Kapitel 2 Aussagen, Begriffe und Variablen Flashcards
Elementare Wissenschaftstheorie
Was ist eine Aussage?
Als Aussage soll eine Zeichenkombination immer dann bezeichnet
werden, wenn sich die Frage stellen lässt, ob die Zeichenkombination
wahr oder falsch ist (vgl. im folgenden Schulze 1982).
Beispiel:
(1) Person A spricht mit Person B.
(2) Person A soll mit Person B sprechen.
(3) Person A spricht mit Person B, und Person A spricht nicht
mit Person B.
Drei Aspekte von Wahrheit
(1) Wahrheit im logischen Sinne: Demnach gilt eine Aussage als wahr,
wenn sie nicht gegen logische Regeln verstößt.
(2) Wahrheit im normativen Sinne: Nach diesem Kriterium ist eine Aussage
wahr, wenn der Beurteilende die durch die Aussage vermittelten Werte für
sich als gültig akzeptiert.
(3) Wahrheit im empirischen Sinne: Eine Aussage gilt als empirisch wahr,
wenn sie mit der empirischen Realität übereinstimmt.
Logische Aussagen sind entweder…
a. immer wahr (analytisch wahr oder tautologisch)
oder
b. immer falsch (widersprüchlich)
Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Wenn eine Aussage
nicht in sich widersprüchlich ist, folglich die Hürde der logischen
Widerspruchsfreiheit genommen hat, wird sie dadurch nicht zu einer
logischen (analytischen) Aussage im Sinne der vorhergehenden Folie.
Bsp: Am 22.10.2024 war in Berlin der Himmel vollkommen wolkenlos.
Hier handelt es sich um eine (empirische) Aussage, welche das Kriterium der
Widerspruchsfreiheit erfüllt. Ob diese empirische Aussage im empirischen
Sinn als wahr bewertet werden kann, wäre sodann zu prüfen.
Welche Kriterien sollte eine vollständige Definition (im Sinne einer
Nominaldefinition) erfüllen?
(1) Eliminierbarkeit
Eine Definition muss das Kriterium der Eliminierbarkeit erfüllen, d.h., das
Definiendum muss an allen Textstellen durch das Definiens ersetzt werden
können, ohne dass sich die Bedeutung ändert (vgl. Essler 1970).
Beispiel:
D1: „Junggesellen sind unverheiratete Männer.“
D2: „Ehemänner sind verheiratete Männer.“
D3: „Männer sind Junggesellen oder Ehemänner.“
(2) Nichtkreativität
Beispiel Essler (1970: 71-72):
(1) „Junggesellen sind unverheiratete Männer.“
(2) „Junggesellen sind Eigenbrötler.“
Im Beispiel stellen (1) und (2) jeweils Definitionen des Begriffs ‚Junggeselle‘
dar. Setzen wir nun die beiden rechten Seiten gleich, die ja uns bekannte
Begriffe beinhalten, so erhalten wir eine empirische Aussage:
E: „Unverheiratete Männer sind Eigenbrötler.“
Nichtkreativität bedeutet also, dass keine neuen inhaltlichen Zusammenhänge
durch die Definition gewonnen werden.
(3) Exaktheit
(4) Theoretische Fruchtbarkeit
Klassifikation von Variablen nach dem Skalen- oder Messniveau:
In welcher Relation oder Ordnung stehen die Merkmalsausprägungen
zueinander?
Nominalskala (Ausprägungen können lediglich unterschieden werden)
Z.B.: Konfessionszugehörigkeit (katholisch, evangelisch, konfessionslos, andere
Konfessionen)
Ordinalskala (Ausprägungen können in eine Rangordnung gebracht werden)
Z.B.: Schulbildung (ohne Abschluss, Hauptschulabschluss, Realschulabschluss,
Fachhochschulreife, allgemeine Hochschulreife), Wahlbeteiligungsnorm
Intervallskala (Abstände zwischen den Ausprägungen definiert und gleich)
Z.B.: Temperatur in Grad Celsius, Kalenderjahre, Intelligenzquotient
Ratioskala (absoluter, natürlicher Nullpunkt; Verhältnisse der den Ausprägungen
eines Merkmals zugeordneten Zahlen sind interpretierbar)
Z.B.: Körpergröße in cm
Klassifikation von Variablen nach der Abzählbarkeit der Ausprägungen
Diskrete Variablen haben eine abzählbare (endliche oder unendliche)
Anzahl an Ausprägungen.
