestand“ vorgestellt wurden. Erst danach
erörtert man den objektiven Tatbestand, also nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 OWiG, ob der Täter „zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat“

–> erste subj TB, dann obj. TB

Verhalten der E gemäß §§ 115 Abs. 3, 13 Abs. 1 und 2 OWiG als versuchter Verkehr mit Gefangenen geahndet werden
Spätestens mit dem Herausholen des Handys setzte sie zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar an

33
Q

Wie ist zu verfahren, wenn das Handy im Gefängnis nicht überreicht wurde, weil Person Gewissensbisse bekommt?

A

§ 13 Abs. 3 und 4 OWiG
Versuch wird nicht geahndet
Den Rücktritt erörtert man nach der Vorwerfbarkeit.

34
Q

Wo ist die Fahrlässigkeit definiert?

A

§ 276 Abs. 2 BGB

35
Q

Darf man jemanden wegen der fahrlässigen
Verwirklichung des § 118 Abs. 1 OWiG belangen?

A

§ 118 bedroht fahrlässiges Handeln nicht mit Geldbuße, so dass die fahrlässige Verwirklichung des § 118 Abs. 1 nicht geahndet werden kann.

–> ergibt sich aus § 10 OWiG
–> Normen wie der § 118 Abs. 1 OWiG sind im
Ordnungswidrigkeitenrecht die Ausnahme, denn die meisten Tatbestände sehen für fahrlässiges Handeln Geldbuße vor.

36
Q

Welche Norm zeigt, dass die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit wichtig ist?

A

§ 17 Abs. 2 OWiG Höhe der Geldbuße
Fahrlässiges Handeln kann im Höchstmaß nur mit der Hälfte der angedrohten Geldbuße geahndet werden

37
Q

Beispiel Fahrlässigkeit: X macht eine gemütliche Spritztour mit seinem Auto. Weil er während der Fahrt eine flotte CD aussucht, merkt er nicht, dass er an einer schilderlosen Kreuzung dem von rechts kommenden Motorrollerfahrer M
die Vorfahrt nimmt und fast einen Unfall verursacht. Die
Polizisten P und O haben den Vorgang beobachtet, fahren
hinter X her und halten ihn bei nächster Gelegenheit an.

A

Erklärung:
§ 24 StVG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 8 StVO hat zur Voraussetzung, dass der Täter gegen eine Vorschrift über die Vorfahrt nach § 8 StVO verstößt. Das hat X getan, denn er hätte dem M gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 StVO an der Einmündung Vorfahrt gewähren müssen.
Des Weiteren ist Vorsatz oder Fahrlässigkeit vonnöten. Weil X sein Fehlverhalten nicht bemerkte, kommt nur Fahrlässigkeit in Betracht.
Fahrlässigkeit setzt – grob gesagt– zweierlei voraus:
1. Der Täter muss objektiv die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lassen (objektive Sorgfaltspflichtverletzung).
Diesen Aspekt erörtert man im Tatbestand.
2. Zum anderen muss der Täter nach seinen
persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage sein,
die Sorgfaltspflicht zu erfüllen (subjektive Sorgfaltspflichtverletzung). Das gehört – aufgepasst! – in die Vorwerfbarkeit. In dem Beispiel besteht die objektive Sorgfaltspflichtverletzung des X darin, dass er während der Fahrt seinen CDs
Aufmerksamkeit schenkte, anstatt auf die Verkehrssituation zu achten. Genau diese Sorgfaltspflichtverletzung hat zu dem
Verstoß gegen § 8 Abs. 1 S. 1 StVO geführt, denn hätte X
sich nicht abgelenkt, wäre ihm die Einmündung aufgefallen.
Davon, dass er subjektiv fähig war, die Sorgfaltspflicht zu
erfüllen, ist mangels anderer Angaben im Sachverhalt auszugehen. Also hat er eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 49 Abs. 1 Nr. 8, 8 Abs. 1 S. 1 StVO begangen und ein Bußgeld zu befürchten.

38
Q

Was ist objektive und subjektive Sorgfaltspflichtverletzung und wo prüft man es?

A

Der Täter muss objektiv die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lassen (objektive Sorgfaltspflichtverletzung). - im Tatbestand

Der Täter muss nach seinen
persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage sein,
die Sorgfaltspflicht zu erfüllen (subjektive Sorgfaltspflichtverletzung) - in der Vorwerfbarkeit!

39
Q

Was ist der Regelfall der Fahrlässigkeit? Gibt es auch den bewusst fährlässig handelnden Täter?

A

Der Regelfall der Fahrlässigkeit ist, dass der Täter unbewusst handelt, also gar nicht merkt, dass er sich sorgfaltswidrig verhält.
Das muss aber nicht sein.
Ja, es gibt – jedenfalls nach h.M. – auch den bewusst fahrlässig handelnden Täter, der das Risiko, in das er sich begibt, wahrnimmt. Vom Täter, der bedingt vorsätzlich handelt, unterscheidet ihn, dass er sich nicht mit der möglichen Verwirklichung des Tatbestandes abfindet, sondern darauf vertraut, dass sich die Möglichkeit nicht bewahrheiten werde. (seltener)

40
Q

Was ist ein Beispiel für einen bewusst fahrlässig handelnden Täter?

A

Z befindet sich auf dem Gemeindefest. Er hat
schon ein paar Bier intus, als ihm einfällt, dass er noch
verabredet ist. Zwar bemerkt Z die ersten Anzeichen einer
Alkoholisierung, ist aber davon überzeugt, den sanktionierten Promillebereich noch nicht erreicht zu haben. Z gerät mit seinem Fahrzeug in eine allgemeine Verkehrskontrolle. Ein Sachverständiger ermittelt bei ihm eine Blutalkoholkonzentration von 0,63 ‰ zur Tatzeit.

Dies ist ein Fall der bewussten Fahrlässigkeit, der nur mit der Hälfte des angedrohten Bußgelds geahndet werden darf (§ 17 Abs. 2 OWiG).
Gelegentlich findet man Ordnungswidrigkeiten, die nicht
fahrlässiges, sondern leichtfertiges (inhaltsgleich: grob fahrlässiges) Handeln verlangen (etwa: §§ 378-381 AO). Leichtfertigkeit zeichnet sich gegenüber der „normalen“ Fahrlässigkeit darin aus, dass die gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße missachtet wird

41
Q

Welches System gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht bei mehreren Beteiligten und was bedeutet es?

A

Das Einheitstätersystem. Alle sollen Täter sein, unabhängig davon, welches Ausmaß ihr jeweiliger Beitrag hat
(es wird nicht wie im Strafrecht zwischen Tätern und Teilnehmern, wie Gehilfen oder Anstiftern unterschieden)
ABER: leider nicht ganz funktioniert –> auch hier Abgrenzung vorhanden

42
Q

Gibt es eine Regelung zum Handeln für einen anderen?

A

Ja, in § 9 OWiG.

§ 14 Abs. 1 S. 2 OWiG setzt voraus, dass mindestens eine beteiligte Person alle Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeit erfüllt. Somit scheint eine Lücke zu klaffen. Das hat der Gesetzgeber gesehen und § 9 OWiG eingerichtet, der im Falle von Vertretung oder Beauftragung die besonderen persönlichen Merkmale
des Vertretenen oder Auftraggebers dem Vertreter oder Beauftragten zurechnet