Z.B.: Schulbildung, Einkommen in Euro
Hingegen ist es nicht möglich, die Ausprägungen bei kontinuierlichen
(stetigen) Variablen abzuzählen.
Z.B.: Geschwindigkeit, Körpergröße, Haarfarbe (Intuition: immer feinere
Messeinheiten, so dass selbst innerhalb nur eines Intervalls der
kontinuierlichen Variablen die Ausprägungen nicht mehr abzählbar sind)
Klassifikation von Variablen nach der Direktheit bei der Erfassung
Manifeste oder auch beobachtbare Variablen werden ‚direkt‘ gemessen
oder sind direkt messbar.
z.B.: Alter, Konfession, Kirchgangshäufigkeit
Demgegenüber können sog. latente Variablen nicht ‚direkt‘ erfasst
werden.
z.B.: Autoritäre Persönlichkeit, Politische Entfremdung
Solche Merkmale werden in der Regel durch mehrere Indikatoren erfasst,
mit deren Hilfe man die latenten Variablen zu erschließen versucht.
Klassifikation von Variablen nach der Aggregationsebene
Individualmerkmale charakterisieren individuelle
Untersuchungseinheiten. Dabei können wir Individualmerkmale noch
einmal in absolute und relationale Merkmale unterscheiden.
Absolute Individualmerkmale berücksichtigen nicht die Beziehungen
zu anderen Untersuchungseinheiten.
z.B.: Alter, Körpergröße
Für relationale Individualmerkmale sind dagegen die Beziehungen zu
anderen Untersuchungseinheiten konstitutiv.
z.B.: Statusunterschiede zwischen zwei Personen, der Einfluss einer
Person auf eine andere Person
Was sind Kollektivmerkmale?
Kollektivmerkmale sind Merkmale oder Eigenschaften, die sich auf Gruppen, Kollektive oder Aggregationen von Individuen beziehen und nicht auf einzelne Mitglieder der Gruppe übertragbar sind. Sie entstehen durch die Zusammenfassung oder Aggregation individueller Merkmale und beschreiben übergeordnete Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Zustände einer Gruppe. In der Politikwissenschaft und Sozialwissenschaft werden Kollektivmerkmale oft verwendet, um gesellschaftliche, politische oder ökonomische Zusammenhänge auf einer kollektiven Ebene zu analysieren.
Drei Arten von Kollektivmerkmalen werden unterschieden: analytische,
strukturelle und globale Merkmale.
Was sind Analytische Kollektivmerkmale in der Politikwissenschaft
Analytische Kollektivmerkmale in der Politikwissenschaft sind Eigenschaften oder Merkmale, die einer Gruppe oder einem Kollektiv von Individuen zugeschrieben werden, jedoch nicht auf das einzelne Mitglied übertragbar sind. Sie entstehen durch die Zusammenfassung oder Aggregation individueller Merkmale oder Verhaltensweisen und dienen dazu, übergeordnete Eigenschaften oder Verhaltensmuster einer Gruppe zu beschreiben. Diese Kollektivmerkmale werden analytisch konstruiert, das heißt, sie sind nicht direkt beobachtbare Eigenschaften einzelner Individuen, sondern entstehen erst durch das Zusammenfassen der individuellen Daten.
Was sind strukturelle Kollektivmerkmale?
Strukturelle Kollektivmerkmale in der Politikwissenschaft sind Merkmale, die Eigenschaften oder Zustände eines Kollektivs oder einer Gruppe als Ganzes beschreiben, ohne direkt aus den individuellen Eigenschaften oder Verhaltensweisen der Gruppenmitglieder abgeleitet zu werden. Sie beziehen sich auf die organisatorischen, institutionellen oder systemischen Strukturen innerhalb einer Gruppe, Gesellschaft oder eines politischen Systems, die das Verhalten und die Erfahrungen der Individuen in dieser Gruppe beeinflussen.
Beispiel:
Bildungssystem: Die Struktur des Bildungssystems in einem Land ist ein weiteres Beispiel. Es beschreibt die organisatorische Struktur und die institutionellen Bedingungen, die den Zugang und die Qualität von Bildung beeinflussen.
Was sind globale Kollektivmerkmale?
Globale Kollektivmerkmale sind Merkmale oder Eigenschaften, die sich auf eine Gruppe oder ein Kollektiv als Ganzes beziehen und nicht durch das Aggregieren oder Zusammenfassen der individuellen Merkmale der Mitglieder dieser Gruppe entstehen. Stattdessen beschreiben sie die Gesamtheit des Kollektivs, also Eigenschaften oder Strukturen, die das Kollektiv in seiner Gesamtheit charakterisieren, unabhängig von den individuellen Eigenschaften seiner Mitglieder.
Merkmale globaler Kollektivmerkmale
Nicht aggregierbar: Globale Kollektivmerkmale lassen sich nicht aus den individuellen Merkmalen der einzelnen Mitglieder ableiten oder berechnen. Sie entstehen nicht durch eine Summation, Mittelung oder andere statistische Zusammenführung individueller Daten.
Unteilbar: Diese Merkmale beschreiben die gesamte Gruppe oder Organisation und können nicht auf einzelne Mitglieder heruntergebrochen werden. Sie bestehen nur auf der Ebene des gesamten Kollektivs.
Strukturelle oder systemische Merkmale: Globale Kollektivmerkmale beziehen sich oft auf institutionelle, organisatorische oder systemische Eigenschaften, die die Struktur oder das Verhalten des gesamten Kollektivs beeinflussen.
Unabhängig vom Verhalten der Mitglieder: Diese Merkmale sind unabhängig davon, wie sich die einzelnen Mitglieder verhalten oder welche Eigenschaften sie haben. Sie betreffen ausschließlich das Kollektiv als Einheit.
Beispiele für globale Kollektivmerkmale in der Politikwissenschaft
Regierungsform eines Staates: Die Regierungsform (z. B. Demokratie, Autokratie) ist ein globales Kollektivmerkmal eines Staates, das die Art und Weise beschreibt, wie politische Entscheidungen getroffen werden und wie Macht organisiert ist. Es lässt sich nicht aus dem Verhalten oder den Meinungen der Bürger ableiten, sondern ist eine Eigenschaft des politischen Systems als Ganzes.
Mitgliedschaft in internationalen Organisationen: Die Mitgliedschaft eines Landes in Organisationen wie der NATO, der EU oder der UN ist ein globales Kollektivmerkmal. Sie beschreibt eine Zugehörigkeit, die das Land als Ganzes betrifft und Auswirkungen auf seine Position in der internationalen Politik hat.
Verfassungsrechtlicher Status: Ein weiterer Fall wäre der verfassungsrechtliche Status eines Gebiets, beispielsweise als föderales System oder als zentralistisches System. Dieser Status beeinflusst die politischen Prozesse des gesamten Systems und lässt sich nicht aus den individuellen politischen Einstellungen der Bürger ableiten.
Kriegszustand eines Landes: Ob ein Land sich im Kriegszustand befindet, ist ein globales Kollektivmerkmal, das das gesamte Kollektiv (in diesem Fall die Nation) beschreibt und Auswirkungen auf alle Mitglieder hat, ohne dass es auf das Verhalten einzelner Bürger heruntergebrochen werden kann.
Bedeutung globaler Kollektivmerkmale in der Politikwissenschaft
Globale Kollektivmerkmale sind in der Politikwissenschaft wichtig, weil sie strukturelle Eigenschaften auf der Ebene des Gesamtsystems beschreiben, die das Verhalten der Mitglieder beeinflussen und bestimmte Rahmenbedingungen schaffen. Sie helfen dabei, politische Einheiten und Systeme zu vergleichen und zu analysieren, und sind essenziell für das Verständnis von politischen Institutionen, Strukturen und internationalen Beziehungen.
Im Gegensatz zu individuellen oder aggregierten Kollektivmerkmalen geben globale Kollektivmerkmale Aufschluss über die systemische Ebene und über die Strukturbedingungen, die das Verhalten der Individuen innerhalb dieser politischen Systeme beeinflussen.